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Presse verbreitet Unwahrheit über AGG

08.05.2006 - von Hanne Schweitzer

Wunderbare Nachrichten waren in der letzten Woche in einigen Medien zu lesen. So meldete z.B. der Kölner Stadt- Anzeiger ebenso wie Tagesschau online: Die Koalition habe sich auf ein Gleichbehandlungsgesetz geeinigt, und dieses Gesetz schütze auch die älteren Menschen vor Diskriminierung.
Großartig - achten wir! Endlich hatte das Büro gegen Altersdiskriminierung sein Ziel erreicht, und die nun schon seit 1999 betriebene ehrenamtliche Arbeit hatte den Einsatz gelohnt. In der zunehmend älter werdenden Gesellschaft sollten die Menschen fortan endlich vor Diskriminierung wegen des Lebensalters geschützt werden.

Beim Vergleich mehrerer Zeitungen und Sender fiel allerdings auf, dass die Meldungen so merkwürdig unbestimmt waren. Allgemeines Geblubber, keine konkrete Aussage, schwammig und schwülstig, mehr nicht.

Merkwürdig war auch die Tatsache, dass ausgerechnet dann, wenn Frau Merkel mit Herrn Bush konferiert, ein Gesetzentwurf aus dem Hut gezaubert worden sein sollte, und sich die Koalitionsparteien in rasanter Geschwindigkeit darauf geeinigt haben sollten.
Der Sache galt es auf den Grund zu gehen. Was sich dort fand, trübt die Freude erheblich.

Dazu muss man wissen:

Anlass für die Berichterstattung in den Zeitungen und Sendern war eine Presseerklärung des Bundesjustizministeriums vom 4. Mai 2006. siehe: www.altersdiskriminierung.de/themen/artikel_druck.php?id=1336 Diese Pressemitteilung beinhaltet einen "ENTWURF", bzw. einen "VORSCHLAG" des Koalitionsausschusses. Entwürfe oder Vorschläge sind aber bekanntlich noch unverbindlicher als ein mehrseitiger Gesetzentwurf.

Nun gut, kann man sagen, der Unterschied ist den Redakteuren im Eifer des Gefechts nicht aufgefallen. Sie haben übersehen, dass in der Pressemitteilung ausdrücklich von einem "Vorschlag" bzw. " Entwurf" die Rede ist, und sie haben überlesen, dass "Der Gesetzentwurf für ein Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) [b]VORAUSSICHTLICH
noch in diesem Monat als Fraktionsentwurf in die parlamentarischen Beratungen eingebracht werden wird."
Leider haben die Zeitungen und Sender einen weiteren Fehler gemacht hatten. Sie verkündeten, dass der Diskriminierungsschutz auch für das Alter gilt. Das ist falsch. Genau gesagt, es stimmt nur zu einem Viertel.

Der Vorschlag in der Pressemitteilung enthält:
1.
den Schutz vor Altersdiskriminierung bei Massengeschäften. Das sind solche Geschäfte, "bei denen es dem Vertragspartner gar nicht darauf ankommt, mit wem der den Vertrag schließt (z.B. "Shampookauf in der Drogerie (!) , Verträge mit Hotels und Gaststätten"! Aber selbst hier sind laut "Vorschlag" noch sachlich gerechtfertigte Ungleichbehandlungen zulässig!
2.
den Schutz vor Altersdiskriminierung bei Privatversicherungen - wenn diese ihre Tarife nicht auf der Grundlage "der anerkannten Prinzipien risikoadäquater Kalkulation" berechnen.
Das ist alles. Mehr steht nicht drin im Vorschlag.

Konsequenz: [b]
Altersdiskriminierung bliebe demnach erlaubt:
1.
Beim Zugang zu Waren und Dienstleistungen des privaten Lebensbereichs. Zum Beispiel bei der Kreditvergabe, bei der Gewährung von Hypotheken, bei Darlehen für zuteilungsreife Bausparverträge, beim Verkauf oder Kauf privater PKW.
2.
Beim Sozialschutz einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste. Zum Beispiel: Gesetzliche Rentenversicherung, gesetzliche Krankenversicherung.
3.
Bei den sozialen Vergünstigungen. Zum Beispiel: Keine Seniorenermäßigungen, keine Studententarife.

Von einem umfassenden Schutz vor Altersdiskriminierung kann also in diesem VORSCHLAG KEINE Rede sein!

Von den Medien als vierter Gewalt im Staat auch nicht.mDie thematische und finanzielle Abhängigkeit von staatlichen Verlautbarungen verbietet es Berliner MedienarbeiterInnen den Inhalt von Pressemitteilungen anders zu lesen, zu interpretieren und wiederzugeben, als sie von Regierungsseite intendiert sind.

Das Nachplappern staatlicher Denkvorgaben ist zu einer verselbstständigten Form journalistischen Arbeitens geworden, und kein Thema bleibt ausgespart. Die vorgegebenen regierungsamtlichen Bedeutungen sind von der Journaille bereits so stark verinnerlicht, dass kein Thema mehr als das wahrgenommen wird, was es ist, sondern nur noch als das, wozu es die politische Klasse gemacht haben will.

Und wieso die plötzliche Eile? Nun ja. Die EU muss beruhigt werden. Da die europäischen Zeit-Vorgaben für ein bundesdeutsches Gesetz zum Teil bereits seit mehr als drei Jahren überschritten sind, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepblik soll durch das Aufbrummen deftiger Bußgelder Gewicht bekommen. Deshalb: Jetzt aber hurtig!

P.S.: Besuchen Sie unseren Stand C 04 auf der SENova-Messe, die in Köln vom 16.-18.5.06 anläßlich des Seniorentags stattfindet. Unser Standprogramm finden Sie unter "Sonstiges" auf dieser Webseite. Wir freuen uns auf Ihren Besuch! Und auf den tatsächlichen Gesetzentwurf, damit man weiß, was Sache ist.


Weitere Artikel, nach dem Datum ihres Erscheinens geordnet, zum Thema Justiz:
04.05.2006: Bundesjustizministeriums zum AGG
04.05.2006: FAZ greift AGG an
03.05.2006: Einigung über Antidiskriminierungsgesetz???

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