F: H.S.
09.01.2022 - von R.L.
Wir leben in einer merkwürdigen Zeit, in der die Aufmerksamkeit der Arbeiterklasse durch ein ganz spezielles Gebiet des öffentlichen Lebens in steigendem Maße in Anspruch genommen wird; dies Gebiet ist die auswärtige Politik. Für den Begriff und geistigen Horizont des Durchschnittsspießers gehört die auswärtige Politik zu jenem Abteil der Morgenzeitung, das er beim Morgenkaffee liest zur Zerstreuung seiner Sorgen oder von dem Gekeife seiner besseren Hälfte.
Für die Arbeiterklasse dagegen ist die auswärtige Politik tief ernst und äußerst wichtig. Es ist nicht immer so gewesen. Wenn man das geistige Leben der Arbeiterschaft in den letzten Jahrzehnten verfolgt, so kann man förmlich den Puls dieses geistigen Lebens fühlen und beobachten, wie von Jahr zu Jahr bei der Arbeiterschaft die Aufmerksamkeit für die auswärtige Politik wächst. Trotzdem ist es noch immer nicht genug, es muss dahin gebracht werden, dass jede Arbeiterin und jeder Arbeiter verstehen lernt, dass es gilt, mit derselben Energie, Aufmerksamkeit und Leidenschaft wie die Fragen der inneren Politik alle Geschehnisse der Weltpolitik zu verfolgen.
Jede Proletarierfrau und jeder Proletarier müssen sich heute sagen, es geschieht nichts in der auswärtigen Politik, was nicht die eigensten Interessen des Proletariats berührt. Wenn in Afrika von den deutschen Militärs die Neger unterdrückt werden [1], wenn auf dem Balkan die Serben und Bulgaren die türkischen Soldaten und Bauern niedermorden [2], wenn in Kanada bei den Wahlen die konservative Partei plötzlich die Oberhand gewinnt und die liberale Herrschaft zertrümmert [3], in allen Fällen müssen sich die Arbeiterinnen und die Arbeiter sagen, um eure Sache handelt es sich, eure Interessen stehen dort auf dem Spiel.
Es ist Karl Marx gewesen, der uns schon viele Jahrzehnte, bevor diese Entwicklung so ausgeprägt zu erkennen war, Fingerzeige für die Erkenntnis dieser Erscheinung gegeben hat. In seiner berühmten Inauguraladresse sagte er unter anderem: Kämpfe um die auswärtige Politik bilden einen Teil des allgemeinen Kampfes für die Emanzipation des Proletariats, sie sind also ein Teil des Klassenkampfes. [4]
Gerade wenn wir die jetzige weltpolitische Lage vergleichen mit der Zeit, in der die Inauguraladresse erschien, können wir den Wandel der Zeiten ermessen. In den 60er Jahren noch waren der Drehzapf der weltpolitischen Lage die Nachwehen und Folgen der Teilung Polens durch Preußen, Österreich und Russland. [5] Die gegenseitige Reibungsfläche der Mitschuldigen an dem Raube war es, um die sich die weltpolitische Läge drehte.
Wenn heute jemand fragt, was der Mittelpunkt der weltpolitischen Ereignisse ist, so würde selbst ein ernsthafter Politiker über diese Frage in große Verlegenheit kommen. Heute haben wir in der Nordsee einen solchen Punkt, in der Rivalität zwischen England und Deutschland.
Im Mittelmeer besteht ein ganzer Knäuel von Gegensätzen und Widersprüchen. Der Frieden am Balkan [6] bedeutet die Zerreißung der europäischen Türkei und gleichzeitig die sichere Gewähr für den nächsten Krieg um die asiatische Türkei.
Aber darin erschöpfen sich die internationalen Gegensätze nicht. Auf dem Leibe des unglücklichen Persiens wird der Kampf zwischen Russland und England ausgefochten. [7] Im vollsten Frieden wird ein Land und ein Volk zerstückelt. Ein Stück weiter nach Osten liegt der gewaltige Herd der Revolution in China. Von Asien führt der Weg über den Stillen Ozean nach Amerika. Hier erleben wir in den letzten Jahrzehnten immer neue Überraschungen. Seit die Vereinigten Staaten 1898 ihren ersten Kolonialkrieg mit Spanien um die Philippinen ausfochten, sehen die amerikanischen Kapitalisten begehrlich nach Asien. Daraus ist der Gegensatz zwischen Japan und den Vereinigten Staaten und England entstanden.
