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22.10.2020 - von Günter Krieger
Albrecht Dürer kam, sah und genoss das Leben in Aachen. Zumindest machte er es sich wohl bei dem ein oder anderen Wirts- und Badehausbesuch nett - wie man aus seinem Tagebuch der Niederländischen Reise schließen kann. Vor genau 500 Jahren besuchte Dürer aus Anlass der Krönung Karls V. in Begleitung einer Delegation aus Nürnberg für drei Wochen die Reichsstadt Aachen. Der Autor Günter Krieger erzählt in seinem neuen Roman "Der Aachener Hund", der am 23. Oktober 2020 erscheint (anlässlich der drei Ausstellungen über das historische Treffen von Künstler und König im Suermondt-Ludwig-Museum, Centre Charlemagne und Ludwig Forum) in einer fiktiven Geschichte, wie es gewesen sein könnte.
Eine angefügte, bebilderte Spurensuche führt zu den Orten des Geschehens und bietet eine Zusammenschau der historischen Hintergründe.
Leseprobe: Der Aachener Hund 1. Kapitel
Hans Ebner
Der Karmontag im Jahre des Herrn 1528 war ein schwarzer Tag, nicht allein für unsere altehrwürdige Reichsstadt Nürnberg. Ein schwarzer Tag auch für das Reich, ja für die Welt, die ohne die Kunst des großen Meisters um einiges ärmer wäre. Willibald Pirckheimer schrieb in seiner Trauerode an den Freund:
„Ach, man konnte das Haupt nicht, nicht dir die Rechte berühren, dir, dem Sterbenden, nicht sagen ein letztes Lebwohl. Hattest kaum dir die Glieder, die matten, zur Ruhe gebettet, da auch schon nahte der Tod, raffte dich plötzlich hinweg.“
Auch von Martin Luther, dem falschen Mönch, den der Meister schätzte, ja verehrte – der Herr möge ihm vergeben! -, auch von ihm sind Worte des Bedauerns überliefert. Dürers Tod in stürmischen Zeiten sei als Segen für diesen ausgezeichneten Mann zu empfinden, da ihm die noch stürmischeren Zeiten, die wohl folgen würden, erspart blieben, damit nicht einer, der es wert war, nichts als Hervorragendes zu schauen, gezwungen würde, höchst gemeine Dinge zu sehen. Auch wenn ich den ketzerischen Thesen des Wittenbergers bis heute nichts abgewinnen kann, besser und prophetischer hätte es niemand in Worte fassen können.
Albrecht Dürer verließ diese Welt im Stillen. Ohnedies hatte er sich, da er nüchtern genug war, seinen Verfall nicht zu verleugnen, in den Monaten davor rar gemacht, hatte sich nur noch selten in der Öffentlichkeit gezeigt, und wie man weiß, ließ auch seine einst als beispiellos gepriesene Schaffenskraft nach. Dürers letzte Wochen waren ein Verwelken; Pirckheimer sagte später, er habe den Freund wie ein ausgedörrtes Strohbündel vorgefunden. Dem stimme ich zu, denn wie Pirckheimer gehörte auch ich zu jenen Wenigen, die den größten Künstler, den das Reich je sah, in seinen letzten Tagen besuchten. Er, der früher einem Bildhauer ein stattliches, mannhaftes Modell abgegeben hätte, war nur noch eine Hülle aus fahler Haut und Knochen, unsterblich als Künstler zwar, gleichwohl sterblich als Mensch wie wir alle. Widersprechen muss ich der heute oft gehörten Behauptung, auch sein Geist sei von diesem Niedergang betroffen gewesen. Als ich Dürer an seinem Krankenbett besuchen durfte – gleich zweimal war mir dies in seinen letzten Tagen vergönnt -, da war er noch der Herr seiner Sinne und Erinnerungen, und es kam mir vor, als würden die Schatten des Todes, zumindest für eine Weile, aus seinem Antlitz verschwinden, wenn wir über das gemeinsam Erlebte aus vergangenen Tagen sprachen. Freilich entging mir nicht, dass ihm etwas auf dem Herzen zu liegen schien. Doch der Reihe nach:
Dass es dem Dürer schlecht ging, so schlecht, dass man das Ärgste befürchten müsse, erfuhr ich erstmals während einer Ratssitzung, wo es jemand erwähnte, der es wiederum vom Pirckheimer selbst erfahren hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich Dürer seit zwei Jahren nicht mehr getroffen. Ich wusste, ich würde es mir hinterher nicht verzeihen, wenn ich den Todkranken nicht noch einmal besucht hätte. Deshalb machte ich mich noch am Abend desselben Tages auf den Weg zum Haus der Dürers, einem prächtigen Fachwerkbau in der Zistelgasse.
