Vereinte Nationen - 22.08.2017
Die achte Sitzung der UN-Arbeitsgruppe zu den Rechten Älterer fand vom 5. bis 7. Juli 2017 in New York statt. Bei dieser Sitzung gab es zwei Neuerungen: Nationale Menschenrechtsinstitutionen haben von nun an einen Status, mit dem sie mitdiskutieren und schriftlich Beiträge zu jedem Tagesordnungspunkt einreichen können. Dieses Mitwirkungsrecht in einer Arbeitsgruppe der UN-Generalversammlung ist ein Meilenstein für Nationale Menschenrechtsinstitutionen. Die zweite Neuerung ist eine inhaltliche: Je zwei Schwerpunktthemen werden vertieft diskutiert und Eckpunkte dazu verabschiedet – dieses Mal "Altersdiskriminierung und Gleichheit" sowie "Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung von Älteren".
In seinem Einführungsstatement würdigte der derzeitige Vorsitzende, der argentinische Botschafter Martin Garcia Moritán, dass sein Vorgänger Mateo Estremé den konstruktiven Dialog in der Arbeitsgruppe erfolgreich vorangetrieben habe. Er begrüßte zudem die Teilnahme von Nationalen Menschenrechtsinstitutionen (NHRIs) und Nichtregierungsorganisationen. Der Vorsitzende der Koreanischen Menschenrechtskommission hielt ein Eingangsstatement, in dem er unter anderem dazu aufforderte, die Diskussionen zwischen den jährlichen Sitzungen weiterzuführen. Aus diesem Grund lud er alle Teilnehmer_innen zur zweiten ASEM-Konferenz (Asia-Europe Meeting) zur Stärkung der Menschenrechte nach Seoul ein.
Die UN-Arbeitsgruppe diskutierte zu Beginn, welche Maßnahmen das Beitragen Älterer zur sozialen Entwicklung steigern könnten. Vorträge befassten sich mit nationalen Strategien zum Schutz der Rechte Älterer, Gesetzesänderungen und positiven Beispielen. Die Redner_innen wiesen aber auch darauf hin, dass es nach wie vor Lücken bei den gesetzlichen Regelungen gebe. Die Arbeitsgruppe war sich einig, dass diesbezüglich nachgebessert werden müsse. Viele Staaten aus der Gruppe der lateinamerikanischen und karibischen Staaten (GRULAC) berichteten als positive Entwicklung von der Zeichnung und/oder Ratifikation der Interamerikanischen Konvention zur Stärkung der Rechte Älterer in ihrem Land.
Ältere sind im Menschenrechtsschutzsystem unsichtbar
Am nächsten Tag standen Vorträge und eine Diskussion zum Schwerpunktthema "Gleichheit und Altersdiskriminierung" auf der Agenda. Die Unabhängige Expertin für die Menschenrechte Älterer Rosa Kornfeld-Matte verwies auf die Ergebnisse ihres Berichts vom Vorjahr und hob hervor, dass Lücken im Menschenrechtsschutz für ältere Menschen bestünden. Dennoch habe sie auch Fortschritte bei der Umsetzung der bereits bestehenden Verpflichtungen feststellen können. Sie hob erneut hervor, dass nur eine neue UN-Konvention für Ältere den ausreichenden Schutz für diese Personengruppe gewährleisten könne.
Ähnlich äußerte sich Craig Mokhiber aus dem Büro des Hochkommissars für Menschenrechte in New York: Ältere seien bisher im Menschenrechtsschutzsystem unsichtbar. Dies sei leicht zu erkennen, da das Diskriminierungsmerkmal "Alter" in fast allen Konvention fehle und daher eine offenkundige Lücke bestehe. Er verwies darauf, wie groß die Fortschritte gewesen seien, die durch Menschenrechtskonventionen mit einem speziellen Zuschnitt erzielt worden seien, beispielsweise durch die UN-Behindertenrechtskonvention. Daher sprach er sich auch aus Sicht des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte dafür aus, ein neues Regelwerk zu entwickeln.
Anna Chabiera aus dem Büro des Menschenrechtskommissars in Polen brachte viele Beispiele aus ihrem Land und sagte, dass das Augenmerk auf direkte, indirekte und strukturelle Diskriminierung Älterer gelegt werden müsse, dies aber bisher von der polnischen Regierung vernachlässigt werde. Auch sie forderte zum Lückenschluss und zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes eine neue Konvention. Sie verwies darauf, wie viel einfacher dann eine Umsetzung der Rechte auf nationaler Ebene möglich wäre und dass ein Monitoring echte Erkenntnisse über erfolgte Maßnahmen bringen würde.
Matthias von Schwanenflügel als Vertreter des deutschen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) stellte die Rechtslage hinsichtlich des Schutzes Älterer in Deutschland dar. Er wies darauf hin, dass das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nicht für alle Lebensbereiche gelte und deshalb oft Artikel 3 des Grundgesetzes herangezogen werden müsse, in dem das Diskriminierungsmerkmal "Alter" allerdings nicht explizit enthalten sei. Einen besonderen Fokus legte er auf den Umstand, dass Mehrfachdiskriminierung noch nicht ausreichend in den gesetzlichen Regelungen verankert sei. In diesem Zusammenhang bestehe auch eine politische Verantwortung, zeitgemäße Altersbilder sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene einzubringen, um gegen Diskriminierung vorzugehen. Er betonte, dass Deutschland die offene Diskussion zu den Inhalten sehr begrüße, um den Schutz der Rechte Älterer voranzutreiben und alle hier Anwesenden noch voneinander lernen könnten.
