Österreich - 12.11.2012
Im Dezember 2010 hatte der Verfassungsgerichtshof die Diskriminierung von Männern bei den Seniorenjahreskarten für gleichheitswidrig erklärt (15.12.2010, V 39/10 siehe unten). Nun hat das Bezirksgericht Innere Stadt Wien einem betroffenen Mann mit Urteil vom 8. November 2012 (78 C 493/12w), außer den zuviel bezahlten Beträgen für die drei Jahreskarten, auch noch 1.500 Euro Entschädigung zuzüglich Zinsen für die erlittene Diskriminierung zugesprochen. Der Mann hatte für seine Seniorenkarten jedes Jahr 499 Euro gezahlt, Frauen im selben Alter zahlten nur die Hälfte.
Der Schaden für die Wiener Linien beläuft sich in diesem Fall für Schadensersatz, Entschädigung, Zinsen und Verfahrenskosten auf über 3.000 Euro. Weitere Klagen sind anhängig.
Die Wiener Linien hätten gewarnt sein können. Denn schon im Juni 2012 hatte das Landesgericht für Zivilrechtssachen ein entsprechendes Urteil des Bezirksgericht Innere Stadt Wien bestätigt. Damals waren vom Gericht 500 Euro Entschädigung für die Diskriminierung zugesprochen worden. Jeder Mann, der zwischen dem 60. und 65. Lebensjahr eine Jahreskarte der Wiener Linien hatte, kann nun Rückzahlung und Entschädigung verlangen. Die Ansprüche verjähren erst drei Jahre nach der jeweiligen Zahlung. Das gilt übrigens ebenso für die Vorteilscard der ÖBB senior.
Der Verfassungsgerichtshof hat unter dem Vorsitz des
Präsidenten Dr. H o l z i n g e r, in Anwesenheit der Vizepräsidentin Dr. B i e r l e i n und der Mitglieder Mag. Dr. B e r c h t o l d - O s t e r m a nn, Dr. G a h l e i t n e r, DDr. G r a b e n w a r t e r ,Dr. H a l l e r, Dr. H ö r t e n h u b e r, Dr. K a h r, Dr. L a s s, Dr. L i e h r, Dr. M ü l l e r, Dr. O b e r n d o r f e r, DDr. R u p p e und Dr. S c h n i z e r als Stimmführer, im Beisein des Schriftführers Dr. E b e r h a r d,(15. Dezember 2010)
über die Anträge 1. des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien vom 26. Februar 2010, Z 14 C 1580/09v-7, und 2. des Bezirksge-richtes Innere Stadt Wien vom 2. März 2010, Z 40 C 957/09 x - 16, in Punkt 9. der Anlage 1 der Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie über die Allgemeinen Be-förderungsbedingungen für den Kraftfahrlinienverkehr (Kfl-Bef Bed), vom 18.1.2001, BGBl. II Nr. 47/2001, die Wortfolge "Senioren - das sind Männer ab dem 65. und Frauen ab dem 60. Lebensjahr -" als gesetzwidrig aufzuheben, in seiner heutigen nichtöffentlichen Sitzung gemäß Art. 139 B-VG zu Recht erkannt:
I. Die Wortfolge "- das sind Männer ab dem 65. und Frauen ab dem 60. Lebensjahr -" in Punkt 9. der Anlage 1 der Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Kraftfahrlinienverkehr (Kfl-Bef Bed), BGBl. II Nr. 47/2001, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2011 in Kraft.
Die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
II. Im Übrigen wird den Anträgen keine Folge gegeben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. 1. Die antragstellenden Gerichte begehren in ihren auf Art. 89 Abs. 2 iVm Art. 139 Abs. 1 und 3 B-VG gestützten An-trägen, dass "Punkt 9. der Anlage 1 der Verordnung des Bundes-ministers für Verkehr, Innovation und Technologie über die All-gemeinen Beförderungsbedingungen für den Kraftfahrlinienverkehr (Kfl-Bef Bed), vom 18.1.2001, BGBl. II 47/2001", in der im Fol-genden hervorgehobenen Wortfolge aufgehoben wird:
"9. Fahrpreisermäßigung für Senioren Senioren - das sind Männer ab dem 65. und Frauen ab dem 60. Lebensjahr - kann bei Vorweis eines gültigen amtlichen Lichtbildausweises eine 50%ige Fahrpreisermäßigung gewährt werden."
