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02.09.2023 - von gewerkschaftsforum.de
Für Gewerkschaften gibt es nichts Wichtigeres als Mitglieder. Wenn sie die Unternehmen nicht mit Mitgliedern beeindrucken können, können sie sie auch nicht mit Streikdrohungen erschrecken. Wer nicht einmal mit Streiks drohen kann, der braucht gar nicht erst an den Tischen der Tarifverhandlungen Platz zu nehmen.
Die Zahl der Mitglieder, die in den DGB-Gewerkschaften organisiert sind, ist seit der Wiedervereinigung etwa um die Hälfte eingebrochen. Im Jahr 2017 ist sie erstmals unter die 6 Millionenmarke gesunken. Zum Jahresende 2022 waren es noch 5.643.762 Mitglieder, gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 85.609.
Von offizieller Seite wird dies hauptsächlich auf die demografische Entwicklung, Beschäftigungsabbau allgemein, Strukturwandel in der Berufswelt und zusätzlich noch auf die Pandemie, mit ihrer erschwerten Mitgliederwerbung geschoben. Doch diese Sichtweise ist mehr als kurzsichtig, die Gründe sind vielfältiger und durch den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften auch hausgemacht.
Sie waren und sind dafür maßgeblich verantwortlich, dass in den Tarifrunden von Januar 2022 bis August 2023 grottenschlechte Ergebnisse abgeschlossen wurden.
Die Erhebungen der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) zeigen, dass bei den Menschen, deren Lebensstandard von Tariflöhnen, Lohnersatzleistungen oder staatlichen Renten abhängig ist, der Kaufkraftschwund höher ist als die offiziellen Inflationsraten. Festgestellt wurde auch, dass die „soziale Schere“ sich durch die Inflationsprozesse im abgelaufenen Jahr 2022 weiter geöffnet hat und die Tarifabschlüsse noch weiter hinter der Geldentwertung herhinken.
So sind die Tariflöhne im Jahr 2022 um magere 2,7 Prozent (incl. Sonderzahlungen) gegenüber den Tariflöhnen im Vorjahr gestiegen. Die geringe Steigerung ist dem Wirtschaftskriegskurs des „Wertewestens“ mit seinen heftigen Inflationsschüben und mageren Tarifabschlüssen geschuldet. Diese Entwicklung hat innerhalb eines Jahres zu einem Wohlstandsgefälle um glatt ein Zehntel geführt.
Während Familien mit geringem Einkommen, die von der Teuerung am stärksten betroffene Gruppe sind und zum Jahresende 2022 eine Inflationsbelastung von 11,5 Prozent hatten, nutzen viele Unternehmen die Gunst der Stunde, um Marge und Gewinn kräftig auszuweiten und so die Inflation noch zusätzlich anzuheizen. Man kann durchaus von einer Gewinn-Preis-Spirale sprechen.
Zahlen des Statistischen Bundesamts zum Stand von April 2022 zeigen, dass die Beschäftigten mit eher bescheidenen Löhnen auskommen mussten: Rund 56 Prozent verdienten weniger als 20 Euro brutto in der Stunde, das betraf insgesamt fast 22 Millionen Menschen. Fast jeder dritte Beschäftigte verdiente sogar weniger als 15 Euro pro Stunde. Hier ging es um rund 12,5 Millionen Personen. Lohnsteigerungen, die seitdem vereinbart und in die Praxis umgesetzt sind, flossen noch nicht ein. Das gilt auch für die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf zwölf Euro zum Oktober 2022.
Nach drei Jahren Reallohn-Einbußen wären Lohnsteigerungen oberhalb der Inflation auf jeden Fall angesagt gewesen, vor allem brauchen die vielen Millionen Beschäftigten, die nicht tarifgebunden sind und für die niemand streikt, deutlich höhere Löhne.
Ernüchternd ist, was die Tarifabschlüsse seit Anfang des Jahres 2022 bis Ende August 2023 hergeben.
Tarifrunde 2022:
Tarifabschlüsse im Überblick = Stand 31.12.2022 = Quelle: Link
Im Jahr 2022 sind die Tarifverdienste in Deutschland – einschließlich Sonderzahlungen – im Durchschnitt um 2,2 Prozent gegenüber dem Jahresdurchschnitt 2021 gestiegen. Während die Tarifverdienste ohne Sonderzahlungen 2022 im Vergleich zum Vorjahr nur um 1,4 Prozent gestiegen sind, erhöhten sich im gleichen Zeitraum die Verbraucherpreise um 6,9 Prozent.
Unter dem Einfluss der Coronazeit wurden im Jahr 2021 einige Tarifverhandlungen verschoben und im folgenden Jahr nachgeholt. Hinzu kam, dass im Oktober 2022 auch der gesetzliche Mindestlohn erhöht wurde. Trotzdem fällt die Erhöhung des Tarifs ohne Sonderzahlungen für das vergangene Jahr vergleichsweise gering aus, was vor allem daran liegt, dass ein Teil der beschlossenen Tariferhöhungen erst im Kalenderjahr 2023 zahlungswirksam werden.
ABSCHLÜSSE:
CHEMISCHE INDUSTRIE
Chemische Industrie 578.500 AN (IG BCE)
Brückenlösung vom 05.04.2022
Entgelt: unveränderte Wiederinkraftsetzung ab 01.04.22, 1.400 € Pauschale (Brückenzahlung) spätestens im Mai 2022, Möglichkeit zur Reduzierung auf 1.000 € für Unternehmen mit besonderen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, Laufzeit 7 Monate bis 31.10.22.
Arbeitszeit, Sonstiges: Vereinheitlichung der Nachtarbeitszuschläge auf 20 % ab 01.07.22; Erweiterung und Flexibilisierung der Altersfreizeiten; Förderprogramm „AusbildungPlus“ für zusätzliche Lern- und Prüfungsunterstützung bei pandemiebedingten Defiziten; Erstellung einer wissenschaftlichen Studie zum Mobilen Arbeiten mit anschließender Prüfung zur Ableitung tarifpolitischer Maßnahmen; Eckpunkte eines TV zur Einführung des Sozialpartnermodells mit Umsetzung bis Jahresende.
Abschluss vom 18.10.2022
Entgelt: nach 2 Nullmonaten (November und Dezember) 3,25 % ab 01.01.23, 3,25 % Stufenerhöhung ab 01.01.24, Möglichkeit zur Verschiebung der Erhöhungszeitpunkte aus wirtschaftlichen Gründen um 3 Mon., je 1.500 € Einmalzahlung (tarifliches Inflationsgeld) mit der Januarzahlung 2023 und 2024. Laufzeit 20 Monate bis zum 30.06.24.
Sonstiges: Neufassung der Tarifverträge über den Unterstützungsverein der Chemischen Industrie sowie Zukunft durch Ausbildung und Berufseinstieg; Entwicklung tariflicher Regelungen zur Stärkung der Tarifbindung.
DRUCKINDUSTRIE
Druckindustrie 124 800 Arb./Ang. (ver.di)
Abschluss vom 29.03.22
Lohn und Gehalt: nach 3 Nullmonaten (Februar – April) 2,0 % ab 01.05.22, 1,5 % Stufenerhöhung ab 01.05.23, Laufzeit 25 Monate bis 29.02.24.
Sonstiges: unveränderte Wiederinkraftsetzung der Manteltarifverträge befristet bis 31.10.24.
EISEN- UND STAHLINDUSTRIE
Eisen- und Stahlindustrie Nordwestdeutschland, Ost 87.800 Arb./Ang. (IG Metall)
Abschluss vom 15.06.22 sowie 17.06.22
Lohn, Gehalt: 500 € Pauschalzahlung für Juni und Juli, 6,5 % ab 01.08.22, Laufzeit 18 Monate bis 30.11.23.
Arbeitszeit, Sonstiges: Verlängerung der TVe Altersteilzeit, Beschäftigungssicherung und Werkverträge; Abschluss eines TV für dual Studierende bis zum 31.07.22.
ENERGIEWIRTSCHAFT
Energiewirtschaft Nordrhein-Westfalen (GWE-Bereich), 7.600 AN (ver.di)
Entgelt: 1.250/1.000/800 € für EntgGr. A1 bis B3/B4 bis C3/C4 bis E2 Coronaprämie, 3,3 % ab 01.04.22, 2,2 % Stufenerhöhung ab 01.03.23, Laufzeit 24 Monate bis 31.01.24; Abschaffung der Starteingruppierung für Ausgebildete ab 01.02.22 und rückwirkende Umgruppierung für diejenigen, die sich zur Zeit in der Starteingruppierung befinden.
