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Ökonomen sind größte Gefahr für Gesundheitssystem

27.02.2006 - von W.B.

"Qualität" im Gesundheitswesen kann vielfach definiert werden. Auch Eugen Münch, der größte Kllinikaufkäufer der Republik verspricht mehr "Qualität". Was aber Ökonomen unter Qualität verstehen ...

Konkreter Fall:
Gestern nachmittag hatten wir in unserer Uniklinik eine "Weiterbildung" über den Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems für unsere Uniklinik.

Zwei Studenten der Fachhochschule, die eine Diplomarbeit schreiben, wollen ein Gerüst erstellen, in das wir Ärzte jede unserer Tätigkeiten in Form von unzähligen Standard Operation Prtotocols (SOPs) einbringen sollen. (Wir haben dazu ja soviel Zeit.)

Daraus soll dann ein "Gesamtwerk der Humanmedizin" für unser Uniklinikum entstehen, in dem wir in fünf (5) Jahren (falls es dann fertig ist) nachlesen können, wie wir am besten (schnellsten) beispielsweise eine Blinddarmentzündung diagnostizieren und behandeln können/sollen.

Es gibt zwar tausende medizinische Fachbücher, Fachzeitschriften und Bedienungsanleitungen für unsere medizinischen Geräte, aber die Wirtschaftsstudenten von der Fachhochschule meinen, dass unsere Uniklinik durch das von der Industrie abgeschaute und unzählige Ordner füllende "Qualitätssicherungshandbuch" eine so enorme Qualität erreichen wird, dass wir eines Tages sogar nach ISO 9001 zertifiziert werden können!!!

Wir könnten dann für jeden Fall (=Patient) nachschlagen, was zu tun ist. Das sei so ähnlich wie mit der "Anleitung für die Zubereitung einer Fertigsuppen" (erklärte jedenfalls der Fachhochstudent der Betriebswirtschaft der staunenden Ärzteschaft). Über die Anleitung hinaus müssen Ärzte dann nicht mehr denken, da einfach ALLES vorgeschrieben ist.

Vom Behandlungspfad abweichen, zum Beispiel wegen der Anzahl der Lebensjahre eines Patienten, darf man dann natürlich auch nicht mehr, denn das ist bekanntlich in industrialisierten Arbeitsabläufen nicht vorgesehen. Alles was gemacht wird, obwohl es nicht im Qualitätssicherungshandbuch vorgesehen ist, könnte nämlich zusätzliche Zeit und Kosten verursachen (insbsondere selbständiges Denken von Ärzten und Pflegepersonal und individualisiertes Handeln). SOPs sollen nicht das kranke Individuum berücksichtigen, sondern "Qualität" in der medizinischen Behandlung durch Vereinfachung und Vereinheitlichung erreichen.

Ich weiß, wovon ich spreche: ich habe zwei Jahre im Management eines jungen pharmazeutischen Unternehmens gearbeitet und habe mich unter anderem mit Qualitätssicherung und SOPs für industrielle Produktionsprozesse befasst.

Es ist durchaus sinnvoll, dass die Arbeiterschaft, die einen definierten Werkstoff in ein definiertes Produkt umwandeln soll, nach Arbeitsvorschriften vorgehen muss, um eine einheitliche Qualität zu gewährleisten.

Ich kenne aber keine Arbeitsvorschrift oder SOP in der Industrie, die den Umgang mit Mitarbeitern (Menschen) vorschreibt. Da sind noch immer individuelle "Managerfähigkeiten" gefragt, also so etwas ähnliches wie "ärztliche Fähigkeiten".

Um diese zu erlangen, diente unser Studium: Wir haben gelernt eigenständig zu arbeiten und zu entscheiden, Verantwortung für Entscheidungen zu treffen, auf Patienten individuell einzugehen, und eben nicht am Fließband stereotype Bewegungsabläufe zu optimieren.

Genauso wenig, wie es eine SOP für den Umgang eines Personalleiters mit seinen Mitarbeitern gibt, kann es SOPs für den individuellen Umgang mit kranken Menschen geben.