Die Magd, die auf mein Klopfen hin öffnete, war mir unbekannt. Früher war ja die Susanna Hausmagd der Dürers gewesen – sie war ihnen wie das Kind gewesen, das sie nicht hatten -, doch seit ihrer Heirat mit dem Georg Schlenk, einem von Dürers tüchtigen Gesellen, lebte sie unter ihrem eigenen Dach. Susannchens Nachfolgerin knickste artig vor mir, machte aber keine Anstalten, mich ins Haus zu lassen.
„Der Meister ist krank, werter Herr“, erklärte sie mir mit gesenktem Kopf und heiserer Stimme, nachdem ich mein Begehr kundgetan hatte. „Das weiß ich“, erwiderte ich geduldig. „Sag ihm, der Ebner wünsche ihn zu sehen“, fügte ich nachdrücklicher hinzu, denn mein Name würde ihr sicherlich nicht unbekannt sein.
Sogleich erschien hinter der Magd die Gestalt der Dürerin. Agnes Dürer wirkte erschöpft, dunkle Ringe unter ihren Augen zeugten von der schweren Zeit, die sie durchlebte. Doch als sie mich sah, rang sie sich ein Lächeln ab.
„Herr Ebner! Es ist gut, Euch zu sehen.“ Sie ließ mich eintreten. „Noch gestern hat Albrecht von Euch gesprochen.“
Ich ergriff ihre Hand und drückte sie sanft. „Wie man hört, hütet er das Krankenbett, Frau Agnes. Was denkt Ihr, wäre ein kurzer Besuch ihm zuzumuten?“
Die Dürerin biss sich auf die Lippen, als müsste sie dies sorgfältig abwägen. Bevor sie mir Antwort gab, entließ sie die Magd mit einem Nicken und sah mich dann offen an.
„Ich will ehrlich zu Euch sein, Herr Ebner, denn Ihr wart ihm immer ein guter Freund: Es geht ihm schlecht, sehr schlecht. Das Fieber! Seit Jahren schon suchen ihn immer wieder diese Schübe heim, wie Ihr wisst, doch in den vergangenen Tagen ist es noch ärger geworden. Der Medicus hat ihn mehrmals zur Ader gelassen. Mehr könne er nicht tun, sagt er. Wir müssen das Schlimmste befürchten.“
Ihre Stimme zitterte, sie kämpfte mit den Tränen, doch es gelang ihr, wenn auch mit Mühe, die Beherrschung zu wahren. Agnes Dürer war eine bemerkenswerte, tapfere Frau, und keineswegs das zanksüchtige Weib, als das der eifersüchtige Pirckheimer sie später darstellte.
„Darf ich ihn dennoch sehen?“, fragte ich leise.
„Ja, Herr Ebner.“ Sie nickte entschlossen. „Im Augenblick ist das Fieber gewichen, doch es ist nur eine Frage der Zeit, bis es wieder aufflammt. Albrecht würde mich tadeln, wenn er erführe, dass Ihr unverrichteter Dinge fortgegangen wärt. Ich will Euch zu ihm führen, Herr Ebner. Versprecht mir nur ...“
Sie rang nach Worten, aber ich wusste genau, was sie mir sagen wollte. „Gewiss, Frau Agnes. Ich werde ihn nicht überanstrengen. Ich verspreche es.“
Über eine hölzerne Treppe folgte ich ihr bis ins zweite Obergeschoss. Schon vor der Tür, die zum Gemach des Meisters führte, schlug mir der Geruch von Krankheit und Siechtum in die Nase. Agnes Dürer klopfte sachte, mehr war es ein vorsichtiges Scharren. Öffnete, als keine Antwort erfolgte. Wir traten ein. Dürer lag rücklings im Bett, die Augen geschlossen, die Hände auf der Brust gefaltet. Auf einer Kommode neben dem Bett lag ein Stapel Papierbögen, daneben ein Trinkbecher und eine flackernde Kerze, deren Schein im ausgezehrten Gesicht des Meisters bizarre Schatten warf. Ich dachte bei mir, dass es Dürer gefallen würde, könnte er sich selbst so sehen, er würde gewiss seinen Skizzenblock zur Hand nehmen wollen, um das geisterhafte Antlitz zu Papier zu bringen; nie hatte er sich gescheut, Not und Tod in seinen Werken zu thematisieren.
„Mein Agnes, wen bringst du mir da?“, fragte er. Die Lider blieben geschlossen, seine Stimme aber war so angenehm, wie ich sie in Erinnerung hatte.
„Der Hans Ebner ist gekommen, um dich zu besuchen, Albrecht“, beschied ihm Agnes.