GEBÄUDEREINIGERHANDWERK
Gebäudereinigerhandwerk, 487.100 Arb. (IG BAU)
Abschluss vom 02.06.22
Lohn: 9,7 % ab 01.10.22, 3,2 % Stufenerhöhungen ab 01.01.24, jew. im Durchschnitt (Stufenerhöhung zum 01.01.23 aus Abschluss vom 04.11.20 entfällt; Erhöhung der untersten LGr. von 11,55 auf 13,00/13,50 € je Std. ab 01.10.22/01.01.24), Laufzeit 27 Monate bis 31.12.24.
HOTEL- UND GASTSTÄTTENGEWERBE
Hotel- und Gaststättengewerbe Bayern, 142.300 AN (NGG)
Abschluss vom 09.03.22
Entgelt: nach 23 Nullmonaten (Mai 2020 bis März 2022), 7,5 % ab 01.04.22 (im Durchschnitt), für die unterste Entgeltgruppe um weitere 1,3 % ab 01.10.22 und 3,3/4,8 % (jew. im Durchschnitt) Stufenerhöhung ab 01.01.23/01.04.23, Laufzeit 47 Monate bis 31.03.24.
Sachsen, 34.100 AN (NGG)
Abschluss vom 02.02.22
Entgelt: nach 3 Nullmonaten (Januar bis März) 8,0 % ab 01.04.22, 9,0/3,0/3,0 % (jew. im Durchschnitt) Stufenerhöhung ab 01.10.22/01.01.23/01.06.23, Laufzeit 24 Monate bis 31.12.23.
LEIHARBEIT (BAP, IGZ)
Leiharbeit (BAP, iGZ), 835.000 AN (DGB-Tarifgemeinschaft)
Abschluss vom 20./21.06.22
Entgelt: Entgeltgruppe 1 (Mindestentgelt) von 10,88 auf 12,43/13,00/13,50 € je Std., Entgeltgruppe 2a von 11,60 auf 12,63/13,20/13,80 € je Std., Entgeltgruppe 2b von 12,20 auf 12,93/13,50/14,15 € je Std. jew. zum 01.10.22/01.04.23/01.01.24, Laufzeit: 18 Monate bis 31.03.24.
Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld: Anspruch auf Extrazahlungen zum Urlaubs- und Weihnachtsgeld für Gewerkschaftsmitglieder ab 6 Monaten Gewerkschaftsmitgliedschaft, Erhöhung der nach BZ gestaffelten Extrazahlungen um jew. 150 € ab November 2023.
METALL- UND ELEKTROINDUSTRIE
Metall- und Elektroindustrie, 3.639.000 AN (IGM)
Pilotabschluss in Baden-Württemberg vom 17. auf den 18.11.22, u. a.:
Entgelt: nach 8 Nullmonaten (Oktober 2022 – Mai 2023) 5,2 % ab 01.06.23, 3,3 % Stufenerhöhung ab 01.05.24, Laufzeit 24 Monate bis 30.09.24; 1.500 € jew. Inflationsausgleichsprämie zahlbar 01.03.23/24 (Teilbetrag von 750 € spätestens Januar 2023), Möglichkeit abweichender Auszahlungszeitpunkte durch BV; Erhöhung des Zusatzbetrags von 12,3 auf 18,5 % der EntgGr. 7 ab 2023, bei wirtschaftlich schwierigen Situationen in 2023/2024 Verschiebung bis zum April des Folgejahres möglich, bei unveränderter Situation im Anschluss sowie Vorliegen bestimmter Kennzahlen Möglichkeit zur Streichung; Wegfall der ab 2023 geplanten Erhöhung des Transformationsgeldes von 18,4 auf 27,6 %.
Sonstiges: Abschluss TV Anspruchsvoraussetzungen zur Finanzierung der Altersteilzeit, Verständigung auf ein Verfahren bei einem Energienotstand, Gesprächsverpflichtung zum Thema New Work, Vereinbarung einer Maßregelungsklausel.
Erklärungsfrist bis zum 15.12.22.
Übernahme in den anderen Tarifgebieten zum Teil mit regionalen Abweichungen.
PRIVATES VERKEHRSGEWERBE
Privates Verkehrsgewerbe Brandenburg (Speditionen und Logistik), 3.300 Arb./Ang. (ver.di)
Abschluss vom 03.03.22
Lohn und Gehalt: 5,2/4,9% (Arb./Ang.) im Durchschnitt ab 01.03.22, Anhebung einiger Lohn- und Geh.Gr. auf 12 bzw. 12,20 €/Std. ab 01.10.22, Laufzeit 18 Monate bis 31.08.23.
SÜSSWARENINDUSTRIE
Süßwarenindustrie Ost, 5.100 AN (NGG)
Abschluss vom 20.01.22
Entgelt: nach zwei Nullmonaten (Dezember 2021 und Januar 2022)
70 €/Mon. in den EntgGr. A – D, 2,3 % ab EntgGr. E (= 2,6 % jew. im Durchschnitt) ab 01.02.22, 2,3/1,5 % Stufenerhöhung ab 01.11.22/01.09.23, Laufzeit bis 30.11.23.
TEXTILINDUSTRIE
Textilindustrie Ost, 9.800 AN (IGM)
Abschluss vom 05.05.22
Entgelt: 320 € Pauschalzahlung für Mai bis September, 4,1 % ab 01.10.22, 1,5 % Stufenerhöhung ab 01.10.23, Laufzeit 25 Monate bis 31.05.24.
Sonderzahlung: von 60 auf 75 % eines ME ab 2023
Urlaubsgeld: von 675 auf 690/720 € ab 2022/23
Sonstiges: Verlängerung des Altersteilzeit-TV bis 31.05.24
VERSICHERUNGSGEWERBE
Versicherungsgewerbe, 169.600 AN (ver.di)
Abschluss vom 01./02.04.22
Entgelt: 550 € Pauschalzahlung für Februar bis August, 3,0 % ab 01.09.22, 500 € zusätzliche Einmalzahlung im Mai 2023, 2,0 % Stufenerhöhung ab 01.09.23. Laufzeit 26 Monate bis 31.03.24.
Arbeitszeit, Sonstiges: Verlängerung des Altersteilzeit-TV und der Vereinbarung zum AZ-Korridor, Vereinbarung von Regelungen für Teilzeit-AN und Abschluss einer Vereinbarung zur Verlängerung der Regelung zur Übernahme von Ausgebildeten vor dem 30.06.22.
VOLKSWAGEN AG
Volkswagen AG, 100.100 AN (IGM)
Abschluss vom 22.11.22
Entgelt: nach 6 Nullmonaten (November 2022 – Mai 2023) 5,2 % ab 01.06.23, 3,3 % Stufenerhöhung ab 01.05.24, Laufzeit 24 Monate bis 30.11.24; Inflationsausgleichsprämie von 2.000/1.000 € zahlbar Februar 2023/Januar 2024.
Arbeitszeit: Öffnung der Wandlungsoption der tariflichen Zusatzvergütung für alle Beschäftigten, Optionen: nur Geld, hälftig Geld und 3 freie Tage, 6 freie Tage.
Altersteilzeit: Wiederinkraftsetzung des TV zur Altersteilzeit zu den bisherigen Konditionen, Laufzeit bis 31.12.27.
Sonstiges: Anhebung des Semesterbeitrags für dual Studierende auf 395 € und vorziehen des Auszahlungszeitpunktes, Entkopplung der leistungsorientierten Einmalzahlung von der Bewertung des individuellen Leistungs-/und Lernverhaltens und Erhöhung auf 500 € ab 2023 (tarifdynamisch) für Auszubildende/dual Studierende“.
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Tarifrunde 2023:
Tarifabschlüsse im Überblick = Stand 28. August 2023 = Quelle: Link
In einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 13. April 2023 ist zu lesen, dass die Inflationsrate in Deutschland im März 2023 bei plus 7,4 Prozent lag. Im Januar und Februar 2023 hatte die Inflationsrate noch bei jeweils plus 8,7 Prozent gelegen.
ABSCHLÜSSE:
BAUHAUPTGEWERBE
Die Tarifvertragsparteien des Bauhauptgewerbes haben sich außerhalb der Tarifrunde auf eine tarifvertragliche Inflationsprämie geeinigt. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 2 Jahren und sieht Zahlungen von je 500 € in 2023/2024 vor. Auszubildende erhalten je 150 € in den beiden Jahren.
