Diskriminierung melden
Suchen:

Direktversicherung: Die Grünen + die Folgen des Gesundheitsmodernisierungsgesetz

Foto: H.S.

08.07.2021 - von Horst Gehring, 04.07.2021

Ignoriert Bündnis 90/ Die Grünen bewusst die Stimmen von ca. 7 Millionen Wahlberechtigten für die Bundestagswahl 2021?

Sehr geehrter Herr Kurth,
MdB - Sprecher für Rentenpolitik. Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen

ich schätze seit Jahren Ihre Fachkenntnis auch zum Thema betriebliche Altersversorgung. Leider verweigern die Grünen bis dato eine klare Aussage zu den berechtigten Beschwerden der um ihre Ersparnisse betrogenen Bürger zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz (GMG), der Willkürakt „privat finanzierte Altersvorsorge = Betriebsrente“ hat tiefe Wunden hinterlassen. Die desaströsen Wahlergebnisse insbesondere bei der BT-Wahl 2017 infolge der Protestwähler werden immer noch als Kollateralschaden hingenommen.

Wir beide sind nicht Betroffene des GMG, dennoch nehme ich die Bedenken von Bürgerinnen und Bürgern ernst und wünsche mir verlässliche Partner in Berlin.

Auch die Grünen haben im Herbst 2003 den Vertrauensschutz missachtet, der den Vorsorgenden verweigert wurde. Dieser Vorgang kann als einmalig in der deutschen Rechtsgeschichte bezeichnet werden.

Für meinen Teil versuche ich seit 17 Jahren mein Ohr bei den Vorsorgenden und ihren Sorgen und Anliegen zu haben, um so Vertrauen für mich und eine gerechte Politik zu gewinnen. Natürlich könnten wir beide das Thema verkürzen, indem wir sagen, das BVerfG hat im September 2010 eine formaljuristische Entscheidung getroffen, die somit zementiert ist. So hat die SPD am 27. Mai 2021 nach ihrem Parteitag nachträglich folgende Formulierung in ihrem Wahlprogramm aufgenommen: Wir setzen uns für die vollständige Abschaffung der
Vollverbeitragung sowie der Doppelverbeitragung von Betriebsrenten in der gesetzlichen Krankenversicherung ein. Angesichts sinkender Umfragewerte war dieses auch zwingend vorgegeben.

Klare Aussage der Grünen wird vermisst
So eine klare Aussage vermisse ich bei den Grünen, obwohl auch rechtsgültige Parteitagsbeschlüsse nicht das Gelbe vom Ei sind, wenn ich mir einmal die Praxis betrachte. Auf Unverständnis stößt bei mir ferner folgendes, dass auch Frau Annalena Baerbock keine klaren Fragen beantwortet. Entweder fehlt ihr dafür das qualifizierte Fachpersonal oder die Grünen sehen diese sozialpolitischen Fragen als nicht opportun an.

Auch Frau Baerbock könnte so eine klare Aussage helfen, wenn ich mir einmal die Plagiatsvorwürfe in der bundesdeutschen Presse betrachte. Natürlich gibt es kein Zitiergebot in der Populärliteratur. Die seit Anfang Juni veröffentlichten vermeintlichen Ungereimtheiten in ihrem Lebenslauf, vermindern aber zweifelslos die Wahlchancen der Grünen. Die politischen Folgen für ihre Kandidatin könnten verheerend sein: Schon als im Juni bekannt wurde, dass Angaben in Baerbocks Lebenslauf ungenau waren, sanken die Umfragewerte der Grünen im ARD-Deutschlandtrend von Infratest dimap von fast 30 Prozent auf 20 Prozent.

Zur Person von Frau Baerbock erlaube ich mir folgende Feststellung:
Die Grünen-Vorsitzende möchte notorisch mehr sein, als sie ist, und fliegt damit auf. Letztlich bildet dies den Kern, auf den nach ihrem aufgehübschten Lebenslauf auch die abgekupferten Stellen in ihrem Buch zurückzuführen sind. Denn warum ein solches Buch überhaupt schreiben? Nagte die Denker-Aura des Co-Vorsitzenden Robert Habeck dermaßen an Baerbock, dass sie ebenfalls nach Autorenglanz strebte, auch wenn die Zeitfenster dafür nicht reichten und die eigenen Worte ebenfalls nicht? Steckt ein simples Minderwertigkeitsgefühl dahinter?

