Diskriminierung melden
Suchen:

SeniorInnen in Berlin wehren sich gegen AKELIUS

Wittenberg, 2011 Foto: H.S.

19.08.2014

Unser Haus wurde in den siebziger Jahren speziell als Wohnhaus für SeniorInnen gebaut: kleine 1- Zimmer-Küche-Bad-Wohnungen mit einem Gemeinschaftsraum für Zusammenkünfte der BewohnerInnen des Hauses. In den Mietverträgen, die bis Ende 2007 noch mit dem Bezirksamt Berlin geschlossen wurden, wurde den SeniorInnen ausdrücklich zugesichert, in einem sozial geförderten Seniorenhaus zu wohnen, dessen Miete ihren Möglichkeiten als RentnerInnen angepasst ist.

2008 wurde das Haus an das schwedischstämmige Immobilienunternehmen AKELIUS GmbH verkauft. Im Vertrag wurden keine Schutzklauseln für die SeniorInnen aufgenommen, obwohl genau dies den MieterInnen in einem Schreiben vom Sozialamt ausdrücklich zugesichert worden war.Die AKELIUS GmbH hat die Wohnungen seither überwiegend an jüngere Menschen vermietet. Dennoch besteht die Mieterschaft der 62 Wohneinheiten noch immer fast zur Hälfte aus SeniorInnen: knapp 30 der MieterInnen sind im Alter zwischen 75 und 97, die z.T. seit mehr als 20 Jahren im Haus wohnen!

Mein Name ist Christa K. Nach dem Tod meines Mannes bin ich vor einem Jahr nach Berlin gekommen, weil meine einzigen verbliebenen Angehörigen, meine Tochter und ihre Familie, hier leben. Vor dem Umzug hatte ich dennoch Angst, denn ich habe ja meine alten Verbindungen und langjährigen Freundschaften zurückgelassen. Ich wusste nicht, ob ich in Berlin auch wieder Anschluss finden würde - mit fast 83 geht das nicht mehr ganz so leicht ...

Doch am Hansa-Ufer 5 leben viele SeniorInnen und auch jüngere Menschen – es war ganz einfach, dort Kontakt zu bekommen. Obwohl ich ganz neu hierher gezogen bin, fühle ich mich gut integriert und aufgehoben – darüber bin ich sehr froh und erleichtert! Hier gibt es eine gut funktionierende soziale Gemeinschaft; es finden z.B. regelmäßig Treffen, Spiele-Nachmittage, der Singkreis der ́Herbstlaub-Singer ́ u.a. Veranstaltungen im behindertengerechten Gemeinschaftsraum statt. Nicht nur die SeniorInnen, sondern viele der MieterInnen haben rege Kontakte untereinander; in unserem Haus sind wir alten Menschen nicht alleine oder isoliert. Doch all meine Träume vom gemeinsamen Älterwerden in Würde stehen nun vor dem Aus.

Durch die "energetische Modernisierung", die AKELIUS jetzt plant, ist das alles wieder in Gefahr. Laut einem Schreiben sollen die Mieten danach um bis zu 60% erhöht werden! Meine 42 qm-Wohnungen soll dann zwischen 750, - und 880,- Euro kosten! Das hieße für die meisten von uns, dass unsere Rente nur noch ausreicht, um die Miete zu zahlen. Zum Leben bleiben dann nur noch wenige Euro oder gar kein Geld mehr!

Der Gesetzgeber regelt den wirtschaftlichen Härtefall - eigentlich. Doch in der Vergangenheit haben in vergleichbaren Fällen immer mehr Immobilienunternehmen rigoros Klage erhoben gegen MieterInnen, die die geforderte höhere Miete nicht zahlen konnten – und konnten sich trotz der gesetzlichen Reglung vor Gericht mit ihren Forderungen durchsetzen! Für die Betroffenen bedeutete das, dass sie ausziehen mussten. Das macht mir - und immer mehr Menschen in diesem Land, alt wie jung - große Angst.

Zusammen mit meiner Tochter und einer politischen Vertrauten haben wir als Vetreterinnen der Mietergemeinschaft ein Gespräch mit AKELIUS geführt, bei dem die Verantwortlichen mündlich zusagten, sowohl Härtefälle zu berücksichtigen als auch den Gemeinschaftsraum für alle erreichbar zu erhalten. Doch eine schriftliche Bestätigung dieses Gesprächs gibt es bisher nicht. Wir befürchten, dass AKELIUS von der Möglichkeit Gebrauch macht, die MieterInnen rauszuklagen, wenn sie die erhöhte Miete nicht zahlen können.

Wir haben uns auch schon an die Politik gewendet. In der Bezirksverordnetenversammlung am 22. Mai haben wir eine Bürgeranfrage gestellt. In seiner Antwort darauf bezeichnete Sozialstadtrat Herr von Dassel es ausdrücklich als ́Fehler, dass das Seniorenwohnhaus ohne Schutzklauseln für die MieterInnen an AKELIUS verkauft wurde. Zugleich wurde uns aber auch gesagt, dass der Bezirk wenig Möglichkeiten sehe, hier einzugreifen.

Wir SeniorInnen wollen das nicht hinnehmen - wir werden kämpfen! Wir wollen nicht unsere soziale Gemeinschaft verlieren! Wir wollen nicht im Alter von 80, 85, 90 oder 95 Jahren eine neue Wohnung suchen müssen und unsere Freundschaften und sozialen Kontakte untereinander verlieren!

-------
Vorgestern gab es passend zum Thema "Rausekeln von Menschen aus ihren Wohnungen" einen Dokumentarfilm zum Berliner Immobilienmarkt mit dem Titel " Wem gehört die Stadt" auf ARD. Handelt von mächtigen gierigen Investoren, Hausverwaltungen, WohnungsbauGesellschaften und den Opfern dieser Halsabschneider ... Gibt aber auch zum Glück einigen solidarischen Widerstand z.B. bei der Zwangsräumung einer türkischstämmigen Familie im hippen Kreuzberg. Sowieso gehts um die angesagten superzentralen Bezirke, wo man jedes Bauloch stopft und das letzte grüne Grün platt macht. Ich könnte da schon jetzt nicht mehr wohnen - so voll, so cool, alles busy und keine Wiese ohne Hundekacke- ach nee, pardon, gibt ja keene! Und jetzt immer mehr Reichenwohnungen für die "armen " Reichen, die da kunterbunt mitmischen wollen, weil leben in Friedrichshain und Prenzlberg so lässig ist. Ich glaube die wirklich Coolen und eher Armen werden das Weite suchen (müssen) und in die Randbezirke ziehen. In die Platten nach Marzahn und Hellersdorf und so. Aus dieser Perspektive: Ich fühle mich wohl im gediegenen westberliner Wilmersdorf! Und unser Vermieter ist ein Privatmann, fair und ohne Geldgier. Ergo: Ich kann schlafen OHNE Sorge um mein heimeliges Heim. Is doch was Feines - aber heutzutage traurigerweise nicht mehr selbstverständlich.
Alles Liebe, J.

Link: +++++ Goldene Falte 2012 für Stille Straße
Quelle: Mail an die Redaktion

Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema Wohnen:
11.03.2014: Handlauf ins Treppenhaus oder ausziehen?
30.06.2013: Berlin: Neu anfangen im Alter - Ausstelllung
14.06.2013: Hamburg: Wohnen ohne Grenzen - ein Fachtag

Alle Artikel zum Thema Wohnen