Auch wenn wir die Kriege der letzten 10 bis 15 Jahre betrachten, erkennen wir, wie sich der politische Horizont nach und nach erweitert hat. Man kann, grob gehauen, den Beginn dieser Umwälzung mit dem japanisch-chinesischen Kriege im Jahre 1895 beginnen. Der Krieg zeigte ein Land, das zum erstenmal zur Selbständigkeit erwachte. 1898 folgte der Krieg zwischen Amerika und Spanien, bei dem die Vereinigten Staaten zum erstenmal außerhalb ihres Landes kämpften. Der Burenkrieg von 1899 krönte eine Anzahl stiller Eroberungen, die England dort unten gemacht hatte. Dann kam der Hunnenfeldzug nach China, bei dem Wilhelm II. den Soldaten die Parole mit auf den Weg gab: Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Die Soldaten sollten hausen wie die Hunnen, so dass nach tausend Jahren kein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen. [8] 1904 brach der Krieg zwischen Russland und Japan aus, dem die russische Revolution folgte, an die sich die Revolution in Persien, in der Türkei und zum Teil in Indien anschloss. Wir haben dann in den letzten paar Jahren eine Reihe zuckender Blitze und Gewitter in China gehabt. Der Streit zwischen Frankreich und Deutschland um Marokko hat den Raubzug Italiens nach Tripolis und dieser wieder den Balkankrieg zur Folge gehabt. Die Triebkraft dieser Kriege ist das Bestreben, die noch nicht vom Kapitalismus erreichten Gebiete aufzuteilen.
Bis vor kurzer Zeit gab es in der Sozialdemokratie ein ganz einfaches Mittel, um zu entscheiden, wie wir uns zu einem Kriege zu stellen haben. Der Angriffskrieg wurde abgelehnt und verdammt, dagegen müsse auch die Sozialdemokratie für den Verteidigungskrieg eintreten. Genosse Bebel, der so viel Ausgezeichnetes, manchmal aber auch, wie jeder Mensch, weniger Ausgezeichnetes gesagt hat, hat ja einmal im Reichstage erklärt, er wolle bei einem Verteidigungskriege trotz seiner alten Tage noch die Flinte auf den Buckel nehmen. [9]
Diese Weisung ist schon deshalb nicht brauchbar, weil die Unterscheidung zwischen Angriffs- und Verteidigungskrieg unter den Händen zerrinnt oder wie eine Seifenblase zerplatzt. In den Kriegen der französischen Revolution gab die französische Regierung die Kriegserklärungen ab, und doch waren es Verteidigungskriege, die das Werk der Revolution gegen die Reaktion schützten.
Der Krieg auf dem Balkan ist formal genommen ein Angriffskrieg gegen die Türkei. Aber die Machthaber der angreifenden Nationen zerfließen in Beteuerungen über die Verteidigung der heiligsten nationalen Rechte und des christlichen Glaubens gegen die Türken, und auch sie haben recht.
Daraus haben wir den Schluss zu ziehen, wir als Proletarier haben uns gegen jeden Krieg zu wenden, gleichviel ob Angriffs- oder Verteidigungskrieg. Wir erkennen in ihm eine Folge des Imperialismus, und wie den Imperialismus als Ganzes, so bekämpfen wir auch jede seiner Teilerscheinungen.