Maria Soledad Cisternas Reyes, ehemalige Vorsitzende des Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, verwies darauf, dass die UN-Behindertenrechtskonvention für ältere Menschen mit Behinderungen nutzbar sei, sie aber viele Bereiche auch in der UN-BRK erkenne, die bisher auf Ältere kaum Bezug nähmen. Sie unterstrich die fehlende Auseinandersetzung mit älteren Menschen im bestehenden Menschenrechtsschutzsystem und die dadurch bestehenden Schutzlücken.
Die anschließende Diskussion krankte etwas daran, dass für die Beiträge aus der Zivilgesellschaft zu wenig Zeit zur Verfügung stand.
Gewalt gegen Ältere ist ein weltweites Phänomen
"Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung Älterer" lautete das nächste Thema. Rosa Kornfeld-Matte berichtete, dass Gewalt gegen Ältere ein weltweites Phänomen sei und oft im Verborgenen geschehe, da sie einerseits als normal angesehen werde und andererseits aufgrund von Abhängigkeiten die Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen, oft sehr eingeschränkt seien. Noch einmal forderte sie die UN-Mitgliedstaaten auf, sich für eine neue Konvention einzusetzen.
Rio Hada aus dem Büro des Hochkommissars für Menschenrechte in Genf zeigte anhand der neuesten Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO, dass jede sechste Person im Alter von 60 Jahren in dieser Lebensphase bereits von Gewalt betroffen war. Er hob hervor, dass ältere Flüchtlinge überproportional oft Misshandlungen oder Gewalt ausgesetzt seien. Hada kam zu dem Schluss, dass es im Moment kein geeignetes menschenrechtliches Instrument gebe, auf das sich ältere Menschen beziehen könnten.
Die australische Altersdiskriminierungskommissarin Kay Patterson berichtete von Untersuchungen in Australien, die relative gute Rahmenbedingungen für ältere Menschen belegten. Dennoch seien Gewalt, Misshandlung und Vernachlässigung auch in Australien zu finden. Hiervon seien insbesondere ältere Frauen betroffen. Ebenso brachte sie die sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen im ländlichen Raum im Vergleich zu den städtischen Ballungsräumen ins Gespräch.
Die kroatische Ombudsfrau und Vorsitzende des Europäischen Netzwerks der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen Lora Vidovic verwies darauf, dass finanzielle Ausbeutung in der Pflege auf dem Vormarsch sei, und berichtete beispielhaft von aggressiven Verhandlungsstrategien von Pflegedienstleistern in Kroatien. Sie zählte Missstände in der Pflege auf, insbesondere in Pflegheimen. In den Pflege-Institutionen sei ein intensiveres Monitoring notwendig, um menschenrechtliche Standards einzuführen. Beim Pflegepersonal, aber auch bei Angehörigen und den älteren Menschen selbst sei oftmals Wissen über die Rechte Älterer sowie über verbotene Gewalt ausübung nicht ausreichend vorhanden. Trainings und Bewusstseinsbildung seien daher notwendig.
Die anschließende Diskussion kam zu dem Ergebnis, dass Gewalt gegen Ältere in all ihren Formen ein universelles Problem in unterschiedlicher Qualität sei. Um hieran weiterarbeiten zu können, identifizierten die Anwesenden Möglichkeiten, um weitere Erkenntnisse zu gewinnen: durch verstärkte Datenerhebung und Entwickeln von Indikatoren sowohl zu den Gewalttatbeständen als auch zu Präventionsmaßnahmen. Um sinnvolles Monitoring durchführen zu können, sei vorab eine präzise Definition von Gewalt unabdingbar.
Am letzten Tag fasste Martin Garcia Moritán die Diskussionen der vergangenen Tage zusammen. Wichtig sei, zwischen den Sitzungen weiterzuarbeiten - auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene. Die Beteiligung der NHRIs habe zu einer Bereicherung der Diskussionen geführt. Aus seiner Sicht habe sich auch die Neuerung, die Diskussionen auf zwei Themen zu beschränken, ausgezahlt, da er einige Eckpunkte identifizieren konnte, an denen weiter gearbeitet werden könne. Diese Struktur werde beibehalten. Als Themen für das neunte Treffen wurden "Autonomie und Eigenständigkeit/Unabhängigkeit" sowie "Langzeitpflege und Palliativpflege" festgelegt. Es soll im Juli/August 2018 stattfinden und wieder vier Tage dauern, um dem Diskussionsbedarf und dem Rederecht der NHRIs Rechnung zu tragen. (Viele Teilnehmer_innen hatten kritisiert, dass die diesjährige Konferenz erneut verkürzt worden war, da kein ausreichendes Budget für die Dolmetscher_innen zur Verfügung stand.) Die Staatenvertreter_innen sollten sich dafür einsetzen, dass die Arbeitsgruppe mit ausreichend Budget für die Dolmetscher_innen ausgestattet werde.
Die UN-Generalversammlung hatte die Arbeitsgruppe (Open-ended Working Group on Ageing, OEWG-A) 2010 eingesetzt, um den Menschenrechtsschutz Älterer zu untersuchen und Verbesserungsvorschläge, bis hin zu einem eigenen bindenden völkerrechtlichen Instrument, zu erarbeiten.
(C. Mahler)
Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema
Internationales:
08.08.2017: Unfallversicherung muss Entschädigung auf einen Schlag auszahlen
27.07.2017: Griechenland: Yiorgos sagt danke für 190.000 Unterschriften gegen Wasserprivatisierung
24.07.2017: Streik bei Stihl in China - Anti-Aufruhr-Polizei greift ein
Alle Artikel zum Thema
Internationales