2.1. Zu der bei ihm anhängigen Rechtssache führt das Bezirksgericht für Handelssachen Wien - protokolliert zu V 39/10 - aus, der am 3. Jänner 1946 geborene Kläger, der bereits vor dem Jahr 2008 Pensionist gewesen sei, habe zumindest seit 2008 lau-fend Jahreskarten bei der Wiener Linien GmbH & Co KG als beklagter Partei erworben. Der Kläger habe bei der beklagten Partei unter Hinweis auf seine Pensionierung bereits im Jahr 2008 eine Reduktion der monatlich vorgeschriebenen Beiträge (Normaltarif: € 45,80) für die Jahreskarte auf € 22,90 begehrt. Die beklagte Partei gewähre Frauen ab dem 60. Lebensjahr und Männern ab dem 65. Lebensjahr eine derartige Seniorenermäßigung. Der Kläger be-haupte eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts; § 40b [gemeint wohl: § 40g] Gleichbehandlungsgesetz normiere einen zivilrechtlichen Anspruch auf Schadenersatz. Das Bezirksgericht für Handelssachen Wien hege Bedenken ob der Ge-setzmäßigkeit der im Antrag zitierten Normteile hinsichtlich näher dargelegter Bestimmungen der §§ 40a ff Gleichbehandlungs-gesetz.
2.2. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien führt zu dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit - protokolliert zu V 40/10 - aus, dass der am 23. Juni 1947 geborene Kläger, der seit 2007 im Ruhe-stand sei, € 472,50 an Vermögensschaden aus der Preisdifferenz zwischen Normaltarif und Seniorentarif von Seniorenkarten der beklagten Wiener Linien GmbH & Co KG begehre. Die beklagte Partei gewähre Seniorenkarten für Männer ab dem 65. Lebensjahr und für Frauen ab dem 60. Lebensjahr, wobei eine Jahreskarte zum Normal-tarif € 449,- und zum Seniorentarif € 224,- koste. Weiters be-gehre der Kläger € 1.500,- an immateriellem Schaden gemäß § 40g
Gleichbehandlungsgesetz sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden, in eventu weitere € 550,- an Ver-mögensschaden aus der Preisdifferenz; die Ermäßigung für die Be-nutzung der Verkehrsmittel auf der Grundlage unterschiedlicher Altersgrenzen für Frauen und Männer stelle eine direkte Diskrimi-nierung des Klägers aufgrund des Geschlechts dar und verletze § 40b Gleichbehandlungsgesetz. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien hege Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der im Antrag zitierten Normteile hinsichtlich näher dargelegter Bestimmungen des Gleich-behandlungsgesetzes.
2.3. Die Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie legte die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, die Verordnungsprüfungsanträge des Bezirksgerichtes für Handelssachen Wien sowie des Bezirks-gerichtes Innere Stadt Wien als unzulässig zurückzuweisen, in eventu die Verordnungsprüfungsanträge als unbegründet abzuweisen, in eventu eine Frist von achtzehn Monaten für die Erlassung einer neuen Regelung einzuräumen.
2.4. Die Wiener Linien GmbH & Co KG erstattete ebenfalls eine Äußerung in der sie anregt, "der Verfassungsgerichtshof möge, allenfalls nach Einholung einer Vorabentscheidung der Frage, ob Art 7 der Richtlinie 79/7/EWG der angefochtenen Be-stimmung entgegen steht, durch den Europäischen Gerichtshof, aussprechen, dass die angefochtene Bestimmung nicht gesetzwidrig ist".
2.5. Auch der Kläger im beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien anhängigen Ausgangsstreit - protokolliert zu V 40/10 - er-stattete eine Äußerung, beantragt, den Antrag des Bezirksgerich-tes Innere Stadt Wien mangels Präjudizialität der angefochtenen Verordnungsbestimmung zurückzuweisen, in eventu die Verordnung im angefochtenen Umfang als gesetzwidrig aufzuheben und regt eine "Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union" an.
II. Zur Rechtslage:
1. Die im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Bestim-mungen des Gleichbehandlungsgesetzes BGBl. I 66/2004, idF BGBl. I 98/2008 (im Folgenden: GlBG) lauten:
"Gleichbehandlungsgebot
§ 40b. Auf Grund des Geschlechtes darf niemand unmittel-bar oder mittelbar beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, diskriminiert werden. Diskriminierungen von Frauen auf Grund von Schwangerschaft oder Mutterschaft sind unmittelbar Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts.
Begriffsbestimmungen § 40c. (1) Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person auf Grund ihres Geschlechtes in einer vergleich-baren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
(2) Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen eines Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechtes benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich.