DEUTSCHE POST AG
Ende November beschloss die ver.di-Tarifkommission die Tarifforderung für die rund 160.000 Tarifbeschäftigten bei der Deutschen Post AG: eine Tarifsteigerung von 15 % sowie eine Erhöhung der Ausbildungsvergütungen und der Entgelte der Studierenden von 200 €/Mon. bei einer Laufzeit von 12 Monaten.
Sowohl der Auftakt der Tarifrunde am 06.01. als auch die zweite Verhandlung am 18./19.01. brachten keine Annäherung, so dass ver.di im Anschluss zu Warnstreiks aufrief, an denen sich bis unmittelbar vor der 3. Verhandlungsrunde rd. 100.000 Beschäftigte beteiligten. In der 3. Runde vom 8. bis 10. Februar legten die Arbeitgeber ein erstes Angebot vor. Dieses sah neben einer steuerfreien Inflationsausgleichs-Sonderzahlung (150/100 Euro monatlich in 2023/2024) zwei Festbetragserhöhungen zum 01.01.24 (150 €/Mon.) und 01.12.24 (190 €/Mon.) vor, bei einer Laufzeit vom 24 Monaten: Januar 2023 – Dezember 2024. Ver.di und die Tarif- kommission haben das Angebot der Deutschen Post insbesondere aufgrund der langen Laufzeit sowie der geringen Entgelterhöhung in 2024 abgelehnt, die Verhandlungen für gescheitert erklärt und die Urabstimmung über unbefristete Arbeitskampfmaßnahmen eingeleitet. In der Urabstimmung zwischen dem 20. Februar und 8. März votierten 85,9 % der ver.di-Mitglieder für die Ablehnung des Arbeitgeberangebotes und für unbefristete Streiks.
Am 10. und 11. März konnten ver.di und die Deutsche Post AG in der 4. Verhandlungsrunde ein Tarifergebnis erzielen: für die Monate Januar bis April gibt es für alle Tarifbeschäftigten sowie für die Auszubildenden und dual Studierenden eine Inflationsausgleichszahlung von 1.020 €. Ab Mai 2023 bis März 2024 wird eine weitere Inflationsausgleichszahlung von 180 €/ Mon. gezahlt und ab April 2024 erfolgt dann eine tabellenwirksame Festbetragserhöhung von 340 €/ Mon. Außerdem erwirbt man künftig bereits nach 30 Tagen Tätigkeit einen Anspruch auf ein 13. Monatsentgelt (Weihnachtsgeld). Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 24 Monaten bis zum 31.12.2024.
In einer Urabstimmung haben sich 61,7 % der befragten ver.di – Mitglieder für die Annahme des Tarifergebnisses ausgesprochen. Mit der Zustimmung der zuständigen Tarifkommission vom 31.03. tritt der Tarifvertrag somit in Kraft.
EINZELHANDEL
In die diesjährige Tarifrunde geht ver.di u. a. mit der Forderung nach Erhöhung der Löhne und Gehälter um 2,50 €/Stunde (Baden-Württemberg abweichend: 15,0 %) sowie nach einer Mindestvergütung von 13,50 €/Stunde bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Die Ausbildungsvergütungen sollen in allen Ausbildungsjahren um 250 €/Monat angehoben werden. Des Weiteren fordert ver.di die Arbeitgeber auf, gemeinsam die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge zu beantragen. Die Tarifverträge sind regional unterschiedlich zwischen Ende März und Juni kündbar. In Baden-Württemberg ist der Verhandlungsauftakt für den 13. April und in Nordrhein-Westfalen sowie Hessen für den 24. April vorgesehen.
Bereits in der 1. Verhandlungsrunde in Baden-Württemberg am 13.04. legten die Arbeitgeber ein erstes Angebot vor. Bei einer Laufzeit von 2 Jahren sollen die Vergütungen in zwei Schritten um insg. 5,0 % steigen. Des Weiteren umfasst das Angebot zwei Inflationsausgleichzahlungen von 750 und 250 € in 2023 bzw. 2024. Ein gleichlautendes Angebot legten die Arbeitgeber auch bei den Verhandlungen in Nordrhein-Westfalen und Hessen am 24.04. vor. Ver.di hat das Angebot jew. als völlig unzureichend abgelehnt.
In den meisten Bundesländern wurden die Angebote der Unternehmerseite abgelehnt und die Tarifverhandlungen gehen weiter.
GROSS- UND AUSSENHANDEL
Eine Erhöhung der Vergütungen um 13,0 % bei einer Laufzeit von 12 Monaten haben die Tarifkommissionen von ver.di in nahezu allen regionalen Tarifgebieten des Groß- und Außenhandels beschlossen. So fordert z. B. ver.di in Nordrhein-Westfalen wie auch in Sachsen-Anhalt bei den 13,0 % eine Mindesterhöhung von 400 € im Monat. Ergänzt werden die Forderungen um spezifische regionale Forderungen, wie z. B. eine Vorweganhebung von 0,27 €/Stunde und 150 € für jeden Nullmonat in Sachsen, sowie eine Erhöhung der untersten Beschäftigtengruppen auf mindestens 13,50 €/Stunde in Niedersachsen und Bremen.
Rheinland-Rheinhessen und Pfalz stellten für ihre Mitglieder eine Festbetragserhöhung von 425 €/Monat ab 01.05.2023 auf. Flächendeckend wird die Beantragung, die Tarifverträge allgemeinverbindlich zu erklären, gefordert.
Die ersten Verhandlungstermine stehen für Baden-Württemberg (04.05. & 24.05.), Berlin / Brandenburg (11.05.), Hamburg (10.05.), Hessen (16-06.), Mecklenburg-Vorpommern (04.05.), Niedersachsen / Bremen (08.05.), Rheinland-Rheinhessen (25.05.), Pfalz (31.05.), Sachsen (31.05.), Sachsen-Anhalt (19.05.), Schleswig-Holstein (04.05.) und Thüringen (05.06.) fest.
Die ersten Verhandlungsrunden in Bayern (24.04.) und Nordrhein-Westfalen (26.04.) sind erfolglos geendet. Die Gewerkschaft lehnte das Angebot der Arbeitgeberseite mit der Begründung der fehlenden Wertschätzung in Form einer soliden Tabellenerhöhung ab.
Das Angebot sah eine Erhöhung von 6,1 % in zwei Stufen, über eine Laufzeit von 24 Monaten, vor: Ab Dezember 2023 sollten die Löhne und Gehälter um 4,0 %, ab Dezember 2024 um 2,1 % steigen. Zudem sollte es eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.400 €, gesplittet in 700 € in 2023 und die anderen 700 € in 2024, geben. Arbeitgeber, die bereits eine Inflationsausgleichsprämie bezahlt haben, sollten diese mit der im Angebot genannten Prämie verrechnen können.
In den meisten Bundesländern wurden die Angebote der Unternehmerseite abgelehnt und die Tarifverhandlungen gehen weiter.
KFZ-HANDWERK
Am 21.02. hat der IG Metall-Vorstand die Forderungen für das Kfz-Handwerk beschlossen. Danach sollen die Vergütungen um 8,5 % erhöht werden, verbunden mit einer sozialen Komponenten (z. B. in Form einer Inflationsausgleichsprämie), bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Die Ausbildungsvergütungen sollen überproportional angehoben werden. Die entsprechenden Tarifverträge wurden zum 31. März gekündigt.
Der Verhandlungsauftakt in der Branche in Niedersachsen am 14. März als auch die Verhandlung für die Tarifgebiete Ost am 16.03. blieben ohne Annäherung und Angebot, ebenso wie in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Hessen am 22. März. Bei den Verhandlungen für die Beschäftigten in Baden-Württemberg am 27.03. legten die Arbeitgeber ein erstes Angebot vor. Dieses sah nach 3 Nullmonaten zwei Erhöhungen um jew. 3,0 % ab 1. Juli 2023 bzw. 2024 vor, bei einer Gesamtlaufzeit von 24 Monaten. Ein gleichlautendes Angebot wurde auch in den Verhandlungen in Bayern am 30.03. vorgelegt. Die IG Metall hat das Angebot jew. als völlig unzureichend zurückgewiesen. Nach Ablauf der Friedenspflicht am 1. April rief die IG Metall zu Warnstreiks und Aktionen auf, an denen sich bislang über 23.000 Beschäftigte beteiligten.
