18.11.2026 - von German Labour History Association
Die vierte Tagung der German Labour History Association (GLHA) befasst sich mit der Bildungsgeschichte von und für Arbeiter:innen in sozial- und kulturgeschichtlicher Perspektive vom 19. bis zum 21. Jahrhundert. Die Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung sowie die mit ihr verbundenen sozialen und politischen Bewegungen (wie Sozialdemokratie oder proletarische Frauenbewegung) waren immer auch Bewegungen, die im Kern versuchten, durch Bildung Selbstermächtigung und alternative politische Handlungsformen zu erreichen. Gleichwohl unterlag Bildung von oder/und für Arbeiter:innen in der sozialen und politischen Praxis stets divergierenden, gesellschaftlichen und individuellen Interessen.
Die Tagung soll die Bildung von „Arbeiterinnen“ und „Arbeitern“ (in einem weiten Begriffsverständnis) mit einem Fokus auf die Verflechtungen von Arbeit, Bildung und Ermächtigung beleuchten. Im Zentrum steht die Frage, wie Arbeiter:innen nicht nur als Akteur:innen sozialer Bewegungen, sondern auch als Produzent:innen und Träger:innen von Ideen und Konzepten sichtbar gemacht werden können.
Bildungspolitiken und Bildungskonzepte prägten die Geschichte der Arbeiter:innenbewegung. Im Sinne des Soziologen Wolfgang Engler kann hier auch von „arbeiterlicher“ Bildung gesprochen werden, die sowohl disziplinierend repressiv als auch emanzipatorisch progressiv ausgerichtet sein konnte. Dies betrifft sowohl den Bereich ökonomisch verwertbarer Bildung – und die Arbeiter:innenschaft war und ist Adressat solcher Bildungsmaßnahmen – als auch die kulturelle Bildung und Selbstbildung. Bildung von oder/und für Arbeiter:innen, arbeiterliche Bildung, war immer auch ein politisches Programm. Im 19. Jahrhundert organisierten sich Arbeiterbildungsvereine als Vorformen politischer Parteien.
Später wurden sie integraler Bestandteil der zumeist sozialdemokratischen Arbeiterkulturbewegung. In der Bundesrepublik wurde Arbeiter:innenbildung als gewerkschaftliche Bildungsarbeit Teil des öffentlich finanzierten politischen Bildungsangebots. In der DDR war Arbeiter:innenbildung Staatsauftrag.
Zu allen Zeiten ist das Eigeninteresse (der Eigensinn) von Arbeiter:innen, das Selbst nach eigenem Gusto zu bilden, in Rechnung zu stellen. Jenseits pädagogischer Ideale oder Ziele hatten Arbeiter:innen in ihren Bildungsbestrebungen unter Umständen „nur“ die höhere Gehaltsstufe, ihr Freizeitinteresse oder ihr Amüsement im Blick.
Wir schlagen vor, uns dem Thema mit Methoden an den Schnittstellen von Sozial- und Kulturgeschichte zu nähern (z. B. Sozialgeschichte der Ideen oder eine sozial offene Intellectual History). Insbesondere ist uns an einer sozialen Kontextualisierung von Bildungsangeboten, Bildungspraktiken und Bildungsinstitutionen gelegen.
Die Tagung verfolgt zwei übergreifende Ziele: Erstens soll das intellektuelle Erbe der Arbeiter:innenbewegung und Arbeiter:innenbildung einer neuerlichen Untersuchung unterzogen werden, um deren Rolle in der politischen Ideengeschichte neu zu bewerten. Zweitens sollen die Wechselwirkungen zwischen praktischer politischer Bildungsarbeit und intellektuellen Konzepten beleuchtet werden, um zu zeigen, wie Bildung und Arbeit im Streben nach gesellschaftlicher Veränderung zentrale Elemente von Ermächtigung bildeten.
Folgende Fragestellungen könnten im Rahmen der Tagung beispielsweise adressiert werden:
• Wer waren die Bildungsträger und -institutionen und welche unterschiedlichen
Bildungsziele und Bildungsideale verfolgten diese? An welchen Orten spielte sich
arbeiterliche Bildung ab?
• Inwiefern werden unterprivilegierte Schichten, gering Qualifizierte oder diejenigen, die
im akademischen Sinn als ungebildet gelten, eingebunden? Welche Initiativen gab es für
die Bildung von und für Arbeitsmigrant:innen? Welche (bildungs-)politischen Ziele
verfolgten diese?
• Welche Praktiken von „Selbstbildung“ von Arbeiter:innen lassen sich nachweisen, auch
jenseits institutioneller Settings?
• Wie ist die Konzeption und Praxis der Arbeiter:innenbildung im „Leseland DDR“, wie es
Erich Honecker nannte, darzustellen? Wie wirkten sich staatliche Programmatiken und
staatliche Lenkung auf die Bildungsinteressen von Arbeiter:innen in der DDR aus? Wie
wirkte sich die Wiedervereinigung auf die Bildungslandschaften der
Arbeiter:innenbildung in den „neuen“ Bundesländern aus?
• Wie ist das Verhältnis von Arbeiter:innenbildung zu den jeweilig zeitgenössischen
Konzepten allgemeiner Pädagogik, insbesondere zur beruflichen Bildung, zur
Weiterbildung und zur Industriepädagogik zu beschreiben?
• War die Arbeiter:innenbildung ausschließlich Erwachsenenbildung? Welche Rolle spielte
die Bildung und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen?
• Welche Hierarchien und Konflikte ergaben sich innerhalb der Arbeiter:innenbewegung
bzw. unter den verschiedenen Akteuren, Trägern und Strömungen der
Arbeiter:innenbildung?
• Ein besonderes Augenmerk gilt geschlechterhistorischen Fragestellungen. Welche
Bildungskonzeptionen bestanden für Arbeiterinnen? Konnten Arbeiterinnen eigene
Bildungsziele verwirklichen?
Beiträge können jedoch gern andere oder darüberhinausgehende Fragen und Problematiken
adressieren. Wir begrüßen Beiträge zur Bildungsgeschichte von Arbeiter:innen in Geschichte und Gegenwart,
die den Blick über den deutschen Tellerrand erweitern, etwa durch eine transnationale oder
globalhistorische Perspektive.
Die Konferenzsprache ist Deutsch, englischsprachige Beiträge sind gern gesehen.
Reisekosten und Unterkunft werden für Vortragende übernommen.
Weitere Informationen zur GLHA: Link
Vorbereitungsteam: Wiebke Wiede (Universität Trier), Vincent Streichhahn (Universität Halle),
Jens Elberfeld (Universität Halle), Jan Kellershohn (Institut für Landesgeschichte am LDA
Sachsen-Anhalt), Till Kössler (Universität zu Köln), Stefan Müller (Archiv der sozialen
Demokratie), Niklas Venema (Universität Leipzig), Johanna Wolf (Max-Planck-Institut für
Rechtsgeschichte und Rechtstheorie)
Veranstaltungsort: Franckesche Stiftungen, Halle
Datum der Konferenz: 18.–20. November 2026
Deadline für die Einreichung von Abstracts: Ein Abstract mit etwa 400 Wörtern und ein kurzes akademisches CV (maximal eine Seite) sind bis zum 15. Januar 2026 zu senden an: Wiebke Wiede (wiede @uni-trier.de) und Stefan Müller (stefan. mueller@fes.de)
Rückmeldungen zur Einreichung bis: Ende Februar 2026
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