13.11.2021
Plakate sind Medien. Das ist nichts Neues. Wahrscheinlich beginnt das mit Martin Luther, als der seine Thesen an die Kirchentür in Wittenberg nagelte und seine Reformatorenfreunde mit einer Fülle von Flugschriften an Kirchen, Hauswänden oder Mauern folgten. Ohne die Drucker allerdings, ohne Gutenbergs Erfindung wäre das nicht gegangen. Und immer im öffentlichen Raum. Hier sind Plakate ein spezielles Medium für Meinungen und Botschaften und in Zeiten geläufiger, in denen besonders gestritten wird.
Die 70er und 80er sind eine solche Zeit, mit dem Aufstand gegen traditionelle Autoritäten, der APO und der Frauenbewegung, den Hausbesetzern und Psychiatriekritikern, einer neuen Partei, den Grünen, dem Streit um Frieden und Umwelt.
Köln war ein Hotspot dieser Bewegungen und mittendrin war eine neue Druckerei, die die Medien der Szene in großer Auflage zu Papier brachte und eben auch gestaltete. Es waren hunderte Plakate, die in diesen Jahrzehnten im DruckBetrieb entstanden, oft in spontanen Prozessen, über Nacht getextet, gestaltet, gedruckt und geklebt. An Bauzäune, Häuserwände, Bahnunterführungen oder Litfaßsäulen. Und oft genug verfolgt wegen Sachbeschädigung,obwohl es nur Tapetenkleister war zwischen Wand und Plakat. Die Kleberinnen und Kleber waren Teil der Initiativen, des SSK, der Schüler und Lehrlinge, der Stadtteilprojekte oder Frauengruppen oder wer immer sich in den öffentlichen Diskurs einbringen wollte. Die Vorteile des Mediums: Es ist direkt. Ein Plakat ist kostenlos zu lesen und erreicht viele. Es ist einfach herzustellen und meinungsstark. Das ist der Inhalt, das Besondere an dieser Ausstellung. Sie versammelt Plakate, die sich visuell hervortun, die in Bild, Schrift und Text die Vermittlung von Botschaften leisten und meist von Jochen Stankowski entworfen wurden. Heute hat sich dieser Prozess in die digitale Welt verlagert und Plakate werden seltener. Ausnahmen sind Wahlen und natürlich der Kommerz. Dafür wird von den Kommunen der öffentliche Raum der Werbewirtschaft zur Verfügung gestellt. Die raumgreifenden Großplakate der Konsumindustrie werden allerdings zunehmend als Zerstörung des öffentlichen Raums empfunden.
Zu sehen sind AnSchläge zu folgenden Themenbereichen:
Die Drucker
Anfang 1972 gründeten die Brüder Jochen und Martin Stankowski zusammen mit Ivo Rode einen selbstverwalteten Druckbetrieb in Köln-Niehl unter dem Namen „Betrieb am Niehl“. Hier wurden über Jahrzehnte Materialien der Kölner Initiativen getextet, gestaltet und gedruckt: Flugblätter und Plakate, Schüler- und Betriebszeitungen, Broschüren, Flyer, Kleber, Bücher und alles, was im Offsetdruck hergestellt werden konnte. Zahlreiche Plakate dieser Ausstellung stammen aus dem DruckBetrieb. Das Kollektiv vergrößerte sich, einige gründeten später die Druckerei PrimaPrint am Brüsseler Platz. Der DruckBetrieb war auch Verleger des Kölner VolksBlatt.
Das Blatt
Ende 1973 erschien die erste Ausgabe des Kölner VolksBlatt. Es wurde zum Zentralorgan der zahlreichen Bürgerinitiativen, Basis- oder Projektgruppen mit allen Themen der neuen sozialen Bewegungen. Zugleich war es Medium für unterbliebene Nachrichten zu Großindustrie und Welthandel, Rüstungsfirmen und Solidaritätsgruppen, Flüchtlingen und Immigranten. Und
was damals für Medien ungewöhnlich war: Betroffene kamen selbst zu Wort. Aus dem Redaktionsarchiv entstand in den 80er Jahren das KölnArchiv als Sammlung aller Materialien der politischen und sozialen Bewegungen der Stadt. Der Plakatbestand dieser Sammlung ist Basis der Ausstellung.
