23.02.2007
Die EU-Kommission überprüft das deutsche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im Hinblick auf potenziell problematische Fragen. Dies kündigte sie in ihrer Antwort auf eine schriftliche Anfrage der drei grünen Europaabgeordneten Elisabeth Schroedter, Cem Özdemir und Hiltrud Breyer an. Die Abgeordneten hatten in ihrer Anfrage auf die mangelhafte Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien im AGG hingewiesen.
Hiltrud Breyer sagt dazu: „Nach dem Hin und Her um die Einführung des AGG in Deutschland darf die EU-Kommission die Überprüfung der korrekten Umsetzung nicht auf die lange Bank schieben. Als Hüterin der Verträge muss sie so schnell wie möglich klarstellen, in welchen Punkten das AGG den EU-Richtlinien widerspricht und die Bundesregierung zur Nachbesserung auffordern. Wir sehen unsere Kritik am AGG durch die Antwort der EU-Kommission bestätigt.“
Cem Özdemir erklärt zur Antwort der Kommission: „Des AGG ist an vielen Stellen richtlinienwidrig. So ermöglicht etwa die Ausnahmeklausel für die Wohnungsvermietung, einen Bewerber aufgrund seiner ethnischen Herkunft abzulehnen. Es mag sein, dass die Klausel eigentlich zur Vermeidung ethnischer Segregation dienen soll. Antidiskriminierungsstellen berichten hingegen, dass die Klausel von Vermietern ausgenutzt wird, um den Zuzug von Migranten in überwiegend ethnisch deutsch bewohnte Häuser zu verhindern. Es kann weder im Sinn des Gesetzgebers noch der Kommission sein, dass eine solche Ausnahmeklausel es erst ermöglicht, quasi legal zu diskriminieren. “
Elisabeth Schroedter , Mitglied im Beschäftigungs- und Sozialausschuss fügt hinzu: „Die europäischen Vorgaben wurden im Bereich Arbeitsrecht nur unzureichend umgesetzt, so wurde etwa der Kündigungsschutz nicht in das AGG aufgenommen. Damit in Deutschland das gleiche Niveau wie in anderen europäischen Ländern erreicht wird, muss der öffentliche Druck verstärkt werden. Deshalb ermutige ich Interessensverbände und Gewerkschaften, sich mit ihrer Kritik an den Mängeln des AGG direkt an die Kommission zu wenden. Erfolgreich könnte das EU-Recht auch über Musterklagen durchgesetzt werden. Auch wenn dieser Weg mühselig ist, trägt er dazu bei, ein besseres Recht in Deutschland zu schaffen.“
Im Folgenden die Anfrage im Wortlaut :
Schriftliche Anfrage vom 11. Dezember 2006 an die EU-Kommission: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden in Deutschland die Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2002/73/EG, 2004/113/EG umgesetzt.
1) Ist das Kündigungsschutzverfahren § 2 Abs. 4 AGG nach Meinung der Kommission mit Art. 3 Abs. 1c der Rahmenrichtlinie 2000/78/EG vereinbar, obwohl dadurch die Kündigung aus dem AGG und damit aus dem Nicht-Diskriminierungsgebot ausgenommen wird? Wie begründet die Kommission dies?
2) Steht nach Meinung der Kommission die Ausnahmeklausel § 19 Abs. 3 AGG mit der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG im Einklang, obwohl sie zur Folge hat, dass für den Wohnungsmarkt eine Ungleichbehandlung mit dem Ziel der Herstellung "ausgeglichener wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Verhältnisse" für zulässig erklärt werden kann und damit rassistische Diskriminierung in diesem Bereich gerechtfertigt werden und wie begründet die Kommission dies?
3) Ist die Kommission der Meinung, dass § 23 des AGG, der für Antidiskriminierungsverbände eine "Beistandsfunktion" und keine gerichtliche Vertretungsbefugnis vorsieht, mit der Antirassismusrichtlinie 2000/43/EG und der Richtlinie 2004/113/EG vereinbar ist? Wenn ja, wie begründet die Kommission dies?
4) Ist die Kommission der Meinung, dass § 22 AGG über die Beweislast im Prozess - der besagt, dass die betroffene Partei "Indizien zu beweisen" hat, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen – mit Art. 8 der Richtlinie 2000/43/EG, Art. 10 der Richtlinie 2000/78/EG und Art. 9 der Richtlinie 2004/113/EG sowie der sich aus den Richtlinien ergebenden Anforderung, vereinbar ist? Wenn ja, wie begründet die Kommission dies?
5) Wie beurteilt und begründet die Kommission die rechtliche Wirkung dieses § 22 AGG, welcher indirekt zur Absenkung des in § 611 a Abs. 1 Satz 3 BGB garantierten Schutzbereiches führt?
6) Hält die Kommission es für gerechtfertigt, dass durch die in § 15 Abs. 4 AGG festgeschriebene Fristsetzung von zwei Monaten, um Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche geltend zu machen, der bisherige garantierte Schutzbereich in § 61b Abs. 1 ArbGG in Bezug auf § 611 BGB abgesenkt wird? Wenn ja, wie begründet sie dies?
7) Was wird die Kommission unternehmen, sofern sie zu dem Schluss kommt, dass einige Punkte des AGG nicht mit den Richtlinien konform sind?
Im Folgenden die Antwort der Kommission im Wortlaut:
E-5635/06DE
Antwort von Herrn Špidla
im Namen der Kommission
(15.2.2007)
Die Kommission analysiert derzeit die Umsetzung der Richtlinien 2000/43/EG [1] , 2000/78/EG [2] und 2002/73/EG [3] in Deutschland. Erforderlichenfalls wird sie die deutsche Regierung bitten, potenziell problematische Fragen zu klären. Anhand der eingehenden Antworten und weiterer Bewertungen wird die Kommission dann entscheiden, ob Deutschland die vorgenannten Richtlinien korrekt umgesetzt hat.
Die Richtlinie 2004/113/EG [4] des Rates muss bis spätestens 21. Dezember 2007 umgesetzt werden. Somit bleibt den Mitgliedstaaten noch Zeit, ihre Rechtsvorschriften an die Richtlinie anzugleichen.
[1] Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft, ABl. L 180 vom 19.7.2000.
[2] Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, ABl. L 303 vom 2.12.2000.
[3] Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, ABl. L 269 vom 5.10.2002.
[4] Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. L 373 vom 21.12.2004.
Damit nicht genug. Das BÜro gegen ALtersdiskriminierung verweist auf die von uns bereits vor Monaten beanstandete Tatsache, dass im AGG eine Sonderbehandlung für Beamtenanwärter enthalten ist, die ein bestimmtes Einstellungshöchstalter festlegt.
Das widerspricht den Richtlinien, die ausdrücklich eine Gleichbehandlung der Beamten fordern.
Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema
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15.02.2007: EU: AGG wird überprüft
12.02.2007: Neuer Anlauf für neues Teilzeitbefristungsgesetz
12.02.2007: 1. frei zugänglicher AGG-Kommentar
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