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30.10.2017 - von I.L.
Ich bin Rentnerin (67 Jahre) mit einer sehr kleinen Rente, die unterhalb des für Grundsicherung im Alter geltenden Satzes liegt (450 Euro /monatlich). Ansonsten bin ich vermögenslos. Deshalb bin ich dringend auf Arbeit angewiesen. Ich habe seit meinem 16. Lebensjahr bis vor fünf Monaten fast ununterbrochen gearbeitet. Ich habe einen Hochschulabschluss und die meiste Zeit als Selbstständige gearbeitet. Nur die letzten 6 Jahre hatte ich eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im öffentlichen Dienst, die ich leider mit Erreichen des gesetzlichen Rentenalters (Februar 2016) beenden musste, weil im öffentlichen Dienst angeblich über das Rentenalter hinaus keine Beschäftigungsmöglichkeit besteht.
Schon diese Tatsache, halte ich für einen Fall der Altersdiskriminierung, vor allem vor dem Hintergrund der Tatsache, dass unsere Regierenden immer wieder von der Rente ab 70 und der Altersarmut sprechen. Denn natürlich reicht meine Rente nach so wenigen Jahren sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung nicht aus, um davon leben zu können. Da ich körperlich und geistig in der Lage bin, noch mindestens 5 Jahre zu arbeiten, halte ich es für eine Schande, dass ausgerechnet der öffentliche Dienst seinen Angestellten keine Möglichkeit bietet, über das Rentenalter hinaus zu arbeiten. Deshalb suche ich seit Monaten nach einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung.
Da ich einen Hochschulabschluss habe und vielfältige Qualifikationen und Berufserfahrung nachweisen kann, sollte man meinen, dass ich trotz meines Alters leicht Arbeit finde könnte. Dem ist leider nicht so. Seit Monaten versuche ich erfolglos, Arbeit zu finden und ich war zuletzt sogar bereit, Stellenangebote für geringqualifizierte Bürokräfte anzunehmen. Aber wie Ihnen wohl bekannt sein dürfte, hält der Arbeitsmarkt für Rentner – unabhängig von ihrer Qualifikation – überwiegend nur geringfügige Beschäftigungen auf Mindestlohnniveau bereit, was an sich schon eine Altersdiskriminierung darstellt. Besser bezahlte Stellen für Fachkräfte sind zwar massenhaft im Angebot, aber die Arbeitgeber verlangten in der Regel besondere branchenspezifischen EDV Kenntnisse, die sich ältere Arbeitnehmer, die zudem branchenfremd sind, in der Regel erst aneignen müssen.
Um meine Marktchancen zu verbessern, habe ich – ungeachtet meiner eigentlichen Qualifikationen und Fähigkeiten- gezielt danach gesucht, welche Fachkräfte derzeit am meisten nachgefragt werden und bin dabei auf Fachkräfte im Bereich Finanzbuchhaltung gestoßen. Ich habe zwar vor meinem Studium eine kaufmännische Lehre gemacht (1966 bis 1969), aber mein Wissen ist natürlich veraltet, insbesondere was die branchenspezifischen EDV Kenntnisse betrifft.
Also habe ich mich in der Weiterbildungsdatenbank Berlin-Brandenburg schlau gemacht und nach passenden Weiterbildungsangeboten im Bereich Finanzbuchhaltung/ Lohn- und Gehaltsbuchhaltung gesucht . Dort gibt es zwar einige Anbieter, die kostenlose Kurse in Xpert Business – Finanzbuchhaltung anbieten, aber die sind ausschließlich für ALG II Empfänger, also für Arbeitslose, die Anspruch auf Hartz IV haben oder Leute, die Anspruch auf REHA Maßnahmen der Rentenversicherung und damit auf Förderung einer Weiterbildungsmaßnahme (Bildungsgutschein) haben. Anspruch auf Hartz IV haben oder REHA Maßnahmen haben aber nur bedürftige oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, die das Rentenalter noch nicht erreicht haben.
Da es einige wenige Bildungsträger gibt, die auch ESF (Europäischer Sozialfond) geförderte Bildungsmaßnahmen anbieten und die ESF Fördermittel nach den Richtlinien der EU meines Wissens nicht auf Menschen beschränkt sind, die schon nach dem SGB II und SGB III Anspruch auf Förderung durch Bildungsgutschein haben, habe ich mich bei dem für die ESF Maßnahmen zuständigen Senatsstellen und an die Bildungsträger, die mit ESF geförderten Bildungsmaßnahmen werben, erkundigt, ob auch Rentner, die aufstockend Grundsicherung im Alter erhalten, Anspruch auf eine ESF geförderte Weiterbildungsmaßnahme haben. Das Ergebnis war erschütternd. Der Senat konnte mir keine klare Antwort geben, weil der Senat die Verwaltung und Vergabe von ESF Mitteln privatrechtlich organisierten „Consultants“ übertragen hat, die offenbar auch die Richtlinien festlegen, was die Teilnehmer an solchen ESF geförderten Maßnahmen betrifft. Hier nur ein Beispiel eines privaten Bildungsträgers, bei dem ich mich für eine ESF geförderte Maßnahme beworben hatte:
Auf meine schriftliche Anfrage beim FrauenComputerZentrum e.V. (FCZB), die ESF geförderte Weiterbildungsmaßnahmen anbieten, die ich besuchen wollte, erhielt ich folgende Antwort:
„Liebe Frau L.,
es tut mir sehr leid, aber ich fürchte, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen kann. Alle derzeitigen Weiterbildungen im FCZB (auch Porta) richten sich an Frauen, die maximal 65 Jahre alt sind. Diese Altersgrenze haben nicht wir uns ausgedacht. Sie ist eine Vorgabe unserer Fördergeldgeber_innen.
Diese haben auch zu meinem großen Bedauern noch nicht erkannt, dass auch Rentnerinnen und Rentner, die sich in der von ihnen beschriebenen Situation befinden, einen Bedarf an kostenfreier oder zumindest kostengünstiger Weiterbildung haben. Die Zuwendungen unserer Fördergeldgeber_innen sind nicht sehr üppig, weswegen wir auf jeden Cent angewiesen sind. Aus diesem Grund können wir leider keine Teilnehmerinnen aufnehmen, die nicht die formalen Voraussetzungen erfüllen. Eventuell kann Ihnen ein Kurs an der Volkshochschule weiterhelfen. Für Menschen mit geringem Einkommen gibt es recht preiswerte Kurse.
Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen keine positivere Nachricht schicken kann.
Herzliche Grüße S.W.
Für mich klingt das nicht nur nach Altersdiskriminierung, sondern auch nach einem Verstoß gegen die ESG - Förderrichtlinien der EU. Ich weiß nicht, ob und ggf. was Sie dagegen tun können, aber vielleicht können Sie mir raten, wie ich mich wirksam gegen diese Art von Altersdiskriminierung wehren kann. Denn es kann doch nicht sein, dass die 214 Millionen Euro, die Berlin aus ESF Mitteln bekommt, für alle gesellschaftlichen Gruppen, die bedürftig sind, ausgegeben werden, insbesondere Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrund, nur nicht für die von Altersarmut betroffenen Menschen über 65 +.
Ich werde diesen Brief an verschiedene Stellen in der Hoffnung schicken, dass mir irgendjemand erklären kann, wie diese Diskriminierung beseitigt werden kann.
Mit freundlichen Grüßen I.L.
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