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Brief an die NRW - Spitzenkandidaten der SPD

Foto: H.S.

14.06.2021 - von Horst Gehring

Liebe Spitzenkandidaten/Innen von NRW zur Bundestagswahl 2021
Könnt Ihr Euch überhaupt vorstellen, mit wie viel Wehmut ich diese E-Mail zusammengefasst habe? Voller Überzeugung bin ich 2017 zum Parteitag in Dortmund gefahren, um Martin Schulz zu erleben. Im Nachhinein war die Enttäuschung groß, da die Parteizentrale alle noch so gut gemeinte Unterstützung einfach ignoriert hat. Ich erinnere mich noch sehr genau an die letzte Landtagswahl in Bayern. Auch dort hat die SPD meine Empfehlung in den Wind geschlagen. Heute noch kann ich dokumentieren, dass die Freien Wähler auch mit meiner Unterstützung ein Wahlergebnis in Höhe von 12 Prozent erzielt haben.

Damalige Schriftsätze waren fast zu 100 Prozent gleichlautend, was anschließend in das Parteiprogramm der Freien Wähler eingeflossen ist. Heute müssen wir erkennen, dass wir am Scheideweg angelangt sind! Nur eine gemeinsame Kraftanstrengung kann die SPD retten. Wer das immer noch nicht erkannt hat, ist auf beiden Augen blind. Nur Ihr als mitgliederstärkster Landesverband könnt das Ruder noch ändern, um wieder auf Kurs zu kommen.

Wir müssen uns zur Situation der „Direktversicherungsgeschädigten“ über Folgendes im Klaren sein, dass die Abschaffung der kompletten Doppelverbeitragung nicht einmal mehr das gelbe vom Ei ist! Erstaunlich ist ja schon, dass sich die Partei am 24.d.M. noch an eine Aussage von Andrea Nahles aus dem Jahr 2018 erinnert hat, dass der „Hemmschuh“ Doppelverbeitragung endlich in Angriff genommen wird.
Zwischenzeitlich ist aber auch der politische Gegner CDU/CSU wachgeworden. So bat mich der Haushaltspolitische Sprecher der Union am 10.04.2021, Dr. Andre Berghegger, telefonisch um eine detaillierte Stellungnahme zur Gesamtproblematik des GMG. So wurde ich unmissverständlich um Mithilfe gebeten, dass die Betroffenen möglichst alle Unionsparlamentarier anschreiben, wo sie um Rückerstattung aus den Altverträgen bitten sollen. Warten wir nun einmal ab, was daraus wird!!!

Ein schriftliches Statement wurde mir bis Ende Juni 2021 zugesichert. Dass die Vorsorgenden nun auch von der SPD ein klares Signal im Bezug auf Rückerstattung ihrer Altbeiträge vor 2004 fordern, dürfte zwischenzeitlich allen Fachpolitikern klar sein. Erinnert sei an die klare Aussage der Frau Dr. Silke Launert/CSU zur Doppelverbeitragung von Direktversicherungen vom 09.10.2020. Noch deutlicher wird Hans-Jürgen Irmer CDU mit seinem Schriftsatz vom 18.d.M. an Armin Laschet. Angesichts der sinkenden Wählergunst wird die Union immer nervöser, wenn sie die täglichen Wahlprognosen analysieren.

Vergleichen wir die Situation der SPD einmal mit dem Relegationsspiel des VFL Osnabrück in der zweiten Bundesliga. Die Eigenanalyse: „Ich kann das“, wird Olaf Scholz nicht helfen können der nächste Bundeskanzler zu werden. Von Aufbruchstimmung einer ehemaligen Volkspartei war bei seiner Rede nicht viel zu spüren, obwohl uns die Rede als ein „Highlight“ angekündigt wurde. Keine Begeisterung, keine Emotionen und kein Charisma wie es die bisherigen SPD-Kanzler Brandt, Schmidt und Schröder hatten, waren hier zu beobachten. Nicht geeignet für die erste Liga! Wenn man nicht die richtige Performance und den Einsatzwillen, ein bestimmtes Ziel erreichen zu wollen, an den Tag legt, kann man nicht gewinnen. Ein Vergleich zum Noch-VFL-Trainer hinkt also nicht, wenn ich die Emotionen auf dem Spielfeld betrachte.

Leider hat die SPD aus den Fehlern des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes vom 01.01.2004 nichts gelernt. Lothar Binding brachte es beim StN-Stadtschreibtisch am 26.07.2014, Betriebsrente: „Die Wut bleibt“ auf den Punkt: "Emotional war der Weg verkehrt. Doch ich muss ehrlich zugeben, dass es keine andere Idee gab, um das Loch in der gesetzlichen Krankenkasse zu stopfen, … Den Betriebsrentnern sei es gut gegangen, deshalb wurde das Modell gewählt".

