Foto: H.S.
26.09.2022 - von Hanne Schweitzer
"Leider muss auch ich wegen meines Alters eine Prämienerhöhung bei der ADAC Auslandskrankenschutzversicherung von 34,90 € auf 67,20 € und bei der ADAC Reiserücktrittsversicherung von 166,40€ auf 277,90 € hinnehmen. In der Politik wird derweil diskutiert, das Rentenalter zu erhöhen! Dafür bin ich dann jung genug ?? Wie kann man hiergegen Einspruch einlegen ?
Mit freundlichen Grüßen
W.S.
Leider ist es so: Herr S. kann toben, seine Police aus dem Fenster werfen, Briefe oder Mails an den ADAC schicken, er kann Petitionen einreichen, die Bundestagsabgeordneten seines Wahlkreises über seine altersdiskriminierenden Prämienerhöhungen informieren, oder die Zahlung verweigern: Es wird nichts nützen. Er ist 66 Jahre alt geworden. Dafür kann er nichts, aber sein Auslandskrankenversicherungsschutz wird trotzdem um knapp das Doppelte teurer bleiben (es fehlen "nur" noch 2,60 €), ebenso wie die Versicherung des Reiserücktritts, zu deren Verdopplung "nur" noch 10 Euro und 10 Cent nötig sind.
Gänzlich unbeeindruckt von Protesten, Flüchen und Verwünschungen wird der ADAC allein von Herrn W. 143,80 € mehr kassieren als im Jahr zuvor. Es sei denn, Herr S. kündigt seine Verträge, trägt das Risiko des Reisens fortan alleine oder er macht sich auf die Suche nach einer preiswerteren Versicherung.
Sind die Prämien dort niedriger, bedeutet das keineswegs, dass Altersdiskriminierung im Management abgelehnt wird. Vielleicht werden die Vorstände nicht so plump argumentieren wie der ADAC. Der nennt höhere Prämien wegen des Lebensalters "marktüblich und Marktstandard". Mit anderen Worten: alle betreiben Altersdiskriminierung, also machen wir es ebenso. Im Alter steige schließlich die Wahrscheinlichkeit der Leistungspflicht überproportional an, und die Schäden seien höher. Die haarsträubenden Behauptungen werden unterfüttert mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.
In Paragraf 19 dieses Gesetzes steht: (1) Eine Benachteiligung aus Gründen ... des Alters ... bei der Begründung, Durchführung und Beendigung zivilrechtlicher Schuldverhältnisse, die ... eine privatrechtliche Versicherung zum Gegenstand haben, ist unzulässig. Der Paragraf 19 wird vom ADAC aber nicht erwähnt.
Zitiert wird nur der Paragraf 20. Der ist ein Freibrief für die Versicherungswirtschaft und lautet auf das Lebensalter bezogen, so: 2Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen ... des Alters ... ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung ... auf anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation beruht, insbesondere auf einer versicherungsmathematisch ermittelten Risikobewertung unter Heranziehung statistischer Erhebungen.
Der Versicherungslobby ist es vor der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gelungen, diesen für sie so wichtigen Satz geschickt im Gleichbehandlungsgesetz zu platzieren. Er ähnelt einem weitmaschig geknüpften Fischernetz. Jede Beschwerde über die Erhöhung der Prämie wegen des Lebensalters kann hindurch flutschen. Denn wer bestimmt, was anerkannte Prinzipien risikoadäquater Kalkulation sind? Und welche Versicherung würde ihre Kalkulationen öffentlich machen? Die sind, wie in jedem Unternehmen, ein Betriebsgeheimnis. Vor allem: Versicherungen sind ein Geschäft. Wer sie anbietet, will damit Geld verdienen, Gewinne, Profit machen.
Herr S. hat seine Versicherungen bei der ADAC Versicherung AG abgeschlossen. Im Handelsregister von München wurde am 31.12.2021 eine Änderung bei der ADAC Versicherung AG eingetragen. Ihr Grundkapital erhöhte sich 100.000,00 EUR. Es beläuft sich seitdem auf 30.100.000,00 EUR. Dazu muss man wissen: Die Versicherung AG des ADAC ist nur eine aus dem Konglomerat von 25 Tochter- und Beteiligungsunternehmen, als deren Mutter die ADAC SE fungiert. Die Aktiengesellschaft europäischem Rechts sitzt in einem Münchener Gebäudekomplex, in dessen Foyer vier Rolltreppen nach oben führen, und die bevorzugten Büros Alpenblick haben.
Unter den Töchtern der ADAC SE finden sich neben der ADAC Versicherung AG die (noch) als GmbH organisierten ADAC Finanzdienste, die ADAC Autovermietung, die ADAC Service GmbH, das Joint Venture der ADAC Autoversicherung AG (49%) mit der ALLIANZ-Versicherung-AG (51%) sowie die ADAC IT Service GmbH. Von der ADAC SE werden die in ihrem Besitz befindlichen Gesellschaftsanteile der Tochtergesellschaften verwaltet. Umsatz im Geschäftsjahr 2020: 1.026 Milliarden Euro. Womit wir - endlich beim ADAC e.V. wären. Der eingetragene Verein ist Mehrheitseigentümer des Wirtschaftsunternehmens ADAC SE. Der ADAC Verein hält hält 57,74 Prozent. Weitere Anteile hat die ADAC Stiftung (25,10 Prozent) sowie mehrere ADAC Regionalclubs über Beteiligungsgesellschaften (17,16 Prozent).
Herr S. könnte davon ausgehen, dass sich das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Bezug auf die angeblich "zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Lebensalters" in dieser Wirtschaftsordnung nicht veränderbar ist. Der sogenannte Automobilclub und die anderen Versicherungsunternehmen verdienen gut an den höheren Prämien für die Älteren. Das Geschäft werden sie sich nicht kaputt machen lassen. Schon gar nicht von der unabhängigen Antidiskriminierungsbeauftragten des Bundesparlaments, Frau Ataman. Bei allen Vorschlägen für das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, die bisher von ihr vorgetragen wurden, fehlt eine Änderung des Paragrafen 20. Sollte sich das wider Erwarten ändern: Im Geschäftsbericht 2021 der ADAC SE findet sich unter ADAC Versicherung AG ein Kapitel mit der Überschrift "Zur Überprüfung wichtiger interner Kalkulationen". Darin erfährt man, dass die ADAC Versicherung AG eine Versicherungsmathematische Funktion unterhalb des Vorstandes als Stabsstelle eingerichtet hat. Ihre Aufgabe besteht u.a. darin, die "Auskömmlichkeit" der Prämien sowie die Angemessenheit der Rückversicherung zu überprüfen.
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