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Aktienrente contra umlagefinanzierte gesetzliche Rente

Foto: H.S.

10.11.2021 - von Hanne Schweitzer, Horst Gehring

Die gesetzliche Rentenversicherung soll im nächsten Jahr 10 Milliarden Euro vom Bund (also vom Steuerzahler) erhalten, um damit den Einstieg in den Aufbau eines Kapitalstocks vorzunehmen, der einer langfristigen Stabilisierung des Rentenniveaus* und des Rentenbeitragssatzes dienen soll. So haben es die Ampelaner vorgesehen.

Der Vorstandvorsitzende der Deutschen Rentenversicherung Bund, Alexander Gunkel, gab zu diesem Vorschlag laut FAZ zu bedenken: "Selbst wenn die Regierung zehn Jahre lang dem Kapitalstock jährlich 10 Milliarden Euro zuführe und man 8 Prozent Rendite schaffe, würde das im Jahr 2032 „noch nicht einmal ausreichen, um den Beitragssatz mit den Erträgen aus dem Kapitalstock um mehr als 0,5 Prozentpunkte zu mindern“. Ein Hinweis darauf, dass Gunkel die Regierungspappenheimer gut kennt, ergibt sich aus seinem Hinweis auf die Gefahren einer eventuellen Kapitalanlage mit einer Dauer von 40, 50 Jahren. Dann gäbe es ein Problem, so Gunkel: "dafür spare man das Kapital wohl besser abseits der Rentenversicherung an – damit nicht irgendwann eine Regierung das Konto doch für kurzfristige Rentengeschenke plündert.

Der Schätzerkreis Rentenfinanzen, mit Teilnehmern der Rentenversicherung Bund, des Bundesamtes für Soziale Sicherung und des Bundesarbeitsministeriums, hat ermittelt, dass die Renten in Ost und West bis 2023 um gut 10 Prozent steigen könnten. Für 2022 prognostiziert das Gremium eine Rentenerhöhung im Westen um 5,2 Prozent und im Osten um 5,9 Prozent, außerdem für das Jahr 2023 eine Erhöhung von 4,9 Prozent im Westen und 5,7 Prozent im Osten.

Nun ist das Rentenniveau* von 48 Prozent in Deutschland im Vergleich mit anderen EU-Staaten kein Grund zur Freude, trotzdem ist eine eventuelle Rentenerhöhung der WELT ein Dorn im Auge. Die von der schwarz/roten Regierung beschlossenen "Wohltaten" wie Mütterrente, rasche (!!!) Angleichung der Ostrenten, oder abschlagsfreie Rente mit 63 seien schon teuer genug, mosert die WELT.

Es war das Managermagazin, das sich die Mühe gemacht hat auszurechnen, was eine Rentenerhöhung in Zahlen ausgedrückt für Rentner bedeuten würde: "Bleibt es bei der nun geschätzten Rentenerhöhung, steigt eine monatliche Rente von 1000 Euro, die nur auf Westbeiträgen beruht, somit zum 1. Juli um 52 Euro, eine gleich hohe Rente mit Ostbeiträgen um 59 Euro."

Die WELT hat den einzelnen Rentner und seine Rentenerhöhung nicht im Blick, sondern mehr das große kapitalistische Ganze. 13 Prozent aller Beschäftigten, die in Vollzeit arbeiten, verdienen weniger als 2.050 Euro brutto im Monat: Egal. Das die Schwelle für den Bezug von Grundsicherung bei 835 Euro liegt: Wurscht. "So kann es sozialpolitisch nicht mehr weitergehen", schimpft die Welt und variiert damit den Wahlslogan der FDP, "Wie es ist, darf es nicht bleiben". Zwar sei, räumt die WELT ein, die 2009 eingeführte Rentengarantie vertretbar, der zufolge die Altersbezüge auch in schlechten Zeiten nie sinken können und eine Nullrunde wäre das Äußerste, was Rentnern zugemutet würde. Auch habe die CDU/SPD-Regierung 2018 "die faire Regel" des Nachholfaktors** gestrichen, mit dem nicht erfolgte Rentensteigerungen nachgeholt werden, aber diesen jetzt "umgehend zu reaktivieren", so stellt sich die WELT eine neue Rentenpolitik nicht vor. Geht es nach ihr, soll endlich Schluss sein mit einer "Sozialpolitik, die nur die Älteren im Blick hat". Der FDP-Vorsitzende Lindner könne "seinen vielen jungen Wählern nicht vermitteln, dass die Älteren – ob gewollt oder nicht – am Ende zu den Krisenprofiteuren werden."

Die Mär von den Krisenprofiteuren braucht Lindner nicht aufzutischen. Schließlich hat er den Ausbau einer kapitalmarktbasierten, privaten Altersvorsorge oder wie es in WELT-Sprech heißt, "eine Aktienrente als Beitrag zur generationengerechteren Finanzierung der gesetzlichen Alterssicherung", gut in den Verhandlungsrunden der Ampelaner platzieren können. Die WELT begrüßt das und behauptet: Das Vertrauen der Beitragszahler, dass sie mit dem Generationenvertrag nicht über den Tisch gezogen werden, sei das einzige Kapital, das die Sozialversicherungen besäßen.

