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Demokratie – Covid 19 – Verwertungskrise

Foto: H.S.

29.01.2021 - von Nikolaus Dimmel

Lockdown und Ausgangssperren, Ausnahmezustand und Tracing-Apps, Zwangstestungen und Quarantänen, Serienanhaltungen und Maskenpflicht, Kurzarbeit und Massenarbeitslosigkeit, Konkurswellen und erweiterte Armutsfallen: die COVID-19-Katastrophe hat die chronifizierte Krise der Kapitalverwertung mit sinkenden Profit- und mediokren Wachstumsraten eskalieren lassen. Der öffentliche Raum wurde entleert, Medien in Verkündungsmaschinen der politischen Dienstklasse verwandelt, sozialmedizinische Expertise politisch instrumentalisiert. Nachdem das lange angekündigte „next big thing“ der Zoonosen bedingt durch die globalisierte Mobilität auf die Folgen jahrzehntelanger marktfundamentalistischer Austerität im Gesundheitswesen Realität geworden war, wurde der gesundheits-, sicherheits- und sozialpolitische Ausnahmezustand ausgerufen.

Die Politik der Bewältigung von SARS-CoV-2 ist aber nicht nur eine Politik des Gesundheitsnotstands, sondern eine Generalprobe. Nämlich für die Ordnungspolitik der Klimakatastrophe unter Bedingungen einer chronifizierten Wachstumskrise. In dieser wird es um die rigide Kontrolle räumlicher und sozialer Mobilität sowie die Zuteilung (extrem) knapper Ressourcen und Gesundheitschancen gehen. Ihr Gegenstand wird auch die Schließung und Privatisierung des öffentlichen Raums, die Überwachung von Dissens und Opposition sein. All dies findet unter Bedingungen sinkender Profitraten, zunehmender Prekarität und intensivierter Verteilungskonflikte statt.

2020 war das Jahr mit dem größten Umverteilungsvolumen ´von unten nach oben` seit 1945. Noch nie sind die Reichen so schnell noch reicher geworden. Über die Armen an der Peripherie redet ohnehin keiner mehr. Die hiesigen Arbeitslosenzahlen des Winters 2020/2021 indes werden die Halbmillionengrenze überschreiten. So wird aus der Pandemie des Virus eine Epidemie der Armut.
Re-Nationalisiserung

Zugleich ist SARS-CoV-2 als Zoonose selbst ein Resultat der ablaufenden Klimakatastrophe und Verteilungsschieflage. Denn COVID-19 muss als Ergebnis der fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation durch Raubbau, die Zerstörung ´natürlicher` Habitate sowie Dynamiken der Urbanisierung gelesen werden. COVID-19 wird ebenso wie die Klimakatastrophe paradoxe Folgen zeitigen. Hierzu gehören die Re-Nationalisierung essentieller Industriezweige, die De-Globalisierung der Warenverkehrsströme, die Neuordnung der Mobilität, die Re-Kalibrierung des „Overtourism“ sowie die Neuanordnung der Arbeitbeziehungen (Homeoffice, Crowdwork, Überführung unselbständiger in selbständige Arbeit). Hierzu gehört nach Einsetzen der Konkurswelle 2020/2021 und der ´Freisetzung` von Lohnarbeitskräften auch die Reorganisation des sich auf salarisierte Arbeitsbeziehungen und einkommensbasierten Beiträgen in sozialen Sicherungssysteme stützenden Sozialstaats. Dies wird durch öffentliche Beschäftigungsformen verknüpft mit Grundeinkommensmodellen auf prekärem Niveau samt ausgeweiteten Repressionsmechanismen erfolgen. Die gegenwärtige Entwicklung der Rechtslage der Sozialhilfe weist den Weg.

COVID-19 hat nicht nur die Vielfachkrise des Kapitalismus zugespitzt. Es hat zugleich auch die autoritäre Dimension rechtspopulistisch-rechtsextremer Politik erweitert. In dieser agitiert und mobilisiert die plurale Fassung einer (autoritär-marktfundamentalistischen) Einheitspartei (Toni Negri) die Gesellschaft mittels einer Propaganda der Angst („Bald wird jeder jemanden kennen, der an Corona gestorben ist“), völkischen Ordnung („Liebe Österreicherinnen“), Einschüchterung und latenten Fremdenfeindlichkeit („Das Virus kommt mit dem Auto aus dem Ausland“). Der politische Diskurs verwandelt sich in ein Dekret, die öffentliche in eine kommissarische Verwaltung. Es kommt es zu einer Symbiose von Partei und Staat, zum faktischen Verschwinden der politischen Opposition.