(3) Eine Diskriminierung liegt auch bei Anweisung einer Person zur Diskriminierung vor.
Ausnahmebestimmungen § 40d.
Die Bereitstellung von Gütern oder Dienstleistungen ausschließlich oder überwiegend für ein Geschlecht ist keine Diskriminierung, wenn dies durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Positive Maßnahmen § 40e.
Die in Gesetzen, in Verordnungen oder auf andere Weise getroffenen Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung, mit denen Benachteiligungen auf Grund des Geschlechtes verhindert oder ausgeglichen werden, gelten nicht als Diskriminierung im Sinne dieses Gesetzes."
2. § 46 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die linienmäßige Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen (Kraftfahrlinien-gesetz - KflG), BGBl. I 203/1999, idF BGBl. I 12/2006, lautet auszugsweise wie folgt:
"Verordnungen§ 46.
(1) Durch Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie können insbesondere erlassen werden:
...
3. unter Berücksichtigung von § 39f Familienlasten-ausgleichsgesetz 1967 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 433/1996 die von der Wirtschaftskammer Österreich angezeigten Regelbeförderungspreise samt etwaigen Zuschlägen sowie deren Erhöhung auf Grund des vom Österreichischen Statistischen Zentralamt festgestellten Preissteigerungsindex für Kraft-fahrlinien. Weiters die näheren Bestimmungen über
a) Ermäßigungen,
b) Zeitkarten,
c) Rückfahrkarten,
d) Beförderungspreise für Reisegepäck und für Gegenstände des täglichen Bedarfs sowie
e) sonstige Entgelte im Kraftfahrlinienverkehr;
4. die erforderlichen Vorschriften über einheitliche Allgemeine Beförderungsbedingungen, in denen insbesondere geregelt ist
a) das Verhalten der Fahrgäste,
b) der Ausschluß von der Beförderung,
c) die Ausstellung der Fahrkarten,
d) die Beförderung von Gepäck und von Tieren,
e) die Rückerstattung der Beförderungspreise,
f) die Behandlung verlorener oder zurückgelassener Gegenstände,
g) die Haftung des Unternehmens.
..."
3. § 20 der Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie über die Allgemeinen Beförderungs-bedingungen für den Kraftfahrlinienverkehr (Kfl-Bef Bed), BGBl. II 47/2001, lautet wie folgt:
"§ 20. Die Fahrpreisermäßigungen, deren Umfang und die Voraussetzungen für ihre Inanspruchnahme sind in der Anlage 1 dieser Beförderungsbedingungen zusammengefasst."
4. Punkt 9 der Anlage 1 der Verordnung des Bundesminis-ters für Verkehr, Innovation und Technologie über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Kraftfahrlinienverkehr (Kfl-Bef Bed), BGBl. II 47/2001, hat folgenden Wortlaut (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Anlage 1 zu den Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Kraftfahr-linienverkehr Zusammenstellung der genehmigten Fahrpreisermäßigungen im Kraftfahrlinienverkehr
...
9. Fahrpreisermäßigung für Senioren Senioren - das sind Männer ab dem 65. und Frauen ab dem 60. Lebensjahr - kann bei Vorweis eines gültigen amtlichen Licht-bildausweises eine 50%ige Fahrpreisermäßigung gewährt werden."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - in sinngemäßer Anwendung der §§ 187 und 404 ZPO iVm § 35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Anträge erwogen:
1. Zur Zulässigkeit der Anträge:
1.1. Die Anträge richten sich gegen die Wortfolge "Senioren - das sind Männer ab dem 65. Lebensjahr und Frauen ab dem 60. Lebensjahr -" im Punkt 9. der Anlage 1 der Verordnung des Bundesministers für Verkehr, Innovation und Technologie über die Allgemeinen Beförderungsbedingungen für den Kraftfahrlinienver-kehr (Kfl-Bef Bed), BGBl. II 47/2001.
1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Ge-richt an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vor-greifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfas-sungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iS des Art. 140 B-VG bzw. des Art. 139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität
zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmög-lich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraus-setzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im An-lassfall bildet (zB VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).
Dass die antragstellenden Gerichte die angefochtene Wortfolge in den bei ihnen anhängigen Verfahren - in denen Schadenersatzansprüche wegen der Anwendung diskriminierender Seniorenfahrpreisermäßigungen geltend gemacht werden - anzuwenden haben, ist denkmöglich.
Die Anträge sind, da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, zulässig.