Zeitnah zur aktuellen Situation möchte ich auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zur Rentenbesteuerung vom 31.Mai 2021 hinweisen. Nach zwei wegweisenden Urteilen des Bundesfinanzhofs zur Rentenbesteuerung gab es nun einmal eine gute Nachricht für kommende Rentner: Künftig muss ein größerer Teil der Renten steuerfrei sein. Millionen von Senioren werden von diesem Urteil des Bundesfinanzhofs profitieren. Niemand soll Opfer verbotener Doppelbesteuerung werden. Das stärkt das Vertrauen in die Alterssicherung. Darüber darf man sich freuen.

Für Olaf Scholz sollte es ein Wink mit dem Zaunpfahl sein, dass man Vorsorgende nicht einfach im Regen stehen lässt. Wer jetzt noch meint, dass 71 Parteifreunde finanziell gut versorgt werden müssten, hat die Stimmungslage im Land verkannt. Gerade die SPD hat ein Problem, und wir mit ihr, ein riesig großes, wie die fünfzehn Prozent auf Bundesebene zeigen. Ich bewerte diese neue Entscheidung als ein Beispiel für schlecht gemachte Gesetze. Die Justiz als Reparaturbetrieb der Politik – das kann es nicht sein.
Gerade in einem so sensiblen Bereich wie der Altersversorgung braucht es Vertrauen. Die Menschen wollen ihren Lebensabend genießen und sich darauf verlassen können, dass sie fair behandelt werden.
Diese Politik vermisse ich parteiübergreifend seit 17 Jahren auch bei der Union. Es wäre Aufgabe der Bundesregierung gewesen, dies sicherzustellen. Nicht nur Rot-Grün, nein, auch die Liberalen haben gemeinsam mit der Union diesen Weg vernachlässigt. Man darf gespannt sein, wie das bei den Wählern ankommt.

Die SPD muss sich über den stetigen Verlust von Wählerstimmen nicht wundern, wenn immer mehr Stammwähler ihr das Vertrauen entziehen. Sechs Millionen vorsorgende ArbeitnehmerInnen, die man über Nacht ab 01.01.2004 um ca. 15 Prozent ihrer Altersversorgung kalt enteignet hat. Schon vor Carl- Ludwig Thieles Rede von der FDP am 11. März 2004 haben wir als Gewerkschaften in Osnabrück auf diese Missstände hingewiesen. Ich denke, dass jetzt die Zeit gekommen ist, wo auch Achim Post klar und deutlich seine Stimme zum Wohle der Partei und zu Gunsten der Betroffenen erheben muss! Letztendlich geht es auch um hunderte von Arbeitsplätzen bei der SPD, nicht nur in den Büros der Abgeordneten.

Kein Gewerkschaftschaftsmitglied konnte es damals verstehen, dass der Deutsche Bundestag unter Führung der ehemaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und des heutigen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz gemeinsam mit den Grünen, ohne eine Besitzstandregelung, das sogenannte Gesundheitsmodernisierungsgesetz im Deutschen Bundestag verabschiedet haben. Skandalös war, dass nach Aussage von Thiele 80 bis 90 Prozent der MdBs, die damals dem Gesetz zustimmten, nicht wussten, dass eine solche Regelung Bestandteil des Gesetzes war. Es klingt noch heute wie ein Hohn, dass man keine andere Lösung parat hatte und bei den RenterInnen den geringsten Widerstand erfahren durfte!!! Anlass dazu war ein Defizit von ca. 10 Milliarden Euro in der Gesetzlichen Krankenversicherung. Dazu muss man an-
merken, dass diese Beiträge überwiegend allein finanziert wurden durch Beiträge aus bereits versteuertem Nettoeinkommen. Die Betroffenen haben sich auf die Zusage des Staates verlassen, dass dieses eine sichere zusätzliche Vorsorge für den Ruhestand sei.

Mit diesem Beschluss müssen seither ca. 20 Prozent der angedachten Ersparnisse über einen Zeitraum von einhundert-zwanzig Monaten abgeführt werden. Anders als bei einer privaten Lebensversicherung wurde nun aber der Arbeitgeber als Versicherungsnehmer in der Police eingetragen, da der Beitrag über sein Konto weitergeleitet worden ist. Es ist schon ein Hohn, wenn der Gesetzgeber das Arbeitnehmerkapital nun als „Betriebsrente“ deklariert, ohne dass der Arbeitgeber einen Beitrag dazu geleistet hat. Bis zum heutigen Tag sah sich die SPD nicht veranlasst, sich für diesen „gravierenden Fehler“ zu entschuldigen und zu korrigieren.

