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Direktversicherung: Meinung der FDP im Jahr 2004

22.07.2013

Kaum zu glauben, aber wahr, das FDP-Fraktion und einzelne FDP-Abgeordnete nach dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes im Bundestag einen Antrag im Bundestag gestellt haben, in dem sie gefordert haben, die zusätzlichen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei Versorgungsbezügen im GKV-Modernisierungsgesetzes rückwirkend zum 1. Januar 2004 wieder außer Kraft zu setzen! (Rot-Grün hatte die Mehrheit, die FDP saß in der Opposition.)

Antrag der Abgeordneten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich L. Kolb, Carl-Ludwig Thiele, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Rainer Funke, Joachim Günther (Plauen), Dr. Karlheinz Guttmacher, Dr. Christel Happach-Kasan, Christoph
Hartmann (Homburg), Klaus Haupt, Ulrich Heinrich, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia Pieper, Dr. Günter Rexrodt, Dr. Hermann Otto Solms,
Dr. Rainer Stinner, Jürgen Türk, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Zusätzliche Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei Versorgungsbezügen durch das GKV-Modernisierungsgesetz rückgängig machen

Der Bundestag wolle beschließen:
Die Erhöhung der Kranken-und Pflegeversicherungsbeiträge für Versorgungsbezüge und Betriebsrenten, die durch die Änderung des § 248 SGB V in Nummer 148 des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beschlossenen GKV-Modernisierungsgesetzes ab 1. Januar 2004 vorgenommen wurde, wird rückwirkend zum 1. Januar 2004 wieder außer Kraft
gesetzt.

Berlin, den 11. Februar 2004
Dr. Dieter Thomae Birgit Homburger
Detlef Parr Dr. Werner Hoyer
Dr. Heinrich L. Kolb Michael Kauch
Carl-Ludwig Thiele Gudrun Kopp
Rainer Brüderle Jürgen Koppelin
Angelika Brunkhorst Harald Leibrecht
Ernst Burgbacher Ina Lenke
Jörg van Essen Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
Horst Friedrich (Bayreuth) Dirk Niebel
Rainer Funke Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Joachim Günther (Plauen) Cornelia Pieper
Dr. Karlheinz Guttmacher Dr. Günter Rexrodt
Dr. Christel Happach-Kasan Dr. Hermann Otto Solms
Christoph Hartmann (Homburg) Dr. Rainer Stinner
Klaus Haupt Jürgen Türk
Ulrich Heinrich Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

Begründung
Die ohne Vorwarnung, ohne Übergangsregelungen und ohne ein Gesamtkonzept erfolgte Mehrbelastung vieler Rentnerinnen und Rentner durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie verstößt gegen das elementare Recht auf Vertrauensschutz. Diese Regelung
schadet der Glaubwürdigkeit einer verlässlichen Politik und schafft eine Atmosphäre des Misstrauens. Trotz der Notwendigkeit, zusätzliche Altersvorsorge zu betreiben, dürfte die Regelung dazu führen, dass die Bürger weniger Verträge für
die dringend notwendige zusätzliche Absicherung im Alter abschließen.

Das zum 1. Januar 2004 in Kraft getretene Gesundheitsmodernisierungsgesetz enthält für Bezieher von Versorgungsbezügen und Betriebsrenten eine erhebliche Verschlechterung ihrer bisherigen finanziellen Situation durch die deutlich höhere Belastung mit Kranken-und Pflegeversicherungsbeiträgen. Auch Direktversicherungen
und Zusatzversicherungen berufsständischer Versorgungswerke
fallen hierunter. Pflichtversicherte Rentner zahlen ab dem 1. Januar 2004 die vollen Beitragssätze von knapp 16 Prozent auf diese Bezüge statt wie bisher die halben Beitragssätze von knapp 8 Prozent. Freiwillig versicherten Rentnern, denen mit dem Gesundheitsstrukturgesetz 1993 gemäß § 240 Abs. 3a SGB V Bestandsschutz gewährt wurde, sofern sie vor dem 1. Januar 1993 die Voraussetzung der Beitragsermäßigung erfüllt und das 65. Lebensjahr vollendet hatten, wird dieser Vertrauensschutz nunmehr zehn Jahre später wieder entzogen, so dass auch sie den vollen Beitragssatz zahlen müssen. Das entspricht in etwa einer Mehrbelastung von 8 Prozent.

