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Führerschein gegen Busticket - ein fairer Handel?

Puimisson, 2016 Foto: H.S.

08.08.2016 - von Gerd Feller

Vor kurzer Zeit rief mich in meiner Funktion als Pressesprecher der SV Bremen eine Journalistin an, um mich nach der Aktion
„Umsteigen – Führerscheintauschen gegen Busticket“ zu befragen. Ich musste ihr gestehen, dass ich davon noch nichts gehört hätte. Also wurde ich erst einmal aufgeklärt.

Seit mehr als fünf Jahren schon können interessierte
Seniorinnen/Senioren in Bremerhaven ihren Führerschein gegen ein kostenloses Busticket eintauschen. Möglich macht diesen
Tausch Bremerhaven-Bus gemeinsam mit der Ortspolizeibehörde Bremerhaven, mit der Verkehrswacht Bremerhaven e.V. und mit dem
Bürger- und Ordnungsamt der Seestadt.

Das Ticket gilt nur für Bremerhavener Einwohner/-innen, hat einen Wert von über 200 €, ist auf ein halbes Jahr befristet und auch übertragbar. Diese Kooperation zwischen einem Busunternehmen und den Behörden soll bundesweit einmalig und auch insgesamt erfolgreich sein.

Wie es heißt, sind inzwischen 2.000 Seniorinnen/Senioren auf das Angebot eingestiegen. Sie haben bei der örtlichen Polizeibehörde ihre Führerscheine abgegeben und entwerten lassen und sind damit jetzt auf Familienmitglieder mit PKW, auf das Fahrrad und auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen, wenn sie nicht zu Fuß ihre Besorgungen erledigen wollen oder können.

Jede Medaille hat bekanntlich zwei Seiten, die man sich genau ansehen sollte. Das Angebot, ein halbes Jahr lang ohne Fahrkosten mit dem Bus fahren zu dürfen, klingt zuerst verführerisch. Keine
Sorge mehr über die weitere Entwicklung der eigenen Fahrtüchtigkeit, keinen Ärger mehr, zumindest hinsichtlich der Kraftfahrzeuge, über rücksichtslose Fahrerei und Parkprobleme, und
auch die Klärung der Frage, ob sich die Kosten für den PKW noch lohnen, entfällt. Sicher, nach einem halben Jahr ist zwar die normale Monatskarte fällig, aber immerhin wird die bei den im Alter doch rückläufigen Kilometerleistungen keine größeren Ausgaben als für die Haltung eines PKW erfordern, man wird bei jedem Wind und jedem Wetter gefahren und kann entspannt daran teilnehmen und lockerer in die Zukunft sehen.

Aber es gibt Entwicklungen, die Vorsicht gebieten. Die Zahl der älteren Menschen wächst, die Zahl der Betreuer/-innen und Pfleger/-innen sinkt. Es werden in Zukunft stärker als bisher
alternative Wohn- und Pflegeformen im Alter gesucht und angestrebt werden. Der Wunsch älterer Menschen, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden oder in Gemeinschaften leben zu können, wird zunehmen und ist auch politisch gewollt. Hinzu kommt, dass die Dienstleistungs-und Versorgungsinfrastrukturen in vielen Stadtteilen nicht nur in Bremen zurückgebaut
werden.

Wer sich auf dieses Bremerhavener Verfahren einlässt, sollte vorher immer bedenken, dass er keine Probephase absolvieren kann,
sondern die Entscheidung endgültig ist. Wer erst nach der Abgabe und der Entwertung des Führerscheins merkt, dass es Schwierigkeiten mit der täglichen Versorgung und der Erreichbarkeit ärztlicher oder anderer Dienstleistungen gibt, z.B.
längere und umständlichere Fußwege oder Fahr-und Transportmöglichkeiten, größere, zeitraubende Abhängigkeit von öffentlichen Verkehrsmitteln und höhere Ausgaben für Bringedienste, dem bleibt nur übrig, entweder sich mit dem Fahrrad
auszuhelfen oder, wenn er es sich leisten kann, die Bringedienste zu nutzen, manchmal die Hilfe der Familie in Anspruch zu nehmen und die nun schwierigere Lage zu akzeptieren. Vielleicht wäre
er doch noch fit genug gewesen, um seine Einkäufe und sonstigen Besorgungen mit dem PKW zu erledigen. Aber der Führerschein ist weg.

Unter solchen Umständen erscheint die Bremerhavener Aktion nicht ganz so attraktiv zu sein, wie sie in Presse und Internet dargestellt wird.
Mal abgesehen davon, dass die Diskriminierung der Alten wegen angeblicher Fahruntüchtigkeit auch von der Unfallstatistik her
ungerechtfertigt ist, profitieren vom Projekt Bremerhaven letztlich die Busunternehmen. Die erst bevorzugten Fahrgäste dienen später als sichere Einnahmequelle.

Es wird Zeit, nach anderen Alternativen zu suchen, die den älteren
Menschen gerecht werden und ihnen mehr Freiheit lassen, ihre Entscheidungen ungezwungener selbst zu treffen. Statt ähnlich wie beim Handel an der Haustür, wo man oft alten Menschen etwas
vormacht, scheint das Angebot in Bremerhaven nicht ganz fair zu sein. Wer es mag, mags mögen, sollte aber, wenn sich die Haken und Ösen zeigen, nicht jammern. Insgesamt könnte man jedoch über Alternativen für einen sanften, schrittweisen Ausstieg aus dem KFZ-Verkehr nachdenken. Die BSAG z.B. sieht solche Möglichkeiten und wäre bereit, darüber mit der SV Bremen zu verhandeln.

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Nee, ist absolut unfair. Für mich sind diese 200 Euro ein Almosen. Ich bin auch Rentner würde meinen Führerschein aber nicht hergeben. Die Behörden bekommen meinen Führerschein bis zu meinem Todestag nicht zu sehen. Seit 2010 kann ich mir kein Auto mehr leisten. Nun ich habe mir erst vorgige Woche ein Transportauto leihen müssen um Material aus dem Baumarkt abzutransportieren. Ansonsten: klar hab ich auch ein Bustiket der hiesigen Verkehrsbetriebe.
K.H. K.

Link: Leihwagen auf Mallorca: 70Jährige aufgepasst
Quelle: Durchblick, August 2016