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Arme + Reiche, Junge + Alte wohnen immer seltener Tür an Tür

Foto: H.S.

24.05.2018

Arme Menschen leben in deutschen Städten zunehmend konzentriert in bestimmten Wohnvierteln. Auch junge und alte Menschen sind immer seltener Nachbarn. Das zeigen Marcel Helbig und Stefanie Jähnen in einer neuen Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Darin haben sie für 74 Städte die Entwicklung der sozialräumlichen Segregation von 2005 bis 2014 untersucht. Es ist die bislang umfangreichste Studie, die mit amtlichen Daten die ungleiche räumliche Verteilung sozialer Gruppen untersucht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass in vielen deutschen Städten die Idee einer sozial gemischten Stadtgesellschaft nicht mehr der Wirklichkeit entspricht.

In gut 80 Prozent der untersuchten Städte hat seit 2005 die räumliche Ballung von Menschen, die Grundsicherung nach SGB II beziehen, zugenommen – am stärksten dort, wo viele Familien mit kleinen Kindern (unter 6 Jahren) und viele arme Menschen leben. Den höchsten Anstieg verzeichnen ostdeutsche Städte wie Rostock, Schwerin, Potsdam, Erfurt, Halle und Weimar. Zudem schreitet die sozialräumliche Spaltung in Städten schneller voran, wo eine bestimmte Schwelle der Armutssegregation bereits überschritten ist.

Um das Ausmaß der räumlichen Trennung nach sozialer Lage zu bestimmen, haben Marcel Helbig und Stefanie Jähnen den sogenannten Segregationsindex berechnet. Dieser gibt Auskunft darüber, wieviel Prozent der SGB-II-Bezieher eigentlich in einem anderen Stadtteil wohnen müssten, um gleichmäßig verteilt in einer Stadt zu leben. In einer Reihe von Städten betrifft das zwischen 35 und 40 Prozent der Leistungsempfänger (siehe Grafik). „Dieses Niveau kennen wir bisher nur von amerikanischen Städten“, sagt Helbig. Als „historisch beispiellos“ bezeichnet er die Dynamik, mit der die sozialräumliche Spaltung der ostdeutschen Städte binnen weniger Jahre zugenommen hat (siehe Grafik).

Arme Familien mit Kindern sind besonders betroffen. In 36 Städten gibt es inzwischen Quartiere, in denen mehr als die Hälfte aller Kinder von Leistungen nach SGB II leben (siehe Grafik). „Diese Entwicklung kann sich negativ auf die Lebenschancen armer Kinder auswirken. Aus der Forschung wissen wir, dass die Nachbarschaft auch den Bildungserfolg beeinflusst“, erklärt Jähnen.

Die Studie zeigt aber auch, dass bestimmte Altersgruppen immer seltener Tür an Tür wohnen. So konzentrieren sich junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren zunehmend in bestimmten Wohnvierteln, in anderen sind es wiederum Menschen ab 65 Jahren. Zwar ist die demografische Segregation weit entfernt vom Niveau der sozialen und ethnischen Segregation, aber es ist nicht absehbar, dass sich die Entwicklung bei den beiden Altersgruppen abschwächt.

Überraschend fanden die Forscher heraus, dass der Anteil von Sozialwohnungen die räumliche Ungleichheit innerhalb einer Stadt verstärkt. „Sozialwohnungen sind in Gebieten zu finden, in denen ohnehin die Armen wohnen. Das Ideal einer sozial gemischten Stadt ist schon lange dem Ziel gewichen, bezahlbaren Wohnraum zu schaffen“, sagt Jähnen.

Genauer geht die Studie auf die besondere Situation in Ostdeutschland ein. Auffällig ist, dass Magdeburg und Dresden im Gegensatz zu den anderen ostdeutschen Städten eine vergleichsweise geringe Segregation aufweisen. Diese Sonderstellung begründen die Forscher damit, dass beide Städte im Zweiten Weltkrieg großflächig zerstört wurden und sich Neu- und Plattenbauten ausgewogener im Stadtraum verteilen. In ostdeutschen Städten mit heute hoher sozialer Segregation wie Rostock, Erfurt oder Jena entstanden die Plattenbauten eher am Stadtrand, die nach der Wende zunehmend zu sozialen Brennpunkten wurden. Diese Entwicklung erklärt auch, warum die sozialräumliche Ungleichheit in ostdeutschen Städten heute größer ist als in Westdeutschland.

Die Studie ist als WZB Discussion Paper erschienen und steht als PDF zum Download bereit. Link

Marcel Helbig, Stefanie Jähnen: Wie brüchig ist die soziale Architektur unserer Städte? Trends und Analysen der Segregation in 74 deutschen Städten.

Marcel Helbig ist Professor für Bildung und soziale Ungleichheit am WZB und an der Universität Erfurt. Stefanie Jähnen forscht als Promotionsstipendiatin am WZB in der Projektgruppe der Präsidentin.

Der WDR hat im zweiten Teil seiner dokumentarischen Serie UNGLEICHLAND am 23. Mai um 22.10 Uhr über die Studie berichtet.

Quelle: WZB, Pressemitteilung 23 05 18