Im Ausnahmezustand erfolgt(e) zudem auch eine rechtsstaatlich entsicherte Ausweitung der Kompetenzen repressiver Staatsapparate. Dabei werden Überwachungs- und Sozialdisziplinierungsinstrumente des Datenkapitalismus jenseits demokratischer Kontrollmechanismen zum Einsatz gebracht. Eingriffe in das Demonstrationsrecht, Hausrecht, Freizügigkeitsrecht usf. verdeutlichen, dass die Grundrechte und damit das Fundament des bürgerlichen Rechtsstaats zur Debatte stehen. Die rechtswidrige Anhaltung und Isolierung von BewohnerInnen in Altenheimen machen dies deutlich. Das Software-Konzept des europäischen „Pan-European-Privacy-Preserving Proximity Tracing Konsortiums“, bei dem der Austausch von individuellen Identifikationsnummern im Falle einer zeitlich bemessenen Abstandsunterschreitung zur Isolierung präsumptiver Gefährder führt, wird zugleich zum lukrativen Markt für Softwareentwickler, Apple und Google. Auf diese Weise eröffnet der Überwachungsstaat profitable Anlagemöglichkeiten für das brachliegende Finanzkapital der Investoren. Die Pharmaindustrie jubelt ohnhin.
Generalprobe des Ausnahmezustands

Der als Generalprobe inszenierte Ausnahmezustand wird insbesondere absehbar zu einer Neuordnung der Kräfteverhältnisse zwischen Arbeit und Kapital führen. Die digitale Arbeitswelt der Zukunft findet in den Phantasien der Management-Gurus im Feuilleton erheblichenteils im Home-Office in leistungsorientierter Entlohnung statt. Aus ArbeiterInnen werden faktisch EPU´s, welche die ausgelagerten Betriebskosten ihrer Beschäftigen zu tragen haben. Arbeitsschutzrechte am häuslichen Arbeitsplatz sind sistiert. Der Rest der systemrelevanten Arbeitskräfte wird öffentlich gelobt und materiell intensiver denn je ausgebeutet. SARS-CoV-2 wird das prekäre Arbeitsverhältnis endgültig zum Normalarbeitsverhältnis erheben.

Die absehbaren Folgen der Krisenlösung (Prekarität, Armut, Langzeitarbeitslosigkeit, Auslöschung eines erheblichen Teils der EPÚ´s und Mikro-KMU´s, öffentliche Verschuldung, schwache bzw. sinkende Nachfrage bzw. Konsumzurückhaltung) in Verbindung mit Stagnations- und Deflationsrisiken lassen sich nicht mehr demokratisch legitimieren. Auch wenn das abgehängte Prekariat der untersten 20% politisch zum Schweigen gebracht wurde: im Lichte niedriger Wachstumsraten, der absehbaren Kosten der Klimakatastrophe sowie der COVID-19-Folgen lässt sich der Mechanismus der Pazifizierung, Zustimmung durch verteilte Wohlstandszugewinne zu erkaufen, nicht länger aufrechterhalten. Längst schon erodiert auch die mittlere Mittelschicht; die untere steht bereits im Fahrstuhl in die Armut.

Die als Management apostrophierte Politik der gleichzeitigen Bekämpfung, Verwaltung und Instrumentalisierung von COVID-19 lässt die Absicht erkennen, nach Überbrückung der unmittelbaren Wirtschafts- und Beschäftigungskrise die nach 2009 eingeübte Austeritätspolitik mittels einer kommissarischen ´Law-and-Order`-Politik samt korrespondierender Verwaltung intensiviert fortzuführen. Auch wenn autoritäre Interventionen so weit formal fehlerhaft vom VfGH behoben werden: längst werden gesellschaftspolitische Erwägungen zum allgemeinen Engerschnallen der Gürtel, etwa zu einer degressiven Ausgestaltung des Arbeitslosengeldes, zur Verwettbewerblichung sozialer Hilfen oder zur Auflösung von Teilen des Arbeitsrechts mittels arrangierter Akklamation medial in den Status der Salonfähigkeit hinaufgeschrieben.

Wer über die politischen Folgen von COVID-19 räsoniert ist gut beraten sich vor Augen zu führen, dass Kapitalismus und (bürgerliche) Demokratie einander nicht bedingen. Das gilt nicht nur die demokratische Praxis (etwa der Wahlbeteiligung), sondern auch für die demokratischen Institutionen. Shareholder/Couponschneider, Finanzmarktakteure und funktionelle Kapitalisten und Investoren brauchen weder Wahlen noch ein politisch-repräsentatives System, um zu produzieren, Mehrwert abzuschöpfen, Gewinne zu machen. Sie benötigen eine Privateigentumsverfassung samt Erwerbsfreiheit, ein funktionales Arbeitsrecht zur Mehrwertabschöpfung, Marktwettbewerbsrecht und eine Steuervermeidungsrechtsordnung. Demokratie als Beteiligung des Souveräns an der Politik kommt eben nur als Legitimationsmechanismus „der ganzen Scheisze“ (Karl Marx) ins Spiel. Emma Goldman´s „If voting changed anything, they’d make it illegal“ meint: Würde man mit Wahlen das Privateigentum an Produktionsmitteln und die Institution doppelt freier Lohnarbeitskraft als „Angel der bürgerlichen Gesellschaft“ (Hegel) abschaffen können so wären sie verboten. Wahlen finden also innerhalb der Privateigentumsverfassung statt und bleiben durch diese beschränkt. Ihnen kommt vor allem legitimatorische, zugleich aber auch konstitutive Funktion für das System regulativer Politik sowie die Spielanordnung der Märkte zu.
Fragilität der Demokratie

