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Widerspruch gegen Renten-Nullrunde: Musterklage

15.09.2010 - von ADG

Der Aufforderung, gegen die Renten-Nullrunde Widerspruch einzulegen, sind viele RentnerInnen gefolgt. Inzwischen haben die ersten Kolleginnen und Kollegen einen
Widerspruchsbescheid von der Deutschen Rentenversicherung bekommen. Jetzt ist es wichtig, auch den zweiten Schritt zu gehen und gegen diesen Bescheid innerhalb von einem Monat Klage beim zuständigen Sozialgericht zu erheben. Um welches Sozialgericht es sich handelt, steht mit Adresse im Widerspruchsbescheid. Mit möglichst vielen Klagen soll ein Zeichen gesetzt werden. Außerdem wird der Bescheid dadurch nicht rechtskräftig. Das ist dann von Bedeutung, wenn der europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuGH-MR) der Aktion demokratische Gemeinschaft e.V. (ADG) bestätigen sollte, dass das deutsche Rentenrecht gegen die Charta der Grundrechte der EU verstößt.

Beim Sozialgericht besteht kein Anwaltszwang. Sie können Ihr Anliegen also selbst vortragen, einen Anwalt oder einen sachkundigen Beistand beiziehen. Gerichtskosten entstehen in der Regel keine. Es sei denn, Ihnen wird Beschäftigung des Gerichts in einem aussichtslosen Fall vorgeworfen, was allerdings bisher sehr selten der Fall war. Sammelklagen sind leider nicht möglich. Das Sozialgericht wird wahrscheinlich einen Erörterungstermin anberaumen, in dem seine Zielsetzung die Rücknahme der Klage ist. Danach wird ein Urteil gesprochen.

Gegen dieses Urteil kann man in Berufung zum Landessozialgericht (LSG) gehen. Auch dort besteht kein Anwaltszwang und entstehen in der Regel keine Gerichtskosten. Die Berufung ist wiederum innerhalb eines Monats nach Zustellung des SG-Urteils beim LSG einzureichen. Aber soweit ist es noch nicht.

Erstmal hat Otto W. Teufel, 2. Vorsitzender der ADG e.V., dankenswerterweise nun eine Musterklage für das Sozialgericht ausgearbeitet.

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Absender: xxx Datum xxx
Einschreiben
An das
Sozialgericht xxx
Betr. Klage
Vers. Nr.: xxx
Beklagte: Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV-B)

Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit erhebe ich Klage gegen den Widerspruchsbescheid der DRV-B vom . . . . .
Der Bescheid der DRV-B zum 01.07.2010 sowie der Widerspruchsbescheid vom . . . . . verstoßen gegen rechtsstaatliche Grundsätze unter anderem gegen Artikel 3 und Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 19 GG sowie gegen Artikel 20 GG.

Der Bescheid verstößt außerdem gegen Artikel 17 und Artikel 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

Antrag
Ich beantrage, unter Aufhebung des Bescheids zum 01.07.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom . . . . . die DRV-B dazu zu verpflichten, meine Rente
rückwirkend zum 01.07.2010 um wenigstens 1,2 Prozent anzuheben. Hilfsweise beantrage ich, das Verfahren auszusetzen und dem BVerfG die Frage vorzulegen, ob durch die erneute Nullanpassung der Renten rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden und damit Verstöße u.a. gegen Artikel 3 GG (Gleichheitssatz), Artikel 14 GG (Eigentumsschutz), Artikel 19 (Abs. 1, 2) und Artikel 20 GG (Grundsatz von Treu und Glauben, Prinzip des sozialen Rechtsstaats) vorliegen, oder das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die
Frage vorzulegen, ob das deutsche Rentenrecht gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstößt, insbesondere gegen Artikel 17 und Artikel 20.

Begründung
Es ist unstrittig, dass die DRV-B entsprechend den vorgegebenen Gesetzen gehandelt hat. Für mich ist es aber ebenso unstrittig, dass die Nichtanpassung der Renten zum 01.07.2010 gegen Artikel 3 und gegen Artikel 14 GG verstößt. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers findet dann ihre Schranken, wenn er eine Rentenanpassung unterhalb der Inflationsrate vornimmt, obwohl die Lohn- und Gehaltsentwicklung der aktiven Versicherten wenigstens
eine Anpassung nach Inflationsrate zulässt. Insoweit wirkt die existenzsichernde Funktion des individualgrundrechtlichen Renteneigentums.
Es verletzt den Gleichheitssatz des GG, dass Pensionäre 2010 eine angemessene Erhöhung ihrer Bezüge um durchschnittlich 1,2 Prozent erhalten, Rentner dagegen eine
weitere Nullrunde hinnehmen müssen.

