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UN-Ausschuss besorgt über Bürgerrechte in D.

Vereinte Nationen - 04.06.2011

Der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights – ICESCR) hat die Aufgabe, die Erfüllung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte jedes Menschen aus dem Jahr 1966 zu prüfen. Dazu legen die Staaten, aber auch NGOs, Berichte vor. Der Ausschuss hat nun auf den 5. Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland über die Erfüllung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte reagiert.

Hier ein Auszug aus den Concluding Observations (Abschließende Bemerkungen) des Ausschusses des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen (ECOSOC) für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 20. Mai 2011.

Punkt 7:
Der Ausschuß ist weiterhin besorgt darüber, daß die Bestimmungen des Paktes von den nationalen Gerichten nicht genügend beachtet werden (...)

Punkt 14:
Der Ausschuß bleibt betroffen darüber, daß die Arbeitslosenrate in den östlichen Ländern noch doppelt so hoch ist wie die Rate in den westlichen Ländern, trotz der in dieser Sache ergriffenen Maßnahmen (Artikel 6, 2 (2)).

Der Ausschuß ruft den Staat dazu auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die regionalen Ungleichheiten zwischen westlichen und östlichen Ländern ins Visier zu nehmen, eingeschlossen die Anwendung von Beschäftigungsstrategien und Aktionsprogrammen für Regionen, wo die Arbeitslosigkeit besonders ernst ist. (...)

Punkt 19:
Der Ausschuß stellt mit Sorge fest, daß Anordnungen des Staates im Rahmen der Arbeitslosenunterstützung und der Sozialhilfe, einschließlich der Pflicht der Empfänger von Arbeitslosenunterstützung, »jeden akzeptablen Job« anzunehmen, was in der Praxis als fast jeder Job interpretiert werden kann, sowie die Verpflichtung Langzeitarbeitsloser zu unbezahlter Gemeinschaftsarbeit, zu Verletzungen der Artikel 6 und 7 des Sozialpaktes führen können (Art. 6, 7 und 9).

Der Ausschuß bittet den Staat dringend, sicherzustellen, daß seine Regelungen zur Unterstützung der Arbeitslosen die Rechte der Individuen, eine Beschäftigung frei nach seiner oder ihrer Wahl zu akzeptieren, respektiert und ebenso das Recht auf faire Bezahlung.

Punkt 21:
Der Ausschuß ist betroffen darüber, daß das Bundesverfassungsgericht bei der Berechnung der Kosten für einen Mindeststandard Methoden angewandt hat die keine angemessene Lebenshaltung gewährleisten.

Außerdem stellt das Komitee fest, daß die Höhe der für die soziale Sicherheit der Kinder veranschlagten Mittel so niedrig ist, dass etwa zweieinhalb Millionen Kinder unterhalb der Armutsgrenze leben.

Zusätzlich ist das Komitee betroffen darüber, daß 2005 die zu versteuernde Rente auf 80 Prozent gestiegen ist (Art. 9 und 10 des Paktes).

Das Komitee fordert den Vertragsstaat dringend dazu auf, die Methoden und Kriterien, die für die Bestimmung der Höhe der Einkommen bestimmend sind und die angemessene Kriterien für den Lebensunterhalt normalerweise darstellen, so festzulegen, daß die sozialen Sicherheitsstandards eingehalten werden.

Das Komitee fordert den Vertragsstaat darüber hinaus auf, die Auswirkungen der sozialen Sicherheitsbestimmungen, einschließlich des Paktes für die Kinderarmut von 2011, zu überprüfen. (...)

Punkt 22:
Der Ausschuß ist besorgt über die Diskriminierung hinsichtlich der Rechte über soziale Sicherheit zwischen den östlichen und den westlichen (Bundes-)Ländern, wie sie in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2010 über die Renten der (DDR-)Minister und stellvertretenden Minister zum Ausdruck kommen.

Das Komitee fordert den Vertragsstaat auf, unverzüglich effektive Maßnahmen zu ergreifen, um die weitere Diskriminierung hinsichtlich der sozialen Sicherheit zwischen Ost und West zu beseitigen und bestehende Fälle einer solchen Diskriminierung zu beseitigen.

Punkt 24:
Mit Betroffenheit stellt der Ausschuß fest, daß entsprechend der Angaben der Vertragspartei 13 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben und zugleich 1,3 Millionen Bürger, welche wirtschaftlich tätig sind, Einkommensunterstützung erhalten müssen, um anständig leben zu können.

Das Komitee ist betroffen darüber, daß trotz der Sozialversicherung solch ein hohes Niveau der Armut besteht. Dies ist Ausdruck großer Einkommensunterschiede oder zumindest einer geringen Möglichkeit des Ausgleichs.

