09.06.2006 - von Hanne Schweitzer
"Mit der Unabwendbarkeit einer Lawine donnert das Allgemeine Gleichstellungsgesetz, vormals Antidiskriminierungsgesetz genannt, zu Tal." So beginnt der Kommentator der FAZ mit dem Kürzel "Dt" seinen Text über den Gesetzentwurf, der am 22. Juni in den Bundestag soll. Damit aber noch weniger als ursprünglich davon übrig bleibt, heizt der Kommentator die Stimmungsmache weiter an indem er fortfährt: "Aufgebaut hat sich dieses Ungetüm (UNGETÜM!), in luftigen, dem bloßen Auge entzogenen Höhen der Brüsseler Bürokratie."
Fakt ist:
Ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, für dessen Erarbeitung dieser Staat immerhin sechs Jahre brauchte, ist ein MUSS, das nicht weiter verzögert werden kann. Es droht eine Strafzahlung von 960.000 Euro. Pro Tag, an dem EU-Vertragswidrig immer noch kein AGG verabschiedet ist.
Dazu muss man wissen: Das zu Tal donnernde "UNGETÜM" wurde in Amsterdam kreiert. Dort trafen sich in den 90iger Jahren die Chefs der EU-Staaten, um dem Maastrichter Einigungsvertrag einen "Nachfolgevertrag" folgen zu lassen.
Kohl unterschrieb ihn für uns, er war schließlich Kanzler.
Nicht "in luftigen, dem bloßen Auge entzogenen Höhen der Brüsseler Bürokratie", sondern in denen des windigen Amsterdam unterschrieb der Dicke den Amsterdamer Vertrag und damit auch Artikel 13.
Über den wird erzählt, dass es erklärtes Ziel der deutschen Verhandlungsdelegation gewesen sein soll, ihn unbedingt hinaus zu verhandeln.
Es fand sich aber dafür keine europäische Mehrheit.
Der den Deutschen nicht genehme Artikel 13 nennt u.a. "Alter" als Merkmal, das in der EU oft Anlass für Diskriminierung ist.
Artikel 13 folgend, wird kurze Zeit später der Europarat von der Kommission aufgefordert, MINDESTANFORDERUNGEN zu erarbeiten, um Artikel 13 verbindlich zu realisieren - in ALLEN EU-Staaten.
Beamte aus allen europäischen Ländern, Politiker und Lobbyisten, auch die aus deutschen Amtsstuben und Büros, machen sich in der luftigen Höhe der Brüsseler Bürokratie an die Arbeit.
Im Jahr 2000 sind die Richtlinien zur Gleichbehandlung fertig und werden vom Europäischen Parlament und vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuß durchgewunken.
Die Richtlinien müssen nun in allen EU-Staaten bis 2003 in nationales Recht umgesetzt werden.
Überall wird daran gearbeitet, bei uns nicht. Überall in Europa gibt es inzwischen Gesetze gegen DIskriminierung. Bei uns nicht.
Luxemburg und D. sind die beiden Staaten der EU, die nach dreijähriger Fristverlängerung immer noch nicht mit der Einhaltung des Amsterdamer Vertrags zu Potte gekommen sind, noch immer gibt es kein Gleichbehandlungsgesetz in D.
Die Parlamentarier in den EU-Ländern haben ihren Bürgern die Möglichkeit, sich juristisch gegen eine Verletzung ihres Rechts auf Gleichbehandlung wehren können, längst schriftlich gegeben. Vielleicht der Idee folgend: Die Menschen sind (zum Glück) nicht gleich, aber sie haben ein Recht auf Gleichbehandlung.
Warum z.B. akzetiert die Sparkassenfiliale Nördlicher Breisgau keine Bürgen für über 70Jährige Kreditantragsteller? Kredit ablehnen wegen des Alters und liquiden Bürgen nicht akzeptieren - wo gibt es denn sowas? Na bei uns, in Teutschland.
Bleibt die Frage: Welche Ursache hat die kalte Empörung der bundesdeutschen Gleichbehandlungsgegner?
Was geht im Kopf eines Journalisten des Bauer Verlags vor, der in seiner Zeitung schreibt, dass es "ein zunehmendes ÜBERANGEBOT älterer Menschen geben" wird?
Was führt ein baden-württembergischer Justizminister im Schild, wenn er vom Gleichbehandlungsgesetzentwurf von einem "Machwerk" spricht? Will er aus der EU austreten? Ist das Junkergesinnung, die sich da äußert?
Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema
Justiz:
09.06.2006: Forderungen an Gleichbehandlungsgesetz
03.06.2006: Berliner Seniorenmitwirkungsgesetz von 2006
03.06.2006: Bundesrat stutzt AGG
Alle Artikel zum Thema
Justiz