In der zweiten Verhandlungsrunde in Baden-Württemberg am 24. April konnte die IG Metall unter dem Vorbehalt einer Erklärungsfrist bis zum 5. Mai einen Abschluss erzielen. Danach erhalten die Beschäftigten eine Tariferhöhung von insgesamt 8,8 %, 5,0 % zum 01.11.23 und weitere 3,6 % zum 01.10.24. Die Ausbildungsvergütungen erhöhen sich in allen Ausbildungsjahren um 70 und weitere 50 Euro ab November 2023 bzw. Oktober 2024. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 24 Monaten (01.04.23 – 31.03.25). Des Weiteren erhalten die Beschäftigten eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 2.500 Euro, die in zwei Schritten ausgezahlt wird: 1.500 Euro spätestens im Juli d. J. und weitere 1.000 Euro im 1. Quartal 2024 (Ausz. jeweils die Hälfte). In Betrieben mit bis zu 50 Beschäftigten und ohne Betriebsrat kann diese in drei Raten bis zum 01.08. eines Kalenderjahres ausbezahlt werden. Außerdem verständigten sich IG Metall und Arbeitgeber auf eine Regelung zur Übernahme Ausgebildeter sowie auf eine Vereinbarung für das Fahrradleasing.
LEIHARBEIT
Die DGB-Tarifgemeinschaft hat am 8. November ihre Forderungen an die Arbeitgeberverbände BAP und iGZ übermittelt. Danach fordert sie die Entgeltgruppen 3 – 9 entsprechend der Entgeltgruppen 1 – 2b zu erhöhen (zur Beibehaltung des ursprünglichen Prozentgitters vor dem 1. Oktober 2022), bei einer Laufzeit bis zum 31.03.24.
Der erste Verhandlungstermin am 24.11. blieb ohne Ergebnis. Das Angebot der Arbeitgeberseite lag deutlich unter der aktuellen Inflationsrate und wurde von der DGB-Tarifgemeinschaft entschieden zurückgewiesen. Auch die 2. Runde am 14.12. brachte kein Ergebnis. Die Arbeitgeber waren nicht bereit ein verbessertes Angebot vorzulegen und lehnten es darüber hinaus ab, über eine Inflationsausgleichsprämie zu verhandeln.
Die 3. Tarifrunde am 13.01.23 ergab folgendes Ergebnis: nach 3 Nullmonaten (Januar – März) gibt es eine Entgelterhöhung von 7,7 % ab dem 01.04.23, gefolgt von einer Stufenerhöhung von 3,2 % ab Januar 2024, jeweils im Durchschnitt. Die Laufzeit beträgt 15 Monate bis zum 31.03.24.
ÖFFENTLICHER DIENST
Am 11. Oktober beschloss die ver.di Bundestarifkommission die Forderung nach einer Einkommenserhöhung von 10,5 %, mindestens 500 €/Monat, für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes Bund und Kommunen. Die Ausbildungsvergütungen sollen um 200 €/Monat angehoben werden und Ausgebildete unbefristet übernommen werden. Die Laufzeit soll jeweils 12 Monate betragen. Weiterhin wird die Verlängerung des Altersteilzeit-Tarifvertrages gefordert. Die Sicherung der Einkommen durch einen Inflationsausgleich, insbesondere für die Beschäftigten der unteren und mittleren Einkommensgruppen, steht für ver.di im Zentrum der Tarifrunde.
Ver.di führt die Tarifverhandlungen gemeinsam mit GdP, GEW und der IG BAU.
Der 1. Verhandlungstermin fand am 24. Januar statt und ist ohne Ergebnis oder Arbeitgeberangebot vertagt worden. Laut ver.di haben die Verhandlungen in einer sachlichen Atmosphäre stattgefunden. Jedoch würden sich die Beschäftigten nicht mit „warmen Worten“ und dem Verweis auf die Kassenlage „abspeisen“ lassen. Rund 335.000 Arbeitnehmer*innen hätten in einer Umfrage die Unterstützung der Gewerkschaftsforderungen deutlich gemacht.
In der 2. Verhandlungsrunde am 22./23. Februar legten die Arbeitgeber ein erstes Angebot vor. Es sieht Entgelterhöhungen von 3,0/2,0 ab 01.10.2023/01.06.2024 und Inflationsausgleichsprämien von 1.500/1.000 € im Mai 2023/Januar 2024 mit einer Laufzeit von 27 Monaten vor. Der 2. Runde waren viele bundesweite Warnstreiks und Aktionen mit mehreren Tausenden Teilnehmer*innen voraus gegangen.
Laut ver.di werden die Gewerkschaftsforderungen von den Arbeitgebern rundheraus abgelehnt. Besonders aber würde die Forderung nach einem Sockelbetrag von 500 € die kommunalen Arbeitgeber „in die Knie zwingen“. Auch wollten die Arbeitgeber für einzelne Beschäftigungsgruppen „Sonderopfer“.
Ver.di lehnte dieses Angebot u. a. ab, weil eine Inflationsausgleichsprämie im Gegensatz zum Sockelbetrag als soziale Komponente nicht nachhaltig sei, das Gesamtvolumen völlig unzureichend sei und die Laufzeit viel zu lang.
Die 3. Verhandlungsrunde vom 27. bis 29. März wurde am ersten Tag von einem bundesweiten Mobilitätsstreik im ÖPNV begleitet, der gemeinsam mit der EVG durchgeführt wurde. Insgesamt haben sich somit mehr als 500.000 Beschäftigte in den letzten Wochen an ver.di-Warnstreiks und -Aktionen beteiligt. Die Arbeitgeber legten ein Angebot vor, das u. a. einen Mindestbetrag von maximal 300 €/Monat mit einer Laufzeit von 24 Monaten, die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie von 3.000 €, zahlbar in zwei Teilbeträgen, sowie eine monatliche prozentuale Erhöhung vorsah. Laut ver.di stelle dieses Angebot nicht sicher, dass die Kaufkraft, insbesondere für die unteren und mittleren Entgeltgruppen, erhalten bleibt.
Die ver.di Bundestarifkommission beschloss dann, nach langwierigen und zähen Verhandlungen, diese für gescheitert zu erklären. Die Arbeitgeber riefen daraufhin die Schlichtung an. Die Schlichtungsvereinbarung von 2011 sieht vor, dass ver.di dem folgen muss. Die Schlichter sind der von den Gewerkschaften benannte Hans-Henning Lühr (stimmberechtigt) und Georg Milbradt für die Arbeitgeber. Während der Schlichtung gilt die Friedenspflicht. Bis dahin beteiligten sich rund 500.000 Arbeitnehmer*innen an Aktionen und Warnstreiks.
Am 14. April legte die Schlichtungskommission eine Einigungsempfehlung vor, der die Schlichter mehrheitlich zugestimmt haben. Sie seien damit einen neuen Weg gegangen, denn der Vorschlag sieht eine Inflationsaus-
gleichsprämie vor, gefolgt von einem Sockelbetrag plus linearer Erhöhung. Die Kernpunkte der Vereinbarung: nach 5 Nullmonaten soll es im Juni eine Inflationsausgleichsprämie von 1.240 € geben, danach 220 €/Monat für Juli 2023 bis Februar 2024, also insgesamt 3.000 €. Ab März 2024 sollen die Einkommen um einen Sockelbetrag von 200 € plus 5,5 %, mindestens jedoch um 340 €, erhöht werden. Die Laufzeit wäre 24 Monate bis 31.12.2024. Für Auszubildende und den Nahverkehr (TV-N) gibt es gesonderte Einigungsempfehlungen.
Die Verhandlungen wurden am 22. April fortgesetzt und es konnte eine Einigung auf Basis der Schlichtungsempfehlung (siehe oben) erreicht werden. Auszubildende erhalten jeweils die Hälfte der Inflationsausgleichsprämie und ab März 2024 150 €/Monat in allen Ausbildungsjahren. Die Regelung zur Übernahme der Ausgebildeten wird verlängert. Tariflich vereinbarte dynamisierte Zulagen steigen um 11,5 %. „Sonderopfer“ für Beschäftigte im Gesundheitswegen und bei den Sparkassen konnten abgewehrt, im Gesundheitswesen sogar Verbesserungen erreicht werden.
Dieses Tarifergebnis gilt auch für die Beschäftigten, die unter den TV-Nahverkehr (Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg) und den TV-Versorgung fallen.
Laut ver.di seien sie mit diesem Kompromiss an ihre „Schmerzgrenze“ gegangen. Positiv sei jedoch, dass es mit dieser Einigung für die meisten Beschäftigten eine tabellenwirksame Tariferhöhung von über 11,5 % bis zu
16,9 %, abhängig von der Entgeltgruppe, gibt. Die Schwächen der Einigung seien die lange Laufzeit und das relativ späte Inkrafttreten der tabellenwirksamen Erhöhung.
In der folgenden Mitgliederbefragung hatten sich knapp 66 Prozent der ver.di-Mitglieder für die Annahme ausgesprochen.
