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EuGH: Zwangsrentenalter in Tarifvertrag ist o.k.

12.10.2010 - von PRESSEMITTEILUNG Nr. 103/10

Am 12.10. 2010 hat der Europäische Gerichthof über ein Vorabentscheidungsersuchen des Hamburger Arbeitsgerichts entschieden. Demnach ist die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des Rentenalters des Beschäftigten nicht notwendig diskriminierend. Denn: wer das Rentenalter erreicht hat, und laut Tarifvertrag aufhören muss, zu arbeiten, kann sich ja problemlos woanders um einen Job bewerben.

In der Pressemitteilung des EuGh wird das Urteil so erläutert:

In Deutschland ergibt sich aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, dass Klauseln, nach denen das Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn der Beschäftigte das Rentenalter erreicht, dem Verbot von Diskriminierungen wegen des Alters entzogen sein können. Nach deutschem Recht ist es den Sozialpartnern erlaubt, solche Klauseln in Tarifverträgen vorzusehen.

Frau Rosenbladt war beruflich 39 Jahre lang mit Tätigkeiten der Gebäudereinigung befasst. Ihr Arbeitsverhältnis endet im Einklang mit dem geltenden Tarifvertrag für das Gebäudereinigungsgewerbe mit Ablauf des Kalendermonats, in dem sie Anspruch auf eine Altersrente hat, spätestens mit Ablauf des Kalendermonats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollendet.

Als Frau Rosenbladt das Rentenalter von 65 Jahren erreichte, wurde ihr von ihrem Arbeitgeber mitgeteilt, dass ihr Arbeitsverhältnis damit ende. Hiergegen erhob Frau Rosenbladt Klage vor dem Arbeitsgericht Hamburg, das den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung ersucht hat. Sie macht geltend, dass die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses eine Diskriminierung wegen des Alters darstelle.

Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob die automatische Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des gesetzlichen Rentenalters gegen das in der Richtlinie 2000/78/EG1 niedergelegte Verbot von Diskriminierungen wegen des Alters verstößt.

In seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof zunächst klar, dass eine Klausel, nach der das Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn der Beschäftigte das Rentenalter erreicht, eine unmittelbar auf dem Alter beruhende Ungleichbehandlung darstellt.

Der Gerichtshof hat weiter geprüft, ob diese Ungleichbehandlung als gerechtfertigt angesehen werden kann.

Dazu stellt der Gerichtshof fest, dass mit einer solchen Klausel keine zwingende Regelung des Eintritts in den Ruhestand eingeführt wird, sondern dass sie eine Art und Weise der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Erreichens des Rentenalters unabhängig von einer Kündigung zum Inhalt hat.

Hinsichtlich des mit der Regelung verfolgten Ziels führt der Gerichtshof aus, dass der in Frage stehende Mechanismus auf einem Ausgleich zwischen politischen, wirtschaftlichen, sozialen, demografischen und/oder haushaltsbezogenen Erwägungen beruht und von der Entscheidung abhängt, die Lebensarbeitszeit der Arbeitnehmer zu verlängern oder, im Gegenteil, deren früheren Eintritt in den Ruhestand vorzusehen.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass derartige Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen seit langem Teil des Arbeitsrechts zahlreicher Mitgliedstaaten und in den Beziehungen des Arbeitslebens weithin üblich sind. Da sie den Arbeitnehmern eine gewisse Stabilität der Beschäftigung bieten und langfristig einen vorhersehbaren Eintritt in den Ruhestand verheißen, während sie gleichzeitig den Arbeitgebern eine gewisse Flexibilität in ihrer Personalplanung bieten, sind diese Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen Niederschlag eines Ausgleichs zwischen divergierenden, aber rechtmäßigen Interessen, der sich in einen komplexen Kontext von Beziehungen des Arbeitslebens einfügt und eng mit politischen Entscheidungen im Bereich Ruhestand und Beschäftigung verknüpft ist.

Diese Ziele sind grundsätzlich als solche anzusehen, die eine von den Mitgliedstaaten vorgesehene Ungleichbehandlung wegen des Alters im Sinne der Richtlinie 2000/78 als „objektiv und angemessen“ erscheinen lassen und „im Rahmen des nationalen Rechts“ rechtfertigen.

Dem Urteil des Gerichtshofs zufolge erscheint es daher nicht unvernünftig, wenn die Stellen eines Mitgliedstaats oder die Sozialpartner in diesem Staat annehmen, dass solche Klauseln über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen angemessen und erforderlich sein können, um diese legitimen Ziele zu erreichen.

Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass die im Fall von Frau Rosenbladt anwendbare Klausel zum einen nicht nur auf ein bestimmtes Alter abstellt, sondern auch den Umstand berücksichtigt, dass den Betroffenen am Ende ihrer beruflichen Laufbahn ein finanzieller Ausgleich in Gestalt einer Altersrente zugutekommt, und zum anderen die Arbeitgeber nicht zur einseitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ermächtigt. Überdies eröffnet die tarifvertragliche Grundlage die Möglichkeit, von diesem Mechanismus mit nicht unerheblicher Flexibilität Gebrauch zu machen, so dass die Sozialpartner die Gesamtlage des Arbeitsmarkts und die speziellen Merkmale der jeweiligen Beschäftigungsverhältnisse berücksichtigen können.

Die fragliche deutsche Regelung enthält zudem eine zusätzliche Beschränkung, da sie die Arbeitgeber dazu verpflichtet, die Zustimmung der Arbeitnehmer zu jeder Klausel einzuholen oder sich bestätigen zu lassen, nach der das Arbeitsverhältnis automatisch endet, wenn der Beschäftigte ein Alter erreicht hat, in dem er eine Rente beantragen kann, das aber unter der Regelaltersgrenze liegt.

Schließlich betont der Gerichtshof, dass nach dem deutschen Recht einer Person, die nach Erreichen des Rentenalters eine Berufstätigkeit fortführen möchte, eine Beschäftigung nicht aus einem Grund verweigert werden darf, der mit ihrem Alter zusammenhängt.

Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie 2000/78 einer Klausel über die automatische Beendigung von Arbeitsverhältnissen bei Erreichen des Rentenalters des Beschäftigten, wie sie in Deutschland der Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vorsieht, nicht entgegensteht.

HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Der Volltext des Urteils vom 12.10.2010 wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website Link veröffentlicht.

Urteil in der Rechtssache C-45/09 Rosenbladt / Oellerking Gebäudereinigungsges.mbH

Link: Zwangsrentenalter: EuGH verweist an nationale Gerichte
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union

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