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Nie sah ich meine Eltern tanzen ...

Foto: H.S.

07.09.2018 - von Hartmut Jeromin

Ich sah meine Eltern nie tanzen! Keine Lust darauf, keine Gelegenheiten? Und so gab es Tanz für mich zunächst nicht. An Musik auch nur sakrale Musik, getanzt wurde in der Kirche nicht… Erst in der Lehrzeit versuchten die Mädchen mir das Tanzen abzuverlangen. Und die älteren Arbeitsfrauen saßen am Rande und begutachteten und hielten am nächsten Arbeitstag nicht hinterm Berg mit ihren Ratschlägen, eigentlich entmutigend. Aber der Keim war entstanden. Auch Tanzstunde gab es da nicht, wir schimpften schon bei der Schulentlassungsfeier, dass niemand uns „Grundschulabgänger“ tanzen gelehrt hatte und wir kannten noch keine Tanzstile und Modetänze. „Mittelschüler“ hingegen konnten tanzen und Bier trinken, ein ganzes Fass wurde da geleert!

So um mein 20. Lebensjahr kam aber Bewegung in die Sache, die Mädchen in der Abendschule gingen am Wochenende in ein Tanztraining und suchten Tanzpartner. Ahnungslos ging ich hin. In einer Turnhalle in Rostock- Reutershagen hielten sich junge Leute an Stangen fest, wurden von einer kleinen, energischen Frau auf französisch kommandiert und hoben die Beine und Arme nach ihren Anweisungen. Ich wurde eingereiht und kam mir sehr doof vor. Musik gab es auch dazu, vom Tamburin und auch vom Klavier. Und im Saale herrschte Begeisterung. Der Pianist gab zum Schluss oft eine Extranummer und alle tanzten wie verrückt spanisch. Da sollte ich mitmachen? Zumal ich in der Woche auf meiner Arbeitsstelle und in der Abendschule sehr zu tun hatte. Und in Strumpfhosen, mit Suspensor. Na, danke. Aber die Damen ließen nicht locker und so „hüpfte“ ich da mit.

Mitten im Sommer darauf brauchte ich nun eine Freistellung und fuhr mit der Truppe nach Bergen auf Rügen in ein Schulinternat, auch wieder mit Turnhalle. Es war noch eine junge Tänzergruppe aus Berlin dort, recht sicher in den Tänzen und es wurden einstudiert: Gruppen- Tänze für „Störtebecker“ in Ralswieck. Es gab einen Choreographen, einen Regisseur, den Textautor und auch einen Komponisten, auch jede Menge Kostüm- und Maskenbildner, Beleuchter und Tonmeister sowie Kulissenbauer. Für mich eine neue Welt. Beim Übertragen der Gruppentänze auf die Freilichtbühne lernte ich das gesamte Ensemble des Rostocker Theaters dort kennen. Solisten hatten gar eigene Umkleiden. Nach drei Wochen Proben ging es los mit den Aufführungen, ich immer mittendrin, so gut es ging. Es wird nicht sehr aufgefallen sein bei den Massen, die teilweise auf der Bühne agierten. Die Sprechtexte habe ich noch heute im Ohr! Drei Wochen ging das so, dann eine grandiose Abschlussfeier mit Feuerwerk, nachdem das Publikum sich verlaufen hatte. Ich griff mir eine Kanne Glühwein und ein Mädchen, es wurde eine Riesenfeier.

Wie ich beim Studium dann zur Tanzgruppe des Hochschulensembles fand, weiß ich nicht mehr, aber die gesamten 5 Jahre tanzte ich da, mit Ballettmeisterin, Pianistin, Orchester, Chor und Sprechern. Auch mit Kostümfrau und einem Kostümfundus. Wir waren eine Vorzeigetruppe, mussten überall mit hin. Da bin ich auf manchen Bühnen gewesen. Am eindrucksvollsten waren die Bühnen in Litauen im Mai 1965…ich z.B. mit einem Mecklenburger Volkstanz vor zig-tausend Zuschauern in Kaunas.

Die Mühen, sich 2x in der Woche gymnastisch-tänzerisch ausbilden zu lassen, hatten sich gelohnt. Nun konnte ich außer Rettungsschwimmen auch tanzen. Andere „Künste“, wie Kochen oder Wäschewaschen musste ich aber noch lernen. Aber bis ins Alter beherrsche ich einige Übungen aus dem Trainingsaal, Sprünge aber nicht mehr und für Hebungen fehlen nun die Mädchen. Was soll`s, alles hat seine Zeit. Das Leben ist eine Einbahnstraße, nichts wiederholt sich. Hin und wieder sehe ich junge Leute einen Ländler tanzen oder auf der Grünen Woche einen Schuhplattler und denke dann: Sowas konntest du doch früher auch…und gönne es den Akteuren und dem Publikum. Denkt so im August 18- Hartmut Jeromin in Sachsen

Link: Dem ARBEITER ein sorgenfreies, heiteres ALTER oder: Arbeitslohn=Wurzel aus
Quelle: Hartmut Jeromin