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Kündigungsschutz: Drei Mio. Franzosen streiken

Frankreich - 29.03.2006 - von Hanne Schweitzer

Wie die Alten, so die Jungen. Politische Wachheit und Mut zu öffentlichen Protesten, das haben die jungen Franzosen von ihren Altvorderen gelernt.
In mehr als 160 Städten gehen seit dem 7. Februar junge Leute auf die Straße, um gegen die Aufhebung des Kündigungsschutzes für die unter 26Jährigen zu protestieren. (Berichte und Fotos unter: http://de.indymedia.org/2006/03/142743.shtml)

Was Clement und jetzt der pfiffige Heuchler Müntefering hierzulande ohne jedweden Protest für die über 52Jährigen durchsetzen möchten, und was im Koalitionsvertrag notiert ist, versucht Villepin in Frankreich bei den unter 26Jährigen.

Die Begründung ist links wie rechts des Rheins dieselbe: Abbau der Arbeitslosigkeit.
Bedenklich ist, wie Villepins vorgeht. Um das Mitspracherecht der französischen Abgeordneten in der Nationalversammlung über diese GRAND Idee auszuschalten, beantragte der Premier ein parlamentarisches Eilverfahren, durch das die Abgeordneten mundtot gemacht werden.

Während auf den Straßen die Protestierenden von sich reden machten, wurde Villepins Vorschlag im Parlament durchgewunken. Allerdings kann das Gesetz nur in Kraft treten, wenn es der Staatspräsident unterzeichnet. Das ist bislang (31.3.2006) nicht passiert.

Die französichen Gewerkschaften SIND KÄMPFERISCH: Kündigungen mit einem Fingerschnippen dürfe es nicht geben, meinte Thibault, Chef der CGT, Frankreich dürfe sich nicht den Ländern mit den niedrigsten Sozialstandards nähern.

Interessant ist, dass Villepin auf die Idee der Abschaffung des Kündigungschutzes gekommen ist, obwohl in Frankreich bereits ein Antidiskriminierungsgesetz verabschiedet ist. Warscheinlich hat er seine diskriminierende Attacke als arbeitsmarktbedingte Sonderregelung begründet.


Den Demonstraten und Demonstrantinnen ist es gelungen, die französische Regierung unter Druck zu setzen. Am Wochenende sind in Frankreich immerhin mehr als eine Million Menschen gegen die Aufhebung des Kündigungsschutzes der unter 26Jährigen auf die Straße gegangen. Gewerkschaften, Studenten- und Oberschülerverbände fordern die Rücknahme des Gesetzes und drohen mit einem Generalstreik, wenn die Regierung nicht reagiert.

Merkel und ihre Mannen schreckt der französische Protest nicht. Der deutsche Michel liegt zuverlässig auf dem Sofa und starrt in die Glotze.
Kündigungsschutz, dröges Thema. Die Arbeitsplatzlosen fühlen sich nicht betroffen, die ArbeitsplatzbesitzerInnen haben Angst um denselben. Also denkt die Politklasse gemeinsam mit dem DIHT darüber nach, wie die drei letzten Arbeitsplätze der Republik durch möglichst umfangreiche Eingriffe ins Arbeitsrecht möglichst schnell von jedem auch nur gefühlten Kündigungsschutzrecht befreit werden können.

Rot-grün hatte ja bekanntlich die Ungültigkeit des gesetzlichen Kündigungsschutzes bereits auf alle Betriebe ausgeweitet, die bis zu 10 Beschäftigte haben.

Im Koalitionsvertrag der GROSSEN Koalition wurde dann vereinbart, die allgemeine Probezeit von sechs auf 24 Monate auszudehnen. Will sagen: Der Kündigungschutz für die ersten zwei Jahre nach Neueinstellung soll abgeschafft werden. Zwar ist geplant, dass der Betriebsrat einer solchen Regelung zustimmen muss, aber warum sollte er nicht, SEIN Kündigungsschutz ist ja nicht bedroht), und auch der Arbeitnehmer soll dieser Regelung bei der Einstellung zustimmen, aber was bleibt ihm oder ihr anderes übrig?

Nicht unerwähnt bleiben kann in diesem Zusammenhang eines der altersdiskriminierendsten Projekte der gewählten bundesdeutschen VolksvertreterInnen: Die Abschaffung des Kündigungsschutzes für alle über 52Jährigen. Das verabschiedete Gesetz wurde zwar vom EUGH zurückgewiesen, desungeachtet wollen es Müntefering und Co. mit Hilfe juristischer Klimmzüge unbedingt realisieren.

Von den Franzosen lernen, heißt für den deutschen Michel: aufhören zu schnarchen.
Am Dienstag, 28.3. gingen zur Verteidigung des Kündigungschutzes ca. 3 Millionen Franzosen auf die Straße.

"Allein ein Wort kann das Menschenmeer der französischen Demonstrationen vom Dienstag, 28.3.2006 beschreiben: «enorm».

Die CGT, die nicht nur
Mitveranstalterin, sondern eine der Haupttriebkräfte bei der
Mobilisierung war – in Paris hatte sie allein rund ein Drittel der Teilnehmer mobilisiert -, sprach von 700.000 Demonstranten in der Hauptstadt und 3 Millionen frankreichweit. Das wäre auf nationaler Ebene die grösste Teilnehmerzahl, die je überhaupt registriert wurde. Dies bleibt auch dann so, wenn man berücksichtigt, dass die Polizei, deren Angaben fast immer untertrieben sind, von 1,1 Millionen Demonstranten spricht und der Realitätssinn gebietet, von insgesamt ungefähr zwei
Millionen in ganz Frankreich auszugehen" - so beginnt der aktuelle Bericht von B. Schmid "Enorm - und jetzt?" vom 29. März 2006 über die gestrigen Massendemonstrationen gegen den CPE-Gesetzesentwurf der
französischen Regierung.

Link: http://www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel.php?id=2233
Quelle: labournet.de, 28.3.06, FAZ, 27.3.06, 20.3.06.

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