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Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege

18.04.2006 - von Ralph Liebig Dipl.-Verw.-Wirt

Wenn in unserem Rechtsstaat die Kranken und Pflegebedürftigen notwendige - und Ihnen gesetzlich zustehende Leistungen zur Sicherstellung von Lebenserhaltung und Lebensqualität wegen der Richtlinien zur Häuslichen Krankenpflege - nur nach Anrufung der Gerichte erhalten können, fühlt man sich in Zeiten zurückversetzt, als Alte, Kranke und Schwache, die das Tempo der Horde nicht halten konnten, die Axt an die Schläfe gesetzt bekamen.

Genau diese Qualität des sozialen Miteinanders haben wir durch den zielsicheren Reformeifer der letzten sechs Jahre in unseren Sozialversicherungssystemen nunmehr erreicht.

Auf welche medizinischen und pflegerischen Leistungen Versicherte Anspruch haben, das ist in Gesetzen geregelt, die von den Dienstleistern, den Ärzten, den Krankenkassen, den Krankenhäusern und Pflegediensten, einzuhalten sind.

Gerichte entscheiden streitige Fälle und neu(!) auch Fälle, bei denen die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht gegeben war.

Dazu muss man wissen: Um nach dem berüchtigten Ermächtigungsgesetz Hitlers Wiederholungen vorzubeugen, enthält das Grundgesetz das zwingende Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, welches Willkür
ausschließen soll.

Es gilt somit grundsätzlich: Kein Handeln ohne Gesetz und keine Handeln gegen das Gesetz.

Praktisch bedeutet das: Verwaltungen, die Gesetze aus Wirtschaftlichkeitsgründen via Richtlinien, Verordnungen oder andere Parameter jedes Jahr neu anpassen sollen, müssen dazu im Gesetz explizit (mit sog. Ermächtigungsgrundlage)ermächtigt sein.(Pikant: Selbst ermächtigungsfreie Richtlinien und Verordnungen binden die Behörden - nicht aber die Gerichte!)

Leistungsbeschränkungen, die ohne Ermächtigungsgrundlage verfügt werden, verstossen gegen das Verfassungsgebot gesetzmäßiger Verwaltung aus Art. 20 Abs. 3 GG und sind Willkür.

Mit solchen Richtlinien wurden und werden Tausende kranker Pflegebedürftiger oder Patienten von den Ihnen gesetzlich zustehenden Leistungen getrennt, die Sie nunmehr nur noch auf dem Rechtswege überhaupt erlangen können.

Graue Panther (der Autor ist stellvertretender Vorsitzender der Grauen Panther Sachsen)beklagen bereits seit 2000 (AZ.: B 3 KR 14/99 30.03.2000) die perfide Praxis, den Patienten gesetzlich zustehende Leistungen auf dem Weg von Richtlinien des Bundesausschusses, bzw. jetzt des gemeinsamen Bundesausschusses für die Leistungserbringer verbindlich, aber ohne Parlamentsbeschluss,
einzuschränken.

Es gibt bereits mehrere Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) in zum Thema. Sie benennen Urteile die fehlende Ermächtigung und verdeutlichen so die
Verantwortungslosigkeit und Demokratiefeindlichkeit der Akteure.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat z.B. zur Kostenübernahme in der häuslichen Krankenpflege entschieden (B 3 KR 38/04 R 10.11.2005): Wenn ein schwer kranker Patient ständiger
Krankenbeobachtung bedarf, weil durch Verschlechterungen der Atemfunktionen oder wegen
Krampfanfällen eine medizinische Fachkraft jederzeit erforderlich werden kann, muss die Krankenkasse die Kosten im Rahmen der häuslichen Krankenpflege übernehmen. Den Verweis der beklagten Barmer Ersatzkasse auf Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses über häusliche Krankenpflege akzeptierten die Richter nicht: „Soweit die Richtlinien nur eine spezielle Krankenbeobachtung bei akuten Verschlechterungen einer Krankheit zur Kontrolle der Vitalfunktion sowie die Überwachung eines Beatmungsgerätes als verordnungsfähig erklären, schränken sie die gesetzliche Leistungsverpflichtung der Krankenkassen bei der Erbringung von häuslicher Krankenpflege ein, ohne dazu eine ausreichende gesetzliche Ermächtigung zu haben.[/[/b]b] Insoweit binden sie die Gerichte nicht", so das BSG im Bericht über das Urteil. Und weiter heißt es:

„Für eine Ausgrenzung notwendiger Leistungen aus dem Versorgungsauftrag der Krankenkassen, ihre Zuweisung zum Aufgabenbereich der Pflegekassen oder in die Eigenverantwortung der
Versicherten hat der Bundesausschuss keine Ermächtigung. Demzufolge bleiben Maßnahmen der Behandlungspflege, die im Einzelfall erforderlich und wirtschaftlich sind, auch außerhalb der HKPRichtlinien
in der Leistungsverpflichtung der Krankenkasse, und zwar unabhängig davon, ob es sich um die Behandlung einer akuten oder chronischen Erkrankung handelt“, heißt es im Urteil (B 3 KR 35/04 17.03.2005).

Als Lösungen böten sich z.B. an:
a) Die echte Stärkung der Patienten, Ihrer Rechte und Vertretungen im System.
b) Die Aktivierung der Rechtsaufsicht zur Garantie der Rechtsstaatlichkeit.
c) Die Sensibilisierung und Aktivierung der demokratischen Kontrolle der Selbstverwaltung in
der Sozialversicherung.
d) Die Einführung von Verbandsklagerechten analog Tier- und Umweltschutz.
e) Die Senkung von Hemmschwellen für Rechtsmittel und Rechtsschutz.
f) Die Errichtung eines Ombudsleute- und Beschwerdestellen-Netzes, wie bereits in den EU-Antidiskriminierungs-Richtlinien gemäß Art. 13 EG-Vertrag europaweit vorgesehen.
g) Mitsprache-, Stimm- und Veto-Rechte zusätzlich zu den derzeitigen Informationspflichten der Patientenvertreter und -organisationen im gemeinsamen Bundesausschuß etablieren.

Ein Umdenken und Umlernen der Verantwortlichen ist erforderlich:
Schluss mit altersbezogener Rationierung von Gesundheitsdienstleistungen!
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BSG: Kostenübernahme in der häuslichen Krankenpflege
Keine Ermächtigung zur Beschränkung der Leistungspflicht der Krankenkassen:
(AZ.: B 3 KR 14/99 30.03.2000), (AZ.: B 3 KR 35/04 17.03.2005)
(AZ.: B 3 KR 38/04 R 10.11.2005)

BSG-Rechtssprechung zur Leistungspflicht der Krankenkassen und Qualität der Richtlinien des gemeinsamen Bundesausschusses (gBA)
(B 3 KR 38/04 R 10.11.2005), (B 3 KR 14/99 30.03.2000), (B 3 KR 35/04 17.03.2005)

Link: http://www.bundessozialgericht.de
Quelle: Mail ans Büro gegen Altersdiskriminierung