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Offener Brief an Oskar Lafontaine

Foto: H.S.

29.10.2020

Der Bundessprecher*innenrat der Antikapitalistischen Linken in der LINKEN hat den früheren Bundesfinanzminister und SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine - aktuell Fraktionsvorsitzender der LINKEN im Landtag des Saarlands - aufgefordert, unverzüglich alle politischen Ämter niederzulegen. Anlass: Ein gemeinsamer Auftritt von Oskar Lafontaine, mit Thilo Sarrazin, ehemaliger Vorstand der Bundesbank, Finanzsenator in Berlin und SPD-Mitglied sowie dem ehemaligen bayerischen Staatsminister und stellvertretendem CSU-Vorsitzenden, Peter Gauweiler, im Bayerischen Hof in München.

Thema der Altherrenrunde waren Einwanderung, Fluchtursachen und Globalisierung. "Sarrazin", heißt es im Protestschreiben des AKL, "ist ein landesweit bekannter Rassist, der gerade und nach langem quälenden Verfahren aus der SPD ausgeschlossen wurde. Eine solche rassistische und rechtsradikale Ikone, deren Bücher immer noch oben auf den Sachbuch-Bestsellerlisten rangieren, darf von einem Mitglied der LINKEN nicht öffentlich aufgewertet werden. ... Dieser gemeinsame Auftritt ist parteischädigend." Siehe AKL unter: Link


Weil Oskar Lafontaine nicht auf den Brief der Linken Sozialistischen Arbeitsgemeinschaft - von Frauen in der LINKEN NRW reagiert hat, haben sie diesen am 29.10.20202 öffentlich gemacht.

[/b]"Lieber Genosse Lafontaine,

die Linke sozialistische Arbeitsgemeinschaft Frauen (LISA) NRW möchte Dir eine Rückmeldung sowohl zu Deinem Auftritt in einem Münchner Luxushotel gemeinsam mit Thilo Sarrazin und Peter Gauweiler als auch zu Deinem NZZ-Interview vom 10. Oktober zukommen lassen.

Wir möchten, dass Du weißt:

1. Wir finden es völlig unangemessen von Dir gemeinsam mit Thilo Sarrazin dessen neueste Hetzschrift zu würdigen. Sarrazin wurde wegen Unverträglichkeit seiner rassistischen Propaganda mit den Grundsätzen der SPD aus dieser ausgeschlossen. Eine Entscheidung zu der wir die SPD nur beglückwünschen können. Ein gemeinsamer Auftritt mit Sarrazin ist für einen Linken höchstens dann hinnehmbar, wenn es darum geht dessen rassistischen Thesen entschieden Paroli zu bieten. In München hast Du jedoch das Gegenteil davon gemacht.

2. Deine Argumentationen im „Kamingespräch“ mit Sarrazin greifen nicht nur rechte Stereotype auf, sondern untermauern sie noch mit fragwürdigen, angeblichen Fakten. Es ist schlicht falsch, dass „jedes unbegleitete Flüchtlingskind“ monatlich 5000 Euro Kosten verursacht. Dies ist vielmehr die höchstmögliche Summe, die in absoluten Ausnahmefällen für ein Kind ausgegeben werden kann. Die durchschnittliche Ausgabe für ein unbegleitetes Flüchtlingskind in z.B. Baden-Württemberg belief sich 2018 auf unter 500 Euro pro Monat.

3. Ebenso falsch und bewusst irreführend ist die Aussage, diese hohen Kosten könntest Du der Sozialrentnerin nicht vermitteln. Hier eine arme, alte Frau gegen ein armes, geflüchtetes Kind auszuspielen ist der Höhepunkt der Demagogie.. Sind es etwa arme, alte Frauen, die armen Kindern nicht helfen wollen? Sind es arme, alte Frauen, die Unbarmherzigkeit gegen andere Arme und Hilfsbedürftige predigen? Sind es überhaupt Frauen, die rassistischen Parolen auf den Leim gehen? Ganz bestimmt nicht! Die übergroße Mehrheit der Frauen unterstützt Hetze gegen Geflüchtete oder auch Hetze gegen Arme und Ausgegrenzte überhaupt nicht. Als 2015 viele Menschen auf der Flucht in Deutschland ankamen, waren es überall vor allem Frauen, die sich in lokalen Gruppen um die Ankommenden kümmerten. Auch andere soziale Freiwilligenarbeit wird in Deutschland vor allem von Frauen geleistet – und oft ist da auch die von Dir vorgeschobene Sozialrentnerin aktiv. Und, glaubst Du tatsächlich, dass es die Kosten für Geflüchtete sind, die die Rentnerin in Armut halten? Nein, Armutsrenten gerade für Frauen haben andere Gründe. Sie sind politisch gewollter Ausfluss von geschlechtlicher Arbeitsteilung und ein Ergebnis jahrzehntelanger, neoliberaler Zerstörung von Sozialstaat und Altersabsicherung.

4. Mit dieser, aber auch den Äußerungen, dass Notleidenden besser nicht hier, sondern in ihrer meist kriegs- und krisengeschüttelten Heimat geholfen werden sollte oder mit der These, dass die Arbeitsmigration nach Großbritannien ursächlich für den Brexit sei, greifst Du wieder einmal rechte Narrative auf und bestätigst sie. So, Oskar Lafontaine, wird das nie etwas mit einer linken Hegemonie im gesellschaftlichen Diskurs. Jede Deiner diesbezüglichen Argumentationen zementiert die bestehende rechte Hegemonie und ist Wasser auf die Mühlen der AfD. Zu linken Wahlerfolgen tragen Deine Beiträge leider schon lange nicht mehr bei.

5. Dir ist offenbar die erste und wichtigste Erkenntnis von Linken jeglicher Couleur nicht mehr geläufig: Die Barrikade verläuft nicht zwischen unterschiedlichen Armen, sondern zwischen kapitallosen Menschen und Kapitaleignern. Wir stehen mit allen Armen unterschiedlicher Lebenslagen zusammen und wollen gemeinsam kämpfen. Da Du das offenbar nicht möchtest, fordern wir Dich auf künftig nicht mehr als Politiker der LINKEN das öffentliche Wort zu ergreifen.

Mit solidarischen Grüßen
Sprecherinnenkollektiv LISA NRW
facebook.com/lisa.nrw

Quelle: Sprecherinnenkollektiv LISA NRW