Ein Notbehelf in unsrer Taktik ist, dass sich die deutsche Sozialdemokratie auf den Boden des Dreibunds stellt, das heißt, dass sie die Vereinigung der deutschen, österreichischen und italienischen Diplomatie unterstützt. Es ist tief bedauerlich, dass erst vor einigen Wochen, als die neue Militärvorlage im Reichstage verhandelt wurde [10], Genosse David der Regierung im Auftrage der Fraktion öffentlich erklärte, wir Sozialdemokraten stehen auf dem Boden des Dreibunds, wobei nur der Vorbehalt gemacht wurde, der Dreibund müsse ein braver Knabe sein und für den Frieden wirken. [11]
Leider sind wir nicht allein damit geblieben, denn fast am gleichen Tage hat im Wiener Parlament Genosse Renner eine ähnliche Erklärung für die österreichische Sozialdemokratie abgegeben. Vom Dreibund, von einer kapitalistischen Bündnispolitik, die den Krieg vorbereiten soll, erwarten, sie solle für den Frieden wirken, das ist das Beginnen eines Menschen, der vom Distelstrauch Feigen pflücken will. Man muss nur einmal die Resultate des Dreibunds betrachten. Seine erste Folge war, dass Frankreich zu der schmachvollen Allianz mit Russland förmlich getrieben wurde und dass England mit Frankreich und Russland zu jenem dreieckigen Verhältnis gebracht wurde. [12]
Eine andre Folge des Dreibunds sind die ungeheueren Rüstungen Deutschlands gegen Frankreich und Russland und ebenso die Rüstungen Österreichs. Wo war denn auch der Dreibund, als es galt, den Frieden zu erhalten, als eine Dreibundmacht Tripolis überfiel oder als Österreich Bosnien und die Herzegowina annektierte? Es ist eine alte Binsenwahrheit, dass, wo zwei oder drei kapitalistische Staaten die Köpfe zusammenstecken, es sich immer um die Haut eines vierten kapitalistischen Staates handelt. Welche Naivität gehört dazu, von diesem Bündnis zu erwarten, es sollte eine Gewähr sein für den Frieden. Es gibt ein internationales Bündnis, das sich als einzige Gewähr für den Frieden herausgestellt hat. Das einzige Bündnis, auf das zu rechnen ist, das ist das Bündnis aller revolutionären Proletarier der Welt!
Wir haben auch noch mit einer andern Illusion, die Verwirrung anrichten kann, reinen Tisch zu machen, nämlich mit der Illusion von der Abrüstung. Vor einigen Jahren gefiel es dem englischen Minister Grey, eine schöne Rede zu halten, in der er für eine Verständigung über die Rüstungen eintrat. [13] Kaum hatte man dies bei uns gehört, so sagten einige Genossen unsrer Reichstagsfraktion: Bravo, der Mann spricht wie ein Buch. Sie glaubten, auf diese Weise könnten wir von dem Krieg nach rückwärts zu dem Frieden kommen. Als aber Grey so sprach, hatte er schon eine neue Flottenvorlage in der Tasche und statt der Abrüstungen kamen ungeheuere neue Rüstungen. Auch in Deutschland war es ja ähnlich. In der Budgetkommission redete der Kriegsminister einer Verständigung mit England das Wort. [14] Das gab ein großes Hallo! Ein deutscher Kriegsminister, der wie eine Taube den Ölzweig des Friedens im Schnabel hielt; das war in Wirklichkeit das Vorspiel zu der ungeheueren Militärvorlage.
Man muss doch geradezu die Augen schließen, um nicht zu sehen, dass die Rüstungen eine naturnotwendige Konsequenz der ganzen ökonomischen Entwicklung sind. Solange das Kapital herrscht, werden Rüstungen und Krieg nicht aufhören. Alle großen und kleinen kapitalistischen Staaten sind jetzt in den Strudel der Wettrüstungen gerissen. Es war immer das Vorrecht der Sozialdemokratie, dass sie mit ihren Bestrebungen nicht im Wolkenkuckucksheim wurzelte, sondern mit festen Füßen auf dem realen Boden stand. Wir haben bei allen Erscheinungen in der Politik immer gefragt, wie sich diese Erscheinungen mit der kapitalistischen Entwicklung vereinbaren. Wie haben wir doch über die bürgerlichen Friedenspolitiker gelacht, diese guten Leute und schlechten Musikanten. Es ist eine hoffnungslose Utopie, zu erwarten, dass durch unsre Propaganda für die Abrüstung die kapitalistischen Staaten aufhören werden zu rüsten. Die Rüstungen sind eine fatale Konsequenz der kapitalistischen Entwicklung, und dieser Weg führt in den Abgrund.
Wir haben ein ganz anderes Ziel zu verfolgen, das uns klar und deutlich unsre historische Aufgabe stellt, das Milizsystem, die Bewaffnung des Volkes, wie sie unser Programm verlangt. Wir haben die Pflicht, dem Volke zu sagen, dass es aufhören muss, Kadavergehorsam zu zeigen, dass es seine eignen Interessen wahrnehmen muss. Allerdings, die Forderung der Miliz ist etwas ganz anderes als die Abrüstung der herrschenden Klasse; das Milizsystem kann einzig und allein nur aus der Tatkraft des Proletariats hervorgehen.