Die Bilder
Immer waren Fotos und Bilder ein zentrales Medium der öffentlichen Kommunikation. Das VolksBlatt entwickelte eigene „Bildseiten“, die als Fotoreportagen einen visuellen Zugang zu den Themen boten. Fotograf der meisten Bilder war Gernot Huber, der bis Mitte der 80er Jahre an der Zeitung beteiligt war und seine Bildsprache entscheidend prägte. Ein anderes visuelles Medium war die Kölner Wochenschau, die als Videomagazin 1976 von Jochen Fischer, Christian Maiwurm, Monika Minzlaff und Heinrich Pachl gegründet wurde. Die Wochenschau war das erste politische Videoformat der Bundesrepublik. Die Videofilme wurden auf Fernsehmonitoren in Kneipen und im Kino, auf Straßen oder Plätzen vorgeführt.
Die Wand
32-mal erschien zwischen August 1982 und Februar 1985 die Kölner Wand-Zeitung. Die Auflage von 500 Exemplaren wurde an Bauzäune und Container, Bahnunterführungen, Abbruchhäuser,aber auch an Litfaßsäulen und öffentliche Gebäude geklebt. Das Impressum der ersten Ausgabe erklärt: „Weil wir keine Profis sind und auch keine werden wollen, deshalb drucken wir in der WandZeitung vorwiegend Flugblätter und Plakate ab, die gerade in Köln verteilt und veröffentlicht werden.“
Die Straße
Kaum eine Initiative, kaum ein Projekt in Köln hat eine so reiche Geschichte wie der SSK, die „Sozialistische Selbsthilfe Köln“. Entstanden 1969 im Übergang der APO von der Uni in die Stadt existieren SSK-Gruppen bis heute. Es ging und geht um die Menschen auf der Straße, um Wohnraum, Arbeit und um eine menschenwürdige Psychiatrie. Die SSK-Gruppen machten sich mit eigenen Firmen für Sperrmüll, Umzüge und Entrümpelung, aber auch mit
Altmöbel- und Kleiderhandel bis hin zum Anbau von Kartoffeln unabhängig von öffentlichem Geld. Die Mülheimer Selbsthilfe SSM betreibt seit neuestem ein Café am Rhein.
Die Häuser
Köln war in der alten Bundesrepublik neben Westberlin Hotspot der Hausbesetzerszene. Ziel war die Verhinderung von Leerstand und Abriss, die Aufdeckung von Spekulation, Kritik an
Banken und Versicherungen, die daran beteiligt waren.Plakate waren das zentrale Medium der Hausbesetzer. Sie dienten der Information unmittelbar am Ort der Auseinandersetzung. Wie heute mit den digitalen Sozialen Medien konnte man mit Plakaten schnell und unmittelbar agieren. Oft wurden sie über Nacht hergestellt und schon im Morgengrauen geklebt.
Die Heime
Menschen in geschlossenen Einrichtungen, in Heimen und Kliniken, stehen selten im Fokus der Öffentlichkeit. Die Zustände wurden in den 80ern zum Skandal, besonders in den psychiatrischen Kliniken mit Isolation, Zwang und Medikamentenmissbrauch. Angegriffen wurde dabei neben kirchlichen Heimen meist der Landschaftsverband Rheinland (LVR) als
Träger der Landeskrankenhäuser. Dagegen gründeten SSK-Mitglieder, Ärzte und Angehörige von Betroffenen „Beschwerdezentren“, die die Situation in Heimen und Kliniken öffentlich machten und auch direkt in den Einrichtungen intervenierten. Die gleichermaßen korrekten wie massiven Attacken haben die Psychiatrie im Rheinland verändert. Die Klinik in Brauweiler mußte geschlossen werden.
Der Knast
Seit den 70er Jahren sprach man in der Bundesrepublik von „Politischen Häftlingen“. Das waren im damaligen Sprachgebrauch die inhaftierten Mitglieder der RAF, „Rote Armee Fraktion“. Um ihre Kommunikation zu erschweren, wurden sie in den Haftanstalten von der Außenwelt abgeschnitten, die Anwaltsbesuche kontrolliert und Kontakte verhindert. Auch in der Kölner Haftanstalt Ossendorf wurden diese Häftlinge isoliert, wogegen ein örtliches Komitee aus Kölner Prominenten protestierte. Sie teilten nicht die gewalttätige Praxis der RAF, kritisierten aber als „Folter“, wie die Justiz mit ihnen umging, vor allem die totale Isolation.
Das Ludwig
Der Bau des Museum Ludwig, heute ein Kunstmagnet für Touristen wie für Kölnerinnen und Kölner, war nicht unumstritten – nicht wegen der Kunst, sondern wegen der Kosten. Der Baubeschluss 1976 sah Mittel von mehr als 300 Millionen D-Mark für das Museum vor. Neben der öffentlichen Kontroverse inszenierten die Gegner diverse Happenings. Sie machten dem
Stadtrat eine eigene „Kunstschenkung“ als Alternative zu Ludwigs Sammlung der Pop Art und eröffneten dafür das „Neue Museum Ludwig“ in einer leer stehenden Schule am Severinswall.
