Tijuana, 1977 Foto: H.S.
08.09.2013 - von Hanne Schweitzer
„Den Sonntag hielt sich der alte Michelotto frei, um sich außer den Gottesdienst in der Sáo-Sebastiáo-Kirche zu besuchen, um Händel zu kümmern, das Pferd zu beschlagen, Vorräte bei Maneco Linhares und Kleinkram im Laden des Türken zu kaufen, Reis in der Maschine zu schälen, bei Pivetto einen zu trinken, Kälber und Ferkel zu tauschen, bestellte Enteneier oder eine Wildente auszuliefern, für Frauengeschichten, dies und das und noch mehr.“ "Mama, mir geht es gut", heißt der Band mit sieben Erzählungen, in denen der brasilianische Autor Luiz Ruffato das Leben italienischer Einwanderer in Brasilien beschreibt.
In der ersten Hälfte des vorletzten Jahrhunderts gingen die Finettis, Spinellis, Benvenuttis und Silvas in Santos mit ihren Habseligkeiten von Bord des Schiffes "Carlos R". Lesen und schreiben oder gar portugiesisch sprechen können nur die wenigsten von ihnen. Aber sie sind gekommen, um in der Nähe von Sao Paulo, im Hinterland der Berge von Minas Gerais die Wildnis urbar zu machen, einen Ehepartner zu finden und eine bessere Zukunft für sich und die Familie hinzukriegen.
Glashart beschreibt Ruffato die unerbittliche Härte des Lebens in einer Zeit, als Geburtenkontrolle unbekannt und von Männern nur Söhne gewünscht wurden, weil die wenigstens mit der Hacke umgehen können, als Indianerfrauen mit dem Lasso eingefangen wurden, die Fauliere in den Bäumen hingen und Grubenottern ihre Eier unterm Bett ablegten.
Schwer auszuhalten sind die Schilderungen des proletarischen Familienlebens. „Eine Familie war alles, was wir nicht waren.“ Es wird viel gesoffen, noch mehr geprügelt, und wenn der Vater im Suff die widerspenstige Tochter erschießt, begräbt er sie anschließend, denn er ist ja schließlich ein Christenmensch. Die Mütter waschen - sie waschen und wringen den ganzen Tag anderer Leut`s Wäsche. "Diese Hitze, mein Gott, Au, mein Rücken!" Die Frauen sind ständig schwanger und sterben am Ende doch allein. Die Kinder, denen es gelang, die Gefahren der Wildnis, ihre Väter und die Grausamkeit des Familienlebens zu überleben, sind weg, haben sich auf den Weg gemacht an andere Sehsuchtsorte: Rio de Janeiro oder die nächste Kleinstadt.
„Mama, es geht mir gut“, ist der erste Band des Romanzyklus "Vorläufige Hölle" von Luiz Ruffato. Durch die typografische Gestaltung des Werks wird die Wirkung des Textes noch verstärkt. Monologe wechseln mit poetischen Passagen, mit Szenen von dramatischer Intensität, unprätentiös, frei von Sozialromantik und auf höchstem literarischen Niveau. Ruffatos Saga des proletarischen Brasilien ist schmerzhaft und kompromisslos.
Die Übersetzung aus dem brasilianischen Portugiesisch wurde von litprom - Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. sowie dem brasilianischen Kulturministerium gefördert.
"Mama, es geht mir gut" von Luiz Ruffato ist im Juli 2013 im Verlag Assoziation A. erschienen. 160 Seiten, Hardcover. ISBN 978-3-86241-421-5 Euro 18,-
Luiz Ruffato hält die Eröffnungsrede der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt und ist literarischer Sprecher des Ehrengastlandes Brasilien. Vor und nach der Buchmesse wird er sein Werk im Oktober auf einer Lesereise vorstellen.
04.10. Köln, Literaturhaus Köln mit DLF & DLR-Kultur, 19:30 Uhr
07.10. Frankfurt, Union International Club, 19:00 Uhr, Anmeldung erforderlich
08.10. Frankfurt Buchmesse – Eröffnungsrede
09.10. Frankfurt Buchmesse - Blaues Sofa, Übergang Halle 5.1 zu Halle 6.1, 11:30 Uhr
10.10 Frankfurt Buchmesse – Leseinsel, Halle 4.1., 14-16 Uhr
10.10. Frankfurt Buchmesse – Halle 5.0, Weltempfang mit Ilija Trojanow, 16:30 Uhr
11.10. Frankfurt, Literaturbahnhof, 16-17 Uhr
11.10. Hofheim, Kulturverein, 20 Uhr
12.10. Frankfurt Buchmesse, LitCam, 11 Uhr, Fußball-Buch
14.10. Mainz, Itaú Cultural
15.10. Bad Berleburg, Berleburger Literaturpflaster, 20 Uhr
17.10. Wien, Itaú Cultural
18.10. München, Literaturhaus München, 20:00 Uhr
19.-20.10. Zofingen, Schweiz - Literaturtage
21.10. Freiburg, Literaturbüro mit Radio Dreyeckland & Jos Fritz Buchladen, 20:00 Uhr
22.10. Wuppertal, Literaturhaus NRW, 19:30 Uhr
23.10. Düsseldorf, Literaturbüro NRW, 19:30 Uhr
25.10. Berlin, Buchladen Schwarze Risse, 20 Uhr
27.10. Hamburg, Golem, 20 Uhr
29.10. Leipzig, GRASSI, Museum für Völkerkunde, 19 Uhr
30.10.– 2.11. Frankfurt, Romanfabrik
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