Zudem werden freiwillig versicherte Rentner, die bis 31. Dezember 2003 nur den ermäßigten Beitragssatz gezahlt haben, nunmehr mit dem höheren allgemeinen Beitragssatz belegt, der die Zahlung von Krankengeld mit einschließt, obwohl die Rentner keinen Anspruch haben. Das entspricht in etwa einer Mehrbelastung in Höhe von 1 Prozent. Die ganze Problematik dieser Maßnahme erschließt sich dann, wenn man berücksichtigt, dass eine weitere Regelung aus verfassungsrechtlichen Bedenken keinen Eingang in das Gesundheitsmodernisierungsgesetz gefunden hat. Ab 1. Januar 2006 sollen die GKV-Versicherten einen Sonderbeitrag von 0,5 Prozent ohne Beteiligung der Arbeitgeber entrichten, der ursprünglich dafür gedacht war, das Krankengeld alleine durch die Versicherten finanzieren zu lassen. Dieser Gedanke ist jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen fallen
gelassen worden, weil nicht darstellbar erschien, dass die Rentner ohne Anspruch auf Krankengeld diesen Beitrag ebenfalls zu entrichten hätten. Diese verfassungsrechtlichen Bedenken lassen sich auf die Neuregelung übertragen, dass nunmehr nicht mehr der ermäßigte, sondern der höhere allgemeine Beitragssatz
zu zahlen ist.

Eine deutliche Verschlechterung der finanziellen Situation ergibt sich auch für die Bezieher von betrieblicher Altersversorgung (z. B. Direktversicherungen), die sich von Anfang an auf eine einmalige Auszahlung festgelegt haben. Für
diese Kapitalauszahlungen galt bis zum 31. Dezember 2003 Beitragsfreiheit. Ohne Übergangsregelung muss nunmehr verteilt auf zehn Jahre jeweils der volle Beitragssatz an die Kranken-und Pflegeversicherung entrichtet werden. Dies
entspricht einer Mehrbelastung von knapp 16 Prozent der Bezüge.

Alle politischen Parteien sind sich darüber einig, dass die umlagefinanzierte Rente für die Zukunft nicht ausreichen wird. An einer zusätzlichen Vorsorge führt deshalb kein Weg vorbei. Es ist insofern völlig unverständlich, dass die Koalitionsfraktionen und die Fraktion CDU/CSU im GKV-Modernisierungsgesetz ein falsches Signal setzen, das dem Ausbau der Altersvorsorge entgegensteht.
Viele Arbeitnehmer empfinden es als ungerecht, dass durch die Neuregelung teilweise noch einmal Sozialversicherungsbeiträge bei der Auszahlung fällig werden, obwohl die Einzahlung aus bereits verbeitragten Lohnbestandteilen stattgefunden hat. Das betrifft die Direktversicherungen unmittelbar. Für die Betroffenen ist es der reine Zufall, ob ihnen entsprechende Kapitalauszahlungen bis zum 31. Dezember 2003 oder ab 1. Januar 2004 ausgezahlt wurden, allerdings mit entscheidenden Konsequenzen. Während im ersten Fall keine Beiträge zu zahlen waren, wird im zweiten Fall der volle Kranken-und Pflegeversicherungsbeitrag auf den Kapitalbetrag, verteilt über zehn Jahre, fällig.

Ein elementarer Bestandteil einer verantwortungsbewussten Gesetzgebung ist der Vertrauensschutz, so wie er 1993 unter Mitwirkung der Fraktion der FDP für freiwillig versicherte Rentner verankert wurde. Einschnitte dieses Ausmaßes sind nur dann akzeptabel, wenn den Betroffenen die Kürzungen so rechtzeitig bekannt sind, dass ihnen ausreichend Zeit bleibt, entsprechende Vorsorge zu treffen.
Für die Versicherten waren diese jetzt beschlossenenerheblichen Einschnitte nicht vorhersehbar. Sie hatten daher keine Möglichkeit, einen entsprechenden Einkommensausgleich für ihr Alter zu schaffen. Ganz besonders trifft das die derzeitigen rund drei Millionen Bezieher von Versorgungsbezügen und Betriebsrenten.
Sie können die von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN beschlossenen Einschnitte gar nicht mehr durch Erhöhung ihrer Vorsorge ausgleichen, da sie in der Regel keine entsprechenden laufenden Einkünfte haben, um gegensteuern zu können. Aber auch die kurz vor ihrer Rente stehenden zukünftigen Bezieher von Versorgungsbezügen und Betriebsrenten
sind hierzu nicht mehr in der Lage. Stark betroffen sind auch diejenigen, die mittlerweile in hohem Alter sind und davon ausgingen, dass der vom Gesetzgeber 1993 eingeräumte Vertrauensschutz auch Bestand hat. Die besondere Bedeutung
des Vertrauensschutzes unterstreicht auch ein Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 16. Dezember 2003 in der Frage, inwieweit der Staat bei Entscheidungen kassieren darf, die die Bürger in der Vergangenheit in dem Glauben getroffen haben, nicht dem Zugriff des Staates zu unterliegen. Der Bundesfinanzhof hat das
Bundesverfassungsgericht angerufen, weil er der Auffassung ist, dass die ab 1999 geltende Neuregelung, dass Gewinne aus der Veräußerung von Grundstücken des Privatvermögens erst nach zehn Jahren und nicht wie bis dahin nach zwei Jahren steuerfrei sind, nicht rückwirkend in Kraft gesetzt werden darf. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes muss auch in der Sozialgesetzgebung beachtet werden. Andernfalls werden Appelle an die Menschen, mehr private Vorsorge für ihr Alter zu treffen, zukünftig ohne den gewünschten Erfolg bleiben.

