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Antidiskriminierungsstelle des Bundes: 10 Jahre AGG – Evaluation+Ausblick, Dokumentation der Fachtagung

27.10.2016 - von Wissenschaftliche Dienste

Am 27. Oktober 2016 wurde von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes die Fachtagung „10 Jahre AGG – Evaluation und Ausblick“ durchgeführt und in einem Bericht dokumentiert. Die zentralen Forderungen an den Gesetzgeber zur Evaluation des AGG sind zum einen die Verlängerung der Klagefristen von zwei auf sechs Monate und zum anderen die Ermöglichung der Verbandsklage.

Wissenschaftliche Dienste Dokumentation
WD 6 - 3000 - 064/22
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Berghahn, Sabine; Klapp, Micha; Tischbirek, Alexander: Evaluation des Allgemeinen Gleich-
behandlungsgesetzes, Oktober 2016,
abrufbar im Internetauftritt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter:
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikatio-
nen/AGG/agg_evaluation.pdf?__blob=publicationFile&v=12.

Die Evaluation des Gesetzes wurde im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes vom
Büro für Recht und Wissenschaft GbR mit wissenschaftlicher Begleitung von Prof. Dr. Christiane
Brors und Carl von Ossietzky erstellt. Sie nimmt sowohl die rechtliche Entwicklung des Gesetzes
in den Blick wie auch seine praktische Wirksamkeit und untersucht das AGG rechtswissenschaft-
lich und rechtstatsächlich. Hierfür wurden die rechtlichen Vorgaben aus dem Völker-, Europa-
und Verfassungsrecht analysiert, Rechtsprechung und Literatur ausgewertet sowie Fokusgrup-
pengespräche mit Expertinnen und Experten und eine schriftliche Befragung von Verbänden
durchgeführt. Die Studie richtet ihre Empfehlungen vorrangig an den Gesetzgeber, aber setzt sich
auch mit der Rechtsdurchsetzung auseinander. Gefordert wird eine Überarbeitung des AGG so-
wie die Schaffung eines vergleichbaren Diskriminierungsschutzes in Bereichen, die vom Anwen-
dungsbereich des AGG nicht erfasst sind - wie beispielsweise bei staatlichen Bildungsträgern o-
der Sicherheitsbehörden. Die zentralen Forderungen und Kritikpunkte sind:
– Der Begriff der „Benachteiligung“ solle dem internationalen Sprachgebrauch folgend durch
„Diskriminierung“ ersetzt werden; eine Ergänzung, dass das Gesetz auch Diskriminierung
ohne identifizierbare Opfer erfasse, sei notwendig ebenso wie der Schutz vor sogenannter
assoziierter Diskriminierung; die Ersetzung des Begriffs „Rasse“ durch „rassistisch“ solle
verdeutlichen, dass es keine menschlichen Rassen gebe und die Ersetzung des Begriffs „Al-
ter“ durch „Lebensalter“ stelle klar, dass auch eine Diskriminierung junger Menschen vom
AGG erfasst sei; der Gesetzgeber solle deutlich machen, dass der Begriff „Geschlecht“ auch
inter- und transgeschlechtliche Menschen miteinbeziehe; der Begriff der „Behinderung“ sei
weit zu fassen;

– eine Klarstellung sei im Hinblick darauf erforderlich, dass das Versagen angemessener Vor-
kehrungen für Menschen mit Behinderung eine Diskriminierung darstelle;
– der Schutz vor sexualisierter Belästigung dürfe nicht auf das Arbeitsleben beschränkt blei-
ben, sondern müsse auch in anderen Lebensbereichen erfasst werden; dies gelte auch für
Fälle in denen kein „feindliches Umfeld“ für die Betroffenen bestehe, wie es das AGG bis-
her zwingend voraussetze;
– in der Praxis kämen positive Maßnahmen nur selten zur Anwendung; mit Hilfe von Gleich-
stellungsplänen und Betriebsvereinbarungen solle ein verbindlicher Rahmen geschaffen
werden, um diskriminierende Strukturen zu überwinden;
– eine Erweiterung um die Pflicht zur diskriminierungsfreien Ausschreibung sei notwendig
ebenso wie die Klarstellung, dass auch Kündigungen vom AGG erfasst würden; der zuneh-
mende Einsatz von Fremdpersonal aufgrund von Werk- oder Dienstverträgen mache eine
Erweiterung des Diskriminierungsschutzes erforderlich; das Verhältnis des Gesetzes zur
Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) und des AGG sei dahingehend
zu präzisieren, dass § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG keine Bereichsausnahme enthalte, sondern eine
Kollisionsregel sei;

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WD 6 - 3000 - 064/22
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– der Spielraum für die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen müsse eingeschränkt wer-
den;
– die sogenannte „Kirchenklausel“ sei differenziert zu betrachten: während im verkündungs-
nahen Bereich entsprechende Anforderungen gerechtfertigt sein könnten, sollten beispiels-
weise für Ärztinnen und Ärzte, Krankenpflegerinnen und -pfleger sowie Erzieherinnen und
Erzieher, wenn sie Beschäftigte von Caritas oder Diakonie seien, die allgemeinen Regeln
gelten;
– eine Konkretisierung sei erforderlich im Hinblick darauf, welche Pflichten Arbeitgeber oder
Vermieter haben, um ihre Beschäftigten oder Mieter vor Diskriminierung durch Dritte wie
beispielsweise Arbeitskollegen oder Kunden zu schützen; bei Verletzung dieser Pflichten
solle ein Entschädigungsanspruch nach dem AGG bestehen;
– der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Weltanschauung solle nicht nur auf das Ar-
beitsrecht beschränkt sein; es bestünden europarechtswidrige Lücken bei Geschlechterdis-
kriminierung und Schutz vor rassistischer Diskriminierung;
– die Rechte der Beschäftigten auf Beschwerde, Leistungsverweigerung und Schutz vor Vikti-
misierung sollten gestärkt werden; die Verlängerung der im AGG geregelten Frist von zwei
auf sechs Monate sei dringend erforderlich;
– die bestehenden Beschränkungen des Anspruchs auf Entschädigung sollten aufgehoben
und stattdessen Richtgrößen für dessen Bemessung vorgeschlagen werden;
– die Beweislasterleichterung des AGG solle maßvoll erweitert und im Arbeitsrecht durch ei-
nen Auskunftsanspruch ergänzt werden; zudem sollten ein Verbandsklagerecht für entspre-
chend qualifizierte Antidiskriminierungsverbände etabliert und die Rechte von Betriebsrä-
ten und Gewerkschaften gestärkt werden;
– die Befugnisse der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sollten über die Unterstützung
bei Klagen durch Stellungnahmen und einem umfassenden Auskunfts-, Beanstandungs-
und Beteiligungsrecht bis hin zu einem Klagerecht in grundlegenden Fällen erweitert wer-
den; Personal und Ressourcen sollten an die Ausstattung anderer Stellen in der Europäi-
schen Union angeglichen werden.

Doku abrufbar bei Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter:
https://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/Doku-
mentationen/dokumentation_fachtagung_10_jahre_agg.pdf?__blob=publicationFile&v=3.