17.05.2017
Am 17. Mai endet die Beweisaufnahme im NSU - Prozess! Am gleichen Tag beginnt in Köln das NSU-Tribunal 17. - 21. Mai 2017. Bis heute sind wir weit von der versprochenen „lückenlosen Aufklärung“ im NSU-Komplex entfernt. Bis heute ist die Mord- und Anschlagsserie, die der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) in den Jahren 1999 bis 2011 beging, nicht aufgeklärt. Immer noch ist ungeklärt, wer die Morde an zehn Menschen, von denen man bisher weiß, begangen hat, und wer für die vielen Verletzten der Anschläge verantwortlich ist.
Weder der NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht noch die zahlreichen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern haben bisher aufgedeckt, welche Personen zum NSU gehören und wie das Netzwerk organisiert war und ist. Ebenfalls ungeklärt ist, welche und wieviele V-Leute der Geheimdienste an den Vergehen beteiligt waren, und auf welche Weise diese staatlichen Dienste selber in den organisierten Nazi-Terrorismus verstrickt sind. Wir müssen daher davon ausgehen, dass sich Täter/innen und Unterstützer/innen dieses terroristischen Netzwerkes immer noch frei und unerkannt bewegen können.
Auch die Rolle der Innenministerien und Regierungen bleibt unklar. Deutlich ist hingegen, dass bisher weder politische noch personelle Konsequenzen aus der planmäßigen Vertuschung von Zusammenhängen, der Vernichtung von Beweismaterialien und der Verharmlosung der politischen Dimensionen gezogen wurden.
Vor allem aber fehlt die juristische, politische und öffentliche Wahrnehmung und Wertschätzung der Erfahrungen, Erzählungen und Einschätzungen der überlebenden Opfer, Familien, Angehörigen und Tatzeug/innen, die von diesem Terrorismus unmittelbar betroffen waren und sind.
Initiativen und Einzelpersonen, die mit den Betroffenen der NSU-Mord- und Anschlagserie solidarisch verbunden sind, entwickelten die Idee eines Tribunals, das diese Leerstelle besetzt. Der NSU-Komplex wird dabei gedacht als ein Kristallisationspunkt strukturellen Rassismus. Das Tribunal ist damit ein Ort der gesellschaftlichen Anklage von Rassismus. Die Berichte der Betroffenen und Angehörigen stehen im Mittelpunkt. Ihre Geschichte gilt es zu hören und zu verstehen.
Angeklagt werden die Akteur*innen des NSU-Komplex mitsamt ihrer institutionellen Einbettung.
Beklagt werden die Opfer rassistischer Gewalt und das entstandene Leid. Eingeklagt wird das Prinzip einer offenen, durch Migration entstandenen Gesellschaft der Vielen.
Wir klagen um Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter.
Das NSU-Tribunmal findet statt in Kooperation mit dem Schauspiel Köln, dem Maxim Gorki Theater Berlin, den Münchner Kammerspielen, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der Akademie der Künste der Welt Köln und dem Hebbel am Ufer Berlin.
Gefördert durch die Senatskanzlei des Landes Berlin – Kulturelle Angelegenheiten, dem Haus der Kulturen der Welt Berlin, der Amadeu Antonio Stiftung, der AWO Mittelrhein und zahlreichen privaten Spenden. Mit Unterstützung von Ballhaus West, FLMH, Residenztheater München und dem Forensic Architecture Institute London.
Tagesticket: 15€, ermäßigt. 7€ / Workshops kostenfrei
Mittwoch, 17. Mai 20.00 – 22.00 Uhr, Schauspielhaus Köln, Depot 1, Übertragung ins Depot 2
Eröffnung – die Perspektive der Migration
Am 9. Juni 2004 explodierte auf der Keupstraße eine Nagelbombe. Dies war nicht nur ein Angriff auf das migrantisch geprägte Leben dieser Straße, sondern stellvertretend ein Angriff auf die gesamte deutsche Realität einer Migrationsgesellschaft. Welchen Nachhall hatte die Bombe? Was ging ihr voraus? Welches Bild von Rassismus oder von Widerstand ergibt sich, wenn wir die Perspektive der Migration einnehmen? Mit Betroffenen des Anschlags, anderen Zeitzeug*innen und weiteren, auch internationalen Gästen werfen wir einen Blick zurück auf die Geschichte rassistischer Angriffe in Deutschland bis zu den Verbrechen des NSU-Netzwerks. Mit einer vielstimmigen Eröffnungsrede feiern wir die Gesellschaft der Vielen und machen aus der ehemaligen Drahtseilfabrik Carlswerk einen Ort der gemeinsamen Anklage.