Wir täuschen uns nicht, wir glauben nicht, dass wir von heute auf morgen die Miliz einführen können. Eine Heeresorganisation, bei der das Volk in Waffen entscheidet, ob es in den Krieg ziehen will oder nicht, lässt sich nicht vereinbaren mit der Herrschaft der Krupps und der Rüstungskartelle. Um die Miliz einzuführen, müssen wir die herrschenden Klassen stürzen, das bedeutet eine Revolution, ein gewaltiges Stück historischer Arbeit. Aber soll das ein Anlass sein, unsre Forderung wie ein Familienheiligtum sorgfältig im Schrank aufzubewahren, um es immer bei besonders feierlichen Gelegenheiten hervorzuholen?
Nein! Wir müssen die Miliz fordern im täglichen Aktionsprogramme; das Volk muss wissen, dass die Durchführung der Forderung den Sturz der Junkerherrschaft voraussetzt. In Frankreich erleben wir jetzt den stürmischen Protest gegen die dreijährige Dienstzeit, dort beginnt schon die Opposition gegen den militärischen Kadavergehorsam. Sollte der deutsche Arbeiter dümmer und schlechter und feiger sein? Ich glaube, dass wir nicht umsonst vier Millionen sozialdemokratische Stimmen zählen und nicht umsonst 50 Jahre sozialistischer Geschichte hinter uns haben. Auch die Zeit wird kommen, wo die deutsche Arbeiterschaft sich nicht mehr kommandieren lässt, wo Sie sich wie ein Mann erhebt und sagt: Ich will es nicht, ich tue es nicht! (Lebhafter Beifall)
Eine Folge der Rüstungsdelirien ist der schmachvolle Niedergang des Parlamentarismus. In Deutschland ist jede bürgerliche Opposition aus dem Parlament verschwunden, es gibt keine Rüstungsvorlage, die nicht von den getreuen Regierungsmamelucken bewilligt würde. Die Regierung braucht nur zu pfeifen, und die Parlamente springen wie die Pudel. Wir arbeiten bei Reichstagswahlen im Schweiße unseres Angesichts, um soviel Vertreter als möglich in den Reichstag zu schicken, wenn es aber einen Arbeiter gibt, der da meint, es genüge, einen Stimmzettel abzugeben, so kann er mir nur leid tun. Im gleichen Maße, in dem mehr Sozialdemokraten in die Parlamente geschickt werden, sinken diese Parlamente immer mehr zu einem Feigenblatt des Absolutismus herab. Als die Chinaexpedition [15] ausgerüstet wurde, waren die Abgeordneten bei Muttern, nachher gewährten die Vertreter des Bürgertums für die schon verausgabten Mittel mit hündischer Beflissenheit Indemnität. In England, wo das Zeremoniell des parlamentarischen Hokuspokus besonders ausgebildet ist, liegen die Verhältnisse genauso, schrieb doch ein englisches Blatt, der dreimal heilige Parlamentarismus ist auf dem besten Wege, den Laden zu schließen.
Wie in Deutschland und England ist es auch in Österreich und in andern Staaten: Der Parlamentarismus gerät immer tiefer in den Sumpf. Was wären wir Sozialdemokraten wert, wenn wir unsre Hoffnungen auf den Parlamentarismus setzen wollten? Die Schwerkraft der sozialdemokratischen Politik muss in die Massen verlegt werden, das Parlament bleibt nur noch eine – allerdings bedeutende – Rednertribüne, von der aus die sozialistische Aufklärung erfolgen und die Masse aufgepeitscht werden soll. Dass die Masse handeln kann, wenn es nötig ist, dafür haben wir in der letzten Zeit genug Beweise gehabt. Man sagt uns oft mit den Kassen- und Mitgliedsbüchern in der Hand, wir haben noch nicht genug Mitglieder, die Kassen sind noch zu schwach, um große Aktionen durchführen zu können. O über diese kleinen Rechenmeister! Ich unterschätze nicht den Wert der Organisationen, man kann sie nicht hoch genug schätzen, Aber es wäre höchst falsch, wenn man annehmen wollte, erst müsste der letzte Arbeiter und die letzte Arbeiterin eingeschriebenes Mitglied der Partei sein, ehe der große Marsch gegen den Kapitalismus angetreten werden könne.
In Belgien haben erst jetzt 400.000 Mann 10 Tage lang mit verschränkten Armen dagestanden, um politische Rechte zu erobern, wenn ich auch der Meinung bin, dass man sie nicht zur rechten Zeit ins Feuer geführt hat. [16] Dabei hat die belgische Arbeiterschaft bei weitem nicht so gute Organisationen wie die deutsche. Auch das Beispiel der russischen Revolution hat ja bewiesen, was die Masse kann. 1906 hatte das russische Proletariat keine gewerkschaftlichen und keine politischen Organisationen, und wenige Jahre darauf waren im Feuer der Revolution feste proletarische Organisationen geschmiedet.
