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Brief an Volker Beck wg. AD-Gesetz

19.04.2004 - von Ilka + Wilfried Hess

Sehr geehrter Herr Beck, von mehreren Seite wurde uns mitgeteilt, daß Sie sich mit Vehemenz gegen die Aufnahme des Tatbestands der Altersdiskriminierung in ein Anti-Diskriminierungs-Gesetz wenden. Wir wohnen in Köln Neustadt Nord / Agnesviertel, wie Sie ja wissen einer Hochburg Ihrer Partei und verstehen Sie nicht mehr. Gerade Sie wenden sich gegen jede Art von Diskriminierung anderer Menschen und erheben lautstark Ihre Stimme. Das haben wir immer für gut und notwendig gehalten.

Daß aber gerade Ihnen mehr als 40 % der Deutschen Bevölkerung, die tagtäglich in vielen Formen Diskriminierungen aufgrund ihres Lebensalters über sich ergehen lassen müssen, offensichtlich wurscht sind, passt nicht in das Bild, das wir bislang von Ihnen haben. Fakt ist, und hier sprechen wir sowohl als (noch) Handelnde und als Betroffene:

In dieser Republik werden seit Mitte der 80er-Jahre berufstätige Menschen ab 50 ganz gezielt aus dem Arbeitsleben gedrängt. Ob der Mensch will oder nicht.
Die Personalabteilungen werden beauftragt, mit den betreffenden Mitarbeitern entsprechende Gespräche zu führen. Anfangs mit sogenannten Frühverrentungs-Angeboten. Und wenn das nicht ausreicht, mit ungerechtfertigten disziplinarischen Maßnahmen. Hilft das auch noch nicht, so werden massive Mobbing-Programme in Szene gesetzt. Irgendwann ist selbst der dickhäutigste Mitarbeiter derart fertig, dass er dem Druck nachgibt. Und geht - oder er ist reif für die Nervenklinik. Dieses Spiel läuft in Köln zur Zeit z.B. bei Rhein-Braun und RWE ab.

Wer sich im Alter von > 50 Lebensjahren um eine neue Position bewirbt, muß davon ausgehen, dass seine Bewerbung nicht einmal mehr gelesen wird. Diese geht, ungelesen bis auf die Altersangabe, an den Bewerber zurück.

Staat und Regierung, leider auch diejenige, der Sie angehören, unterstützten diese „berufliche Entsorgung” älterer Menschen mit Zahlungen von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe, sowie vorzeitiger Rentenzahlung. Weiter führte Herrn Blüm Frühverrentungsprogramme zu Lasten der Rentenversicherungsträger ein und, als Letzteres sich als nicht mehr bezahlbar erwies, modifizierte man dies in kombinierte Altersteilzeit / Frühverrentungsprogramme, die ja bis heute, trotz aller gegenteiliger Äusserungen von Politikern und Arbeitgeber-Funktionären, noch laufen, wie o.g. Beispiel zeigt.
Wo Wirtschaft und Verwaltung so toll altersdiskriminieren, darf die Regierung nicht zurückstehen. Auch nicht die Regierung, die Ihre Partei mit bildet.

Erstmals in der Geschichte dieses Staates kürzt man faktisch den BfA- und LVA-Rentnern ihre Renten, die in jahrzehntelanger fleissiger Arbeit mit Wochenarbeitszeiten bis zu 48 Stunden erworben sind. Die Spitze der staatlichen Altersdiskriminierung in unserer Gesellschaft setzte Ihre Regierung dem Ganzen mit der geplanten Aufhebung des Kündigungsschutzes für Menschen ab 50 Jahren auf. Menschen, die ganz überwiegend diesen Staat mit aufgebaut haben, die jahrzehntelang ihre staatsbürgerlichen Pflichten als Bürger, Eltern, Soldaten, Steuerzahler, etc. erfüllt haben, sind plötzlich vor dem Gesetz weniger wert und haben weniger Rechte, als ein 16 jähriger Berufseinsteiger oder ein 30jähriger Neubürger dieser Republik, die beide im ureigensten Sinne des Wortes noch nichts für diesen Staat geleistet haben. Sie dürfen nach einem langen Berufsleben nun an jedem Monatsende die Angst um den Arbeitsplatz erleben.

Ein wahrhaft prickelndes Gefühl, das die Regierung, der Sie angehören, älteren Menschen da kurz vor Ihrem Lebensabend ermöglicht. Und da haben Sie die Chuzpe in der Öffentlichkeit und vor Ihren Wählern festzustellen, Sie wollten den Tatbestand der Altersdiskriminierung in der Bundesrepublik Deutschland nicht in ein Diskriminierungsgesetz einbringen? Schauen Sie in die Samstagsausgabe von FAZ, der Welt, der Süddeutschen oder in die Job-Angebote im Internet. Wie selbstverständlich finden Sie da Beschränkungen auf ein Lebensalter in aller Regel von unter 45 Jahren in jedem Angebot.
Wie würden Sie es nennen, wenn statt der Altersbeschränkung dort stünde:
- nur Bewerber weißer Hautfarbe,
- nur Bewerber christlichen Glaubens,
- nur heterosexuelle Bewerber,
- keine Bewerbung von Grünen-Wählern
- nur männliche Bewerber

Sie, Herr Beck, wären als erster -und das mit Fug und Recht - auf den Barrikaden. Sie würden wie aus der Pistole geschossen ausrufen: Das ist Diskriminierung pur. Und sofort veranlassen, dass entsprechend gegen die Urheber rechtlich vorgegangen würde. Wie nennen Sie aber diesen zum Ausschluss älterer Menschen aus dem Berufleben führenden Sachverhalt, Herr Beck?