Mit: Hasan und Özcan Yıldırım, Mitat Özdemir, Esther Béjarano, Mai-Phuong Kollath, Mo Asumang (angefragt), Doreen Lawrence, Imran Khan (angefragt)
Donnerstag, 18. Mai 2017: Klage und Anklage
Workshops
10-13 Uhr: Geschichtswerkstatt Chemnitz - Recherchen zu den Tat- und Ereignisorten des NSU
10-14 Uhr: Zwischen Rassismuskritik und Empowerment. NSU in der politischen Bildungsarbeit
11-13 Uhr: Der Düsseldorfer Wehrhahn-Anschlag: Alles aufgeklärt?
11-13 Uhr: Junge Muslime in Auschwitz
13.30-14.15 Uhr: Einführung in den NSU-Komplex
an verschiedenen Orten; bitte Aushänge und Infos beachten
Theater am 18.5. 2017 Schauspielhaus Köln
Die Geschichte der Arbeitsmigration und die Angriffe auf migrantische Lebenswelten
Donnerstag, 18. Mai 15:00 – 16:30 Uhr, Depot 1, Übertragung ins Depot 2
In der Ära der „Gastarbeit“ kommen über fünf Millionen Menschen aus Südeuropa, Nordafrika oder Südkorea in die BRD. Die DDR ruft „Vertragsarbeiter*innen“ aus „sozialistischen Bruder-ländern“. Dahinter stehen Millionen Geschichten von Aufbruch, Ausweg und Mut und der Suche nach einem besseren Leben. Zu dieser Geschichte gehören die Kämpfe um Rechte und demokratische Teilhabe. Mordanschläge, Pogrome und der rassistische Terror des NSU-Komplexes richten sich gezielt gegen dieses Existenzrecht der Migrant*innen. Doch der Widerstand gegen Rassismus und die Selbstbehauptung der Migrant*innen dauern an.
Angriff der Nazis & Staatlich unterstützter Aufbau von Nazistrukturen
Donnerstag, 18. Mai 17:00 – 18:30 Uhr, Schauspielhaus Köln, Depot 1, Übertragung ins Depot 2
Bis heute besteht das desolate staatliche Narrativ des autonomen Täter*innentrios, das eine Aufklärung des NSU-Komplex behindert. Den Stimmen der Betroffenen, die seit Jahrzehnten ein organisiertes, nazistisches Netzwerk vermuteten, wurde durch Behörden und einzelne Verantwortliche jegliche Glaubhaftigkeit abgesprochen. Bei fortlaufender Analyse des Komplex tritt eine historische Kontinuität organisierter Nazi-Strukturen seit 1990 zutage, anhand derer deutlich erkennbar ist, dass die Trio-These nicht haltbar ist. Betroffene und Zeug*innen sprechen über ihre Erfahrungen und Rechercheergebnisse und erheben Anklage gegen diejenigen, die sich auch ohne die direkte Beteiligung an den Morden des NSU-Terrors verantwortlich gemacht haben.
Tatort Kassel und seine institutionellen Verflechtungen
Donnerstag 18. Mai 20 bis 22 Uhr Schauspielhaus Köln, Depot 1 (Übertragung ins Depot 2)
„Die Zeit vom Bombenanschlag auf die Keupstraße in Köln am 9. Juni 2004 bis zum März 2007 wird skizziert. Zu diesem Zeitpunkt beschließt die Sonderkommission der Polizei „BAO Bosporus“, keinen weiteren Abgleich der vorliegenden Ermittlungsergebnisse aus dem Bombenanschlag mit den neun mit der gleichen Tatwaffe, einer Ceska 83 Borowka, begangenen Morden vorzunehmen. Stattdessen sorgen Institutionen wie der Verfassungsschutz, die Presse und die Generalbundesanwaltschaft dafür, vorhandene deutliche Spuren, die auf Nazis als Mörder hinweisen, zu verwischen. Es zeigt sich, dass die Behörden gerade nicht versagt haben, sondern funktionierten. Das soll angeklagt werden.