Die politischen Parteien in Berlin haben haben die damalige Forderung unseres Fachausschusses Bund/Länder einfach ignoriert, wo beschlossen wurde: „Obendrein muss geregelt werden, dass der Gesetzgeber auch im Sozialversicherungsrecht nicht nachträglich in bereits bestehende Verträge und aufgebaute Anwartschaften eingreifen kann, sondern allenfalls mit Folgewirkung für Zukunft". Verfasser 2004: Horst Gehring und Kollegen Jürgen Humer und Michael Peters ( ver.di Osnabrück).

Bemerkenswert ist aber, dass man nur der SPD dieses Relikt seit Jahren aus dem Jahr 2003 in die Schuhe schiebt. Die Grünen wie auch die CDU/CSU blieben von einen so gewaltigen Stimmenschwund in der Wählergunst stets verschont. Obwohl in einer „Nacht- und Nebel-Aktion“, ausgelöst durch Horst Seehofer (CSU), wie Hans-Jürgen Irmer (CDU) heute bekennt, auch noch zustimmte. Der Arbeiterpartei hat dies auf Dauer viel Vertrauen und auch massiv Wählerstimmen gekostet. Ich denke, ca. 20 Prozent der Stammwähler sind in das Lager der Nichtwähler, zur AfD und den Linken abgewandert. Diese Enttäuschten zurückzuholen, ist außerordentlich schwer. Das sind Zahlen, die den Kern zutiefst erschüttern. Gerade in der Coronapandemie ist es die SPD, die darunter am meisten leiden muss. Auch Olaf Scholz muss verstehen, es geht um Moral, Ehrlich- und Glaubwürdigkeit, um ein gerechtes soziales
System, zielorientierte und nachhaltige Politik. Dieses Koordinatensystem hat die SPD in weiten Teilen der Betroffenen längst verlassen. Schreiben von Betroffenen werden vielfach ignoriert und nicht beantwortet. Notfalls setzt man seit 2004 Bausteine ein, die auswechselbar sind.

In den Augen der Senioren geht es vielfach nur noch um Macht und Machterhalt. So wurde der EZB-Präsident mit einem Orden für seine Euro-Politik vom Bundespräsidenten gelobt und Otto-Normalverbraucher erhält für angespartes Geld in Höhe von 25.000,-- Euro knapp 1,16 Euro an Zinserträge. Kein Aprilscherz – sondern belegbar!!! Die Folge ist, so eine Politik wird brutal abgestraft.

Gerne gehe ich auf die Kosten der Rückerstattung von Altverträgen ein. Auch wenn Ralf Kapschack die Summen von 30 – 40 Milliarden Euro (das sind keine Almosen, sondern das Geld der Versicherten) als nicht finanzierbar bezeichnet, so sei doch an die Absichtserklärung der Koalition erinnert, 71 Spitzenbeamte in die Höchststufen eingruppieren zu wollen. Einerseits fordern die Kosten der Coronapandemie eine Rekordsumme von gut 600 Milliarden Euro, anderseits lässt man die Vorsorgenden im Regen stehen. So sehr Ralf Kapschack sich schützend vor die Beamten stellt, so ist die Frage nicht geklärt, wie der Bund, die Länder und Kommunen deren Pensionsansprüche in Zukunft von derzeit ca. 2 Billionen Euro stemmen wird. Im Vergleich dazu sind 40 Milliarden Euro Peanats.

Nicht verschweigen sollte man auch die Gruppe der freiwillig Versicherten. Zu Recht fordern sie die Rückgängigmachung ihrer berechtigten Forderungen aus dem Jahr 1993. Die Rückgängigmachung sei dringend erforderlich, damit das Vertrauen in die Politik zurückgewonnen werden könne. Dieses Vertrauen sei insbesondere dadurch verloren gegangen, dass freiwillig versicherten Rentnern mit dem Gesundheitsstrukturgesetz aus dem Jahr 1993 gemäß § 240 Abs. 3a SGB V Bestandschutz gewährt worden sei, der ihnen nunmehr zehn Jahre später wieder entzogen worden ist.