PAPIER, PAPPE UND KUNSTSTOFF VERARBEITENDE INDUSTRIE
Am 12. Dezember beschloss die ver.di Tarifkommission die Forderung nach einer Einkommenserhöhung von 10,5 % mehr Lohn und Gehalt für die Beschäftigten der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie. Dabei orientiert sich die Tarifkommission in ihrer Diskussion am Ergebnis der Beschäftigtenbefragung, die sich überwiegend für eine Entgeltsteigerung in dieser Größenordnung ausgesprochen haben. Die Ausbildungsvergütungen sollen um 150 €/Monat steigen und die Laufzeit soll 12 Monate betragen. Am 31.01.23 laufen die aktuellen Tarifverträge aus.
Am 25. Januar ist in Berlin die erste Verhandlungsrunde ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Ver.di lehnte das Arbeitgeberangebot des Hauptverbandes Papier- und Kunststoffverarbeitung (HPV) als völlig unzureichend ab.
Das Angebot sieht vor, dass die Löhne und Gehälter zum 01.10. bei einer Laufzeit von 27 Monaten um 4,1 % steigen sollen. Ebenso soll es eine Einmalzahlung in Form einer Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 2.000 € spätestens zum 30.06. und eine zweite Einmalzahlung in Höhe von 1.000 € in 2024 geben. Die Gewerkschaften monierten, dass dies für die Beschäftigten 8 Nullmonate bedeuten würde und die zwei Einmalzahlungen dies bei der langen Laufzeit nicht auffangen würde.
Auch die zweite Verhandlungsrunde am 16. Februar in Berlin ging ohne Ergebnis zu Ende. Der HPV präzisierte lediglich die beabsichtigten Auszahlungszeitpunkte der Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 3.000 € in 2023 und 2024. Für ver.di stand jedoch weiterhin eine tabellenwirksame Einkommenserhöhung an vorderster Stelle.
Von Warnstreiks begleitet, bracht die 3. Verhandlungsrunde am 7. März im Tarifkonflikt keinen Durchbruch. Der Hauptverband Papier und Kunststoffverarbeitung legte kein verbessertes Angebot vor und ver.di blieb bei seiner Forderung nach einer dauerhaft wirkenden Einkommenserhöhung.
Die vierte Verhandlung fand am 23. März statt und brachte kein neues Angebot der Arbeitgeberseite und damit auch kein Ergebnis. Zwar zeigte sich die Arbeitgeberseite bereit, über die Länge der Laufzeit und tabellenwirksame Tariferhöhungen zu verhandeln, allerdings wurde kein verbessertes Angebot vorgelegt.
In der fünften Verhandlungsrunde konnte am 12./13. April ein Verhandlungsergebnis erzielt werden. Demnach wird es zum 1.9. eine Erhöhung um 5,1 Prozent, zum 01. August 2024 um 2,1 Prozent und zum 01. Dezember 2024 um weitere 1,4 Prozent geben. Daneben gibt es zwei Inflationsausgleichszahlungen: zum 1. Mai 2023 sowie zum 1. März 2024 jeweils 1.000 Euro. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt 24 Monate bis zum 31. Januar 2025.
In einer Befragung war die Mehrheit der Mitglieder für das Ergebnis.
SÜSSWARENINDUSTRIE
Erstmals verhandelt die NGG für die Beschäftigten der Süßwarenindustrie bundesweit. Dabei wird eine Erhöhung der Entgeltgruppen A – E um 500€/Mon., für alle übrigen Entgeltgruppen 400 €/Mon. gefordert. Die Entgelttarifverträge haben regional unterschiedliche Laufzeiten, spätestens bis zum 31.11.2023.
Parallel laufen die Verhandlungen zu einem neuen Entgeltrahmentarifvertag.
Für April ist eine erste Verhandlungsrunde geplant.
Am 17. April ist in Frankfurt am Main die erste Verhandlungsrunde ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Zu Beginn der Verhandlung kündigten die Arbeitgeber ein nennenswertes Angebot an, was sie jedoch erst in der zweiten Verhandlungsrunde vorstellen werden.
Am 22. Juni 2023 wurde die Einigung über den neuen Tarifvertrag für die 60.000 Beschäftigten in der Süßwarenindustrie erzielt: Im Juli 2023 erhalten alle Beschäftigten der Branche eine Inflationsausgleichszahlung von 500 Euro netto (375 Euro netto für Auszubildende); eine weitere Zahlung in gleicher Höhe wird im Januar oder April 2024 ausgezahlt. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt 14 Monate.
TEXTIL- UND BEKLEIDUNGSINDUSTRIE
Der Vorstand der IG Metall hat für die Tarifrunde 2023 am 16. Januar beschlossen, eine Anhebung der Löhne und Gehälter für die Beschäftigten der westdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie um 8,0 %, mindestens 200 €/Monat, zu fordern. Die Laufzeit soll 12 Monate betragen. Die Bedingungen der tariflichen Altersteilzeit sollen verbessert werden.
Die 1. Verhandlung fand am 7. Februar in Frankfurt am Main statt und blieb ergebnislos. Ein Angebot der Arbeitgeber blieb aus. Ende Februar läuft die Friedenspflicht aus und in den Betrieben laufen bereits Planungen zu Aktionen und Warnstreiks.
Die 2. Verhandlung fand begleitet von einer Kundgebung am 28. Februar in Ingolstadt statt, in deren Verlauf der Arbeitgeberverband ein erstes Angebot vorlegte: 8 Nullmonate (März bis Oktober 2023), 3,25 % ab November 2023, weitere 2,5 % ab Oktober 2024, Laufzeit 27 Monate bis Mai 2025. Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie in zwei Raten: April 2023 1.000 € und April 2024 500 €, die auf bisher schon gezahlte Inflationsausgleichszahlungen anrechenbar sind. Ohne konkrete Ausgestaltung enthielt das Angebot auch noch eine Öffnungsklausel für wirtschaftlich nicht gut aufgestellte Unternehmen. Die Arbeitgeber lehnten die Verlängerung der Altersteilzeit ab und die Forderung nach einem Mindestbetrag von 200 € fehlte in dem Angebot.
Das Angebot wurde von der IG Metall abgelehnt.
In der dritten Tarifverhandlung am 15. März in Kaarst hat der Arbeitgeber nur ein geringfügig verbessertes Angebot vorgelegt: 4 Prozent ab Oktober und 2,5 Prozent ab Oktober 2024 mit einer Laufzeit von 26 Monaten. Das Angebot einer Inflationsausgleichsprämie bleibt unverändert, die Altersteilzeit und der geforderte Mindestbetrag von 200 Euro sind weiterhin kein Bestandteil des Angebots. Die IG Metall-Tarifkommission blieb allerdings bei ihrer Forderung nach einer langfristig wirkenden Tabellensteigerung, da die Inflationsprämie nur kurzfristig „mehr Geld im Portemonnaie bedeutet, aber dauerhaft zu Einkommensverlusten führt“. Die Verhandlung wurde ohne Ergebnis beendet.
Die IG Metall forderte die Beschäftigten auf, die Warnstreiks fortzusetzen.
In der 4. Verhandlungsrunde (31. März und 1. April) konnten IG Metall und Arbeitgeber vorbehaltlich einer Erklärungsfrist bis zum 19. April einen Abschluss erzielen. Danach erhalten die Beschäftigten nach 7 Nullmonaten (März – September) eine Erhöhung ihrer Vergütungen von 4,8 %, mind. jedoch um 130 €/Mon. ab Oktober 2023, gefolgt von einer Stufenerhöhung von 3,3 %, mind. 100 €/Mon. ab September 2024. Des Weiteren kommen zwei Inflationsausgleichsprämien von 1.000 und 500 € spätestens in Mai 2023 bzw. April 2024 zur Auszahlung. Die Tarifverträge haben eine Laufzeit von 24 Monaten bis Februar 2025. Auch bei der Altersteilzeit wurde eine Einigung erzielt. Der Aufstockungsbetrag wird von 650 € ab Oktober 2023 in einem ersten Schritt auf 700 € und in einem weiteren Schritt ab September 2024 auf 750 € erhöht, für Beschäftige, deren Altersteilzeit-Arbeitsverhältnis zu den vorgenannten Terminen beginnt; der Tarifvertrag wurde für den Zeitraum 01.03.23 – 28.02.25 befristet verlängert. Außerdem haben sich IG Metall und Arbeitgeber auf eine Erhöhung des Urlaubsgeldes um 4,8 und weitere 3,3 % ab 2023 bzw. 2024 verständigt“.