2. In der Sache:
Die antragstellenden Gerichte sind im Ergebnis mit ihrer Behauptung im Recht, dass in der bekämpften Verordnungsbestimmung eine Anknüpfung des Pensionistentarifes an unterschiedliche Altersgrenzen für Männer und Frauen, unabhängig davon, ob eine Pensionierung überhaupt erfolgt ist, vorgesehen sei, weshalb diese Bestimmung den zitierten Bestimmungen des Gleichbehand-lungsgesetzes widerspreche:
2.1. Die bekämpfte Verordnungsbestimmung regelt die Fahrpreisermäßigung für Senioren im Rahmen der allgemeinen Beför-derungsbedingungen für den Kraftfahrlinienverkehr. Ziel des Kraftfahrlinienrechtes ist die optimale Versorgung der Bevöl-kerung mit Kraftfahrlinien (vgl. Bericht des Verkehrsausschusses, 2047 BlgNR 20. GP). Der Verordnungsgeber hat bei der Festlegung von Ermäßigungskriterien im Sinne des § 46 KflG aber auch darauf Bedacht zu nehmen, nicht gegen andere Bundesgesetze wie etwa das GlBG zu verstoßen. Mit BGBl. I 98/2008, in Kraft getreten mit 1. August 2008, wurde im Gleichbehandlungsgesetz die Gleichbe-handlung von Frauen und Männern beim Zugang zu und bei der Ver-sorgung mit Gütern und Dienstleistungen in Umsetzung der Richtlinie 2004/113/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, ABl. 2004 L 373, S 37, gesetzlich geregelt. Gemäß § 40a GlBG gelten die Bestimmun-gen dieses Teiles des Gleichbehandlungsgesetzes für Rechtsver-hältnisse einschließlich deren Anbahnung oder Begründung und für die Inanspruchnahme der Geltendmachung von Leistungen außerhalb eines Rechtsverhältnisses beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Ver-fügung stehen. Nach Erwägungsgrund 11 der RL 2004/113/EG ist der Begriff "Dienstleistungen" iSd Art. 50 EG (nunmehr Art. 57 AEUV) zu verstehen. Dienstleistungen sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden. Darunter fallen insbesondere gewerbliche Tätigkeiten, kaufmännische Tätigkeiten, handwerkliche Tätigkeiten und freiberufliche Tätigkeiten. Auch privatwirt-schaftliche Tätigkeiten des Staates, die gegen Entgelt gewährt werden, fallen unter den Dienstleistungsbegriff (vgl. Hopf/Mayr/Eichinger, Gleichbehandlungsgesetz - Antidiskriminierung, 2009, RZ 7 zu § 40a). Die regelmäßige Beförderung von Personen mit Kraftfahrzeugen iSd § 1 KflG fällt daher in den Anwendungsbereich der §§ 40a ff GlBG.
§ 40b GlBG verbietet grundsätzlich jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechtes bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffent-lichkeit zur Verfügung stehen. Gemäß § 40c GlBG liegt eine un-mittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person auf Grund ihres Geschlechtes in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Im vorliegenden Fall wird bei der Gewährung von Preisermäßigungen für Senioren unmittelbar zwischen Männern und Frauen unterschieden und an unterschiedliche Lebensalter an-geknüpft (Männer 65., Frauen 60. Lebensjahr). Das Gleichbehand-lungsgesetz sieht keine Möglichkeit einer sachlichen Rechtfer-tigung einer unmittelbaren Diskriminierung vor, es sei denn, es würde sich um eine positive Maßnahme handeln.
2.2. Selbst wenn man die vorliegende Differenzierung lediglich als mittelbare Diskriminierung qualifizieren würde, indem man unterstellt, die Bestimmung knüpfe an das unterschied-liche gesetzliche Pensionsalter an – was naheliegend ist -, so würde dies nichts am Ergebnis ändern:
Auch mittelbare Diskriminierungen - wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen eines Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen - sind nur zulässig, wenn die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich sind (§ 40c Abs. 2 GlBG).
Die Zulässigkeit unterschiedlicher Altersgrenzen von männlichen und weiblichen Sozialversicherten für den Anspruch auf Pension wurde mit Bundesverfassungsgesetz BGBl. 832/1992 ver-fassungsrechtlich abgesichert. In diesem Bundesverfassungsgesetz werden jedoch keine ausdrücklichen Regelungen getroffen, dass darüber hinausgehend etwa bei Dienstleistungen an das unter-schiedliche gesetzliche Pensionsalter angeknüpft werden dürfe.