Krieg & Friede
Schreibt man die Geschichte der Bundesrepublik anhand ihrer politischen Kontroversen, sind die Themen Wehrpflicht, Bundeswehr und Militär von großer Bedeutung. Von der „Ohne-Mich-Bewegung“ der Nachkriegszeit über die Kriegsdienstverweigerung und die Ostermärsche bis zur Nachrüstungsdebatte und Friedensbewegung der Gegenwart ist dieses Thema ein Dauerbrenner.
Kirche & Religion
Die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik.“ Für viele gilt die Marxsche
These von 1844 noch heute, denn Kirchen und Religion sind immer auch Objekt der kritischen Linken. Beim Essener Katholikentag im August 1968 konnten erstmals Gruppen des kritischen
Katholizismus die Debatten bestimmen: Ob Sexualität oder Entwicklungshilfe, Mission, Militärseelsorge oder Religionsunterricht, alles war Thema. Als Monatszeitung erschien der „Kritische Katholizismus“ bis Anfang der 70er Jahre.
Schrift & Form
Briefmarken und Plakate sind unterschiedliche Medien, die aber eine Gemeinsamkeit teilen: Ihre Botschaft muss auf den ersten Blick sichtbar sein. Entscheidend ist die Typografie, die Gestaltung und Anordnung von Schrift. Wenn die Anwendung von Schrift zur Form wird, entsteht ein visueller Eindruck, ein Bild. Jochen Stankowski verwendet häufig die Akzidenz-Grotesk, die 1898 von der Schriftgießerei H. Berthold entwickelt wurde. Sie gilt als Meilenstein der Schriftgestaltung und hat zahlreiche Schrift-Typen beeinflusst, wie etwa die heute populäre Helvetica.
Mensch & Rechte
Die Menschenrechte sind Basis und Bezugspunkt aller politischen, sozialen oder humanitären Tätigkeiten. Hannah Arendt: „Es gibt ein Recht, Rechte zu haben.“ Das ist auch Motto der Stuttgarter AnStifter, einer 1989 entstandenen Bürgerbewegung, die vielfältig aktiv ist in der Kommunikation und Kooperation zwischen unterschiedlichen Menschen und Gruppen im Sinne einer interkulturellen, toleranten Gesellschaft.
Frauenbewegung
Seit den frühen 70er Jahren wird von einer Neuen Frauenbewegung gesprochen. Köln war neben Westberlin eines der Zentren. Die Themen: Paragraf 218 und die Kriminalisierung der Abtreibung, Gewalt gegen Frauen, lesbische Liebe, Bildung, Erziehung und Familie sowie kulturelle Sichtbarkeit. 1976 wurde in Köln das erste autonome Frauenhaus der Republik eröffnet und im selben Jahr auch das Frauenzentrum in der Eifelstraße,das schon bald „das“ Zentrum der autonomen Frauenszene war. Der Kölner Frauengeschichtsverein prägt bis heute die feministische Sicht auf Geschichte und Gegenwart der Stadt.
Köln
Ambiguitätstoleranz ist nicht nur ein Merkmal von Kunst und Religion - auch von Köln. Es ist die Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten, sich nicht zu entscheiden, offen zu sein und offen zu bleiben. In diesem Sinne war Köln immer eine Stadt kultureller Widersprüche und Humus zahlreicher sozialer Bewegungen. Das Kölsche Grundgesetz hat das mit „Et es wie et es“ und „Et kütt wie et kütt“ auf den ironischen Punkt gebracht. Berufsverbote und Nacht-
gebete, Straßenmusik oder Freie Radios, Günter Wallraff, Klaus der Geiger und Heinrich Pachl, die Gewerkschaften und die StollwerckBesetzer, sie alle gehören in diese Stadt und nehmen mit ihren Plakaten und Botschaften am öffentlichen Dialog teil.
Fotos & Plakate
Während bei Jochen Stankowski Schrift und Typografie die Hauptrolle spielen, ist es bei Eusebius Wirdeier die Fotografie. 1987/88 organisierte der Fotograf für die StadtRevue Plakate mit Motiven aus Kunst, Kultur und Politik als öffentliche Werbung. Die Serie ist aber mehr als Werbung, hier manifestiert sich ein zweiter Blick auf die Stadt, wird ihre Ambivalenz deutlich. Und sie entspricht der StadtRevue, bis heute das kritische Medium in
Köln, selbstverwaltet und selbstbestimmt. Eusebius Wirdeier hat das Konzept entwickelt, Fotografen und Bilder ausgewählt,die Plakate gestaltet und wie eine Ausstellung kuratiert.
