Diskriminierung melden
Suchen:

Palliativmedizin nicht gewollt

09.10.2007 - von Dr. med. H. Herrmann

Nicht erst seit Einführung des Budgets 1997 haben Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen den Hausärzten immer mehr Kompetenzen entzogen, sie zu "Lotsen", Angestellten im Gesundheitswesen, degradiert, sie aber von jeder differenzierten Tätigkeit ausgeschlossen.

Eine irrsinnige Bürokratie, Dokumentations-Delirium und Qualifizierungsquark belastet nicht nur die Hausärzte. Zu den sogenannten Hausartzverträgen werden sie genötigt, gepresst, zum Teil auch durch die Patienten, denen bei Teilnehme goldene Nasen versprochen werden.

Wir haben auch ohne diese Verträge unsere Kranken nach deren individuelen Nöten und Notwendigkeiten betreut und behandelt.
Die "Qualifizierungskurse" müssen von den Kollegen teuer bezahlt werden, sie vermitteln längst Bekanntes und Durchgeführtes, ineptiae et nugae, lauter Unsinn.

Die KV ist zu feige, hier ihr Veto einzulegen, und die Ärzte machen notgedrungen mit, weil sie sonst ihr Honorar gekürzt bekommen. Tatbestand der Nötigung und Erpressung.

Dass die KV die Hausärzte herabsetzen und in Stich lassen, hat schon lange Tradition. Streichen und/oder Kürzen der Haus- und Notfallbesuche sowie aller palliativmedizinischen Bemühungen samt Scmwerztherapie war schon lange vor 1997 üblich. Nun darf der Hausarzt zum Beispiel auch nicht mehr Kranke in die für diese geeignete Fachklinik einweisen; sie müssen erst dem zuständigen Facharzt vorgestellt werden, dieser weist dann ein (obwohl heute zumeist bei allen Patienten relevante Facharztbefunde vorliegen).

Dazu kann ich aus der eigenen Statistik meiner Klinikeinweisungen seit 1997 belegen, dass bis zu 70 Prozent aller Einweisungen - etwa hundert pro Jahr - zu Zeiten stattfinden mussten, in denen es müßig und sinnlos gewesen wäre, den betreffenden Facharzt aufzutreiben. Ganz zu schweigen davon, dass dieser auch nicht ans Krankenbett gekommen wäre.

Die "Tröstungen" der KV bestanden unter anderem darin:
"Laden Sie sich nicht so viele Schwerkranke auf den Hals" oder: "Versuchen Sie doch, sie loszuwerden oder abzuschieben" oder: "Sie haben zu viele alte Patienten, verjüngen Sie Ihre Klientel".

So noch vor wenigen Jahren zu meinen Nachfolgern: "Schaffen Sie sich ein zweites Standbein mit der IGEListe". Was nichts anderes heißt als: Mit ehrlicher Hände Arbeit allein ist man als Hausarzt nicht mehr existenzfähig.

So werden von der eigenen Standesvertretung die Ärzte zu Bratenwendern degradiert: Sie drehen (müssen) und wenden die GOÄ und die IGEListe so lange an, bis ein Braten dabei für sie abfällt (frei nach Heinrich Heine).

Die Hausärzte, die noch mit Empathie und großem Können Palliativmedizin betreiben, machen ihre Besuche im Haus und Pflegheim ab dem dritten Besuch um Gotteslohn. Und da die zur Entsorgung und Endlagerung vorgesehen Zielgruppe kein Wählerpotential mehr darstellt, wird es beim Gotteslohn sein Bewenden haben.

Das Fazit: Auch ein nicht zur Bösartigkeit veranlagter muss sich spätestens hier fragen, ob das heillos verkorkste System Kassenärztliche Vereinigung hier, Krankenkassen dort, zu einer menschenwürdigen, ärztlichen Versorgung unserer Alten, Schwerkranken und Sterbenden überhaupt noch tauglich ist.

----

Und wenn Sie sich wundern, warum es in den Krankenhäusern so zugeht, wie es zugeht: Die Zahl der Vollzeitstellen im Pflegedienst der Krankenhäuser lag im Jahr 2006 um 50.000 Personen niederiger, als noch vor 10 Jahren.

Quelle: Leserbrief, FAZ 9.10.07,ver.di publik 11.07

Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema Gesundheit:
28.09.2007: +++ Rollstuhl kann Treppen steigen
19.09.2007: Genehmigungen für Rehamaßnahmen schwieriger
04.09.2007: Krebserkrankte braucht dringend Unterstützung

Alle Artikel zum Thema Gesundheit