2.3. Nach der Richtlinie 79/7/EWG zur schrittweisen Ver-wirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit, ABl. 1979 L 006, S 24, sind die Mitgliedstaaten berechtigt, die Festsetzung des Renten-alters für die Gewährung der Altersrente oder Ruhestandsrente und etwaige Auswirkungen daraus auf andere Leistungen von der Richt-linie auszunehmen (Art. 7 RL 79/7/EWG).
Nach der Judikatur des EuGH rechtfertigt dies aber nicht Ungleichbehandlungen, die nicht objektiv und notwendig mit dem unterschiedlichen Rentenalter für Männer und Frauen zusammen-hängen. Ein solcher objektiver und notwendiger Zusammenhang wird im Hinblick auf das finanzielle Gleichgewicht von beitrags-abhängigen Rentensystemen oder etwa bei der Frage der Kohärenz
zwischen Altersrenten und sonstigen Vorruhestandsregelungen ge-sehen (vgl. etwa EuGH 30.1.1997, Rs C-139/95, Slg. 1997 I-00549).
Keine Rechtfertigung für eine Anknüpfung an das unter-schiedliche Rentenalter sieht der EuGH hingegen etwa bei der Gewährung von Rezeptgebührenbefreiungen oder Heizkostenzu-schüssen, da diese Leistungen nicht notwendig und objektiv mit dem unterschiedlichen Rentenalter verbunden sind (vgl. EuGH 19.10.1995, Rs C-137/94, Slg. 1995 I-03407; EuGH 16.12.1999, Rs C-382/98, Slg. 1999 I-08955). Im Übrigen ist darauf hinzu-weisen, dass die Anknüpfung an das gesetzliche Pensionsalter auch nicht damit gerechtfertigt werden könnte, dass bei Erreichen dieser – unterschiedlichen - Altersgrenzen regelmäßig eine ent-sprechend größere soziale Bedürftigkeit eintreten würde: Das tat-sächliche Pensionsantrittsalter liegt nicht bei den in der Ver-ordnung festgelegten Altersgrenzen (vgl. dazu zB für das Jahr 2009 die Statistik des Hauptverbandes der Sozialversicherungs-träger). Das bloße Anknüpfen am gesetzlichen Pensionsalter ist daher auch nicht geeignet, tatsächlich bestehende Nachteile von Frauen im Hinblick auf geringere Pensionsleistungen oder einen nachteiligen Versicherungsverlauf auf Grund der Kinderbetreuung angemessen auszugleichen.
2.4. Schließlich ist auch die Ausnahmebestimmung des § 40d GlBG nicht anwendbar, da öffentliche Beförderungsleistungen nicht überwiegend für ein Geschlecht angeboten werden.
2.5. Die durch § 40e GlBG eingeräumte Erlaubnis für positive Maßnahmen kommt für die in Prüfung gezogene Verordnungs-bestimmung ebensowenig in Betracht: Gem. § 40e GlBG gelten die in Gesetzen, Verordnungen oder auf andere Weise getroffenen Maßnah-men zur Förderung der Gleichstellung, mit denen Benachteiligungen auf Grund des Geschlechts verhindert oder ausgeglichen werden, nicht als Diskriminierung iSd Gleichbehandlungsgesetzes. Für eine solche positive Maßnahme im Sinne einer Förderung von Frauen be-darf es eines Konnexes zwischen einer Benachteiligung und der Fördermaßnahme (vgl. Hopf/Mayr/Eichinger, aaO, Rz 4 zu § 40e). Esist nicht ersichtlich, inwiefern im Rahmen der Beförderung im öffentlichen Verkehrswesen nach dem Kraftfahrliniengesetz eine spezifische Benachteiligung von Frauen bestünde, die durch eine im Vergleich zu Männern fünf Jahre früher gewährte Fahrpreiser-mäßigung zweckmäßig und verhältnismäßig ausgeglichen werden könnte. Art. 6 der RL 2004/113/EG, der durch § 40e GlBG in das österreichische Recht umgesetzt wurde, erlaubt positive Maßnahmen im Sinne "spezifischer Maßnahmen, mit denen geschlechtsspezi-fische Benachteiligungen verhindert oder ausgeglichen werden". Eine generelle Anknüpfung am unterschiedlichen gesetzlichen Pensionsalter, welches jedoch auf die Benützung öffentlicher Ver-kehrsmittel nicht unmittelbar Auswirkung hat, kann nicht als solche spezifische Maßnahme zum konkreten Ausgleich einer ge-schlechtsspezifischen Benachteiligung angesehen werden.
