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Bei Mahle brennt die Bude

Foto: H.S.

18.03.2021 - von ArbeiterInnenmacht

Bei Mahle brennt die Bude! Vor einem halben Jahr ließ das Management die Katze aus dem Sack und verkündete die Zerstörung von 7.600 Arbeitsplätzen, davon 2.000 in Deutschland. 800 wären das in Stuttgart, wo vor allem die Zentralen des Konzerns und der großen Geschäftsbereiche liegen. Es war klar, dass das Thema Arbeitsplätze auch die Tarifrunde bei Mahle beherrschen würde.

Am Dienstag, den 2.3., versammelten sich Hunderte in Feuerbach. Von diesem Sitz von Mahle Behr kamen auch die meisten Streikenden, dazu Beschäftigte aus Bad Cannstatt, dem Konzernsitz, den Werken 2 und Werk 3 (Fellbach) und von Mahle Aftermarket in Schorndorf, Delegationen von Mahle Behr Mühlacker/Vaihingen, vom Maschinenbauer Coperion, von Bosch AS aus Bietigheim und Gäste von Mercedes Untertürkheim. Die Polizei spricht von 650 Teilnehmenden, die IG Metall Stuttgart von über 650.

Nach den zahlreichen RednerInnen gab es einen Rundgang in Form einer Menschenkette um das Werksgelände, dann war Feierabend: „Nach der Kundgebung kehrten die Beschäftigten nicht mehr an ihre Arbeitsplätze zurück“, schreibt die IG Metall Stuttgart. Da bleiben Fragen offen: Wie geht es weiter mit der Tarifrunde? Wie geht es weiter bei Mahle? Wird dieser gute Start genutzt oder wieder verspielt wie schon in so vielen Tarifrunden und in vielen Kämpfen um Arbeitsplätze?
Arbeitsplätze

Wie kann die Zerstörung von über 800 Arbeitsplätzen verhindert werden? Dass Mahle-Boss Stratmann es ernst meint, kann niemand mehr in Frage stellen. Die meisten RednerInnen erwähnten, dass über die Vorschläge der Betriebsräte noch nicht einmal geredet werde, sondern die Pläne des Managements als „alternativlos“ bezeichnet würden. Aber die „Alternativen“ der Betriebsräte sind nicht wirklich überzeugend: Gesamtbetriebsratschef Kalmbach meinte, dass das Management „10 Jahre geschlafen“ habe und mahnte eine viel stärkere Digitalisierung an – was letztlich heißt, das Management dafür zu kritisieren, dass der Kahlschlag nicht schon vor 10 Jahren begonnen hat.

Viele Mahle-Betriebsräte beschwören die „Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben“, die die Firmengründer vor Jahrzehnten mal propagiert haben, die aber schon damals mit der kapitalistischen Realität nichts zu tun hatte. Mit solchen Träumen und mit Appellen lassen sich ManagerInnen nicht rühren genauso wenig wie mit der Aufforderung der stellvertretenden Gesamtbetriebsratschefin Christidou, dass Stratmann gehen solle. Das klingt zwar kämpferischer als das Gebettel eines Kalmbach, aber genauso hilflos: Wie soll er abgesetzt werden und wer soll Stratmann ersetzen?

Die IG Metall sagt dazu nur vage: „Beschäftigung sichern“. Wie aber, bitte schön? Neue Beschäftigungs-„Sicherungen“, bei denen dem Abbau zugestimmt wird, um die restlichen Arbeitsplätze für kurz Zeit zu „sichern“? Das Ganze mit Lohnverzicht oder Ausdehnung der Arbeitszeit garniert? Noch einmal die Rezepte aufwärmen, die seit Jahren nichts sichern, sondern nur den ManagerInnen einen Freibrief für neue Angriffe ausstellen?
Spontane Aktion