Erinnert sei an die Anhörung im Gesundheitsausschuss 12.12.19, Gesetzesentwurf zum Freibetrag Betriebliche Altersversorgung/ -vorsorge. Dr. Pekka Helstelä (GKV-Spitzenverband) sprach sich für die Einbeziehung auch der freiwilligen Mitglieder aus. Wir sehen in der Tat rechtliche Risiken, dass geklagt wird. Es ist sogar sehr wahrscheinlich. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass erfolgreich geklagt wird. Hintergrund der damaligen Maßnahmen zum GMG war ein Bundesverfassungsgerichtsurteil, das gerügt hat, dass es zu einer Ungleichbehandlung von freiwilligen und pflichtversicherten Rentnern mit Betriebsrentenbezug gekommen ist. Das ist dann nach einer von zwei Alternativen gelöst worden. Für viele sicherlich wenig befriedigend und nachvollziehbar. Diesen Fehler sollte man nicht nochmals machen. Man darf davon ausgehen, dass wir hier über nur 3 Prozent der Betroffenen reden. Betrachte ich die derzeitige Umweltpolitik, so sehen wir ja, dass die Koalition Erfahrungen mit Fehlentscheidungen gesammelt hat. Auch hier wurde eine Summe von unter 100 Millionen Euro benannt, die man den freiwillig Versicherten bis heute vorenthält. Es ist verständlich, wenn sich die Wut steigert.

Solange die SPD nicht begreift, was sie angerichtet hat und kompromisslos dafür eintritt, dass alle Gesetze zurückgenommen werden, die diesen o.g. Absturz zur Folge hatten, gibt es keine Rettung. Wie kann man nur Menschen bestrafen, die jahrzehntelang Geld für ihr Alter ansparen? Und das hat auch noch eine Partei beschlossen, die für soziale Gerechtigkeit steht und jetzt wundern sie sich, dass keiner sie mehr wählt. E-Mails mit solchen Texten erreichen mich täglich und stimmen mich traurig. Daher sage ich es auch ganz deutlich, die damalige Regelung ist ohne Übergangsregelung und ohne Bestandschutz gegen den Willen der Arbeitnehmerschaft und den Gewerkschaften in Kraft getreten. Verträge, die schon liefen, wurden von der damaligen Neuregelung nicht ausgenommen, obwohl sie unter anderen Bedingungen zu Stande gekommen sind. Wenn ich an die geplanten Aktionen der Betroffenen
denke, die durch das GMG 20 Prozent ihrer Altersversorgung verloren haben, wird dass zu erwartende Wahlergebnis für die SPD am 26.09.2021 niederschmetternd sein.

Erinnert sei nur an die Landtagswahl in NRW, wo Hannelore Kraft ihr Amt verloren hat. Leider hat die SPD die Ü-60-Wähler außer Acht gelassen. Wenn ich dann auch noch von Lars Klingbeil ein formloses Schreiben erhalte, dass er wegen der Vielzahl von Briefen nicht persönlich beantworten kann, spricht das für mich Bände. Wer so wichtige Hinweise außer Acht lässt, tut mir ganz einfach leid. Letztendlich hat er ja auch ausgesorgt, aber die Betroffenen haben auch nichts mehr zu verlieren. Diese mächtige Gruppe von ca. 7 Millionen plus Anhang kann jedenfalls eine Menge bewegen. Sie sagen sich und anderen: Ich bin
jetzt über 60 und Rentner, aber ich bin nicht blöd. Diese mächtige Gruppe ist für Überraschungen gut.

Mit solchen Argumenten müsst Ihr also bis zur Wahl rechnen.

Für die SPD ist es daher nicht fünf Minuten vor zwölf, nein, in wenigen Sekunden schlägt der „Glockenschlag“ Punkt zwölf Uhr. Lasst Euch also etwas mit den Altverträgen einfallen, wenn Ihr das rettende Ufer erreichen wollt. Die Stärke der AfD (Quittung für überhebliche Parteien, die die Sorgen und Nöte der Bürger nicht ernst nehmen) ist ein Warnsignal. Dämmt die Glut, bevor sich das Feuer unterm Dach der Demokratie ganz entzündet. Dazu bedarf es auch der Korrektur einer abzockenden SPD-Politik, mehr als sechs Millionen um ihre Ersparnisse betrogene Bürger werden nicht vergessen, der Vertrauensverlust seit Jahren immens. Bisher jedoch keine Einsicht auf eine längst überfällige Korrektur erkennbar. Ihr habt es in der Hand, handelt bevor es zu spät ist, Martin Schulz mit dessen historisch schlechtem Wahlergebnis bei der BT-Wahl 2017 sollte Warnung genug sein.

Mit solidarischen Grüßen

Quelle: Horst Gehring