Wie bedauerlich für sie selbst, aber auch für die Partei. Dabei ist es ganz gleich, ob es sich um eine Kampagne handelt oder nicht. Ohnehin überrascht die Reaktion der Partei. Baerbocks Abschreiberei oder die ihres Ghostwriters ist ja unbestreitbar und damit auch die Frage der Verantwortung. Sie liegt nicht bei dem, der darauf hinweist. Auch mit welcher Motivation dies geschieht, ist letztendlich gleich. Die Grünen beweisen zudem, dass sie das Lehrbuch der Propaganda ebenfalls kennen. Sie argumentieren auf der Ebene der Gefühle, nicht der Fakten. Sie setzen gezielt irreführende Rhetorik ein. Sie begegnen der Kritik nicht, indem sie auf deren Inhalte eingehen, sondern indem sie Kritiker diskreditieren. Sie behaupten Vorwürfe, die nicht erhoben wurden, um sie dann dementieren zu können. Sie stellen in Trump `‘scher Art wissentlich Dinge falsch dar, verbitten sich aber zugleich durch ihren Gestus der Empörung, infrage gestellt zu werden.

Nach der letzten Bundestagswahl wähnten sich die Grünen verraten und um die Ämter gebracht, als die FDP aus den Koalitionsverhandlungen ausstieg. Diesmal sehen sie sich erneut kurz vor dem Ziel einer Art Sabotage ausgesetzt, obwohl sie die Macht doch so gerne wollen. In den Herzen wird das schmerzen. In den Köpfen aber wird die Erkenntnis langsam reifen, dass die Verantwortung auf der eigenen Seite liegt.

20 Millionen Vorsorgende machen sich Sorgen um ihre Altersversorgung
Neben den Klimawandel gibt es auch ca. 20 Millionen Vorsorgende, die sich Sorgen um ihre Altersversorgung machen. Kann man sich noch auf staatliche Zusagen verlassen? Auch die Beantwortung dieser Fragen gehört dazu, wenn man die Kanzlerschaft anstrebt. In der Beliebtheit der Deutschen rutschte Baerbock als mögliche Kanzlerin auf den dritten Platz hinter Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD).

Altersversorgung braucht Vertrauen.
Die Menschen wollen ihren Lebensabend genießen und sich darauf verlassen können, dass sie fair behandelt und nicht um ihre Ersparnisse betrogen werden. Betroffene haben sich auf die Zusage des Staates verlassen, dass dieses eine sichere zusätzliche Vorsorge für den Ruhestand sei.

Mit diesem Beschluss müssen seither ca. 20 Prozent der angedachten Ersparnisse über einen Zeitraum von einhundertzwanzig Monaten abgeführt werden. Auch wenn vier Millionen Betriebsrentner ab 01.01.2020 eine Beitragsentlastung erfahren haben, so war diese geringe Summe nur ein Tropfen auf einen heißen Stein. Meine Frau musste anschließend 11 Monate auf ihre Rückzahlung warten. Diesen finanziellen Verlust können sich unsere Volksvertreter (einschließlich der Osnabrücker Grünen – Abgeordneten) nicht vorstellen, weil sie davon nicht betroffen sind. Ganz zu schweigen von der fürstlichen Beamtenversorgung. Für Sie ist es vielmehr ein Highlight, den Ausbau der Autobahn von Osnabrück-Belm zur A 1 zu verhindern. Da ist es doch bequemer, soziale Themen wie sie in der Corona-Pandemie entstanden sind, einfach an die Seite zu schieben.

Wie stellen sich die Grünen die Stärkung der Betriebsrenten vor?
Leider musste ich auch in dieser Legislaturperiode feststellen, dass ich von den Grünen keine Antwort auf meine mehrfachen Fragen erhalten habe, wie Sie sich eine Stärkung der Betriebsrenten vorstellen. Die gesetzliche und betriebliche Rente bleibt aber für die Ü-60-Wähler eine existentielle wichtige Grundlage der Altersversorgung. Wenn dann auch noch die private Vorsorge ad absurdum geführt wird, schwindet das Vertrauen in unsere Volksvertreter Vollendens.
-
Direktversicherte mit Altverträgen contra Pensionsansprüche der Beamten
Dass die „Direktversicherungsgeschädigten“ eine Rückerstattung ihrer enteigneten Vorsorgeaufwendungen in Höhe von geschätzten 40 Milliarden Euro aus Altverträgen (kumulierte Summe in 17 Jahren) erwarten, ist verständlich.

