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Altersdiskriminierung von Sachverständigen

29.11.2006 - von Name + Adresse sind der Redaktion bekannt

Ein Sachverständiger, das ist jemand, der etwas von einer Sache versteht. Es gibt selbsternannte Sachverständige und es gibt öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige, wie zum Beispiel Herrn H.

An seinem Beispiel wird deutlich, wie hierzulande mit den in Sonntagsreden neuerdings so gern beschworenen Kompetenzen älterer Leute umgegangen wird und wie viel flexibler andere Staaten reagieren, wenn es um den Erhalt dieser Kompetenzen geht. Dazu muss man wissen: In fast jedem Daseinsbereich gibt es öffentliche Sachverständige. Es gibt welche für das Eisenbahnwesen für nichtbundeseigene Eisenbahnen, es gibt Sachverständige für die Standsicherheit in der Fachrichtung Massivbau, es gibt welche für Erd- und Grundbau, für
Bodenschutz und Altlasten, für Brandmeldeanlagen, Sicherheitsstromversorgungsanlagen und -beleuchtungsanlagen, und und und. Für jede Sachverständigentätigkeit gibt es eine dazugehörende Sachverständigenverordnung. Es exisitiert die Sachverständigenverordnung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, die Eisenbahn-SachverstVO, die Sachverständigenverordnung-Bau der Bayerischen Bauordnung, die Sachverständigenverordnung des Eisenbahn-Bundesamtes, die Sachverständigenverordnung für Erd- und Grundbau und es existieren viele viele mehr.

Herr H. arbeitete im Angestelltenverhältnis als Sachverständiger für Baupreisbildung bei der Deutschen Bahn AG. "Mich über die im Tarifvertrag vereinbarte Altersgrenze von 65 Jahren hinaus länger zu beschäftigen, war nach dem bestehenden Rahmentarifvertrag nicht möglich. Trotzdem stimmte der Betriebsrat zu, zwei weitere Jahre zu verlängern, weil der Deutsche Bahn-AG sonst meine besonderen Fachkennntisse verloren gegangen wären. Die zwei Jahre waren 2005 abgelaufen und ich schied am 30.9. 2006 mit 67 Jahren aus dem Angestelltenverhältnis aus, obwohl die Geschäftsführung mich noch länger hatte halten wollen; der Betriebsrat stimmte aber dem nicht mehr zu, weil die Beschäftigung jüngerer Mitarbeiter gesichert werden musste. Seitdem bin ich selbstständig tätig und will mich als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger niederlassen."

Das geht aber nicht. Zumindest nicht in diesem Land. Die Altersgrenzen für die Anerkennung als Sachverständiger sind in den diversen Sachverständigenordnungen unterschiedlich geregelt. Als Faustregel kristallisiert sich heraus: Mindestalter für die Zulassung: 28 Jahre. Maximalalter für die Zulasssung: 60 Jahre.
Erlöschen und Widerruf der Zulassung: bei Vollendung des 68. Lebensjahres.

Im Fall von Herrn H. heißt es in der Sachverständigenverordnung:
§ 2 Voraussetzungen für die Anerkennung als Sachverständiger
(1) Als Sachverständiger kann auf Antrag anerkannt werden, wer
1. das 60. Lebensjahr im Zeitpunkt der Antragstellung nicht vollendet hat, ...

(2) Die Anerkennung des Sachverständigen im Sinne des Absatzes 1 gilt bis zur Vollendung des 68. Lebensjahres. Eine Anerkennung darf nicht über den Zeitpunkt hinaus erteilt werden, zu dem der Sachverständige das 68. Lebensjahr vollendet hat, es sei denn, es besteht ein besonderer öfentlicher Bedarf, weil der Sachverständige zu wenigen Persönlichkeiten gehört, die auf einem ganz bestimmten Gebiet einen besonderen Sachverstand ausüben können.

Da Herr H. nun aber nicht zu den wenigen Persönlichkeiten gehört, denen in der Sachverständigenverordnung ein Überschreiten der Altersgrenze zugebilligt wird, macht es ihm "diese Verordnung unmöglich, mich als Vereidigter Sachverständiger bestellen zu lassen. Ich habe sogar das Alter "68. Lebensjahr" vollendet, so dass ich praktisch völliges Berufsverbot habe, d.h. nicht gelistet bin und deshalb Aufträge von Gerichten und Anderen, die sich Sachverständige aus der Liste der IHK`s auswählen, nicht bekomme."

Was hierzulande gilt, ist woanders längst kalter Kaffee. Da kommt es auf die Kompetenzen an, die jemand hat, und nicht darauf, welches Geburtsdatum im Paß steht. "In England ist mein Alter kein Problem: dort registriere ich mich und bin als EXPERT gelistet, ohne dass man nach meinem Alter fragt."
Auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten hat Herr H. wegen seines Alters keine Probleme, und kann dort Aufträge entgegennehmen und ausführen.

Das Beispiel zeigt, wie unsinnig Altersgrenzen sind und wie widersinnig die Verlängerung der Arbeitszeit vom 65 auf das 67. Lebensjahr ist. Das Zwangsrentenalter ist ebenso wie die Altersgrenzen in Sachverständigenverordnungen ein alter Zopf, der abgeschnitten gehört. Wie heißt es doch gleich im 5. Altenbericht der Bundesregierung:
"Die vorhandenen Potenziale zu erkennen und selbstverständlich als Ressource zu begreifen und zu nutzen ist eine Aufgabe der Organisationsentwicklung für Betriebe, Verbände, Vereine und Verwaltungen." Das hört sich gut an, hat aber mit der bundesdeutschen Realität trotz Gleichstellungsgesetz leider nicht das Mindeste zu tun.

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=1722
Quelle: Brief an das Büro gegen Altersdiskriminierung

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