DEUTSCHE BAHN
Am 28.02. 23 fand die 1. Tarifverhandlung zwischen der Eisenbahnergewerkschaft (EVG) und der Deutschen Bahn statt und wurde mangels eines Angebotes der Deutschen Bahn abgebrochen.
Die EVG forderte 12,0 Prozent, mind. 650 €/ Mon. bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Die Tarifverträge laufen Ende Februar aus.
Am 14.03. unterbreitete die Deutsche Bahn der EVG ein erstes Angebot. Es sah u. a. einen „rechnerischen Bahnmindestlohn“ von 13 € ab August 2024, eine Steigerung der Löhne um insgesamt 5,0 % und Einmalzahlungen von insgesamt 2.500 € vor mit einer Laufzeit von 27 Monaten. Die bisherige Möglichkeit der Mitarbeiter, zwischen mehr Geld, Urlaub oder einer Arbeitszeitverkürzung zu wählen, steht ebenso infrage wie bewährte Arbeitszeitmodelle. Auch längere Arbeitszeiten wurde gefordert.
Die Mitglieder der Tarifkommission hatten das Angebot des Konzerns abgelehnt, da die Voraussetzungen, in Verhandlungen zu treten nicht erfüllt wurden, wie z. B. das Thema Mindestlohn. Nach vorausgegangenen Warnstreiks begann am 25.04. die 2. Verhandlungsrunde, die am 26.04. seitens der Deutschen Bahn abgebrochen wurde, ohne eine Einigung zu erzielen.
Ende Juli einigten sich beide Seiten auf ein Schlichtungsverfahren. Die EVG hatte ihren rund 103.000 befragten Mitgliedern danach empfohlen, den Schlichterspruch anzunehmen.
Demnach sollen die Löhne bei der Bahn – in zwei Schritten – monatlich um 410 Euro steigen. Ab Dezember 2023 gibt es dann 200 Euro brutto mehr, weitere 210 Euro mehr ab August 2024. Die Laufzeit des Tarifvertrags beträgt 25 Monaten. Im Oktober 2023 soll es eine steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie von 2.850 Euro geben.
Am 28.08.2023 haben 52,3 Prozent der EVG-Mitglieder in der Urabstimmung die Schlichtungsvereinbarung angenommen und damit neue Arbeitskämpfe abgelehnt. Die Wahlbeteiligung lag bei 65,3 Prozent.
Neben mehr Geld für die Beschäftigten umfasst der Tarifvertrag auch Punkte, von denen sich der Bahn – Konzern eine Steigerung der Produktivität erhofft. So wurde zum Beispiel ein flexibleres Arbeitszeitmodell bei DB Cargo vereinbart.
Der Tarifkonflikt mit der EVG ist damit beendet, Tarifverhandlungen mit der Lokführergewerkschaft GDL stehen noch bevor.
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Neue Entwicklungen
Längere Tariflaufzeiten
Viele Kommentatoren der Tarifergebnisse von 2022 und 2023, die vor der Lohn-Preis-Spirale warnen, gehen von der Automatik der jährlich angepassten Tarifabschlüsse aus. Sie werden von der Vorstellung geleitet, dass man für ein Jahr verhandelt und dann im darauffolgenden Jahr eine neue Verhandlung stattfindet. Doch schon seit den 1990er Jahren ist man von den jährlichen Tarifverhandlungen abgegangen und hat die Laufzeiten der Tarifverträge sukzessive erheblich ausgeweitet, Standard sind mittlerweile zweijährige Laufzeiten.
Gerne werden die verlängerten Laufzeiten unter der Decke gehalten, denn so kann man sich die Tarifergebnisse schön rechnen, in dem ein bestimmtes Volumen auf ein Jahr bezogen wird, obwohl es für die gesamte Laufzeit des Vertrages gilt. Dann wird seitens der Unternehmen und auch vermehrt von den Gewerkschaften kommuniziert, dass für die Beschäftigten ein Lohnzuwachs von teilweise über 10 Prozent erzielt wurde. Geflissentlich verschweigt man aber, dass die Anhebung des Lohns beispielsweise in zwei einzelnen Schritten innerhalb einer eben nicht 12-monatigen Laufzeit, sondern in einem Zeitraum von 24 oder mehr Monaten stattfinden soll. Damit schrumpfen die 10 Prozent auf eine viel geringere Prozentzahl.
Das Beispiel Tarifeinigung im Öffentlichen Dienst zeigt dies klar auf.
Die Dienstleistungsgewerkschaft forderte im Januar 2023 noch 10,5 Prozent mehr Geld für alle, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat. Auszubildende sollten 200 Euro mehr bekommen und unbefristet übernommen werden. Der Tarifvertrag sollte eine Laufzeit von zwölf Monaten haben.
Das Ergebnis lautete aber: 14 Nullmonate / ab März 2024: plus 200 Euro, plus 5,5 Prozent, insgesamt mindestens 340 Euro / Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 3.000 Euro (im Juni 2023 einmalig 1.240 Euro und ab Juli 2023 bis Februar 2024 jeweils 220 Euro monatlich) / Laufzeit: 24 Monate
Konkret bedeutet dieser Tarifabschluss einen weiteren Verlust an Kaufkraft und Wohlstand für die Beschäftigten, weil nach einer Inflationsrate von acht Prozent 2022, sechs Prozent 2023 und geschätzt drei Prozent 2024 die Löhne im Öffentlichen Dienst am Ende der Laufzeit rund sechs Prozent weniger Kaufkraft haben werden. Dies bedeutet gleichzeitig, dass es mindestens noch weitere fünf Jahre dauern wird, bis die Löhne im Öffentlichen Dienst diesen Kaufkraftverlust wieder aufgeholt haben.
Einmalzahlungen/ Inflationsausgleichsprämie
Seit der konzertierten Aktion im Sommer 2022 gibt es kaum eine Tarifrunde, in der Einmalzahlungen zum Ausgleich der Inflation nicht auf den Tisch kommen.
Auch hier liegt die Tücke im „Kleingedruckten“.
Nach Berechnungen der Hans-Böckler-Stiftung outen sich die Einmalzahlungen auf fünf Jahre bezogen sogar als Verlustgeschäft. Die steuer- und abgabenfreie Prämie wird nur einmal gezahlt und steigert das Einkommen nicht dauerhaft wie etwa eine Lohnerhöhung um mehrere Prozente.
Im ersten Jahr rechnet sich eine abgabenfreie Einmalzahlung noch für die Beschäftigten. Sie sparen ja Steuern und ihren Beitrag zur Sozialversicherung ein und Brutto ist also gleich Netto.
Bei einer Lohnsteigerung um einen bestimmten Prozentsatz wären die Abgaben angefallen. Doch schon bei einer Prozenterhöhung im Jahr drauf entfällt der Vorteil, weil bei der Verhandlung neuer Tarife die aktuellen Löhne als Grundlage – ohne Einmalzahlungen – dienen. Wäre der Lohn prozentual gestiegen statt nur einmal in Form der Prämie, wäre der Ausgangslohn höher, mit dem die weitere Erhöhung berechnet wird. Dieser Effekt wiederholt sich dann in den folgenden Jahren.
Die Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat ein Beispiel durchgerechnet mit einer Lohnsteigerung von vier Prozent und einem Bruttoeinkommen von 48.000 Euro. Nach fünf Jahren macht der Unterschied demnach über 7.000 Euro aus.
Die Einmalzahlungen bzw. Inflationsausgleichsprämien führen auf Dauer zu Einkommensverlusten.
Der neue Burgfrieden
Das Vorhaben der Ampelkoalition, Anfang des Jahres 2022 die gigantische Aufrüstung sogar im Grundgesetz zu verankern, ist mit dem neuen Burgfrieden ohne Probleme realisiert worden. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat für eine Änderung des Grundgesetzes galt schon in der Sondersitzung des Bundestages im Februar 2022, als Bundeskanzler Olaf Scholz die Zeitenwende ankündigte, als sicher. Unter stehendem Applaus erschreckend vieler Mitglieder des Bundestages wurde parteiübergreifend das gigantische Aufrüstungsvorhaben und die angekündigte neue weltpolitische Rolle Deutschlands gefeiert.
