Foto: H.S.
15.01.2022
Zehntausende Flüchtlinge in und rund um Europa. Die Einhaltung der Menschenrechte gilt aber nicht für Flüchtlinge! Am 8. April 2020 berichtet die Süddeutsche Zeitung über den damaligen Innenminister und Chef der CDU in Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht: Er halte die Aufnahme von unbegleiteten Minderjährigen aus den griechischen Flüchtlingslagern für richtig, warne aber davor, die Kapazitäten zu überschätzen. ... "Beim geltenden Verteilmechanismus nehme Sachsen-Anhalt einen unbegleiteten Minderjährigen auf, das sei problemlos möglich." Einen!
"Die Menschen werden regelrecht gejagt", lautet die Überschrift über einen Bericht aus Calais in der Jungen Welt am 11.1.22. Dort leben tausende Flüchtlinge in illegalen Camps, die mehrmals im Monat von der Polizei geräumt und zerstört werden. "Die britische Innenministerin macht sich derzeit für sogenannte Pushbacks stark, die auch das Kentern der Boote durch künstlich erzeugte Wellen einschließen. ..." Junge Welt unter Link
An der Ostgrenze Polens zittern bei eisigen Temperaturen tausende Menschen. Kein Bett, kein Ofen, keine Toilette, kein Wasser. Die polnische Regierung hat einen Stacheldrahtzaun errichtet und 12.000 bewaffnete Soldaten geschickt, um die Grenze nach "Europa" zu bewachen. Lampedusa ... Idomeni ... Lesbos ... Moira ... Belgrad ... Gran Canaria ... "Allein vergangene Woche sind laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mindestens 160 Menschen im zentralen Mittelmeer beim Fluchtversuch ertrunken. Über 31.000 Menschen wurden in 2021 von der sogenannten libyschen Küstenwache – völkerrechtswidrig und im Auftrag Europas – auf der Flucht abgefangen und zurück geschleppt." Seebrücke. An EU-Grenzen werden Flüchtlinge ohne Chance auf Asylverfahren brutal zurückgedrängt, sie werden Opfer sogenannter Pushbacks. Der Begriff wurde nun zum Unwort des Jahres gekürt, "weil mit ihm ein menschenfeindlicher Prozess beschönigt wird, der den Menschen auf der Flucht die Möglichkeit nimmt, das Menschen- und Grundrecht auf Asyl wahrzunehmen".
Dies nur vorweg. H.S.
Von Moria bis Hanau - Brutalisierung und Widerstand
Seit im »langen Sommer der Migration« 2015 Hunderttausende die Grenzen Europas überwanden, wurde das europäische Grenzregime grundlegend transformiert. Eine Transformation, die mit einer zunehmenden Brutalisierung der Grenzschutzpraktiken und einer Politik des aktiven Sterbenlassens an den Außengrenzen einhergeht.
Von der Vorverlagerung der Grenze in die Sahelzone, der Aufrüstung libyscher Milizen im Mittelmeer, der Etablierung geschlossener Lager auf griechischen Inseln bis hin zu den Ankerzentren in Deutschland wird Migrationsbewegungen nahezu ausschließlich repressiv begegnet. Das »Migrationsmanagement« wird in regionalen Laboratorien erprobt, die sich zu umkämpften Orten von Gewalt und Widerstand entwickelt haben. Parallel dazu erstarken im Inneren Europas rechte Bewegungen und Regierungen. Und obwohl die post-migrantische Gesellschaft der Vielen in Europa längst soziale Realität geworden ist, ist das neue Grenzregime weiter von Rassismus geprägt.
Doch auch die Kämpfe um Teilhabe und Bewegungsfreiheit haben sich seit 2015 transformiert und weiterentwickelt. Neue Allianzen haben sich entwickelt, die für radikale Vielfalt und Offenheit eintreten. Dieser Band bildet die vielfältigen Entwicklungen ab und verbindet rassismustheoretische und post-koloniale Perspektiven mit erprobten Methoden der kritischen Migrations- und Grenzregimeforschung. Dabei werden widerständige Praktiken und der Kampf gegen die repressive Neuordnung des Grenzregimes aufgezeigt, die durch die Migration selbst immer wieder neu herausgefordert wird.
Von Moria bis Hanau – Brutalisierung und Widerstand
Valeria Hänsel | Karl Heyer | Matthias Schmidt-Sembdner | Nina Violetta Schwarz (Hg.)
Grenzregime IV
ISBN 978-3-86241-482-6 | 440 Seiten | Paperback | 22,00 €
Verlag Assoziation-A
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