Da die Aufteilung der Bevölkerung auf die verschiedenen Altersvorsorgesysteme auf vordemokratische Zeiten (19. Jahrhundert) zurückgeht, verstoßen diese gravierenden
Unterschiede im demokratischen Rechtsstaat gegen die Verfassung, in diesem Fall gegen den Art. 3 GG.
Zum Thema Rentenanpassung gibt es eine Reihe von Entscheidungen des BVerfG. Wer sich jedoch mit dieser Rechtsprechung befasst, kommt sehr schnell zu folgender Erkenntnis: Die Rechtsprechung des BVerfG zum Thema Rentenanspruch und Rentenhöhe ist aus rechtstaatlicher Sicht aus mehreren Gründen nicht nachvollziehbar.
1)
Seit 1981 hat das BVerfG keine Verfassungsbeschwerde zum Thema Rentenanspruch bzw. Rentenhöhe zur Entscheidung angenommen. In allen Entscheidungen seit 1981 hat das BverfG der „Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers“ und damit der politischen Beliebigkeit, einen höheren Verfassungsrang gegeben als den elementaren Grundrechten der Versicherten. Umgekehrt hat das BVerfG allein in den vergangenen zehn Jahren mindestens fünf Vorlagen bzw. Beschwerden zum Thema Beamten- und Richterpensionen zum Anlass genommen, den Gesetzgeber zu Änderungen bzw. zur Rücknahme von Gesetzen zu zwingen. Hier stellt sich eindeutig die Frage nach der Neutralität bzw. der Befangenheit des Gerichts.
2)
In zwei neueren Verfassungsbeschwerden zum Thema Rentenanspruch bzw. Rentenhöhe (1 BvR 718/09 und 1 BvR 1721/09) wurden dem BVerfG Argumente vorgelegt, mit denen es sich in früheren Entscheidungen noch nicht auseinander gesetzt hat. Das BVerfG hat beide Beschwerden nicht zur Entscheidung angenommen, das Gericht hat es weder für nötig erachtet, diese Argumente zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn sich damit auseinander zu setzen. Hier stellt sich eindeutig die Frage der Voreingenommenheit.
3)
Die Rechtsprechung des BVerfG zum Rentenrecht ist rechtstaatlich bedenklich, weil sie indirekt eine erhebliche finanzielle Entlastung u.a. von Beamten und Richtern auf Kosten der Versichertengemeinschaft bewirkt.
In der Bundestagsdrucksache Nr. 16/65 vom 10.11.2005 bestätigt die Bundesregierung auf Seite 331 folgendes: „Die nicht durch Bundeszuschüsse gedeckten versicherungsfremden Leistungen und Umverteilungsströme in der Gesetzlichen Krankenversicherung, der Sozialen Pflegeversicherung, der Gesetzlichen Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung belaufen sich derzeit auf rund 65 Mrd. Euro. Mit der Beseitigung der Beitragsanteile, die der Finanzierung von versicherungsfremden Leistungen dienen, können der Steuercharakter der Sozialversicherungsbeiträge reduziert und das Äquivalenzprinzip in den Sozialversicherungen gestärkt werden. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wird so attraktiver, und der Einnahmeschwäche aufgrund einer schwindenden Beitragsbasis
kann entgegengewirkt werden.“

Laut Haushaltsplan des Bundesfinanzministeriums für 2009 betrug das gesamte Steueraufkommen aus Erwerbstätigkeit rund 130 Mrd. Euro. Würden alle versicherungsfremden
Leistungen in vollem Umfang sachgerecht zum Beispiel durch Steuern aus Erwerbseinkommen finanziert, müssten demnach alle Erwerbstätigen (einschließlich Verfassungsrichter)
einen Aufschlag von durchschnittlich rund 50 Prozent auf ihre Einkommensteuer hinnehmen. Arbeitnehmer und Rentner würden dafür bei den Beiträgen zur gesetzlichen
Sozialversicherung entsprechend entlastet, und Rentner könnten entsprechend höhere Renten beziehen.

Das BVerfG verweist in seiner Rechtsprechung zum Rentenrecht auf die Unterschiede zwischen den Systemen, obwohl diese im wesentlichen auf willkürlichen politischen
Entscheidungen nach 1945 beruhen und damit nicht geeignet sind, den Gleichheitssatz des Grundgesetzes außer Kraft zu setzen. Außerdem spricht das BVerfG von einem Solidarsystem, obwohl die gesetzliche Rentenversicherung gar kein Solidarsystem sein kann, denn die staatlichen und gesellschaftlichen Eliten sind nicht beteiligt.

Da das BVerfG bis zuletzt an seinen Entscheidungen gegen Arbeitnehmer und Rentner festgehalten hat, muss davon ausgegangen werden, dass das BVerfG in absehbarer Zeit
seine Befangenheit in dieser Sache nicht ablegen wird und damit der Rechtsweg in Deutschland zur Zeit ausgeschöpft ist.

Ich halte es deshalb für sachgerecht, dass das Sozialgericht das Verfahren aussetzt und dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte die Frage vorlegt, ob das in Deutschland praktizierte Zwei-Klassenrecht bei der Altersvorsorge der Charta der Grundrechte der Europäischen
Union genügt, insbesondere im Hinblick auf die Artikel 17 (Recht auf Eigentum) und Artikel 20 (gleiches Recht für alle Bürger).

Mit freundlichen Grüßen
xxx

Link: Verfassungsgericht: Rentner sind Bürger 2. Klasse
Quelle: Otto W. Teufel, ADG