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Die Sozialstaatsdebatte krankt an mangelnder Analyse und dem Fokus auf Scheinproblemen

Foto: H.S.

24.11.2025 - von Dr. Katja Rietzler

"In Deutschland tobt gerade eine heftige Debatte über den Sozialstaat, den wir uns, wie von Bundeskanzler Friedrich Merz im Sommer zu hören war, nicht mehr leisten könnten und bei dem Einschnitte in allen Bereichen notwendig seien. Ähnlich äußerte sich jüngst Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. Ein Blick auf die relevanten Statistiken zeigt allerdings: Die Sozialleistungen sind im internationalen Vergleich nicht außergewöhnlich hoch und haben auch im Zeitverlauf insgesamt nicht übermäßig zugenommen.

Gerade in Bereichen, die in der Debatte besonders prominent thematisiert werden – nämlich bei der Rentenversicherung und bei steuerfinanzierten Transfers wie dem Bürgergeld und anderen Grundsicherungsleistungen – waren die Ausgaben im Vergleich zur Wirtschaftsleistung im vergangenen Jahr sogar niedriger als noch 2010, wie Daten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales sowie Berechnungen des IMK zeigen. Die Ausgabenquote der Rentenversicherung lag mit 9,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einen ganzen Prozentpunkt unter der Quote 2004 (10,4 Prozent) – trotz einer steigenden Zahl von Rentenbeziehenden.

Besonders bemerkenswert ist die Entwicklung bei steuerfinanzierten Leistungen wie dem Bürgergeld. Trotz der Aufnahme von über einer Million Geflüchteter aus der Ukraine, von denen viele Bürgergeld erhalten, lagen diese Sozialausgaben relativ zum BIP sogar leicht unter dem Wert von 2010.

Vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erhalten Bereiche mit tatsächlichen starken Ausgabensteigerungen wie die Pflege und vor allem die Krankenversicherung. Hier sind die Ausgaben seit 2010 deutlich schneller gestiegen als die Wirtschaftsleistung und die Beitragssätze wurden wiederholt und teilweise kräftig angehoben.

Beim Gesundheitswesen legt der internationale Vergleich, etwa der OECD, zudem Verbesserungspotenzial nahe. Obwohl Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Gesundheitsausgaben gehört, sind die Ergebnisse bei der Lebenserwartung oder dem Gesundheitszustand nur mittelmäßig. Auf den ersten Blick auffällig ist, dass im europäischen Vergleich in Deutschland Ärzt*innen relativ zum Durchschnittseinkommen im Land besonders gut vergütet werden und die Ausgaben für Medikamente sehr hoch sind. Ob es dafür gute Gründe gibt oder nicht, lässt sich auf Basis der relativ groben vorliegenden Daten zwar nicht sagen. Es lohnt sich aber sicher, die Zusammenhänge auszuleuchten.

Wenn also ein Reformbedarf in den sozialen Sicherungssystemen besteht, dann am ehesten im Gesundheitswesen. Dabei sollte der Fokus aber nicht auf Scheinlösungen wie Karenztagen im Krankheitsfall oder Praxisgebühren liegen, sondern es sollte primär um Effizienzsteigerungen gehen."

Dr. Katja Rietzler leitet das Referat „Steuer- und Finanzpolitik“ im IMK der Hans-Böckler-Stiftung.

Weitere Informationen: Die Sozialstaatsdebatte krankt an mangelnder Analyse und Fokus auf Scheinproblemen unter: Link

Quelle: imk-boeckler.de