Sind ältere Menschen weniger schützenswert vom Gesetz als farbige Menschen, Angehörige anderer Religionen, Homosexuelle Menschen, politisch anders orientierte Menschen oder Menschen eines bestimmten Geschlechtes?
Was gedenken Sie dagegen zu tun? Dabei handelt es sich um eine Diskriminierung, ja sogar eine Diffamierung, wie es sie klarer nicht geben kann. Eben Altersdiskriminierung, die Sie entweder wider besseres Wissen leugnen, oder, die Sie aus Mangel an Nähe zur Basis, einfach nicht kennen. Sie wohnen auch in der Kölner Neustadt Nord. Gehen Sie hier einmal auf die Strassen und Plätze und sprechen Sie mit den Menschen. Sprechen Sie mit älteren Arbeitslosen, auch sehr qualifizierten, die wegen ihres Alters seit Jahren vergeblich eine Arbeit suchen und von denen es hier genug gibt. Die gleichen, den Sachverhalt der Altersdiskriminierung beweisenden Ausführungen könnten wir zu folgenden Themen machen:

- Verweigerung von aufwendigen, aber medizinisch notwendigen Therapien für alte Menschen
- Sonderprämien für Kfz.-Haftplicht für ältere Menschen, obwohl Schadenquote dieser mit die Geringste aller Altersgruppierungen ist und nur ein Bruchteil derjenigen von unter 25-jährigen erreicht.
- Ausschluß älterer Menschen von Versicherungen
- Ausschluß älterer Menschen von Kreditvergabe und Bankbürgschaften trotz vorhandener Sicherheiten
- Probleme älterer Menschen bei Abschluß von Mietverträgen etc., etc.

Wenn Sie diese Ausführungen, die Sie ja sicher nicht nur von uns alleine hören, nicht zu einem Überdenken Ihrer Position bringen können, so schauen Sie sich bitte die EU-Richtlinie 78 an. Diese sollte längst vom Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland in ein Antidiskriminierungs-Gesetz umgesetzt sein. Seltsamerweise sind u.a. die gleichen Länder der EG, die uns von Ihrer Regierung, von der Opposition, Wirtschaftsweisen und Industrie- und Arbeitgeberfunktionären als vorbildlich vorgestellt werden, nämlich Holland und Dänemark, auch hier wieder weiter als wir. Die betreiben eine klare Anti-Altersdiskriminierungs-Politik und haben - sicherlich nicht völlig überraschend - kein gravierendes Arbeitslosenproblem älterer Menschen.

Es ist doch geradezu lächerlich, wenn Ihre Regierung, und deren Hiwis in Bundesagentur für Arbeit, Gesundheitswesen und Rentenversicherungen sowie alle arbeitgebernahen Verbände eine Verlängerung der Arbeitszeit bis zum 67. Lebensjahr fordern. Verhindern Sie erst einmal den diskriminierenden und diffamierenden Ausschluß von Menschen zwischen 50. und 65. Lebensjahr aus dem Arbeitsleben.

Auch der übliche Passus in allen normnahen Arbeitsverträgen dieser Republik "Dieser Vertrag endet, ohne daß es einer besonderen Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem der Mitarbeiter sein 65. Lebensjahr vollendet" muss überdacht werden. Die älteren Menschen sind heute gesunder und aktiver als früher. Warum läßt man seitens der Regierung zu, daß die Arbeitgeber sie ab 50 jahren zur Untätigkeit zwingen? Das ist ebenfalls Diskriminierung pur und in höchstem Maße schädlich für unsere Volkswirtschaft. Und das läßt sich nur via Alters - Diskriminierungs - Gesetz ändern. Alle freiwilligen Beschränkungen haben versagt. Kein Arbeitgeber hält sich daran.

Solange Sie, Ihre Regierung und ihr Koalitionspartner die älteren Menschen, und hier sprechen wir immerhin von mindestens ca. 35 - 40 % Ihrer Wähler, im Falle Köln Neustadt Nord eher mehr, weiter diskriminieren und nichts zur Unterbindung der Diskriminierungen unternehmen, werden sie nicht mehr regierungsfähig sein. Und in Bausch und Bogen abgewählt werden.

Wir bitten Sie um Information, wie Sie und die Grünen das Problem der Altersdiskriminierung in Zukunft anpacken wollen.

Mit freundlichen Grüßen


Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema Justiz:
30.03.2004: Ältere sind keine EU-BürgerInnen 2. Klasse!
26.03.2004: BMJ erklärt Altersdiskriminierung
01.03.2004: Sozialministerium NRW fordert horizontalen Ansatz

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