Lissabon, 2013, JoanaVasconcelos Foto: H.S.
07.08.2014 - von E.A.
Auf Ihrer Seite habe ich schon einige Artikel zu Chören gelesen, bei denen die Mitglieder unabhängig von ihrem Talent und ihrem großen Engagement nur aufgrund ihres Alters, das irgendwo auf dem Papier steht, "aus dem Chor geworfen" wurden. Zu diesem Thema möchte ich hier von den Erlebnissen meiner Mutter und "ihrem" Chor berichten.
Auch im Chor meiner Mutter war es vor Kurzem so weit: nachdem der alte Chorleiter in Rente gegangen ist, wollte der neue Chorleiter (45 Jahre alt) den "Altersdurchschnitt" des Chors verringern.
Da dies nicht gelang und sich die Chormitglieder (zu ca 80 % über 60 Jahre alt) auf die Hinterbeine stellten, rief der Chorleiter einen zweiten Chor, einen sogenannten "Jugendchor" ins Leben. Er bekam allerdings keinen Zuspruch von Jugendlichen, ob das nun am Repertoire lag oder daran, dass die meisten Jugendlichen von ihren schulischen Pflichten dermaßen in Anspruch genommen werden, dass sie gar keine Zeit haben, ihre spärliche Freizeit für Chorproben und Konzerte aufzuwenden, sei dahin gestellt. Die einzigen Mitglieder, die Zeit und Lust hatten, im "Jugendchor" zu singen, waren Hausfrauen aus unserem Dorf, im Alter zwischen ca. 40 und ca. 50 Jahren.
Deshalb änderte der neue Chorleiter seinen geplanten "Jugendchor" in einen "Rock- und Popchor" um. Auch meine Mutter hätte gerne mit gesungen, da sie das Repertoire, bestehend aus Rock- und Popklassikern, sehr interessiert hätte. Leider hat sie die 50 Jahre bereits überschritten. Der Chorleiter weigerte sich daher, sie in seinen "Hausfrauenchor" aufzunehmen, trotz ihres großen Interesses an der Rock- und Popmusik, mit der Aussage, dass er grundsätzlich nur Sänger "bis 50 Jahren" in diesen Chor aufnehmen würde. Das Ergebnis: der Chor besteht aus etwa 8 Hausfrauen, die einzigen im Dorf, die die Zeit und das erforderliche Alter aufweisen können.
Alle "älteren" Menschen, die zwar die Zeit und das Interesse daran hätten, diesem Chor beizutreten, werden diskriminiert, mit der Aussage, sie könnten ja dem Hauptchor beitreten. Bei diesem Hauptchor wird das Repertoire jedoch immer "altmodischer" und es werden nur noch anspruchslose Volkslieder gesungen, wo unter dem alten Chorleiter wirklich anspruchsvolle Chorsätze von berühmten Komponisten, Lieder aus Operetten und ab und an auch Gospels und dergleichen gesungen wurden. Aus Protest gegen das immer armseliger werdende Repertoire sind bereits viele langjährige Chormitglieder ausgetreten.
Nachwuchs kommt aber auch nicht nach, da es wie erwähnt in unserem Dorf kaum junge Leute gibt, die aufgrund von Familie oder Arbeit die Zeit für eine längere Chormitgliedschaft aufbringen können. Und diejenigen, die diese Zeit vielleicht aufbringen könnten, sich von dem "altmodischen" Repertoire abgestoßen fühlen.
So wird es über kurz oder lang wohl geschehen, dass sich dieser ehemals sehr renommierte und anspruchsvolle Chor aufgrund der Misswirtschaft durch den Chorleiter auflösen wird. Allerdings nicht, wie der Chorleiter anmerkte, weil ihm "die Mitglieder wegsterben" aufgrund ihres "hohen Alters", sondern weil sich keiner mehr für das Repertoire interessiert. Während der "Rock- und Popchor" es niemals auf angemessene Mitgliederzahlen bringen wird, aufgrund der offensichtlichen Altersdiskriminierung.
Es liegt nicht daran, dass sich jüngere Sänger durch einen Chor mit überwiegend älteren Mitgliedern abgestoßen fühlen, wie es wohl die Fehleinschätzung vieler (jüngerer) Chorleiter zu sein scheint. Es liegt daran, dass die "jüngeren" Leute aufgrund ihrer vielfältigen anderen Verpflichtungen einfach keine Zeit mehr haben, sich langfristig in einem Chor zu engagieren. Und natürlich daran, dass die Chorleiter oft ein sehr einseitiges, "altmodisches" Programm anbieten, mit denen sich jüngere Sänger nicht identifizieren können.
Anstatt sich aber über die immer höher werdende Altersstruktur ihrer Chöre zu beklagen (die schließlich nur eine logische Folge der allgemeinen demographischen Entwicklung in Deutschland ist), sollten die Verantwortlichen besser dankbar sein, dass es gerade in der Altersklasse der über 60jährigen noch so viele gute und engagierte Sängerinnen und Sänger gibt und diese nicht durch beleidigende und diskriminierende Aussagen und Vorgehensweisen vergraulen. Sonst wird es wohl bald überhaupt keine Chöre mehr in Deutschland geben: wer singen will, darf es nicht, weil er/sie auf dem Papier "zu alt" ist und wer singen dürfte, weil sie/er "jung genug" ist, hat so viele andere Verpflichtungen, dass die Zeit dafür fehlt.
Und hier noch eine persönliche Bemerkung von mir: ich bin selbst Anfang 20, wäre also genau im richtigen Alter für den "Rock- und Popchor", so wie es sich der Chorleiter wünscht. Auch interessiere ich mich sehr für Musik und möchte wohl behaupten, dass ich ein passabler Sänger bin. Aber ich trete dem Chor nicht bei. Und zwar nicht, weil es mir an der Zeit mangelt und auch nicht, weil mich das Repertoire nicht interessieren würde. Einzig und allein deswegen, weil man die Generation "über 50" in diesem Chor nicht dabei haben will. Weil ich das einfach ungerecht finde.
Was wird wohl in fünf Jahren geschehen, wenn der Chorleiter selbst die "magische" 50er Grenze überschreitet? Darf er dann seinen eigenen Chor nicht mehr leiten, weil er dann über 50 ist? Wird er seine restriktiven Alterseinschränkungen dann lockern? Aber nein, für Chorleiter gelten ja andere Regelungen. Sie sind ja... ganz besondere Menschen...
Abschließend hätte ich einen Vorschlag: warum muss man, wenn man einem Verein beitritt (egal, ob es nun ein Chor ist, oder ein anderer Verein), überhaupt sein Alter/Geburtsdatum angeben? Schließlich handelt es sich um ein Hobby, und da ist es egal, wie alt man ist, Hauptsache man hat Spaß an der Sache, und der hat nichts mit dem Geburtsjahr zu tun. Viele Vereine beklagen sich, dass sie unter ständig sinkenden oder stagnierenden Mitgliedszahlen leiden.
Würden sie einfach nicht mehr nach dem Alter fragen, und ihre Mitgliedsstatuten in dieser Richtung ändern, dann hätten sie sicher auch nicht mehr so große Probleme mit dem "Nachwuchs". Dies nur als kleiner Denkanstoß.
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