Es ist nötig, dass wir unsre Kraft, die elementare Kraft der großen Masse, nicht unterschätzen, denn die Gefahr, dass wir unsre Kräfte unterschätzen, ist größer als etwa eine Überschätzung unsrer Kräfte. Wir müssen den Proletariermassen sagen, wenn wir jetzt, nach 50 Jahren der Entwicklung, in unsern Reihen Millionen zählen, dass dies nicht bloß zum Stolz berechtigt, sondern auch zu Taten verpflichtet. Je mehr wir wachsen, um so mehr sind wir verpflichtet, die ganze Wucht unsrer Masse in die Waagschale zu werfen. Wir müssen die Massen aufklären und ihnen sagen, wenn die Kapitalisten die Welt verteilen, so sind wir die Erben dieser halsbrecherischen Unternehmungen. Wir müssen jenen Mut, jene Entschlossenheit und Rücksichtslosigkeit in der Verfolgung unsrer Aufgaben zeigen, die von den bürgerlichen Revolutionären aufgebracht wurde, die Danton zusammenfasste, als er sagte, in bestimmten Situationen brauche man als Parole nur drei Worte: Kühnheit, Kühnheit und noch einmal Kühnheit! (Stürmischer Beifall)
Anmerkungen
1. Im Jahre 1904 hatten sich in Südwestafrika die Völker der Hereros und der Hottentotten gegen die Kolonialherrschaft des deutschen Imperialismus erhoben. Der Aufstand, der den Charakter eines Freiheitskrieges trug, endete mit einer verlustreichen Niederlage dieser Völker, nachdem die deutschen Kolonialtruppen drei Jahre lang mit äußerster Grausamkeit gegen sie vorgegangen waren.
2. Von Oktober 1912 bis Mai 1913 führten Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montenegro Krieg gegen das türkische Reich, der mit einer Niederlage der Türkei endete. Dieser Krieg war in seiner Haupttendenz ein nationaler Krieg gegen die türkische Fremdherrschaft auf dem Balkan. Infolge der Einmischung der imperialistischen Großmächte gefährdete er den Frieden in Europa.
3. Mit dem Sieg der konservativen Partei bei den Wahlen zum Unterhaus in Kanada im September 1911 war eine fünfzehnjährige Herrschaft der liberalen Majorität beseitigt worden.
4. Siehe Karl Marx, Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Association, in Karl Marx u. Friedrich Engels, Werke, Bd. 16, Berlin 1971, S. 13.
5. Im Ergebnis der die Teilungen Polens in den Jahren 1772, 1793 und 1795 wurden die Westgebiete von Preußen, Galizien von Österreich und die Ostgebiete von Russland annektiert. 1815 wurde vom Wiener Kongress das Königreich Polen (Kongresspolen) geschaffen, das in Personalunion mit Russland verbunden wurde.
6. Im Friedensvertrag von London, der am 30. Mai zwischen den Balkanstaaten und der Türkei abgeschlossen wurde, musste die Türkei fast alle Gebiete auf der Balkanhalbinsel an die Balkanstaaten abtreten.
7. Unter dem Einfluss der Revolution in Russland von 1905 bis 1907 hatte sich in Persien eine bürgerlich-demokratische Massenbewegung entwickelt, die zur Einschränkung des Absolutismus und zur Einführung der konstitutionellen Regierungsform geführt hatte. Mit aktiver Unterstützung Großbritanniens und des zaristischen Russlands, die im Süden bzw. Norden Persiens die revolutionären Kräfte mit Waffengewalt unterdrückten, gelang es den reaktionären Kräften in Persien, Ende 1911 die Revolution niederzuschlagen.
8. Am 27. Juli 1900 hatte Wilhelm II. in Bremerhaven die Truppen der Chinaexpedition mit einer chauvinistischen Hetzrede, berüchtigt geworden als Hunnenrede, verabschiedet und zu äußerster Brutalität gegenüber den chinesischen Freiheitskämpfer aufgefordert.