Ausstellung in den "Kunsträumen Horbach" Wormser Str. 23, Köln-Südstadt
Geschrieben – Gestaltet – Gedruckt – Geklebt
AnSchläge. 5 Jahrzehnte politische Plakate in Köln
Veranstalter: KölnArchiv e.V.
Eröffnung: So 31. Oktober 2021, 11 Uhr mit:
- Jürgen Becker
- Prof. Dr. Christof Breidenich
- Martin Stankowski
- Günther Wallraff
Bewirtung: MachMit/SSM Mülheim
Ausstellung bis 24. November 2021
Öffnungszeiten: Mi 17–19 // Fr 17–19 // Sa 14–17 // So 11–14h
Ort: Kunsträume Horbach Wormser Str. 23, Köln-Südstadt
Freundlich unterstützt durch:
Buchhandlung Walther und Franz König, Köln
Heimat-Scheck NRW
Verantwortlich: Joachim Heinlein
Konzept und Gestaltung:Jochen + Martin Stankowski
Die Ausstellung wird ergänzt mit Veranstaltungen in den Kunsträumen Horbach, Wormserstr. 23, Köln-Südstadt
Mittwoch 3.11 2021 - 18.00 Uhr
Thema: Häuser und die darin wohnen
Impulse: Dr. Ursula Christiansen, Sozialdezernentin a.D.;
Rainer Kippe, SSK/SSM;
Andreas Hupke, Bezirksbürgermeister Innenstadt
Diejenigen, die sich dem Wirken von SSK/SSM (nochmal) auch textlich nähern wollen, sind eingeladen, in der Contraste-Ausgabe 422 vom November 2019 mit dem Schwerpukt "Selbsthilfe verändert die Welt" zu stöbern. Link Auf der SSM-Homepage Link finden sich "Unter uns" zudem die Broschüren des Institutes für Neue Arbeit "20 Jahre SSM" und "30 Jahre SSM zum freien Download. In der kommenden November-CONTRASTE ist der Anschläge-Ausstellung ein ganzseitiger Artikel gewidmet. Diese wird wie der Katalog der Ausstellung zum Verkauf ausliegen. Der SSM-Kalender "Mülheim siebenmal anders" 2022 wie das Buch "Ratschläge gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung" können ebenso erworben werden. Wir freuen uns auf einen spannenden November in den "Kunsträumen Horbach" in der Kölner Südstadt. Freundlich grüßt Heinz Weinhausen
Samstag 6.11. 2021 - 16.00 Uhr
Thema: Heime und Psychiatrie in Freiheit und Würde
Impulse:
- Werner Heidenreich, ehemals Beschwerdezentrum des SSK;
- Prof. Dr. Meinolf Noeker, Dezernent der Kliniken des LWL
- Moderation: Joachim Heinlein
Samstag 13.11.2021 - 16.00 Uhr
Thema: Das Kölner VolksBlatt
Impulse:
- Thomas Weidenbach;
- Martin Stankowski (beide damals dabei)
Moderation: Roland Schüler, Friedensbildungswerk
Samstag 20.11.2021 - 16 Uhr
Thema: Frauen bewegen
Impulse:
- Claudia Pinl, Zeitzeugin;
- Nuria Cafaro, Frauengeschichtsverein
Moderation: Irene Franken, Alternative Ehrenbürgerin
Samstag 20.11.2021 - 17 Uhr
Vier Filme der Kölner Wochenschau
- Homo Bayer.
- Dünnsäure-Blockade.
- Stollwerck-Sanierung und Abriss.
- Nippes- der Kampf gegen die Stadtautobahn.
präsentiert von Irene Schoor und Marion Kranen, "Köln im Film",
Moderation: Li Daerr
Mittwoch 24.11.2021 - 18.00 Uhr - Finissage
Thema: Der Öffentliche Raum und die Kunst des Klebens
Impulse:
- Edith Lunnebach, Rechtsanwältin;
- Thomas Janzen, Kulturletter;
- Kay von Keitz, Vors. Kunstbeirat der Stadt Köln
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit einem Beitrag von Louis Peters
Druck: Betrieb
21 x 21 cm, 84 Seiten ca 300 Abb.
Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln
ISBN 978-3-96098-871-7 16,- EU
Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema
Termine:
05.10.2024: Berlin: 75 Jahre DDR. Was bleibt?
05.10.2024: Berlin: Cineastisches aus der DDR - Filmreihe DDR 75 im Babylon
06.10.2024: kÖLN: Verkehrswende abgesagt? Da kannste dran fühlen!
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