Der entscheidende und sehr beunruhigende Denkfehler der Ökonomen ist: Sie glauben, dass PatientInnen bloß Werkstücke in einem industrialisierbaren Produktionsprozess wären.

Ökonomen versuchen die Öffentlichkeit ebenfalls davon zu überzeugen, dass es gerechter sei, für jede Blinddarmoperation die gleichen Behandlungskosten zu zahlen. Das ist nicht Gleichheit, sondern Ungleichheit, denn ein Patient kann schwer krank sein, ein anderer nicht.

Renditeorientierte, privatisierte Kliniken müssen schwerkranke PatientInnen daher selektieren, d. h. in kommunale Kliniken verlegen.

Das ist kein Zukunftsszenario, ich erlebe das täglich. Fallpauschalen sind Unsinn. Kein Assistenzarzt oder Oberarzt hatte früher mehr Geld im Portemonnai, weil er PatientInnen länger in der Klinik behielt. Ökonomen, die so etwas erzählen, lügen.

Heute ist jede Klinik gezwungen, möglichst viel Geld mit den Fallpauschalen zu verdienen, d. h. mit möglichst geringem Aufwand (kurze Liegezeiten, hoher "Kunden"umsatz, minimale Versorgung - aber dafür mit mehr medialer Imagepflege und Zertifizierung nach z.B. ISO9001).

Ärzte und PflegerInnen sollen durch Arbeitsanweisungen (=SOPs) glückliche "Gesundheits"dienstleister werden, kranke Menschen gibt es ja nicht (so die Theorie der Ökonomen).

Was keiner berücksichtigt: Sprache bestimmt bekanntlich das Denken, durch Worte werden Denkstrukturen verändert.

Die Dinge hinter den Begriffen bekommen eine neue "Qualität". Begriffe wie "Reinheit" und "Qualität" (für eine bessere Welt) wurden schon im 3. Reich auch in der Medizin inflationär benutzt, als sich nur Wenige mit den Schriften eines Mannes namens Adolf Hitler auseinandersetzte.

Alles wurde damals
1. geplant und normiert
2. akribisch überwacht und kontrolliert und
3. penibel dokumentiert.

Für alles gab es in der Nazizeit Vorschriften und Auditoren. Wie viele, wann, warum und wo und wer. Kann so etwas wieder kommen?

Viele PatientInnen glauben heute wieder an Begriffe wie "Qualität" und an "Vorschriften". Aber nicht weitere Vorschriften und Überwacher sind erforderlich, um die Gesundheitsversorgung zu verbessern, sondern zuallererst die Beseitigung der Ursachen für mangelhafte Pflege und mangelhafte Behandlung, wie sie z.B. durch die Nichteinstellung von Ärzten und PflegerInnen, sowie durch die Reduktion von Personalkosten im Gesundheitswesen, durch mangelhaft ausgebildetes Personal, durch Stellenstreichungen und demotivierende Gehaltskürzungen. Wir brauchen kein teures, aufgeblähtes Qualitätsmanagementsystem.

Eugen Münch, Hauptaktionär der Rhön Klinken AG äußerte sich über die Personalkosten im Gesundheitssystem mit diesem Satz: "Man holt Affen nicht mit geschälten Bananen vom Baum."

Wie in der Wirtschaft, so ist auch für die MitarbeiterInnen privater Kliniken das Problem: "Weß' Brot ich eß, deß' Lied ich sing". Wer bei privaten Klinikbetreibern in Arbeit und Brot steht, darf Betriebsinterna nicht in die Öffentlichkeit tragen.

Dadurch erreichen die dramatischen Veränderungen im Gesundheitswesen lediglich im Windschatten von inhaltsleeren Worthülsen wie "Qualitätsmanagement", "Prozessoptimierung", "Kosteneffizienz" und "Kundenorientierung" die Öffentlichkeit. Und niemand wundert sich über den zunehmend normierten Sprachgebrauch, und darüber, dass traditionelle Begriffe wie z.B: Erkrankung, Genesung, Mitmenschlichkeit und Fürsorge im standardisierten Vokabular der Medizinökonomen nicht mehr vorkommen.

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=27
Quelle: Büro gegen Altersdiskriminierung

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