Das Komitee ruft den Vertragsstaat dazu auf, ein umfassendes Antiarmutsprogramm einzuführen welches die vielen qualifizierten Analysen, die der Vertragsstaat bereits unternommen hat, in Rechnung stellt.

Das Komitee empfiehlt, die unterschiedlichen Einkommensstufen einzubeziehen. Der Vertragsstaat wird aufgefordert, die Menschenrechte in das Antiarmutsprogramm einzubeziehen und besondere Aufmerksamkeit den Benachteiligten und Minoritäten zuzuwenden. In diesem Zusammenhang beruft sich das Komitee gegenüber dem Vertragsstaat auf die Erklärung über Armut und das Internationale Abkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (2001).

Punkt 30:
Der Ausschuß ist darüber besorgt, daß der Staat in bezug auf seine frühere Empfehlung von 2001, die Studiengebühren zu reduzieren mit dem Ziel, sie abzuschaffen, nicht aktiv geworden ist, (...).

Der Ausschuß wiederholt seine Empfehlung und fordert den Staat auf, eine Reduzierung der Studiengebühren in der nationalen Hochschulgesetzgebung einzuführen, und empfiehlt dem Staat dringend, der Bundesregierung mehr Verantwortlichkeiten in der Hochschulpolitik zu übertragen, die bisher den Ländern zugefallen waren. (...)

Vollständiger Text (englisch):
Concluding Observations of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights: Germany [pdf-Datei]

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„Die UN gehen in ihrem neuesten Staatenbericht hart mit der sozialen Lage in Deutschland ins Gericht. Vier Jahre nach dem Vorgängerbericht seien viele der früheren Empfehlungen nicht umgesetzt worden…“ Artikel von Matthias Meisner im Tagesspiegel vom 05.07.2011
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Vereinte Nationen "tief besorgt" über Sozialpolitik — "Deutschland versagt im Kampf gegen Armut". „Armut, Millionen benachteiligte Frauen, diskriminierte Einwanderer,
unzumutbare Verhältnisse in Asylbewerberheimen - ein UN-Ausschuss übt massive Kritik an Deutschland. Besonders kritisch sehen die Vereinten Nationen die Situation für Kinder und Senioren...“ Artikel von Markus C.
Schulte von Drach in Süddeutsche Zeitung vom 06.07.2011
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Vereinte Nationen fordern konsequenten Menschenrechtsansatz für deutsche Sozialpolitik. „Deutliche Kritik, verpackt in diplomatische Worte, hat der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte der Vereinten
Nationen (UN-Sozialausschuss) kürzlich in seinem am 20. Mai
veröffentlichten Bericht an der deutschen Sozialpolitik formuliert. Mit seinen Anmerkungen hat der Ausschuss die Bewertung des bereits 2008 von der Bundesregierung vorgelegten 5. Staatenberichts abgeschlossen.
Berechnungsgrundlagen für Arbeitslosengeld II noch immer zweifelhaft…“
FIAN-Pressemitteilung vom 6.7.2011
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UN-Kritik an Deutschland trifft ins Schwarze. Armut ist Folge der ausschließlichen Orientierung auf die
Wettbewerbsfähigkeit. Auch international verursacht diese Politik Armut und Krisen. Pressemitteilung von Attac Deutschland vom 6. Juli 2011
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UN rügt Bundesregierung wegen sozialen Missstände. „Das Erwerbslosen Forum Deutschland teilt die Kritik des neuesten
Staatenberichts der Vereinten Nationen am deutschen Sozialsystem. Demnach fehle es an einem wirksamen Armutsbekämpfungsprogramm und kaum eine der
Empfehlungen des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sei bisher umgesetzt worden. Die Grundsicherung von Hartz-IV-Beziehern gewähre keinen angemessenen Lebensstandard. Trotz der massiven Kritik von den Vereinten Nationen betrachtet die Bundesregierung
den Bericht jedoch als vorläufig und will sich erst später dazu äußern…“. Pressemitteilung des Erwerbslosen Forum Deutschland vom 06.07.2011
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„Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordert Konsequenzen aus den abschließenden Bemerkungen des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen (UN-Sozialausschuss).
„Die soziale Selektion im deutschen Bildungssystem ist ein Skandal. Die Kritik der UN an den frühen Bildungswegentscheidungen macht deutlich: Das gegliederte Schulsystem in Deutschland muss endlich überwunden werden“,
sagte die stellvertretende Vorsitzende der GEW, Marianne Demmer, in Frankfurt. „Wir unterstützen zudem die Forderung, das Problem der Schulabbrecherinnen und Schulabbrecher endlich anzugehen.“ Pressemitteilung der GEW vom 07.07.2011Link

Link: Wovon sollen wir im Alter leben
Quelle: Junge Welt 28.Mai 2011, Labournet, 9.7.11, GEW,7.7.11