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Krankenkassenbeitrag: Klassenjustiz für Rentner

09.04.2008 - von Otto W. Teufel

Mit seiner im April veröffentlichten Entscheidung vom 28.02.2008 hat das Bundesverfassungsgericht sechs Beschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Dabei ging es einmal um die Verdoppelung der (Direktversicherungen) Beiträge aus Versorgungsbezügen seit dem 01.01.2004, zum Zweiten darum, dass allein Rentner den allgemeinen Beitragssatz zahlen müssen, ohne Anspruch auf Krankengeld zu haben.

In der Begründung heißt es unter anderem:

  • - Den Verfassungsbeschwerden kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu.
  • - Der allgemeine Gleichheitssatz ist insbesondere dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders und nachteilig behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Eine strenge Prüfung ist vorzunehmen, wenn - wie vorliegend - verschiedene Personengruppen und nicht nur verschiedene Sachverhalte ungleich behandelt werden.

  • - Die entsprechende gesetzliche Regelung (§ 248 SGB V) ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 GG vereinbar. Sie hat nicht eine Ungleichbehandlung eingeführt, sondern eine bis dahin bestehende Ungleichbehandlung beseitigt, da aus der Rente selbst auch vorher Beiträge nach dem vollen allgemeinen Beitragssatz zu entrichten waren.

  • - Die frühere Regelung (halber Beitragssatz auf Versorgungsbezüge) war eine Sondervorschrift, aus der kein verfassungsrechtlicher Grundsatz abgeleitet werden kann.

  • - Im Bereich der Sozialversicherung hat der Gesetzgeber einen großen Spielraum, wie er die Finanzierung ausgestaltet.

  • - Der gesetzliche Arbeitgeberbeitrag zur KV ist den eigentumsrelevanten Eigenleistungen des Versicherten zuzurechnen.

  • - Es ist eine historisch überkommene Sonderstellung der versicherungspflichtigen Rentner, bei denen das Gesetz nicht nur hinsichtlich des Zugangs zur Versicherung, sondern auch hinsichtlich der Beitragserhebung stets eigenen Regeln gefolgt ist. Dagegen ist unter Beachtung der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers von Verfassungs wegen nichts einzuwenden.

  • - Mit der Beitragserhebung nach dem allgemeinen Beitragssatz wird den Rentnern keine systemwidrige Sonderlast auferlegt.

  • - Die neue Regelung genügt auch den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit. Die Finanzierungslücke könne nicht durch weitere Beitragssatzsteigerungen gelöst werden, denn dies erhöhe die Arbeitskosten und trage zu einer steigenden Arbeitslosigkeit bei.

  • - Rentner, die Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit erhielten, würden in angemessener Weise an der Finanzierung der Leistungsaufwendungen für sie beteiligt. Die Beitragszahlungen der Rentner hätten 1973 noch zu gut 70 % deren Leistungsaufwendungen abgedeckt, inzwischen bestritten sie nur noch ca. 43 % dieser Aufwendungen. Es sei daher ein Gebot der Solidarität der Rentner mit den Erwerbstätigen, den Anteil der Finanzierung der Leistungen durch die Erwerbstätigen nicht noch höher werden zu lassen (BTDrucks 15/1525, S.140).

  • - Die Anhebung der Beitragssätze auf Versorgungsbezüge war für die betroffenen Rentner zumutbar, weil es im wesentlichen nur verhältnismäßig reiche Rentner trifft.

  • - Es ist darauf hinzuweisen, dass die freiwillig versicherten Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung schon in der Vergangenheit auf Versorgungsbezüge den Beitrag allein zu entrichten hatten.

  • - Die Regelungen sind verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig und genügen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt.
    Zudem müssen die mit der Regelung verfolgten öffentlichen Belange im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung als gewichtiger angesehen werden. Die Regelung trägt als Teil eines im GMG (Gesundheitsmodernisierungsgesetz) enthaltenen Bündels von Maßnahmen zur Erhöhung der Beitragseinnahmen und damit zur Erhaltung der Stabilität des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung bei. Diesem Gemeinwohlziel kommt große Bedeutung bei.


