Diskriminierung melden
Suchen:

Krankenkassen mißachten Recht auf Rehamaßnahmen

05.06.2008 - von Dr. Unger

Rationierung im Gesundheitswesen ist entgegen der Beteuerungen der Bundesregierung längst Realität, vor allem bei älteren Menschen. Seit Herbst letzten Jahres beobachten wir mit Sorge, dass in großem Umfang medizinisch notwendige neurologische und geriatrische Rehabilitationsleistungen für ältere Menschen abgelehnt werden. Vor allem in Rheinland-Pfalz, aber auch in einigen anderen Bundesländern.

Gerade angesichts der demografischen Herausforderung wird nicht nachhaltig daran gearbeitet, die Zahl der Pflegebedürftigen klein zu halten (Reha vor Pflege, SGB XI, §31), sondern notwendige Rehamaßnahmen für ältere Menschen werden von den Krankenkassen verweigert oder in billige, für alte Menschen nicht qualifizierte, heimatferne Einrichtungen umgelenkt, auch wenn im Informationsblatt der Bundesregierung formuliert ist, dass „die Genehmigung sinnvoller Reha-Maßnahmen nicht länger im Ermessen der Krankenkasse liegt“ und die Rehabilitation gerade auch älterer Menschen im GKV-WSG als Pflichtleistung der Kasse verankert wurde, die gar nicht abgelehnt werden darf!

Alte Menschen sollen direkt nach einem Schlaganfall ins Pflegeheim abgeschoben werden, ohne Chance auf eine Rehabilitation, was allen medizinischen wie sozialrechtlichen Standards widerspricht. Die Zeitdauer bis zur Bearbeitung vorliegender Reha-Anträge ist oft unverhältnismäßig lang, obwohl laut Gesetzgeber nur noch stichprobenartig geprüft werden darf.

Die bürokratischen Hürden und die von den Kassen nachgeforderten Zusatzinformationen ufern aus und zermürben die Antragsteller. Den Angehörigen wird kassenseitig meist mitgeteilt, dass ein Widerspruch zwar möglich sei, aber mehrere Wochen Bearbeitungszeit erfordere und letztlich sinnlos sei. Bei Einschaltung eines Anwaltes liegt die Kostenzusage innerhalb weniger Tage vor. Aber die alten Menschen haben nur selten den Mut, sich einen Anwalt zu nehmen und ihre Ansprüche einzuklagen, die Rechnung der Kassen geht auf!

Trotz Stärkung des Rehabilitationsanspruches für ältere Menschen durch die Gesundheitsreform im April 2007 (GKV-WSG) bleiben Sie zunehmend auf der Strecke. Ohne Chance der Wiedereingliederung in den Alltag; das gesetzlich verankerte Recht auf eine Ermöglichung der Teilhabe am Leben der Gesellschaft bleibt Makulatur.

Die Kluft zwischen gesetzlichem Anspruch einerseits und gelebter Realität auf der anderen Seite wird immer größer.

Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder vom Bundesministerium für Gesundheit teilte schon im Januar dieses Jahres mit, „dass die Krankenkassen bei geriatrischen Patienten eine besondere Verantwortung trifft“ und dass bei Verstößen gegen die gesetzlichen Grundlagen die Aufsichtsbehörden eingeschaltet werden sollten. Eine umfangreiche Dokumentation von nach MDS-Kriterien (MDS=Medizinischer Dienst der Spitzenverbände) eindeutig rehabedürftigen geriatrischen Patienten, deren Rehaanträge abgelehnt wurden oder deren Rehamaßnahmen in unzureichend qualifizierten (aber billigen) Einrichtungen erbracht wurden - ohne altersmedizinische Erfahrung und Ausstattung bzw. ohne eine entsprechende Zertifizierung-, wurde von der Landesarbeitsgemeinschaft Geriatrie in Rheinland-Pfalz dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen in Mainz (MASFG) und dem Landesamt für Soziales als Aufsichtsbehörden der Krankenkassen übergeben. Aber diese Aufsichtsbehörden der Kassen, die letztlich die Umsetzung der gesetzlichen Maßnahmen überwachen und gewährleisten sollen, bleiben - zumindest bis jetzt - untätig.

