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Rondenbarg-Prozess gegen mehr als 50 DemonstrantInnen beginnt in Hamburg

Foto: H.S.

03.12.2020 - von Theo Bruns

Mehr als drei Jahre nach dem G20-Gipfel in Hamburg beginnt am 3. Dezember der in verschiedene Verfahren aufgeteilte Massenprozess gegen insgesamt mehr als 50 Demonstrant*innen, die in der Hamburger Straße Rondenbarg als Teil eines Blockadefingers festgenommen wurden, der mit Aktionen des zivilen Ungehorsams gegen die Politik der G20-Staaten protestieren wollte.

Niemandem von ihnen wird - wie schon beim Prozess gegen Fabio Vettorel aus Italien (siehe dazu das Buch seiner Mutter Jamila Baroni »Teilnahme verboten«, Link - eine individuelle Straftat zur Last gelegt, sondern die Staatsanwaltschaft will pauschal die Teilnahme an der Demonstration unter Strafe stellen. Sollte sie damit erfolgreich sein, hätte dies gravierende Folgen für das Demonstrationsrecht und die Versammlungsfreiheit in Deutschland.

Doch es geht noch um mehr: Bei dem Polizeieinsatz kam es zum Einsatz massiver Gewalt: 14 Demonstrant*innen wurden schwer verletzt, viele im Polizeigewahrsam misshandelt und verhöhnt, nicht wenige sind noch Jahre nach den Ereignissen traumatisiert. In dem absurdesten aller G20-Prozesse sollen nun diejenigen, die diese exzessive Gewalt erfahren haben, in einer Täter-Opfer-Umkehr selbst zu Angeklagten gemacht werden.

Der damalige Hamburger Bürgermeister stellte hingegen wider alle Fakten apodiktisch klar: »Polizeigewalt hat es nicht gegeben.« Ein Freibrief für die Polizei, der für eine freiheitliche Gesellschaft brandgefährlich und in hohem Maß demokratiegefährdend ist. Dennoch gelang es lange Zeit, eine Mauer des Schweigens zu errichten, um die Wirklichkeit unkenntlich zu machen.

Erst über den Umweg der USA und die »Black Lives Matter«-Proteste sowie aufgrund der Enthüllungen über rechte Netzwerke in Polizei und Militär beginnt ein langsames, oft noch zaghaftes Um- und Nachdenken über Polizeigewalt und Racial Profiling, Tatbestände, die von den unmittelbar Betroffenen seit vielen Jahren immer wieder bezeugt werden.

Es ist an der Zeit, ihnen zuzuhören. Die Mauer bekommt Risse. Der Prozess muss ein Weckruf sei, um das Demonstrationsrecht zu verteidigen und um endlich das Tabu zu brechen und über Polizeigewalt - und zwar hier, mitten in Deutschland - zu reden. So könnte der Prozess zu einem Tribunal ganz anderer Art werden.

Mit unserem Buch »Das war der Gipfel« (Link haben wir bereits vor geraumer Zeit versucht, diese Mauer des Schweigens zu durchdringen und die Verzerrungen und Entstellungen des zehntausendfach auf die Straßen getragenen Widerspruchs gegen die Politik der G20 zurückzuweisen.

Wir wiederholen heute unseren Appell von damals: Fragt nach, schaut hin, nehmt die Perspektive der G20-Kritiker*innen zur Kenntnis. Setzt euch mit ihnen auseinander, statt sie zu dämonisieren und zu stigmatisieren.

In unserem Buch findet sich u.a. das erschütternde Zeugnis einer Jugendlichen aus NRW, die damals am Rondenbarg festgenommen wurde. Sie berichtet über die massive Repression, die sie erlebt hat, über ihre Erfahrungen im Gefängnis. Sie habe sich wie in einem »Film über einen Polizeistaat gefühlt« schreibt sie und fährt fort:

»Der Angriff der Polizei am Rondenbarg kam für uns aus dem Nichts.

Im Nachhinein wurde uns klar, dass es eine Falle war: Wir sollten in diese menschenleere Straße laufen, verprügelt und unter dem Vorwurf des schweren Landfriedensbruches verhaftet werden. Viele Betroffene berichten, sie hätten sich gefühlt, als seien sie überfallen und gekidnappt worden.

Auch nach über einem Jahr berichten viele derjenigen, die damals dabei waren, von Schlafstörungen, von Angstattacken und Vermeidungsverhalten. Sie durchleben die Szenen am Rondenbarg immer wieder und haben ständig Angst davor, noch einmal verhaftet zu werden.

Insbesondere das, was wir im Gefängnis erlebt haben, hätten wir in Deutschland niemals für möglich gehalten: Wir mussten uns während unserer Gewahrsamnahme mehrfach nackt ausziehen und von Beamten durchsuchen lassen, uns wurden Telefonate und Gespräche mit Anwälten verwehrt, wir verbrachten mehr als 24 Stunden in den ständig beleuchteten und kahlen Zellen der Gefangenensammelstelle (GeSa) und wurden zum Teil mehrfach, auch nachts, in verschiedene Justizvollzugsanstalten verlegt. Wir bekamen weder Hygieneartikel noch trockene Kleidung. Polizeibeamte verhöhnten und beleidigten uns und wir wurden verbal und körperlich erniedrigt. In der GeSa kam es zu unverhältnismäßiger Gewalt – Gefangenen wurde Prügel angedroht und es wurde auch zugeschlagen.«

Anlässlich des Rondenbarg-Prozesses haben wie den vollständigen Text hier online gestellt: Link

In diesem Buch finden sich des Weiteren folgende Hintergrundberichte, die einen Bezug zum Rondenbarg-Komplex haben:
- ein Text über das Volksparkcamp, von dem aus die Demo startete
- der Beitrag »Polizeigewalt hat es nicht gegeben« von Christiane Schneider
- der Text über die Zustände in der GeSa von Rechtsanwalt Lino Peters
- der Bericht der Anwältin Gabriele Heinecke über den Prozess gegen Fabio Vettorel
- ein Interview mit Fabio Vettorel
- weitere Beiträge z.B. von Anwältin Fenna Busmann und United We Stand
- sowie eine Darstellung der gesamten Bandbreite der Proteste aus Sicht der G20-Kritiker*innen.

Am 5. Dezember wird in Hamburg eine bundesweite Demonstration in Solidarität mit den Betroffenen der G20-Repression auf die Straße gehen. Startpunkt: 16 Uhr Hauptbahnhof.
Infos und weitere Links u.a. unter: Link

Mit herzlichen Grüßen
Theo Bruns

Link Link Link

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- Ungefähr 3.000 Menschen aus der gesamten Republik haben sich am Samstagnachmittag (5.12.2000) in Hamburg unter dem Motto "Gemeinschaftlicher Widerstand - Solidarität gegen jede Repression versammelt." Siehe Telepolis unter: Link

- BGH-Urteil: Bild-Zeitung durfte mit Fotos von G20-"Verbrechern" nach Zeugen suchen unter: Link

Quelle: Assoziation A