13.03.2012 - von Anita Künstle
Wer in Deutschland jenseits der 60 Jahre alt ist, hat kein leichtes Leben. Er wird zunehmend als Belastung angesehen, in der Demographie-Debatte als aktuelles und ein zukünftiges Problem definiert. Wer die 50 überschritten hat, weder hochqualifiziert ist oder Beziehungen hat,wird reichlich Erfahrungen mit Altersdiskriminierung auf dem Arbeitsmarkt machen.
Wer im Alter chronisch krank ist, wird vielfach mit Ablehnung und Ignoranz konfrontiert werden. Wer nicht mindestens 45 Jahre ununterbrochen in die Rentenkasse eingezahlt hat, wer schon in jungen Jahren nicht viel Geld und Vermögen hatte, wer wegen Krankheit oder wegen vorzeitiger »betriebsbedingter Kündigung« vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter in den Ruhestand gehen muss, der wird im Alter auf Grundsicherung angewiesen sein und unter Altersarmut leiden. Das alles ist weder Schicksal noch naturwüchsig, sondern von Menschen gemachte und gewollte Politik.
»Jung ist geil, alt ist verbraucht«, so könnte das Motto unseres Zeitgeistes lauten. Dabei wird oft vergessen, dass sich die älteren Menschen ein Leben lang abgeschuftet haben. Ihre Lebensleistung wird dann mit einer Niedrigrente oder mit Altersheim gewürdigt.
Wer alt, krank und langsam ist, ist nicht cool in unserer schnelllebigen und arbeitswütigen Gesellschaft. Viele alte Menschen sind sich dessen bewusst, in dem sie in Gesprächen selbstironisch den Satz äußern: »Ach, ich bin doch schon so alt!« So, als würden sie sich für ihr Alter entschuldigen müssen.
Im Jahre 1996 hat die Gesellschaft für Deutsche Sprache (GfdS) den Begriff »Rentnerschwemme« als Unwort des Jahres gekürt. Auszug aus der Begründung der GfdS:
"Gleichzeitig aber weckt das Bild von der »Schwemme« ein unterschwelliges Bedrohungsgefühl. Damit befindet es sich in schlechter Gesellschaft mit anderen unangemessenen Naturbildern im Umkreis sozialpolitischer Debatten. [...] Das Bild von der »Rentnerschwemme« verdrängt außerdem im engeren Rahmen der rentenpolitischen Debatte durch seine Einseitigkeit der Situationsbeschreibung die Tatsache, dass sich die allermeisten Angehörigen der als so bedrohlich gedeuteten älteren Generationen ihren Anspruch auf eine angemessene Altersversorgung in jüngeren Jahren selbst erarbeitet haben."
Weit bis in die Linke hinein, wird dieses Bild auch 15 Jahre danach noch reproduziert, wenn vielleicht auch nicht bewusst: Doch heute schon zählen wir 20,5 Millionen Rentner bei 28,6 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten - Stefan Welzk, »Lobby-Kunst und Renten-GAU«, in »Blätter«, Ausgabe Februar 2012, S.14
Die Botschaft ist eindeutig: wir haben bald so viele (oder mehr) Rentner wie sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, die Alten werden uns überschwemmen und überrollen. Wir müssen dringend etwas dagegen tun, wenn Deutschland nicht »ergrauen« soll, so der Tenor.
Die weitverbreitete Verachtung alter Menschen in Deutschland, zeigt sich auch in der Wortschöpfung des »sozialverträglichen Frühablebens«, der vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Karsten Vilmar, im Dezember 1998 geprägt wurde. Alte Menschen sollen am besten nicht allzu lange Rente beziehen, die Krankenkassen nicht mit ihren chronischen Krankheiten belasten oder ihren Verwandten so lange auf der Tasche liegen, sie sollen möglichst schnell sterben, nachdem sie ihr Leben lang sich kaputt geschuftet haben. Auch wenn manche sagen würden, der Satz wäre ein Ausrutscher gewesen, so verdeutlicht er doch, das Denken über alte Menschen, das keineswegs auf Herrn Vilmar beschränkt sein dürfte.
Im Jahre 2003 zeigte der Bundesvorsitzende der Jungen Union (CDU), Philip Mißfelder (heute Mitglied des Bundestages der CDU) seine Menschenverachtung gegenüber Senioren, indem er alte Menschen auf eine ökonomische Belastung reduziert hatte: Ich halte nichts davon, wenn 85-Jährige noch künstliche Hüftgelenke auf Kosten der Solidargemeinschaft bekommen. - Tagesspiegel vom 3. August 2003
Die viel beschworene Menschenwürde unseres Grundgesetzes ist bei genauerer Betrachtung immer weniger vorhanden. Ob Arbeitslose, Rentner, Kranke oder vermeintliche Ausländer: alle werden danach bemessen und bewertet, welchen »Wert«, welchen Profit sie erbringen können. Wer wenig »funktioniert«, d.h. aus wem man wenig Kapital schlagen kann, der ist in den Augen der Vermögenden und Herrschenden auch eine Belastung oder gar überflüssiger Ballast. Die weitverbreitete Verachtung der Alten, verdeutlicht den menschenverachtenden Aspekt eines neoliberalen Denkens, das sich nur für Profit und nicht für Menschen interessiert.
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