In der Behandlung Demenzkranker sieht es ähnlich düster aus. In der Rheinischen Post vom 19.5.08 sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe – „dass schon jetzt ein großer Teil der an Demenz erkrankten Menschen ganz bewusst nicht optimal versorgt werde“. So gebe es bereits Medikamente, die ein Fortschreiten der Demenz verzögern könnten. "Doch diese Mittel sind sehr teuer, und die Kassen bezahlen sie nicht. Viele ältere Menschen bekommen damit nur eine Sauber-und-satt-Pflege." Von den 1.2 Mio Demenzkranken in Deutschland erhalten derzeit maximal 15% eine Therapie, die aktuellen wissenschaftlichen Standards und Leitlinien entspricht. Die fachärztlich gemäß aktueller Leitlinien verordneten, in ihrer Wirksamkeit auch vom IQWIG bestätigten Antidementiva werden wegen angeblicher Budgetüberschreitung regelmäßig von vielen Hausärzten wieder abgesetzt.

Die VerbraucherInnen müssen über ihre Ansprüche und das Recht auf eine angemessene Behandlung und Rehabilitation älterer Menschen informiert werden. Es besteht ein justiziabler Leistungsanspruch, der vor einem Sozialgericht eingeklagt werden kann, um jedem betagten Mitbürger ein selbstbestimmtes Leben im Alter und die zugesicherte Teilhabe sowie die Vermeidung oder Verminderung von Pflegebedürftigkeit zu ermöglichen.

Stellen Sie sich dieser Kassenpolitik wo immer möglich entgegen! Die aktuelle Sozialgesetzgebung muss umgesetzt werden. Alte Menschen dürfen nicht zu den Verlieren der Gesundheitsreform gehören und Opfer einer rüden Rationierungspolitik werden.

Für Rückfragen stehen außer mir auch die Landesarbeitsgemeinschaft für Geriatrie in Rheinland-Pfalz sowie der Bundesverband Geriatrie Ihnen gerne zur Verfügung.

Dr. H. L. Unger
Chefarzt Geriatrie
Marienhaus Klinikum, Kreis Ahrweiler

Sehr geehrter Herr Dr. Unger,
herzlichen Dank für Ihre Zuschrift vom 5. Juni 2008, in der Sie uns die Probleme bei der Betreuung und Versorgung älterer und pflegebedürftiger Menschen vor allem in Rheinland-Pfalz informieren. Die von Ihnen geschilderten Zustände entsprechen leider auch vielen Erfahrungen, die bei uns im Verband gemacht werden. Seit vielen Jahren fordert der SoVD eine konsequentere Umsetzung des Grundsatzes Rehabilitation vor und bei Pflege. Dieser Grundsatz wird durch die verantwortlichen Rehabilitationsträger, insbesondere die Krankenkassen völlig ignoriert. Wir hoffen sehr, dass das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz, welches am 1. Juli 2008 in Kraft tritt, hier eine spürbare Verbesserung bringen wird.

Nach dem neuen § 18 Abs. 6 Pflege-WG muss dem MDK in seiner Stellungnahme geeignete notwendige und zumutbare medizinische Rehabilitationsmaßnahmen angeben. § 31 Abs. 3 Pflege-WG legt fest, dass die Pflegekasse diese Feststellungen des MDK unverzüglich an den zuständigen Rehabilitationsträger weiterleiten muss und auch den Versicherten darüber informieren muss. Wenn der Betroffene zustimmt, gilt die Mitteilung an den Rehabilitationsträger als Antrag auf die entsprechende Reha-Maßnahme.

Es bleibt abzuwarten, ob diese Neuregelungen tatsächlich die Rehabilitation für pflegebedürftige Menschen verbessern. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie uns Ihre Erfahrungen aus der Praxis mitteilen könnten, damit wir in unserer sozialpolitischen Lobbyarbeit für pflegebedürftige und ältere Menschen darauf zurückgreifen können.

Des weiteren möchten wir Sie auf die unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) aufmerksam machen, an der auch der SoVD mit beteiligt ist. Diese Beratung wird bundesweit über ein Beratungstelefon unter der Nummer 01803 1177 22 angeboten. Daneben bestehen noch 22 Beratungsstellen. Sie finden unter www.unabhaengige-patientenberatung.de weitere Informationen. Durch diese Beratungstätigkeit wissen wir auch, dass pflegebedürftige und ältere Menschen hier einen hohen Bedarf an Beratung gegenüber Plfege- und Krankenkassen haben.

Wir würden uns freuen, wenn Sie uns über Ihre Erfahrungen weiter informieren könnten. Wir wünschen Ihnen für Ihre Arbeit viel Erfolg und verbleiben

mit freundlichen Grüßen
Dr. Gabriele Kuhn-Zuber
Abteilung Sozialpolitik
Sozialverband Deutschland e.V.

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2584
Quelle: PM