Gut hundert Beschäftigte bei Mahle Behr hatten in der Vorwoche weniger Hilflosigkeit gezeigt: Die Personalabteilung hatte eine Versammlung verboten, die Betriebsrat und Belegschaft in der Entwicklung angesetzt hatten. Begründung: Corona. Diktatur im Namen der Gesundheit: Arbeiten ist erlaubt, Information über die Zukunft der Arbeitsplätze verboten. Die Betriebsratsvorsitzende Culjak berichtete auf dem Warnstreik, dass sich dies die ArbeiterInnen nicht gefallen ließen. Sie gingen zur Personalabteilung und warteten pandemiegerecht entlang allen Fluren dorthin, bis die PersonalerInnen sich aus dem Homeoffice aufgemacht hatten. Diese verweigerten weiter die Antworten, aber der Betriebsrat organisierte eine Versammlung in einer großen Halle. Die Wut hat in der Belegschaft zugenommen, der Mut auch.
Alternativen

Die auf der Hand liegende Forderung für Betriebe wie Mahle, eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, wurde übrigens von keiner/m der RednerInnen aufgestellt, auch nicht den RednerInnen der IG Metall, Röll und Henschel, und noch nicht einmal in der verkrüppelten Form, in der sie die IG Metall offiziell als Tarifforderung aufgestellt hat: mit Teillohnausgleich und beschränkt auf einzelne Betriebe. Haben die GewerkschaftsbürokratInnen Angst davor, dass die Leute dann fragen, warum sie weniger verdienen sollen, wenn sich die ChefInnen bei Mahle vor 2 Jahren 70 % mehr genehmigt haben? Und warum nicht alle in der Metallindustrie kürzer arbeiten sollen, um in der ganzen Branche die Arbeit auf alle zu verteilen?

Ebenfalls gab es keine Perspektive in der Frage, was eigentlich produziert werden soll. Die Strategie von Mahle wie der ganzen Autoindustrie besteht darin, keinerlei Entwicklung am Verbrenner aufrechtzuerhalten und alles auf die E-Mobilität zu werfen. Kalmbach kritisierte zu Recht die ManagerInnen, die in dem finalen Konkurrenzkampf um die letzten Profite aus dem Verbrenner massiv die Produktion verlagern. Nur: Profite sind der Zweck dieses kapitalistischen Systems, Menschen zählen nur als Arbeitskräfte. Die Beschwörung des Mahle-Konzerns als „Stiftungsunternehmen“ ist ein hilfloses und utopisches Ritual.

Der einzige realistische Weg, die Arbeitsplätze und die Kompetenz der Belegschaft zu sichern, liegt darin, diese vom Zwang des Profits für wenige zu befreien: Enteignung der Auto- und Zulieferindustrie, Umstellung der Entwicklung und Produktion auf effiziente und umweltfreundliche Verkehrssysteme. Die in dieser Branche Beschäftigten – auch die Betriebsräte – wissen sehr wohl, was alles in dieser Richtung möglich wäre und auch, was die E-Mobilität für Probleme bringt. Die Aufgabe der IG Metall wäre es, endlich eine Debatte in der gesamten Gesellschaft darüber zu eröffnen und zugleich dafür zu kämpfen, dass eine solche wirkliche Konversion unter Kontrolle der Beschäftigten durchgesetzt wird.
Kampf

Die Tarifrunde ist die gute Gelegenheit, erstens die Kämpfe in der ganzen Branche zu verbinden und zweitens den Kampf um Arbeitsplätze mit dem um Löhne und gegen die Angriffe von Gesamtmetall zu verbinden. Der Warnstreik in Feuerbach hat gezeigt, dass das geht, und das ist ein Fortschritt gegenüber solchen Veranstaltungen wie der Warnstreik 3 Tage später bei Mahle Behr in Mühlacker: Jede Schicht sollte da je eine Stunde früher nachhause gehen, genauso wie die Beschäftigten in Gleitzeit und Homeoffice: Keine Veranstaltung, kein Inhalt, kein Wofür und Warum, kein Gefühl von Gemeinsamkeit … Kein Versuch, das Feuer, das bei den KollegInnen in Feuerbach brennt, auch nach Mühlacker zu tragen …

