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ALTERSDISKRIMINIERUNG im Gesundheitswesen - Studie der ADS Berlin

Foto: H.S.

04.08.2021 - von Hanne Schweitzer

Je älter der Mensch, umso größer ist das Risiko, dass er von Ärzten, Pflegern, Krankenkassenmitarbeitern usw. wegen seines Alters diskriminiert wird. Der diskriminierungsfreie Zugang zur Gesundheitsversorgung gilt als Menschenrecht. Trotzdem kommt es im deutschen Gesundheitswesen täglich zu persönlichen oder institutionellen Altersdiskriminierungen. Schon 2001, also vor 20 Jahren, entfielen je 11 Prozent aller 1.598 Beschwerden von Frauen und Männern, die sich am 1. bundesdeutschen Beschwerdetags zum Thema Altersdiskriminierung beteiligten, auf die Rubrik "Altersdiskriminierung durch Ärzte und Krankenkassen". Seit dem 29. Juli 2021 liegen die Ergebnisse einer sozialwissenschaftlichen Studie vor, die von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegeben wurde.

Die Autorinnen, Susanne Bartig, Dorina Kalkum, Ha Mi Le und Aleksandra Lewicki, erhielten den Auftrag, den internationalen Wissensstand über Diskriminierungen im Gesundheitswesen zusammenzutragen und den Bedarf an weiterer Forschung zu ermitteln. Die Ergebnisse geben u.a. Antworten auf folgende Fragen: Welche Erfahrungen mit Diskriminierung im Gesundheitswesen haben Patienten/ Krankenversicherte gemacht? Welche Risiken bestehen, diskriminiert zu werden? Wer diskriminiert und wer wird diskriminiert?

Die Studie untersucht unterschiedliche Gründe für Diskriminierung. Ein eigenes Kapitel ist dem Thema "Altersdiskriminierung im Gesundheitswesen" gewidmet.

So wird z.B. über eine Untersuchung berichtet, bei der von einer Gruppe 40- bis 54-jähriger PatientInnen nur zwei Prozent angegeben haben, wegen ihres Alters in der medizinischen Versorgung benachteiligt geworden zu sein. Bei der Gruppe der 70- bis 85Jährigen (als ob es keine älteren PatientInnen gäbe! Aktuell sind mehr als 20 000 Menschen hierzulande älter als 100 Jahre!) berichteten dagegen 7,2 Prozent über Altersdiskriminierung.
Zitiert wird aus einer anderen Untersuchung, wonach mehr als die Hälfte aller Altersdiskriminierungen im Gesundheitswesen (53,1 Prozent) durch Ärzt*innen erfolgte. In 18,8 Prozent war es das pflegende Personal, und in 9,4 Prozent gingen die Altersdiskriminierungen von jüngeren Patient*innen aus.
Bei Kindern und Jugendlichen sind Altersdiskriminierungen systembedingt. Ursache dafür ist der (politisch gewollte) Rückgang der flächendeckenden Versorgung mit Kinderkrankenhäusern und speziellen Kinderabteilungen.

Die Studie kommt zu Ergebnissen die - besonders in einer alternden Gesellschaft - NIEDERSCHMETTERND sind
Aber was kann man in einer Gesellschaft erwarten, in der die Gesundheitsversorgung zur Ware geworden ist und die Ökonomisierung des Gesundheitsbereichs samt der Sparpolitik von kenntnislosen Gesundheitspolitikern und intriganten Verbandsfunktionären immer weiter vorangetrieben wird? So wird der Nährboden bereitet für die altersdiskriminierende Behandlung bzw. Nichtbehandlung älterer Menschen.
Bisher wehren sich nur die Beschäftigten in den Krankenhäusern gegen ihre miserablen Arbeitsbedingungen. PatientInnen und Krankenversicherte, also die Patienten in spe, unternehmen zu wenig, um sich gegen den weiteren Abbau der Versorgung und immer mehr Zuzahlungen zusammenzutun und eine altersgerechte gesundmachende Versorgung für ALLE zu fordern.