Vertrauen ist aber eine starke Währung. Aus dem umlagefinanzierten Rentensystem werden jedes Jahr ca. 23 Milliarden Euro für die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge der Rentner an die Kassen überwiesen. Witwen- und Witwerrenten, Waisenrenten, Erwerbsminderungsrenten, Mütterrenten, Grundrenten und pflegende Angehörige werden aus dem umlagefinanzierten Rentensystem bezahlt, die Rentenversicherung erbringt Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in 90 eigenen Reha- und in Vertragskliniken. Die Arbeitgeber überweisen jeden Monat ca. 22 Milliarden Euro an die Rentenkasse. Der Bund zahlt ca. 100 Milliarden im Jahr dort ein und die Anlage der Reserven der Rentenversicherung unterliegt strengen gesetzlichen Vorgaben, was ihre Sicherheit und Verfügbarkeit betrifft.

Das "Netzwerk Gerechte Rente", in dem Gewerkschaften, Sozial- und Wohlfahrtsverbände vertreten sind, plädiert für eine Stärkung der umlagefinanzierten gesetzlichen Rente statt einer renditeorientierten, risikoreichen privaten Vorsorge.

Der Rentenexperte der Linken, Matthias W. Birkwald dekodiert in einem Beitrag für die FAZ die Propaganda der Rentenprivatisierer. Man solle, schreibt er, die Ausgaben für die Renten "nicht – wie vermeintliche Rentenpäpste es immer wieder tun – als kontextfreien Milliardenbetrag, der jährlich wächst, betrachten, sondern ins Verhältnis zum erwirtschafteten Wohlstand" setzen: Zwar seien "die Altersrentenausgaben des Staates von 196 Milliarden auf 333 Milliarden Euro angestiegen, ihr Anteil an den Staatsausgaben liege aber stabil bei 21 Prozent (2000: 19,5 Prozent). Wichtiger noch: auch ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt verharre bei 9,7 Prozent (2000: 9,3 Prozent)."

Den stetig steigenden Bundeszuschüssen zur gesetzlichen Rente nimmt Birkwald das Gefährliche, indem er ermittelt, welchen Anteil diese Bundeszuschüsse an den Steuereinnahmen des Bundes haben: "wie sich also die Ausgaben im Verhältnis zu den Einnahmen verhalten". Es zeigt sich, "dass dieser Anteil seit 2005 von 41 Prozent auf 30 Prozent (2019) zurückgegangen ist und nach der Finanzplanung des Bundes (2019), bis 2025 stabil bleiben wird.

Um der Drohung mit dem demografischen Wandel den Zahn zu ziehen, benutzt er den Aging-Report der EU-Kommission. Dessen Berechnungen zufolge "werden die gesamten Rentenausgaben trotz des demographischen Wandels bis 2045 nur moderat von 10 auf 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen und dann bis 2070 voraussichtlich konstant bleiben."

Und der Angstmache mit den ständig steigenden Beitragssätzen zur gesetzlichen Rentenversicherung setzt Birkwald entgegen: "Nie war der heutige Beitragssatz von 18,6 Prozent seit 1995 niedriger, im Gegenteil: seit seinem Höchststand von 1997 bis 1999 mit 20,3 Prozent ist er kontinuierlich zurückgegangen, so wie auch der Gesamtbeitragssatz zu den vier Sozialversicherungen von 42,1 Prozent (1999) auf heute 39,6 Prozent zurückgegangen ist."

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* Das Rentenniveau vergleicht die Rente mit den Durchschnittslöhnen. Dabei wird vorausgesetzt, dass jemand 45 Jahre auf Basis des durchschnittlichen Entgelts in die Rentenkasse eingezahlt hat. 48 Prozent Rentenniveau bedeuten im Klartext: Wer heute 45 Jahre in Vollzeit 2.650 Euro verdient, bekommt nicht einmal 1.100 Euro Rente. Zu Zeiten Helmut Kohls betrug das Rentenniveau 53 Prozent. Betracht man den derzeit gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 9,50 €, ergibt das bei einer monatlichen Stundenleistung von 173 Stunden 1.643,50 € im Monat. Bei einem gesetzlichen Stundenlohn von 12,00 € reden wir über 2.076,00 Euro pro Monat.

** Zu den Dämpfungsfaktoren bei der Rentenberechnung gehört unter anderem der Nachhaltigkeitsfaktor, mit dem die Rentner an den Kosten einer alternden Gesellschaft beteiligt werden. Das heißt: Erhöht sich die Zahl der Rentner in Relation zu den Beschäftigten,die in die Rentenkasse einzahlen, steigen die Renten etwas langsamer als die Löhne.

Beamte und Politiker sind im Alter oft wesentlich besser gestellt als gesetzlich Versicherte. Im Gegensatz zu den gesetzlich Versicherten erwerben MdBs – ohne wie Arbeitnehmer eigene Beiträge zu zahlen – für jedes Jahr Parlamentszugehörigkeit einen Anspruch auf 2,5 Prozent der Diäten als Altersgeld. Bei aktuell 10.083,47 Euro Entschädigung sind das 252,09 Euro monatlich.
Gesetzlich Rentenversicherte erwerben pro Beitragsjahr, in dem sie das sozialversicherungspflichtige Durchschnittsentgelt erhalten, (Stand 18.02.2020) Anwartschaften von monatlich 33,05 Euro in den alten beziehungsweise 31,89 Euro in den neuen Bundesländern. Maximal sind derzeit monatlich 67,48 Euro beziehungsweise 60,87 Euro bei einem Jahreseinkommen in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze oder darüber möglich.
"Beamte kassieren, Angestellte gucken in die Röhre: Wer kann 2 Billionen Euro zahlen?", heißt eine aktuelle Studie des renommierten Instituts der deutschen Wirtschaft CIW: Link
beamten-pensionen-belasten-laenderhaushalte-massiv_id_24363034.html
Horst Gehring

Quelle: FAZ, WELT, Managermagazin