Berlin, 2013 Foto: H.S.
15.05.2017 - von cc. Hanne Schweitzer
Wenn man wieder zurückkommt nach einigen Wochen woanders, interessieren die Begebenheiten hierzulande wenig - das hält sich einige Tage. Zuerst überfliegt man nur distanziert was der Medienzirkus produziert, findet alles aufgeblasen, platt, gestrig, an der Realität vorbei, kriegsgeil.
Wenig überraschend, was die Freunde vom Leben in der Stadt erzählen. Der "Kinder lernen schwimmen"-Kurs im städtischen Bad bietet zehn Plätze an. 10 Plätze in einer Millionenstadt, in der es auch ein Gymnasium gibt, wo im kalten April die Heizung ausfällt. Montags haben die Schüler deshalb frei, am Dienstag sollen sie mit Decke in die Schule kommen. Für die dringende Renovierung der Schule sind die Gelder bewilligt. Der Baubeginn soll im Jahr 2028 sein. Begründung: Die Stadt hat keine Architekten.
Mit eigenen Augen sieht man: Die Platanenallee vor dem Kaufrausch-Center gibt es nicht mehr. Abgesägt, 30 Bäume weg. Die Schlaglöcher in der Straße sind größer geworden, die leerstehende, riesige Gewerbefläche im Stadtteil hat der Biokonzern „Alnatura“ angemietet, Nettoumsatz letztes Jahr: 762 Millionen Euro. Ade Reformhaus.
Bei der Sparkasse kann man sich das DDR-Schlangestehgefühl holen. Es dauert 23 Minuten bis ich an einem Schalter bin. Frau Merkel hat Strähnchen und einen anderen Haarschnitt. Radio hören macht keine Freude. Das Hörfunkprogramm des WDR - schon wieder reformiert. Der Wortanteil ist weiter gesunken und besteht fast nur noch aus Höreranrufen zu Larifari-Themen wie: Ziehen Sie gerne um? Oder: "Wie warm ist es an Ihrem Wohnort und was tragen Sie zu dem Wetter?" oder auch: "Wie heiß ist es in Ihrem Büro und was macht Ihr Chef dagegen?" Wahrscheinlich lautet die Hörerfrage nach einem Wetterumschwung: "Was machen Sie bei einem Gewitter, ziehen Sie alle Stecker raus?"
Zu Hause ist da, wo die Rechnungen ankommen. In der Zeitung steht, dass der Mutterschaftsschutz abgebaut wurde. Schwangere "dürfen" jetzt bis 22 Uhr arbeiten und gerne auch am Wochenende oder bis zum Geburtstermin. Marienkäfer mit zwei Punkten sind vom Aussterben bedroht.
Die Werbung zur Landtagswahl in NRW am Straßenrand und an Masten unterschiedlichster Art triggert die Lachmuskeln:
NRWIR RABAUKEN EINZIGARTIG: ZUSAMMENHALT ÜBER GENERATIONEN
Politik aus den Augen unserer Kinder
ZEIG STÄRKE für die, die dir am Herz liegen Mit uns FÜR DICH
NRW geht vor >> Zuhören. Entscheiden. Handeln
1. ZUSAMMEN 2. WACHSEN
Wozu noch Frühstück? Ich beiß bei jedem Stau ins Lenkrad
# NRWIR ENTDECKER STOLZ AUF UNSERE ZUKUNFT
Verbot aller faschistischen Organisationen!
GRÜN-ROTE WIRTSCHAFTSPOLITIK: DAS ANDERE WORT FÜR SABOTAGE
ZEIG STÄRKE: FÜR BEZAHLBAREN WOHNRAUM NICHT NUR AM ARSCH DER WELT
1. BEHERZT REGIEREN 2. WENIGER HASS Zusammen ist es NRW
In der Zeitschrift Ossietzky eine reizende Petitesse von Klaus Nilius über die Lieder, die sich der ehemalige Kirchenfunktionär Joachim Gauck für seine „Großer Zapfenstreich“ genannte Abschiedsfeier als Bundespräsident gewünscht hatte. Darunter eines, das sowohl im „Nationalsozialistischen Volksliederbuch“ als auch im "SA-Liederbuch“ steht.