Der neue Burgfrieden sieht so aus, dass
eine riesige Koalition aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP entstanden ist, die meint, länger als eine Legislaturperiode zusammenarbeiten zu können und eine kontinuierliche Aufrüstung in den Verfassungsrang gehoben hat. Dadurch möchte sie gewährleisten, dass zukünftige, anders zusammengesetzte Koalitionen das Megarüstungsprogramm weder stoppen, kürzen oder verändern können, weil es in Verfassungsstein gemeißelt ist.
alle Beteiligten den Trick der Regierung, die angekündigte Aufrüstung ausschließlich über neue Schulden zu finanzieren und das Ganze „Sondervermögen“ zu nennen, als besonders clever und als tollen Coup loben. Wenn nämlich das 100-Milliarden-Programm zur Förderung der Rüstungsindustrie durch Steuererhöhungen finanziert werden müsste, käme es voraussichtlich zu größeren Widerständen. Als „Paket Sondervermögen“ geschnürt, werden die Vermögen der Reichen und Superreichen verschont und die Kosten bei den Beschäftigten und Sozialleistungsbeziehern eingespart.
bei einer offiziellen Inflationsrate von über 10 Prozent im Sommer 2022 Bundeskanzler Scholz die „Sozialpartner“ zu einer „konzertierten Aktion“ eingeladen hatte, bei der man die Gewerkschaften eingehegt hat und davon abhielt, ihre zukünftigen Lohnforderungen in Höhe der Inflationsrate zu stellten
und
es in Wahrheit um autoritäres Durchregieren ging und geht.
Die Bevölkerung, coronagestählt, soll möglichst kritiklos „unpopuläre“ Maßnahmen mitmachen und immer mehr bereit sein „neue Realitäten und radikale Kurswechsel“ hinzunehmen.
Der DGB als Dachverband der Gewerkschaften in Deutschland war über Jahrzehnte hinaus ein einflussreicher Akteur und eine wichtige Stimme in der bundesdeutschen Friedensbewegung. Heute steht der DGB bei vielen Mitgliedern in der Kritik, weil er für die Aufrüstung trompetet, sich eher als Partner der Konzerne und Unternehmen versteht, es unterlässt, den bürgerlichen Staat grundlegend zu kritisieren und nicht mehr als Kampforganisation der Beschäftigten angesehen wird.
Eine solche Entwicklung der Gewerkschaften wurde erst ermöglicht, als sie im Rahmen der Sozialpartnerschaft über jedes Stöcken sprangen, egal wie hoch es hingehalten wurde. Vor allem auch dann, wenn die Gewerkschaften als „Partner der Transformation im Arbeitsmarkt“ bereitstehen.
Große Koalition, um den Wirtschaftsstandort in Deutschland neu auszurichten
Um den Wirtschaftsstandort in Deutschland neu auszurichten und den Arbeitsmarkt „zu sichern“, hat sich nach dem Regierungswechsel eine große Koalition aus den Regierungsparteien, Unternehmen, Gewerkschaften, Betriebsräten, Verbänden und der Bundesagentur für Arbeit (BA) als die „Partner der Transformation im Arbeitsmarkt“ gebildet. Diese Partnerschaft hat sich vorgenommen u.a. mit dem Zuzug von billigen Arbeitskräften und den Möglichkeiten des neuen Bürgergeldes den größten europäischen Niedriglohnsektor in Deutschland weiter auszubauen.
Für die Regierung war es wichtig, die DGB-Gewerkschaften mit ins Boot zu holen. Auch deshalb hatte bei einer immens angestiegenen offiziellen Inflationsrate von 10 Prozent im Sommer 2022 Bundeskanzler Scholz die „Sozialpartner zu einer konzertierten Aktion“ eingeladen, bei der man auf die hohen Preise reagieren wollte und um gleichzeitig die Gewerkschaften davon abzuhalten, dass sie ihre Forderung in Höhe der Inflationsrate stellen. Dabei haben sie das Märchen von der „Lohn-Preis-Spirale“ aus der Mottenkiste geholt und sich untereinander erzählt. Als das Märchen zu Ende erzählt war, hatte man dann auch die Sonderzahlung als Wunderwaffe in Tarifkonflikten auf dem Tisch. Mit den nicht tabellenwirksamen Sonderzahlungen war auch gleichzeitig eine permanente Lohnabsenkung vereinbart. Dieses Vorgehen ist von langer Hand vorbereitet und geschickt verpackt worden. Die Sonderzahlungen werden in Zukunft zu Regeleinmalzahlungen weiter ausgebaut und immer mehr mit Bedingungen, wie z.B. sie an einer Gewinnentwicklung des Unternehmens auszurichten, verbunden. Beschäftigte in Betrieben mit großem Profit erhalten dann höhere Einmalzahlungen als die, die sich in kleineren Betrieben der Branche verdingen müssen.
Das sind alles Entwicklungen, die einer Wiederbelebung der Flächentarifverträge und Steigerung der Tarifbindung diametral entgegenstehen.
Diese Sozialpartnerschaft hat ganz konkret zur Folge, dass immer mehr Menschen in die prekäre Beschäftigung abrutschen und sich dabei von ihrer Gewerkschaft verraten und verkauft fühlen.
Gewerkschaftliche Lohnpolitik ist mehr als die Ankurbelung der Binnennachfrage
Die Billigung der schlechten Verhandlungsabschlüsse soll gewährleisten, dass sich an der hervorragenden Wirtschaftslage der Unternehmen nichts ändert. Die haben, wie Preiserhöhungen auf breiter Front und ausgeschüttete Dividenden zeigen, die Lage bislang weidlich ausgenutzt. Aber die Sicherheit, dass sie weiterhin erfolgreich wirtschaften, darf nicht durch Lohnerhöhungen gefährdet werden. Bei der Sozialpartnerschaft gilt nach wie vor das Motto, die Pferde vorne mit ganz viel Hafer füttern, damit hinten auch noch etwas für die Spatzen herauskommt.
Seitens der Gewerkschaften wird Folgendes überhaupt nicht kommuniziert:
Löhne bzw. Entgelte sind der größte Kostenfaktor für die Unternehmen, deshalb hat die Auseinandersetzung um sie immer einen besonderen Stellenwert für die Gewerkschaftsbewegung. Lohn- und Entgelterhöhungen steigern die Konsumnachfrage, stabilisieren damit die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und tragen so zur Sicherung der Arbeitsplätze bei, ohne dass von der Lohnseite inflationstreibende Effekte ausgehen.
Wenn die Einkommen durch höhere Tarifabschlüsse steigen, schlägt sich das auch bei den Renten nieder. Entscheidend für die Rentenberechnung ist die Entwicklung der Bruttolöhne. Der Rentenwert ergibt sich aus den Bruttolöhnen des Vorjahres. Steigen diese an, wird auch dieser Wert angehoben.
Das Lohndumping der letzten Jahre bei uns mit seinen geringen Lohnstückkosten ist eine der wichtigsten Ursachen für die deutschen Leistungsbilanzüberschüsse, für das Auseinanderlaufen der Wettbewerbsfähigkeit der Mitglieder der Europäischen Währungsunion (EWU), für die Handelsungleichgewichte und somit eine Hauptursache der Eurokrise.
Die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung ist verantwortlich für das Außenhandelsgleichgewicht, d.h. für das Verhältnis von Im- und Exporten. Wenn der Handel auch noch mit Ländern im gleichen Währungsraum stattfindet, sind die gesamtwirtschaftlichen Lohnstückkosten im Vergleich zu denen der Währungspartnerländer der wichtigste verbleibende Faktor dafür, ob es Handelsüberschüsse oder -defizite gibt. Auch der europäische und weltweite Markt funktioniert so: Wächst eine Volkswirtschaft so muss eine andere naturgemäß schwächer werden. Das Vermögen der einen bildet die Schulden der anderen.
Das Märchen von der Lohnentwicklung, die im Vakuum der Tarifparteien stattfindet, wird immer wieder erzählt, ist aber nicht zutreffend. Lohnpolitik ist abhängig von der Wirtschaftspolitik der Regierung, was seit der HARTZ-IV-Gesetzgebung ganz einfach zu belegen ist.
Die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung hat einen besonderen Einfluss auf die Entwicklung der Preise, weil die Vorleistungen, die die Industrie neben dem Faktor Arbeit zusätzlich zur Produktion benötigt, aus anderen inländischen Unternehmen stammen, sofern sie nicht importiert werden. Deren Produktpreise werden von den dort anfallenden Kosten bestimmt. Diese Vorleistungen bestehen gesamtwirtschaftlich betrachtet vor allem aus Lohnkosten.
Die Lohnentwicklung hat maßgeblich zur Verarmung beigetragen, mit Auswirkungen bis in die sogenannten Mittelschichten hinein
und
die Umverteilung von unten nach oben ist als Ursache für die seit nunmehr 14 Jahren anhaltende wirtschafts- und finanzpolitische Krise zu sehen. Die wachsende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen hat nachweislich zur Destabilisierung des gesamten Finanzsystems beigetragen.