  • Anmerkungen:
    Das Bundesverfassungsgericht ist konsequent bei seiner Auffassung geblieben, dass für Arbeitnehmer und insbesondere Rentner nicht die gleichen Rechte gelten wie für andere Bürger, weil – so das Bundesverfassungsgericht – zwischen Arbeitnehmern und Rentnern einerseits, sowie anderen Bürgern (z.B. Politiker, Selbständige, Beamte, Richter, Pensionäre) andererseits Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen.

    In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass aus den letzten 30 Jahren keine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht rund um das Thema Altersrenten und Altersrente bekannt ist, in dem nicht das Bundesverfassungsgericht der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgeber (auf deutsch: politische Willkür) ein höheres Recht eingeräumt hätte als den Grundrechten von Arbeitnehmern und Rentnern.

    Das Bundesverfassungsgericht berücksichtigt dabei nicht, dass die Aufteilung der Bevölkerung auf die verschiedenen Versorgungssysteme (z.B. gesetzliche KV, private KV, Beamtenversorgung) rein willkürlich ist und aus vordemokratischen Zeiten (19. Jahrhundert) stammt. So erhöht sich bei Pensionären die von allen getragene Beihilfe im Krankheitsfall von in der Regel 50 auf 70 Prozent, wobei noch dazu kommt, dass Pensionäre damit als Privatpatienten behandelt werden. Bei Rentnern dagegen erhöht sich der Eigenanteil auf zum Teil weit über 50 Prozent, und das, entgegen rechtlicher Regelung (§ 243 SGB V), mit überhöhtem Beitragssatz.
    Die höhere Belastung für freiwillig versicherte Rentner war in der Vergangenheit damit begründet worden, dass sie im Berufsleben überwiegend nicht der gesetzlichen KV angehört haben. Interessanterweise zahlen sie aus ihren Versorgungsbezügen jetzt mit dem ermäßigten Beitragssatz weniger als pflichtversicherte Rentner.

    Wenn das Bundesverfassungsgericht behauptet, dass 1973 die Beitragszahlungen der Rentner noch zu gut 70 Prozent deren Leistungsaufwendungen abgedeckt hätten, so verdrängt es die Tatsache, dass bis 1983 die KV-Beiträge für die Rentner in vollem Umfang durch die Beiträge der Arbeitnehmer getragen wurden, das heißt unter anderem durch die heutigen Rentner. Im übrigen wird es den Grundzügen eines Solidarsystems nicht gerecht, wenn diejenigen, die ihr ganzes Berufsleben lang aus Solidarität mit den übrigen Versicherten hohe Beiträge gezahlt haben, als Rentner damit konfrontiert werden, dass sie zu wenig ins System einzahlen.

    Das Bundesverfassungsgericht verdrängt außerdem, dass auch das System der gesetzlichen KV durch den Gesetzgeber mit einer Reihe von Aufgaben belastet ist, für die der Bund aber nicht die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt. Zuletzt wurden z.B. durch Hartz IV und das GMG zur Entlastung der öffentlichen Haushalte der überwiegende Teil der Sozialhilfeempfänger – jetzt ALG II – mit minimalen Beiträgen in die gesetzliche KV abgeschoben. Für sie kommen jetzt überwiegend allein die Beitragszahler auf.

    Im November 2005 haben die fünf Wirtschaftsweisen darauf hingewiesen, das zur vollständigen Finanzierung der sogenannten versicherungsfremden Leistungen in Renten-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung zusätzlich 65 Milliarden Euro pro Jahr aus öffentlichen Haushalten notwendig wären. An dieser erheblichen Sondersteuer (so Prof. Rürup in der Financial Times Deutschland am 10.11.2005) beteiligen sich Verfassungsrichter nicht. Sie profitieren damit zumindest indirekt von dem Zwei-Klassensystem, das sie so vehement verteidigen. Das gibt auch dieser Entscheidung einen mehr als faden Beigeschmack.

    Solange das Bundesverfassungsgericht für Recht erklärt, dass für Arbeitnehmer und Rentner nicht die gleichen Rechte gelten wie für Politiker und privat- oder kammerversicherte Selbständige, sowie Beamte und Richter, und das mit Unterschieden begründet, die auf willkürliche Festlegungen des Ständestaats des 19. Jahrhunderts zurückgehen, sind wir noch weit davon entfernt ein demokratischer Rechtsstaat zu sein.

    Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2517
    Quelle: Aktion Demokratische Gemeinschaft e.V. München