Die Feuerbacher Beschäftigten, die sich angesichts der Angriffe selbst und mit ihren Vertrauensleuten mobilisiert haben, die 100 Leute, die das Personalbüro besetzt haben, oder die Kantinenbeschäftigten aus Cannstatt, denen allesamt Qutsourcing droht, sind ein Vorbild für alle. Sie sind auch ein Hinweis darauf, was in dieser Tarifrunde möglich wäre, wenn die IG Metall, die Betriebsräte und Vertrauensleute diese Tarifrunde nicht als das übliche Ritual durchziehen, sondern den Unmut und den Protest in wirksamen Widerstand verwandeln.

Die Tarifrunde bietet aber nicht nur die Möglichkeit, den Kampf um die Arbeitsplätze mit dem um Löhne und Arbeitszeit zu verbinden, sie bietet auch die Chance, den Kampf wirksamer zu gestalten: nicht nur Warnstreiks, sondern Streik. Das Wort Streik nahm auch in Feuerbach keine/r in den Mund. Aber daran wird sich die IG Metall-Spitze messen lassen müssen: Ist diese willens und in der Lage, die drängenden Probleme zu verbinden und überall die Kämpfe zu entfalten, Aktionen wie in Feuerbach zu nutzen, um die Zögernden mitzuziehen, oder öffnet sie nur einzelne Ventile und setzt ansonsten den Deckel drauf, hält Pflichtveranstaltungen nach bekanntem Ritual ab? Und wird sie innerhalb ihrer Organisation Vorbereitungen treffen, einen Streik durchzuführen? Und dies als Signal in die nächsten Tarifverhandlungen einzubringen? Die Entschlossenheit der Metallarbeit„geber“Innen läßt keine Zweifel, sie wollen alles: Arbeitsplätze vernichten, keine Lohnerhöhungen und tarifliche Errungenschaften wie die Alterssicherung angreifen. Sie wollen den Klassenkampf, den die GewerkschaftsführerInnen scheuen!

Der Warnstreik in Feuerbach zeigte: Es geht besser und mehr, sobald sich die Belegschaften selbst einmischen und Vertrauensleute und Betriebsräte mitziehen. Für eine erfolgreiche Tarifrunde ist es aber nötig, sich nicht nur auf einzelne Betriebe zu beschränken, sondern daraus eine Bewegung zu bilden, die die ganze Branche erfasst. Die IG Metall-Bürokratie wird dies nicht von selbst tun und schon gar nicht will sie, dass wirksame Forderungen gegen die KapitalistInnen aufgestellt werden, die der Bewegung eine Perspektive verleihen! Alle Kolleginnen und Kollegen, die mit der Halbherzigkeit ihrer Betriebsräte und der Gewerkschaft unzufrieden sind, alle kritischen GewerkschafterInnen und alle Linken sind gefordert, in dieser Tarifrunde zusammenzuarbeiten, sich zu vernetzen und einen Schritt in Richtung einer klassenkämpferischen Basisbewegung zu gehen: damit die Kraft, die wir als Werktätige ausüben können, gegen die ProfiteurInnen eingesetzt wird!

Nachtrag: Am 9. März 2021 ging die Meldung durch die Medien, dass Herr Stratmann tatsächlich Ende März seinen Posten räumen wird. Es waren nicht die Betriebsräte oder die Belegschaften, die das durchgesetzt haben, sondern Aufsichtsratschef Junker. Es gibt von ihm genauso wenig zu erhoffen oder zu erbetteln wie von einem/r NachfolgerIn. Ein/e solche/r wurde noch nicht bekanntgegeben.
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Quelle: ArbeiterInnenmacht