Von der Öffentlichkeit bisher nicht bemerkt wurde, dass auf den Spitzen der beiden, seit Monaten eingerüsteten, 55 Meter hohen Minarette der Zentralmoschee, liegende Halbmonde angebracht wurden, genauer: fast liegende. Das gibt noch was!** Aufregungszeit: Mindestens zwei Monate. Schließlich sind auf den Darstellungen des Moscheemodells keine Mondsicheln, die auch Mondschiffchen genannt werden, zu sehen.
In der ZEIT spricht der Möchtegern-D’Annunzio-sein-Autor vom "Anschwellenden Bocksgesang" (Maria hilf!), Botho Strauß: "Der Reaktionär ist das Nachhaltigste, was die Denkwirtschaft hervorgebracht hat." Das stimmt: Da hat er recht. Sie kommen immer wieder hoch, diese reaktionären Säcke. Sie wachsen nach, missionieren, wollen das Sagen haben, und das Tun dann auch noch.
Die Kleene lacht sich schlapp als ich sage: "Das ist doch Käse". Ich muss es oft wiederholen und sie jauchzt jedes Mal vor Freude.
In "Tumult" ein Artikel des "Neuen Rechten" Siegfried Gerlich über "Altes und neues Nomadentum". Auf fünf Seiten lässt sich der Autor des rechten Intellektuellenblatts über das “nomadische Wesen” und den nomadischen Wesenstypus" aus, der "nicht nur in der jüdischen, sondern zumal in der arabischen Tradition vorkommt". Juden und Araber in nomadischer Geisteshaltung vereint! Jesses!
Der Versammlungssaal im frisch gebauten, aber mit Baumängeln gestraften Völkerkundemuseum wirkt wie eine Trauerhalle. Dunkelbraunes Stäbchenparkett auf dem Fußboden, dunkelbraune Holzstäbchen 2,50 Meter die Wände hoch. Der Bühnenboden: dunkelbraunes Stäbchenparkett, der Flügel, der schon da steht bevor ein Chor aus 16 schwarzgekleideten Menschen die Bühne betritt: schwarz wie der darüber gestülpte Flügel-Schutzbezug. Schwarze Stoffbahnen verhüllen die Bühnenrückwand. Die Bestuhlung des Saals: Chromgestelle mit schwarzen Bezügen und schwarzen Pölsterchen auf den Armlehnen. An der Decke gelochte weiße Styroporplatten, kein einziges Fenster.
Sollten Bauherr und Innenarchitekt Opfer eines "extraktiv*-nomadischen Spekulanten"
geworden sein, haben "freischwebende Intelligenznomaden" ihnen dieses finstere Loch aufgeschwatzt? Konnten sie sich "der multinationalen Kapitalnomaden" nicht erwehren, die als "nomadische Wesen" regelrechte "Abweidungsfeldzüge gegen ganze Volkswirtschaften (organisieren), um die Spekulation blühen und die Produktion veröden zu lassen"? Oder war es mit der Trauerhalle einfach nur so, dass den Verantwortlichen jede geschmackliche Regung abging? Qui sait, wer weiß, vielleicht hatten ja auch die "seßhaft-produktiven Unternehmer" vor Ort an dem Auftrag kein Interesse.
Leute wie Gerlich finden Erdogan bestimmt ganz gut.
Das, was in dieser Stadt am besten funktionierte, bevor ich losfuhr, das Saubermachen der Ubahnhaltestellen, ist noch immer eine Freude. Nicht nur wegen der für diese Stadt ungewohnten Sauberkeit, die man dort zuverlässig stets auf´s Neue hergestellt vorfindet. Dazu kommt, dass die Männer, die diesen Job haben, ihre Arbeit gründlich und mit Spaß an der Freud´machen. Hoffentlich verdienen sie gut. Sie haben es verdient.
Der rechts-konservative Block hat die Wahlen in NRW gewonnen. Mit dabei: 16 Mandate für die AFD, 16 mal ran an die Futtertröge von rechts.
Welcome back in Cologne, Germany May 2017
* auslaugend
** Auf der Kuppel wird auch eine liegende Sichel angebracht, in den nächsten Tagen werden die Gerüste an den Minaretten abgebaut, dann geht der Zoff los. Man hat ja sonst nichts zu tun in Köln.
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