Präsentation der Untersuchungsergebnisse zum Mord an Halit Yozgat und der Verwicklung von V-Mann Andreas Temme (Forensic Architecture Institute / Goldsmiths London, Christina Varvia und Eyal Weizman)
Freitag, 19. Mai 2017: „We are the future in the present“
Workshops
10-16 Uhr: Forum: Perspektiven und Strategien der Solidarität und des Widerstands
10-13 Uhr: NSU und Antisemitismus – Medienanalyse und Solidarisierung
10-14 Uhr: Ich hab ja nix gegen Ausländer, ABER……
13-16 Uhr: Sexismus und Rassismus
13-15 Uhr: Vorbereitung Tag X2 – Tag der Urteilsverkündung am OLG München
13-15.30 Uhr: Rassismus gegen Sinti und Roma
13-14.30 Uhr: Theater und Widerstand
14-15.30 Uhr: Critical Walk: Geschichte der Migration und des Rassismus in Köln-Mülheim
15.30-16.15 Uhr: Einführung in den NSU-Komplex
an verschiedenen Orten; bitte Aushänge und Infos beachten
Theater am 19.5.
„We are the future in the present“ Teil I: Die Geschichte der Kämpfe
17:30 – 19:00 Uhr, Schauspielhaus Köln Depot 1, Übertragung ins Depot 2
Welche gesellschaftlichen Ausgangspositionen führten historisch zur Gründung zahlreicher – teilweise langjähriger – antirassistischer Initiativen? Welche politischen Kampagnen, Veranstaltungen und Bündnisse waren und sind erfolgreich und warum? Bedeutet antirassistische Politik immer auch Empowerment? Durch gemeinsame Diskussionen und kollektives Nachdenken blicken wir zurück nach vorn.
Mit (tbc): Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Amaro Drom, Respect, ExPost/Kanak Attak, Initiative Keupstraße ist überall, Planerladen e.V. Dortmund, Bezent e.V., International Women’s Space, Freundeskreis im Gedenken an den rassistischen Brandanschlag von Mölln 1992, The Voice, Kotti & Co und anderen.
„We are the future in the present“ Teil II: Bündnisse, Transformationen und Visionen
20:00 – 22:30 Uhr, Schauspielhaus Köln, Depot 1, Übertragung ins Depot 2
Welche Visionen und Zukunftsentwürfe entstehen im Zuge politischer Praxis, wenn sie sich konsequent aus der Perspektive der Migration und des Antirassismus formiert? Dies ist die zentrale Frage des Panels. Wer kämpft und wer kämpft mit? Welche Erfahrungen von Solidarität lassen eine Vision der Gesellschaft der Vielen und einer (nicht-rassistischen) Zukunft im Jetzt entstehen? Durch gemeinsame Diskussionen und kollektives Nachdenken blicken wir zurück nach vorn.
Mit (tbc): Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Amaro Drom, Respect, ExPost/Kanak Attak, Initiative Keupstraße ist überall, Planerladen e.V. Dortmund, Bezent e.V., International Women’s Space, Freundeskreis im Gedenken an den rassistischen Brandanschlag von Mölln 1992, The Voice, Kotti & Co und anderen.
Samstag, 20. Mai 2017: Wir klagen an!
Workshops
10-11.30 Uhr: Diskriminierungsfreie Berichterstattung
10-13 Uhr: Das geplante Denkmal auf der Keupstraße
10-13 Uhr: History Reclaimed – Perspektiven junger Menschen auf die Geschichte des NSU-Terrors
10-13 Uhr: Das System NSU - eine Einordnung entlang der Begriffe Aufklärung, Gerechtigkeit und Erinnerung
12-14 Uhr: Selbst organisierte Opferberatungsstellen
12-14 Uhr: Stellung und Umgang mit Opferzeug*innen und Nebenkläger*innen in Prozessen wegen rassistischer Verbrechen – das Beispiel der NS-Kriegsverbrecherprozesse
15.30-16.15 Uhr: Einführung in den NSU-Komplex
an verschiedenen Orten; bitte Aushänge und Infos beachten
Theater am 20.5.