Die Veränderung bei den Kranken-und Pflegeversicherungsbeiträgen ist zudem losgelöst von einem Gesamtkonzept zur Rentenpolitik und damit als singuläre und isolierte Maßnahme zur Finanzierung der nicht in dem notwendigen Umfang und nicht mit der richtigen Zielrichtung reformierten Krankenversicherung politisch nicht verantwortbar. Es kann nicht angehen, dass festgestellt wird, dass man
1,6 Mrd. Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung braucht und diese dann willkürlich ohne Gesamtkonzept von den Betriebsrentnern kassiert, weil man
– wie es in der Begründung zum Gesundheitsmodernisierungsgesetz heißt – die Empfänger von Versorgungsbezügen durch deren Zahlstellen lückenlos erfassen kann. Kurzum: weil niemand fliehen kann. Begründet wird die Maßnahme durch den Gesetzgeber damit, dass die Rentner, die Versorgungsbezüge und Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit erhalten, in angemessenem Umfang an der Finanzierung der Leistungsaufwendungen beteiligt werden müssten. Es sei
ein Akt der Solidarität, den Anteil der Mitfinanzierung von Leistungen der Rentner durch die Erwerbstätigen, der heute 57 Prozent gegenüber 30 Prozent in 1973 betrage, nicht noch größer werden zu lassen. Dabei wurde bewusst übersehen, dass die Rentner in den unterschiedlichen zurzeit beschlossenen oder noch zu beschließenden Reformgesetzen an allen Ecken und Enden finanziell zum Teil ganz erheblich belastet werden. Sie müssen auch auf die gesetzliche Rente ab 1. April 2004 den vollen Pflegeversicherungsbeitrag bezahlen, statt wie bisher
die Hälfte. Ab 1. Januar 2005 soll der schrittweise Umstieg auf die nachgelagerte Besteuerung erfolgen, der gerade bei den Rentnern zu deutlichen Einkommensverlusten führen wird, die einen größeren Teil ihres Altersruhestands über eine
Betriebsrente finanzieren. Gleichzeitig sinkt das Niveau der Renten nicht nur nominal, sondern durch die Nullrunde real. Besonders betroffen sind Empfänger von kleinen Versorgungsbezügen und Betriebsrenten, sofern diese Bezüge
gleichzeitig ihre Haupteinnahmequelle zur Deckung ihres Lebensunterhalts im Alter darstellen. Ein Gesamtkonzept, welches das angeblich von allen politisch Verantwortlichen gewollte Drei-Säulen-Konzept im Alter unterstützt, nach welchem
Betriebsrenten und Versorgungsbezügen ein deutlich wichtigerer Stellenwert zukommen soll, ist nicht erkennbar, denn mit der zusätzlichen Belastung dieser Einkünfte wird diese Form der Altersvorsorge zunehmend unattraktiv.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf, das Vertrauen in eine verlässliche Gesetzgebung über die Beachtung des Vertrauensschutzes wieder herzustellen und endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept für eine gerechte
Verteilung finanzieller Lasten vorzulegen. Bis dahin muss davon abgesehen werden, einzelne Bevölkerungsgruppen isoliert durch Einzelmaßnahmen zu belasten. Die Ausweitung der Beitragszahlung bei Betriebsrenten, Direktversicherungen und Versorgungsbezügen aus Versorgungswerken ist umgehend rückwirkend zum 1. Januar 2004 wieder außer Kraft zu setzen.

Deutscher Bundestag Drucksache 15/2472
15. Wahlperiode 11. 02. 2004

Link: Direktversicherung: Fax an Bundesministerin Schröder
Quelle: Mail an die Redaktion