Vergleiche ich diese Summe mit den angehäuften Pensionsansprüchen für Beamte in Höhe von ca. 1,5 Billionen Euro (da fragt keiner, woher das Geld kommen soll), so stellt sich auch hier die Frage der Gerechtigkeit. (Auch ich stimme mit Ihnen überein, dass Beitragskosten zur Reduzierung der Krankenkassenbeiträge nicht von der Versichertengemeinschaft zu tragen sind. Hier ist in erster Linie der Staat dafür zuständig, diese Unkosten aus Steuermitteln zu begleichen.) Der Staat hat durchaus alternative Geldquellen, wenn es um die Rückerstattung aus Altverträgen vor dem 01.01.2004 geht.

Etwa 20 Milliarden durch legale Steuertricks
Es brodelt zurzeit gewaltig im Volke, wenn man z.B. die Kosten für die Masken-Affäre, Pkw-Maut um nur einige Positionen zu benennen, betrachtet.
Hier erlaube ich mir einen Hinweis auf die Monitorsendung vom 17. Juni 2021 in der ARD,
Share Deals: Steuergeschenke für Finanzinvestoren.
Wie wäre es etwa, erst einmal alle Unternehmen, auch die großen Internet-Konzerne, fair zu besteuern. Und was ist mit der im großen Stil betriebenen Steuerhinterziehung? Allein in Deutschland sollen dadurch jährlich 125 Milliarden Euro verloren gehen – wahrlich keine Peanuts.
Seit Jahren sparen Finanzinvestoren und Unternehmen beim Kauf von Immobilienpaketen oder Agrarflächen durch „Share Deals.“ Dieses Steuer – Schlupfloch gilt es zu schließen. Bis zu 20 Milliarden Euro sparen Superreiche und Konzerne in Deutschland, jedes Jahr durch legale Steuertricks. Ein Drittel davon laut Expert*innen durch Zinsgeschäfte. Leider wurde ein entscheidender Passus von Olaf Scholz auf Druck der Union aus dem Passus gestrichen. Wo war Ihr entsprechender Protest?

Zur Situation der freiwillig Versicherten
Im Vertrauen auf die Beständigkeit der Rechtslage vor dem 01-01.2004 haben auch viele freiwillige Versicherte dem Abschluss des Lebensversicherung - Vertrages zugestimmt sowie dem Abzug der entsprechenden Prämien von ihrem Bruttoentgelt. Auch dieser Personenkreis wurde von der Politik bitter enttäuscht. Dieses Vertrauen ist insbesondere dadurch verloren gegangen, dass freiwillig versicherten Rentnern mit dem Gesundheitsstrukturgesetz aus dem Jahre 1993 gemäß § 240 Abs. 3 a SGB V Bestandsschutz gewährt worden ist, der ihnen nunmehr zehn Jahre später wieder entzogen wurde.

Das Bundesverfassungsgericht hat sich bereits im Jahr1 988 mit der Frage der Beitragspflicht von Versorgungsbezügen beschäftigt. Dabei hat es die Einbeziehung von Versorgungsbezügen in die Beitragspflicht nicht nur gebilligt, sondern wegen des in der GKV geltenden Solidaritätsprinzip sogar für geboten erachtet (BVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 1988 – 2 BvL. 18/84).

Mittlerweile hat das BVerfG in ständiger Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit der Heranziehung von Versorgungsbezügen sowohl in der Form von regelmäßig wiederkehrenden als auch in der Form von nicht wiederkehrenden Leistungen zur Beitragspflicht in der GKV festgestellt (BVerfG, Beschluss vom 28. September 2010 – 1 BvR 1660/08; BVerfG, Beschluss vom 6. September 2010 – 1 BvR 739/08; BVerfG, Beschluss vom 7. April 2008 – 1 BvR 1924/07).

Die Regelung greife nicht ungerechtfertigt in die grundrechtlich gewährten Freiheits- und Gleichheitsrechte der Betroffenen ein, so das BVerfG. Zudem wurde ein Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und insbesondere auch den Vertrauensschutz verneint (ausführlich hierzu siehe BVerfG, Beschluss vom 7. April 2008 – 1 BvR 1924/07). BvR 1924/07).

Das BVerfG hat auch die Anordnung des vollen allgemeinen Beitragssatzes auf Versorgungsbezüge als verfassungsgemäß bestätigt (grundlegend hierzu und zum Folgenden siehe BVerfG, Beschluss vom 28. Februar 2008 - 1 BvR 2137/06). Die Maßnahme zur Deckung einer zunehmenden Finanzierungslücke, deren Ursache der medizinische Fortschritt und die zunehmende Zahl älterer Menschen sind, war nach Feststellung des BVerfG erforderlich und für die betroffenen Bürger zumutbar.