Aus den angeführten Gründen verstößt die in der an-gefochtenen Verordnungsbestimmung getroffene Differenzierung zwischen Männern und Frauen bei der Gewährung von Fahrpreiser-mäßigungen für Senioren gegen § 40b GlBG und war daher aufzu-heben.
Die Gesetzwidrigkeit kann durch Aufhebung bloß der Wort-folge "- das sind Männer ab dem 65. und Frauen ab dem 60. Le-bensjahr -" in Punkt 9. der Anlage 1 der Verordnung des Bundes-ministers für Verkehr, Innovation und Technologie über die All-gemeinen Beförderungsbedingungen für den Kraftfahrlinienverkehr, BGBl. II 47/2001, beseitigt werden. Dem Antrag auf Aufhebung des darüber hinausgehenden Wortes "Senioren" war jedoch keine Folge zu geben, da ansonsten der verbleibende Satzteil ohne Subjekt verblieben wäre.
3. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Verordnungsbestimmung gründet sich auf Art. 139 Abs. 5 B-VG.
4. Die Verpflichtung der Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie zur unverzüglichen Kundmachung der
Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art. 139 Abs. 5 erster Satz B-VG und § 60 Abs. 2 VfGG iVm § 4 Abs. 1 Z 4 BGBlG.
5. Die vorliegende Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs. 4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Wien, am 15. Dezember 2010
Der Präsident:
Dr. Holzinger
Neuerliche Entscheidung zu SeniorInnentickets: Berufungsgericht reduziert immateriellen Schadenersatz
Das Bezirksgericht Wien sprach in einem Urteil vom 8.11.2012 (78 C 493/12w-6) einem 1948 geborenen Mann, der in den Jahren 2010 und 2011 von einem öffentlichen Verkehrsbetrieb kein SeniorInnenticket erhalten hatte und daher mehr als gleichaltrige Frauen bezahlen musste, Schadenersatz zu. Dieser Schadenersatz umfasste den Vermögensschaden in Höhe von € 450,- für die Preisdifferenz und immateriellen Schadenersatz für die erlittene persönliche Beeinträchtigung in Höhe von € 1.500,-.
Gegen dieses Urteil erhob das beklagte Verkehrsunternehmen Berufung. Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht bestätigte nun mit seiner Entscheidung vom 25.1.2013 (35 R 8/13f) das Vorliegen einer geschlechtsspezifischen Diskriminierung des Klägers. Wie auch schon der Verfassungsgerichtshof festgestellt hat, war die der Tarifgestaltung des Verkehrsunternehmens zugrundeliegende Verordnung gleichbehandlungsgesetz- und europarechtswidrig und hätte daher nicht angewendet werden dürfen.
Den vom Gericht erster Instanz zugesprochenen immateriellen Schadenersatz schränkte das Berufungsgericht allerdings stark ein. Eine Entschädigung in Höhe von € 1.500,- betrachtete das Berufungsgericht im vorliegenden Fall als überhöht.
In seiner Entscheidung stellt das Berufungsgericht klar, dass für die im Gleichbehandlungsgesetz vorgesehene Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung weder – wie von der Berufungswerberin vorgebracht – schweres Verschulden notwendig sei, noch eine Erheblichkeitsschwelle überschritten werden müsse. Nach europarechtlichen Standards müsse der Schaden tatsächlich und wirksam ausgeglichen oder ersetzt werden und zwar auf eine abschreckende und dem erlittenen Schaden angemessene Art und Weise.
Auch wenn für ein großes Unternehmen wie im vorliegenden Fall selbst ein Betrag von € 1.500,- nicht wirklich abschreckend wirken könne, sei aber für die Festsetzung der Höhe der Entschädigung doch die vom Kläger erfahrene persönliche Beeinträchtigung zu berücksichtigen.
In der Folge bezieht sich das Berufungsgericht auf seine Entscheidung zu einem nahezu gleichen Sachverhalt vom 19.6.2012 (35 R 151/12h). In diesem Verfahren hat das Berufungsgericht den geforderten Betrag von € 500,- als immateriellen Schadenersatz für angemessen erachtet, zumal dieser ziffernmäßig etwa in der Höhe des Vermögensschadens liege. In Fortführung seiner Judikatur sieht das Berufungsgericht im gegenständlichen Fall eine Reduzierung des immateriellen Schadenersatzes auf € 500,- für gerechtfertigt an.
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