Der Stand des bundesdeutschen Gesundheitswesens kann - mit Blick auf Altersdiskriminierung als Fazit der Studie so beschrieben werden:

- Es fehlen aktuelle und differenzierte Studien, welche die Ungleichbehandlung wegen des höheren Lebensalters in den verschiedenen Bereichen der Gesundheitsversorgung (ambulante versus stationäre Gesundheitsversorgung, Rehabilitation) und in ihren Erscheinungsformen systematisch erfassen.

- Es liegen keine empirisch fundierten Studien vor, die sich explizit mit den Formen und Auswirkungen institutioneller Diskriminierung aufgrund eines höheren Lebensalters auseinandersetzen.

- Institutionelle Rahmenbedingungen führen zur Ungleichbehandlung älterer Menschen in der Gesundheitsversorgung.

- Medizinische Leistungen oder Behandlungen werden älteren Menschen vorenthalten.

- Es gibt strukturelle Lücken in der gesundheitlichen Versorgung von älteren Menschen.

- Es herrscht ein Mangel an belastbaren Erkenntnissen über das Ausmaß der Vorenthaltung medizinischer Leistungen aufgrund des höheren Lebensalters und die Auswirkungen dieses Mangels auf die Qualität der gesundheitlichen Versorgung von älteren Patient*innen.

- Es liegen keine fundierten Studien zu den Gründen für die geringere Teilnahme an Präventionsleistungen durch ältere Menschen vor.

- Der Zugang zu (geriatrischen) Rehabilitationseinrichtungen ist erschwert, unter anderem aufgrund der restriktiven Genehmigungspraxis der Kostenträger.

- Die Versorgungsstruktur mit geriatrischen Rehabilitationseinrichtungen ist insgesamt defizitär.

- Es liegen keine Erkenntnisse vor über mögliche Alters-Diskriminierungserfahrungen im Entlassungsmanagement nach dem Krankenhaus- und Rehabilitationsaufenthalt.

- Bislang wurde nicht systematisch untersucht, worauf das mangelnde Interesse von jungen Ärzt*innen an älteren Patient*innen zurückzuführen ist.

- Es gibt Defizite im geriatrischen Fachwissen.

- Defizitorientierte Altersbilder und mangelndes geriatrisches Fachwissen beeinflussen sowohl die Diagnose als auch den Zugang zu medizinischen und therapeutischen Behandlungsformen.

- Negative Einstellungen gegenüber älteren Patient*innen sind unter dem medizinischen Personal verbreitet.

- Es existiert eine wesentliche Forschungslücke die darüber Auskunft gibt, inwieweit defizitorientierte Altersbilder in der stationären und ambulanten Gesundheitsversorgung verbreitet sind, ob und wenn ja wie die adäquate Behandlung älterer Menschen dadurch möglicherweise beeinflusst wird.

- Forschungen fehlen über den Einfluss von diskriminierender Kommunikation des medizinischen Personals mit älteren Patient*innen auf die gesundheitliche Versorgung.

- Es existieren keine Studien darüber, ob es zwischen dem medizinischen und pflegenden Personal Unterschiede im Umgang mit den älteren Patient*innen gibt und, falls ja, worin diese begründet liegen.

Das Kapitel Altersdiskriminierung im Gesundheitswesen findet sich auf den Seiten 50 - 56.
Es ist unterteilt in:
- Diskriminierungsrisiken aufgrund negativer Altersstereotype
- Diskriminierende Kommunikation
- Diskriminierungsrisiken aufgrund von Altersrationierung
- Institutionelle + strukturelle Diskriminierungsrisiken aufgrund des höheren Lebensalters
- Unterschiede in der Inanspruchnahme von Leistungen des Gesundheitssystems
- Diskriminierungsrisiken im Zusammenhang mit COVID-19

"Diskriminierungsrisiken und Diskriminierungsschutz im Gesundheitswesen – Wissensstand und Forschungsbedarf für die Antidiskriminierungsforschung" finden Sie auf der Webseite der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter: Link

Quelle: Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Studie von Susanne Bartig, Dorina Kalkum, Ha Mi Le, Aleksandra Lewicki