Alle politische Demokratie ist damit ein fragiles Konstrukt. Dies spiegelt sich gerade in den jüngeren Debatten um Post-Demokratie und Post-Politik. Reinhard Kühnl hat darauf verwiesen, dass Kapitalverwertungskrisen auch mittels faschistischer Regime überwunden werden, wenn dies im Rahmen institutionalisierter Konflikte zwischen Arbeit und Kapital nicht mehr möglich ist. In dieser Linie hat Frank Deppe bereits im Zuge der Finanzmarkt-, Wirtschafts‑ und Verschuldungskrise 2008 von einer Wende weg von einem post-demokratischen hin zu einem „autoritären Kapitalismus“ gesprochen. Die Krise des Postfordismus, welcher den national regulierten, nachfragebasierten Sozialinterventionismus zugunsten globalisierter deregulierter Märkte verdrängt hat, führte tatsächlich zu jener Disziplinargesellschaft, von der bei Gilles Deleuze die Rede war. Ihr korrespondiert ein Ausbau repressiver Überwachungs- und Kontrollapparate, welche die Sozialisierung der Risiken von Investoren, Banken und multinationalen Unternehmen gegen jeden Dissens (oder gar: Widerstand) immunisieren, etwa durch Demonstrationsverbote und Ausgangssperren.

Entgegen aller pathetisch vorgetragenen Rechtsstaatlichkeitsfolklore, welche Gewaltenteilung, Grundrechte, Selbstregierung und Repräsentativität als Grundlagen einer „freien Marktwirtschaft“ phantasiert, ist die Realgeschichte des Kapitalismus von Ausbeutung und Sozialdisziplinierung, fortgesetzter ursprünglicher Akkumulation, Zwangsarbeit und Lohnsklaverei, imperialistischen Marktbereinigungskriegen und kolonialen Ausplünderungsbeziehungen geprägt. Jederzeit ist die Rückkehr in einen militarisierten, autoritären Führer- und Polizeistaat mit sistierten Grundrechten möglich, wenn die Modellierung des nationalistischen „gemütlichen“ Autoritarismus, wie er Österreich kennzeichnet, scheitert. Ungarn, Polen, Brasilien und die USA führen dies vor. Die Resilienz demokratischer Strukturen ist eine Illusion, zumal in den OECD-Gesellschaften 20-40% des Elektorates einen Führer anstelle eines Parlaments präferieren.

Fraglos wird die COVID-19-Katastrophe die Spielräume der Verteilung von Ressourcen und Statuspositionen schrumpfen lassen. Beides dient(e) bislang der Pazifizierung sozialer Konflikte auf niedrigem Eskalationsniveau, abgesichert durch ideologische Staatsapparate. Deren Funktionsweise wird nun sukzessive durch repressive Staatsapparate, einen „starken Staat“ überlagert. Verteilungspolitisch ist nach neuerlicher Unternehmensrettung, Kurzarbeit und massiven Sozialkosten ein Übergang vom Stellungs- zum Bewegungskrieg absehbar. In diesem diszipliniert ein autoritärer Überwachungsstaat ausgewählte Verlierergruppen in den Räumen einer reethnisierten Kontrollgesellschaft. Dieser technologisch aufgerüstete, durchdigitalisierte und mittels des Internet der Dinge pervasive Überwachungsstaat verfügt über ein breites Repertoire von der Unterdrückung. Dieses reicht von Dissens durch Entthematisierung über Berufsverbote bis hin zur strafrechtlichen Verfolgung von Oppositionellen. Hierzu kann auf die verfügbare Verknüpfung von Konsumtions-, Bewegungs-, Sozialversicherungs- und Gesundheitsdaten mit Informationen über Präferenzen, Werthaltungen, Einstellungen und Nonkonformismus (Devianz) zurückgegriffen werden.

Im Ergebnis erweist sich die Politik in Zeiten der COVID-19-Katastrophe mithin als Versuchslabor. Sie muss als Generalprobe für einen autoritären Modus verstanden werden, die Kapitalverwertung unter ökonomisch, ökologisch und salutogenetisch prekarisierten Bedingungen aufrecht zu erhalten. Und hier stimmt der Kurz´e Satz: „Koste es was es wolle.“

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Literatur:

Deppe, Frank (2013). Autoritärer Kapitalismus. Demokratie auf dem Prüfstand, Hamburg.

Quelle: Gewerkschaftsforum