„Ah, der Ebner!“ Dürer schlug die Augen auf. Nun schien er zu lächeln. „Erschreckt nicht, mein Freund, wenn ein Totenkopf Euch angrinst“, begrüßte er mich.
„Ich habe schon Schlimmeres gesehen, Meister“, entgegnete ich, obwohl meine Bestürzung nicht gering war.
„Setzt Euch zu mir, Ebner, bitte. Ich habe gehofft und gebetet, Euch noch einmal zu sehen.“
Die Dürerin wies auf den Stuhl zur Rechten des Bettes. Dort ließ ich mich nieder. Dürer hatte die Augen wieder geschlossen. „Es ist gut, mein Agnes, du kannst mich ruhig eine Weile dem Ebner überlassen. Hab vielen Dank.“
Bevor sie seinem Wunsch folgte und den Raum verließ, warf sie mir noch einen flehenden Blick zu, der mich an unsere Abmachung erinnern sollte.
„Ich will Euch nicht lange zur Last fallen“, versicherte ich dem Todkranken, als wir unter uns waren. „Ihr braucht viel Ruhe.“
„Unsinn“, widersprach Dürer. „Ruhe ist mir bald auf ewig vergönnt.“
„Wie ich sehe, könnt Ihr nicht von der Arbeit lassen“, sagte ich mit Blick auf die Bögen.
„Die Korrekturabzüge meiner Proportionslehre“, erklärte er stöhnend. „Ich fürchte, Zeit und Kräfte werden nicht mehr reichen, sie durchzusehen. Sei’s drum, dann ist es wohl Gottes Wille. In Seinen Händen liegt unser aller Schicksal.“
Ich dachte daran, dass er sich in jungen Jahren in christusgleicher Pose selbst porträtiert hatte. Provokation war nicht selten ein Merkmal seiner Kunst gewesen. In Wahrheit jedoch, und dies zeigte sich auf seinem Sterbebett deutlicher denn je, war sein Wesen von tiefer Demut vor Gott geprägt. Daran änderte wohl auch seine Sympathie für Luther nichts.
„Es waren vortreffliche Tage damals, nicht wahr, Ebner?“, sagte er nach einer Weile des Schweigens.
Es war nicht nötig zu fragen, von welcher Zeit er sprach, ich wusste, dass er unsere gemeinsamen Tage in Brüssel, Aachen und Köln meinte. Etwa sieben Jahre zuvor hatte sich Dürer auf eine Reise in die Niederlande begeben, um beim neuen Kaiser die Verlängerung seiner Leibrente zu erwirken. Zur selben Zeit war ich Mitglied der Krönungsdelegation gewesen, welche die in Nürnberg verwahrten Reichsinsignien zum Krönungsort nach Aachen zu bringen hatte. Daher hatten sich unsere Wege oftmals gekreuzt, mehr noch, wir, die Krongesandten, übernahmen mancherorts die Spesen für den berühmten Sohn unserer Stadt, dem in den Niederlanden so vielfältige Ehrungen zuteil wurden. Diese Großzügigkeit war wohl unserem Gewissen geschuldet, denn der Rat der Stadt Nürnberg behielt nach dem Tode Kaiser Maximilians die Gelder ein, die sie Dürer als jährliche Leibrente hätte auszahlen sollen. Dass Dürer nun beim neuen Kaiser selbst vorstellig werden musste, fand ich beschämend, ja blamabel; in Brüssel oder Antwerpen hätte man ihm ein goldenes Haus gebaut und nicht zugelassen, dass er zum Bittsteller wurde.
„Ja, Ihr habt recht, es waren vortreffliche Tage, Meister Dürer“, stimmte ich ihm zu. Wir waren damals schließlich zu Freunden geworden. Rückblickend erscheint einem vieles vortrefflich; allzu gern vergisst man die Unbilden, die eine lange Reise unweigerlich bereithält.
„Erinnert Ihr Euch an den Tag, als wir in Aachen einritten?“, fragte ich ihn. Ich gestehe, die Frage wählte ich mit Bedacht, wollte ich doch sehen, wie es um das Gedächtnis des Todkranken wirklich bestellt war.
„Gütiger Gott, Ebner, wie könnte ich diesen Tag wohl vergessen?“, lachte er auf. „Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet, und wir wurden nass bis auf die Knochen! Niemand hätte auch nur einen Hund vor die Tür gejagt.“
...
Günter Krieger: Der Aachener Hund
ISBN 978-3-86712-160-6
Format 13 cm x 21 cm
Umfang 176 Seiten
Verarbeitung Klappenbroschur
15 Euro
GEV Verlag, Eupen 2020
Bestellen beim Verlag unter: Link
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