9. August Bebel hatte am 7. März 1904 im Reichstag zur Haltung der Sozialdemokratie im Falle eines Angriffskrieges ausländischer Mächte gegen Deutschland gesprochen. Dabei war er von der von Karl Marx und Friedrich Engels wie auch von ihm selbst oft betonten, für das 19. Jahrhundert richtigen Erkenntnis ausgegangen, dass ein nationaler Verteidigungskrieg gegen den Zarismus und mit ihm verbündete Mächte im Interesse der Entwicklung der Arbeiterbewegung möglich und notwendig hätte sein können. Bebel hatte nicht gesehen, dass diese Auffassung durch die Veränderung des nationalen und internationalen Kräfteverhältnisses im Imperialismus überholt war.
10. Ende 1913 war im Reichstag ein Militär- und Deckungsvorlage eingebracht worden, die die größte Heeresverstärkung seit Bestehen des Deutschen Reiches vorsah. Ein Teil der zusätzlichen finanziellen Mittel sollte durch einen außerordentlichen Wehrbeitrag und durch Besteuerung aller Vermögen über 10.000 Mark aufgebracht, der übrige teil auf die Schulter der werktätigen Bevölkerung abgewälzt werden. Die sozialdemokratische Fraktion lehnte die Militär- und Deckungsvorlage ab, stimmte aber einer einmaligen Vermögensabgabe (dem sogenannten Wehrbeitrag) und einer Vermögenszuwachssteuer zur Finanzierung der Heeresvorlage zu. Der Abstimmung waren scharfe in der Fraktion vorausgegangen, die damit endeten, dass die Revisionisten unter Missbrauch der Fraktionsdisziplin den Widerstand von 37 abgeordneten unterdrückten. Diese Zustimmung zu den Gesetzen bedeutete das Aufgeben des Grundsatzes „Diesem System keinen Mann und keinen Groschen!“
11. Diese Erklärung hatte der Opportunist Eduard David bereits am 3. Dezember 1912 im Namen der sozialdemokratischen Fraktion abgegeben. Er befürwortete die imperialistische Außenpolitik und erklärte die deutsche Sozialdemokratie zu einer Stütze des Dreibundes, sofern dieser ein „Defensivbündnis“ darstellte.
12. Nachdem Frankreich und Russland sowie Großbritannien und Frankreich bereits verbündet waren, hatten sich Großbritannien und Russland im August 1907 über die Abgrenzung ihrer Interessensphären geeinigt. Damit war die Triple-Entente als imperialistischer Machtblock entstanden.
13. Am 13. März 1911 hatte der Außenminister Sir Edward Grey anlässlich der Vorlage des neuen Marineetats im britischen unterhaus über Möglichkeiten der Rüstungseinschränkung, speziell eines Vertrages mit Deutschland gesprochen, da die Rüstungsausgaben ein „Verbluten in Friedenszeiten“ bedeuten würden. Der Marineetat wurde angenommen und brachte gegenüber dem Vorjahr eine Erhöhung der Ausgaben um vier Millionen Pfund Sterling.
14. Nicht der Kriegsminister, sondern der Staatssekretär im Reichsmarineamt Alfred von Tirpitz hatte am 6. Februar 1913 in der Budgetkommission des Reichstags ausgeführt, dass er eine Verständigung mit Großbritannien begrüßen würde und dass Verhandlungen möglich seien, sobald Großbritannien damit beginnen wolle und Vorschläge unterbreite.
15. Im Jahre 1900 hatte die deutschen Imperialisten die Ermordung des deutschen Gesandten in Peking während des Aufstandes der Ihotuan zum Anlass genommen, um durch die Entsendung eines Expeditionskorps nach China ihr Vordringen in Ostasien zu sichern. Zusammen mit den Truppen anderer Imperialistischen Mächte schlugen die deutschen Interventionstruppen die chinesische Befreiungsbewegung grausam nieder.
16. Am 14. April 1913 begann in Belgien ein politischer Massenstreik für das allgemeine Wahlrecht, der seit Juni 1912 durch ein spezielles Komitee organisatorisch, finanziell und ideologisch im ganzen Land sorgfältig vorbereitet worden war. Am Streik beteiligten sich etwa 450.000 Arbeiter. Am 24. April 1913 beschloss der Parteitag der belgischen Arbeiterpartei den Abbruch des Streiks, nachdem sich das belgische Parlament dafür ausgesprochen hatte, die Reform des Wahlrechts in einer Kommission erörtern zu lassen.
Leipziger Volkszeitung, Nr. 121 vom 29. Mai 1913.
Rosa Luxemburg, Gesammelte Werke, Bd. 3, S. 212–219.
Transkription: Oliver Fleig und Sozialistische Klassiker.
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