Somit verstärkte sich seit Jahren der Druck auf die Politik, dass die Bezieher von Betriebsrenten künftig – wie dies ja auch bei der gesetzlichen Rentenversicherung der Fall ist- nicht den vollen, sondern nur den halben Beitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung tragen müssen.
Auch hier blockiert die Union seit der Anhörung im Gesundheitsausschuss 12.12.19, einen Gesetzesentwurf zur Einbeziehung der freiwillig Versicherten. Obwohl der (GKV-Spitzen-verband) hier Handlungsbedarf sieht, konnte bis dato keine Einigung erzielt werden.
Auch diesem Punkt räume ich eine absolute Priorität ein.

Doppeltverbeitragung
Seit Jahren fordern Gewerkschaften und Betroffene, dass der Gesetzgeber auch im Sozialversicherungsrecht nicht nachträglich in bereits bestehende Verträge und aufgebaute Anwartschaften eingreifen kann, sondern allenfalls mit Folgewirkung für Zukunft. Diese Form der Doppelverbeitragung ist eine relativ einmalige Situation im System der ergänzenden privaten und betrieblichen Altersversorgung.
Zumindest im Steuerrecht werden entweder die Beiträge oder die Leistung, aber niemals beide zugleich abgabenrechtlich erfasst. Das gilt im Bereich der Krankenversicherung auch für private Riester – Renten. Hier werden die Beiträge, nicht aber die späteren Renten erfasst.

Das sollte auch künftig für Betriebsrenten gelten.

Zum weiteren Verständnis verweise ich auch auf die Antwort der Bundesregierung zur Kleinen Anfrage der Abgeordneten Jörg Schneider, Dr. Axel Gehrke, Paul Podolay und weiterer Abgeordnete sowie die Fraktion der AfD, Drucksache 19/4144 - vom 21.09. 2018

Heil und seine Riester-Renten-Garantie
Anlässlich der Pressemitteilung von Hubertus Heil vom 01.d.M. mit der Überschrift
Bundesminister Heil gibt Riester – Rente Garantie
„Wir werden Menschen, die sich für diese Vorsorge entschieden haben, nicht den Boden unter den Füßen wegziehen“, bekam ich eine Vielzahl von Zuschriften, dass die Politik erneut mit zweierlei Maß argumentiert und damit neue Ungerechtigkeit schafft.

Fairerweise muss ich dazu aber sagen, dass die Riester – Rente in den Bereich des Bundesarbeits- und Sozialministeriums fällt und somit rein rechtlich vom Gesundheitsmodernisierungsgesetz zu trennen ist. Dennoch kann ich die Wut und Enttäuschung der Betroffenen gut nachvollziehen. Denn es geht nicht an, dass jedes Ministerium nach Gutdünken mit eigener Gesetzesphilosophie handelt.

L ö s u n g s v o r s c h l a g f ü r P o l i t i k e r

So bleibt nach derzeitigem Stand letztendlich der Weg über den Gesetzgeber. Wenn die tatsächlich unterschiedlichen Arten der Direktversicherungen, besonders hinsichtlich der Finanzierungsunterschiede, in der Beitragspflicht auch sozialrechtlich unterschiedlich behandelt werden sollen, muss der Bundestag tätig werden.

Ich würde mich daher über eine klare Antwort freuen.

Mit freundlichen Grüßen
Horst Gehring

Ps.: Zu Ihrer Kenntnis teile ich Ihnen auch mit, dass führende CDU-Politiker im Rahmen einer Telefonkonferenz mich um ein klärendes Gespräch zur Lösung der von mir angesprochenen Thematik gebeten haben.
Dieses Gespräch ist auf dem 05. Juli 2021 terminiert.

-------
AG Grüne Alte mit Referent Markus Kurth “Für ein gutes und selbstbestimmtes Leben im Alter: das Grüne Rentenkonzept im Bundestag” – digitaler Workshop
Liebe Freundinnen und Freunde, wir laden euch herzlich ein zum exklusiven digitalen Workshop der AG Grüne Alte mit Referent Markus Kurth, rentenpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, mit dem Thema “Für ein gutes und selbstbestimmtes Leben im Alter: das Grüne Rentenkonzept im Bundestag“ am Donnerstag den 08.07.2021, 18.00 – 19.30 Uhr.
Webseite Markus Kurth: Link

Quelle: Horst Gehring