Den Gewerkschaften sollte das Lob der organisierten Unternehmerschaft im Ohr klingeln, das nach den Tarifabschlüssen der letzten Jahre immer wieder erklang.
Übersetzt lautet der Singsang, dass die Belastungen der Unternehmen deutlich unter denen der Vorjahre liegen, durch die Hintertür nicht tabellenwirksame Einmalzahlungen eingeführt wurden, die Laufzeit der Tarifverträge deutlich länger ist als früher und den Unternehmen die Möglichkeit gegeben wird, Teile des Abschlusses differenziert, z.B. nach der Profitrate, anzuwenden.
Gewerkschaft IG Bergbau – Chemie – Energie als Vorreiter
Der permanente Lohnsenkungsprozess wird zusätzlich noch von unklaren Begrifflichkeiten, Widersprüchen und einer Nonsenssprache auf Seiten der Gewerkschaften begleitet. Hier ist besonders die IG Bergbau – Chemie – Energie (IG BCE) 2022 hervorgetreten. Der Forderungskatalog, den die Bundestarifkommission der IG BCE im Januar 2022 vorlegte, hörte sich noch so an: Mehr Kaufkraft, mehr Wertschätzung, mehr Sicherheit. Der Vizevorsitzende der Gewerkschaft, Ralf Sikorski, sagte damals: „Die Branche ist bestens ausgelastet und verdient glänzend“, aber nicht nur das: Steigende Preise würden von den Unternehmen problemlos an die Kunden weitergereicht. Nur, Beschäftigte hätten diese Option nicht, „sie sind der Teuerungswelle ungeschützt ausgeliefert“. Die IG BCE wolle für ihre Mitglieder „ein Bollwerk gegen die Inflation errichten“. Am Ende der Tarifrunde müsse beim Entgelt ein Plus oberhalb der Teuerungsrate stehen.
Schon drei Monate später wurden andere Töne angestimmt und man einigte sich auf einen „Teilabschluss“. Die Beschäftigten erhielten im Mai 2022 eine „Brückenzahlung“ von einmalig 1.400 Euro. In wirtschaftlich angeschlagenen Betrieben konnte die Brückenzahlung auf 1.000 Euro reduziert werden. Die Zwischenlösung sollte den Zeitraum von sieben Monaten bis Oktober 2022 überbrücken, dann sollten die Tarifverhandlungen fortgesetzt werden.
Das grottenschlechte Verhandlungsergebnis, nach ungewöhnlich kurzer Verhandlungsdauer sah dann als steuerfreie Sonderzahlungen in zwei Tranchen von jeweils 1500 Euro pro Kopf vor, die spätestens im Januar 2023 und im Januar 2024 fällig werden. Ebenfalls jeweils zum Januar 2023 und 2024 greifen auch tabellenwirksame Entgelterhöhungen von je 3,25 Prozent, in Summe also 6,5 Prozent. Die Tariferhöhungen können aus wirtschaftlichen Gründen mittels Betriebsvereinbarung um bis zu drei Monate verschoben werden, für die Sonderzahlung gilt dies nicht. Der Vertrag läuft bis zum Juni 2024.
Damit war die IG BCE die erste Gewerkschaft, die mit fliegenden Fahnen die Absprachen der Konzertierten Aktion umsetzte:
So wie die Sozialpartnerschaft wie eine Monstranz vor sich hergetragen wird, wird aus der Entfremdung der Arbeit und der Abhängigkeit der Beschäftigten von der betriebswirtschaftlichen Rechnung des Betriebes eine Partnerschaft gemacht.
Das nun ausgehandelte Geld soll nicht nur zum Lebensunterhalt etwas beitragen, sondern es soll auch die „aktuellen Preissprünge bei der Energie“ mildern und dann auch noch einen „Ausgleich für die ständigen Preissteigerungen allgemein“ bilden. Es wird der Anschein erweckt, dass die Preise als Naturereignis vom Himmel fallen und dann wieder hochspringen und nicht knallhart in den Chefetagen der Firmen kalkuliert werden.
Wieder einmal soll die Zurückhaltung bei den Forderungen den „Betrieben bei der Standort- und Arbeitsplatzsicherung helfen“.
Es soll der Eindruck entstehen, Sonderzahlungen und Tariflohn müssten harmonieren und dann als Kosten der Unternehmen zusammengezählt werden. Da es schon im Frühjahr 2022 eine Sonderzahlung von 1.400 Euro gab, sollten deshalb die dauerhaften, prozentualen Lohnsteigerungen nicht zu hoch ausfallen. Praktisch heißt das, im Jahr 2023 gibt es nur 3,5 Prozent mehr bei einer erwarteten Inflationsrate von 7 oder 8 Prozent.
Die Mitglieder sollen glauben, wenn demnächst die Inflationsrate sinkt, sinken in gleichem Maße auch die Preise – doch das stimmt nicht – die Preisen werden in dem Fall nur nicht mehr so schnell ansteigen.
Die Beschäftigten sollen nach Ansicht ihrer Gewerkschaft zwei Funktionen übernehmen. Als Lohnabhängige müssen sie billig sein und als Konsumenten sollen sie über möglichst viel Kaufkraft verfügen.
Erinnert wird von der Gewerkschaftsspitze daran, dass die Tarifparteien der Chemieindustrie sowieso nicht „durch Krawall und Arbeitskämpfe“ auffallen, aber der Abschluss liefere jetzt geradezu „Lehrmaterial darüber, wie gute Sozialpartnerschaft funktioniert“
Eigenlob stinkt, auch in einer blumigen Sprache: Nachdem die IG BCE im Frühjahr 2022 eine „flexible Brücke in den Herbst“ baute, hat sie nun die „Quadratur des Kreises“ geschafft
und das kann in Größenwahn ausarten: „Eine gut gemachte Tarifpolitik kann zentraler Baustein eines gesamtgesellschaftlichen Bollwerks gegen Inflation und Energiekrieg sein“.
Der beschriebene permanente Lohnsenkungsprozess, den die IG BCE mit eingeleitet hat, wird den Abstand zwischen Löhnen und Preisen weiter vergrößern und andere Einzelgewerkschaften werden folgen, ganz im Geiste der „Konzertierten Aktion“. Gewerkschaften, Unternehmen und Regierung werden ihre Reihen schließen und den neuen Burgfrieden feiern.
Die Gewerkschaftsbasis, Beschäftigte, erwerblose und arme Menschen werden auf Verzicht eingeschworen
Wie schon 1914 unterstützt die Gewerkschaftselite mit ihren unklaren Stellungnahmen die Aggression der deutschen Weltmachtfantasien. Ohne große Not stellt sie sich hinter den Wirtschaftskrieg gegen Russland und schwört die Gewerkschaftsbasis, Beschäftigte und Menschen in prekären und verarmten Verhältnissen auf Verzicht ein.
Auch seitens der Politik wird Druck auf die Gewerkschaften ausgeübt, ihre bisherigen Friedenspositionen aufzugeben und der Druck hat schon Erfolg. So sprechen die Dienstleistungsgewerkschaft und auch der DGB bereits von der Neubewertung der Situation und haben über Nacht Forderungen wie ein Nein zu Waffenexporten fallengelassen.
Anstelle die Kontakte und Zusammenarbeit der Beschäftigten in den östlichen Ländern zu fördern, internationale Solidarität zu praktizieren und Demonstrationen gegen Weltkriegsgefahr und Verarmung zu organisieren, unterstützt eine Mehrheit in den Führungsgremien der Gewerkschaften Demonstrationen mit Forderungen einer „gerechten Verteilung der Lasten“ verbunden mit der Bitte die „Armen im Lande nicht zu vergessen“. Der DGB-Bundesvorstand möchte gerne handzahm „Echt gerecht – solidarisch durch die Krise.“
Nur leise und vereinzelt melden sich Einzelne in den DGB-Gewerkschaften zu Wort und warnen vor einer langen Rezession und dem ökonomischen Zusammenbruch Deutschlands, wenn die Regierung ihre Politik so weiterführt.
Diese wenigen Personen scheinen zu ahnen, dass ein eskalierender Wirtschaftskrieg auch das Ende der DGB-Gewerkschaften besiegeln würde und sie sich den Ast absägen, auf dem sie sitzen.
Quelle: WSI-Tarifarchiv, HBS,IG BCE, IAB, Tagessspiegel, Junge Welt, BA, Statis.de, Wiener Institut für internationale Wirtschaftsvergleiche, arbeitsschutz-portal.de, dgb, verdi, ngg, Politika, B 92, wildcat, PM Arbeitsministerium, Franziska Wiethold, SGB, Hans-Böckler-Stiftung
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