Der Anschlag nach dem Anschlag – Behörden und Medien gegen die Opfer
15:00 – 17:00 Uhr, Schauspielhaus Köln, Depot 1, Übertragung ins Depot 2
“Die Bombe nach der Bombe” nennen die Betroffenen des Bombenanschlages in der Keupstraße 2004 die rassistischen Ermittlungen nach dem Anschlag. Auch an den anderen Tatorten wurden die migrantischen Opfer des Naziterrors nicht unterstützt, sondern von Ermittlungsbehörden, Geheimdiensten, aber auch Finanzbehörden entwürdigt, eingeschüchtert und kriminalisiert. Ihr Wissen, dass die Taten nicht aus dem Umfeld der Opfer stammen können, sondern es wahrscheinlich Nazis waren, wurde nicht ernstgenommen und unterdrückt. Im NSU-Prozess in München spielt dieser zentrale Aspekt des NSU-Komplexes keine Rolle. Wir tragen Berichte von Betroffenen, Auszüge aus den Ermittlungsakten und Protokolle aus den Untersuchungsausschüssen zusammen und zeichnen das komplexe Bild von offenen Ressentiments und unbewussten Stereotypen, von absichtlichen Schikanen und unbemerkten Routinen, von rassistischen Einzelentscheidungen und behördlichen Richtungsvorgaben nach. In ihrer Gesamtheit stellen sie eindrücklich dar, was im MacPherson-Report und im Bericht des UN-Antirassismus-Ausschusses als institutioneller Rassismus bezeichnet wird.
Nicht nur die Ermittler*innen, auch die Medien machten die Opfer des NSU-Terrors zu Tätern und trugen mit ihrer Berichterstattung zu ihrer Stigmatisierung und Ausgrenzung bei. Warum übernahmen die meisten Journalist*innen die Deutungsmuster der Polizei und gaben sie in ihren Berichten unreflektiert wider? Wir präsentieren collagenhaft eine Analyse der Medienberichterstattung über die Mord- und Anschlagserie vor der Selbstenttarnung des NSU sowie historische Kontinuitäten und Aktualitäten. Betroffene berichten direkt und medial vermittelt darüber, wie sie die mediale Berichterstattung wahrgenommen haben und welche Folgen dies für sie und ihre Familien hatte. Medienschaffende diskutieren die strukturellen Gründe für Berichterstattungen, die rassistischen Stereotypen folgen.
Das Aufklärungsversprechen, der Prozess und andere Inszenierungen
19:30 – 21:00 Uhr, Schauspielhaus Köln, Depot 1, Übertragung ins Depot 2
„Wir tun alles, um die Morde aufzuklären und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken“, versprach Angela Merkel 2012. Es blieb ein leeres Versprechen. Im Gegenteil: Es sind die Betroffenen selbst, die trotz Widerständen von staatlichen Behörden die Aufklärung im Münchner NSU-Prozess oder im Rahmen von Gedenkveranstaltungen vorantreiben und die offiziellen Inszenierungen im Sinne echter Aufarbeitung durchbrechen. Heute beklagen sie in zahlreichen Zeugnissen, Interviews und Filmbeiträgen die fehlende Aufklärung. Die Bedeutung starker Opferpositionen jenseits zugewiesener Statist*innenrollen erörtert İbrahim Arslan, Überlebender der rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992, im Gespräch mit Angehörigen der NSU-Mordopfer und Betroffenen der Anschlagsserie.
Wir klagen an!
20:00 – 22:30 Uhr, Schauspielhaus Köln Depot 1, Übertragung ins Depot 2
Der NSU-Komplex ist bis heute nicht aufgelöst und er wird es nicht sein, wenn das OLG München sein Urteil spricht. Die Angehörigen der Mordopfer und die Betroffenen der Sprengstoffanschläge fordern umfassende Aufklärung und die Benennung aller verantwortlichen Institutionen und Personen. Unsere Anklage ist dieser Forderung verpflichtet. Sie speist sich aus journalistischen Recherchen, Medienanalysen, Antifarecherchen, Ermittlungen der Nebenklage im NSU-Prozess, Untersuchungsausschüssen und nicht zuletzt aus dem Wissen der Betroffenen. Daraus formulieren wir die Anklage gegen jene, die den NSU aufgebaut, ermöglicht und abgesichert haben: Neo-Nazis, Geheimdienstler, Polizeibeamte, Journalist*innen und Politiker*innen. Wir klagen sowohl die institutionellen Ermöglichungsbedingungen als auch die individuelle Verantwortung einzelner Protagonist*innen für die rassistische Gewalt und Diskriminierung der Betroffenen an – weil beides nicht voneinander zu trennen ist. Wir übergeben diese Anklage der Öffentlichkeit, die daraus Konsequenzen ziehen muss.
Schauspiielhaus Köln am 21.5.
11 -14 Uhr
Auszug aus der Fabrik, die in Köln als Schauspielhaus dient (!)
– eine Parade –
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