Diskriminierung melden
Suchen:

Wer kann sich Eigenbeiträge für Pflege noch leisten?

Foto: H.S.

11.07.2018 - von Günter Steffen, Lemwerder

Wieder Beitrags- und Ausgabensteigerungen in der Pflege. Die Bürger fragen sich berechtigt, wieso ab Januar 2019 in der Pflege schon wieder aus
eigener Tasche mehr bezahlt werden soll. Die Preiserhöhungen gelten für Versichertenbeiträge, für häusliche und ambulante Pflege und auch für die stationäre Pflege. Dabei ist nicht vorgesehen, dass im Umkehrschluss die gesetzlichen Vergütungen für Pflegebedürftige angehoben werden. Als rechtliche Grundlage soll die Vereinbarung des Koalitionsvertrages von CDU/CSU und SPD herhalten. Natürlich kann nicht bestritten werden, dass die Pflege durch Fach- und Hilfskräfte für hilfsbedürftige Menschen wegen der nicht ausreichenden Personalbesetzungen zu kurz kommt. Es ist wahr, die Vergütungen lassen in der Regel gerade für Fachkräfte, wenn es Haustarifverträge oder Hausvereinbarungen sind, zu wünschen übrig.

Die Mehrbesetzungen sollen in allen Pflegeheimen stattfinden. Der Gesundheitsminister hat dem nicht widersprochen, wenn aus Sicht der Verbände von mindestens 1,5 Mehrstellen gesprochen wurde. Da sind die von der Regierung anvisierten 8. 000 Stellen geradezu ein Witz. Bei 13.000 diesbezüglichen Einrichtungen in Deutschland würden also fast 20.000 Stellen benötigt. Wo kommen die Bewerber in dieser Anzahl her? Ohne längerfristige Initiativen der Ausbildungsförderung vom Staat sind diese Besetzungsvorstellungen naiv zu nennen.

Die Heimbewohner müssen heute schon aus eigener Tasche erhebliche monatliche Eigenfinanzierungen leisten. In Bremen sind es derzeitig im Durchschnitt 1.725 Euro monatlich. In Hamburg 1.850 Euro und in Niedersachsen 1.321 Euro. Pflegeheime berechnen in Schleswig-Holstein 1.439 Euro und in NRW 2.252 Euro. In den meisten Fällen finanziert jetzt die Sozialhilfe vollständig oder teilweise, denn bisher wurden erwachsene Kinder nach Gewährung hoher Freibeträge an den Kosten beteiligt. Nun wollen die Koalitionsparteien nur dann eine Heranziehung bei der Finanzierung, wenn die Kinder eines Pflegebedürftigen ab 100.000 Euro jährlich verdienen!

Was soll das? Es stellt sich doch die Frage, welcher Rentner oder welche Rentnerin sich in den nächsten Jahren die enormen Eigenfinanzierungen in diesen Größenordnungen wirklich leisten kann. In den Familien ist es ein wichtiges Thema. In aller Regel wird entschieden, dass die hilfebedürftige Mutter oder der Vater von einem Familienangehörigen oder einer Hilfskraft aus Polen bei Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegebetriebes betreut wird. Bei Angeboten für Einzelleistungen einer professionellen Pflege bei Pflegegrad 3 entstehen schnell Rechnungsbeträge von 700 bis 1000 Euro monatlich, also Kosten neben der Betreuung im eigenen Haushalt.

Wenn man in unserer Gesellschaft von Steigerungen der Pflegebedürftigkeit von jährlich 2% ausgeht, kann man sich vorstellen, dass ohne Inanspruchnahme der Finanzhaushalte des Bundes und der Länder das Problem Pflege in unserem Land schon bald nicht mehr finanziell aus eigener Tasche lösbar sein wird. Das wird auf Dauer auch nicht mit den jährlich steigenden Pflegebeiträgen der Arbeitnehmer und Rentner finanzierbar sein.

Ab 1.1.2019 steigt der Beitrag sowieso von 2,55 auf 2,75 Prozent. Nun sind erste Begründungen zu hören, man muss nur den Koalitionsvertrag genau lesen. Es soll demnach eine sogenannte solidarische Refinanzierung aus der Gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen. Das heißt: Die im Gesundheitsfonds angesammelten Milliarden aus den Beiträgen der Krankenversicherung von Arbeitnehmern und Rentnern sowie von Arbeitgebern sollen zur Pflegeversicherung umgebucht werden. Ergo haben die Mitglieder der Gesetzlichen Krankenkasse in den zurückliegenden Jahren zu hohe Beiträge bezahlt, die jetzt für notwendige Therapien (Lebensbedrohende Krankheiten) nicht mehr zur Verfügung stehen werden.

Als Mitglied einer Krankenkasse erfährt man nichts. Es ist damit zu rechnen, dass die Vorstände und Selbstverwaltungen nichts gegen derartige politische Entscheidungen einzuwänden haben. Es gibt ein Sprichwort, welches scheinbar im politischen Raum auch in Zusammenarbeit mit den Krankenkassen immer noch gilt: “Gibts Du mir, geb´ ich Dir“.

Link: Pflegebedürftigkeit macht arm
Quelle: Durchblick, Juli 2018