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Die Wannseekonferenz - Anmerkungen + TV- TIPP

Foto: H.S.

20.01.2022 - von Hanne Schweitzer

Der sehenswerte Film, "Die Wannseekonferenz", von Matti Geschonneck läuft am Montag, dem 24. Januar 2022 um 20.15 Uhr im ZDF. Er ist schon jetzt abrufbar in der ZDF-Mediathek.*

Der Film zeigt das Treffen von 15 Funktionären des nationalsozialistischen deutschen Staatsapparats und den wichtigsten, eng mit ihm verflochtenen nationalsozialistischen Organisationen. Die Männer trafen sich am Montag, dem 20.Januar 1942 am Wannsee. Es war Krieg. Sieben Monate zuvor, am 22. Juni 1941 hatte die deutsche Wehrmacht ihren Überfall auf die Sowjetunion gestartet und ihren Vernichtungskrieg begonnen. Und gerade mal sechs Wochen war es her, seit am 11. Dezember 1941 die USA Deutschland den Krieg erklärt hatte - als Reaktion auf die Kriegserklärung von Deutschland und Italien wenige Stunden zuvor.

Am Vortag der Wannseekonferenz notierte Victor Klemperer, dessen arische Frau Eva im Gegensatz zur jüdischen Bevölkerung die Straßenbahn benutzen und Lokale in Dresden besuchen durfte, in seinem Tagebuch unter anderem: "Im Ganzen gehen am Mittwoch doch 250 Leute von hier fort. Unter ihnen Paul Kreidl, schwerster Schlag für die Mutter. Unter ihnen soll auch eine Frau mit drei kleinen Kindern sein, das jüngste Säugling, zwei Monate alt. Auch aus Berlin ging ein Transport ab. Namenloses Elend, durch den anhaltenden sehr schweren Frost (zwischen 15 und 20 Grad) gesteigert. Unendliche Willkür und Unsicherheit." Am 20.Januar 1942 fährt er fort: "Gestern bis Mitternacht bei Kreidls unten. Eva half Gurte für Paul Kreidl nähen, an denen er seinen Koffer auf dem Rücken schleppt. Dann wurde ein Bettsack gestopft, den man aufgibt (und nicht immer wiedersehen soll). Ihn karrte Paul Kreidl heute auf einem Handwägelchen zum vorgeschriebenen Spediteur."

„Besprechung mit anschließendem Frühstück“, hieß es in der Einladung vom Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Reinhard Tristan Eugen Heydrich. Das Treffen, zu dem er eigens aus Prag eingeflogen worden war, wo er als stellvertretender Reichsprotektor von Böhmen und Mähren fungierte, fand im gemeinsamen Gästehaus der SS und Gestapo statt, wo man aus 34 Fenstern einen Blick auf den Großen Wannsee hat. Im Anschluss wurden Lachsschnittchen und Filterkaffee serviert.

Der Besprechung vorausgegangen war ein Brief des Reichsmarschalls Göring an Heydrich. Der hatte ihm am 31. Juli 1941 geschrieben:
„In Ergänzung der Ihnen bereits mit Erlaß vom 24. Januar 1939 übertragenen Aufgabe, die Judenfrage in Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigen Lösung zuzuführen, beauftrage ich Sie hiermit, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa. […] Ich beauftrage Sie weiter, mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.“

Zum geheimen Meeting im Januar 1922 am Wannsee fuhren oder ließen sich vorfahren: Fünf Staatssekretäre, zwei Ministerialdirektoren, ein Unterstaatssekretär, ein Referatsleiter und der Leiter des Reichsamts für Wirtschaftsausbau. Außerdem der Chef der Sicherheitspolizei (SS) und der Geheimen Staatspolizei (Gestapo), zwei ranghohe Funktionäre der SS und zwei Befehlshaber der Gestapo. Sie hatten ihre Karriere in der NSDAP als Möbelspediteur, Polizist, Reichstagsabgeordneter, Rechtsanwalt, Dolmetscher, geschasster Marineoffizier oder Beamte gestartet, ein Drittel der Männer war promoviert worden. Kein Minister nahm an der Besprechung teil. Es war der Mittelbau, der sich am Großen Wannsee traf.

Thema der Sitzung, die nur anderthalb Stunden dauerte, war die bestmögliche bürokratische Organisation und kostengünstige Realisation der Ermordung von 11 Millionen Juden in Europa. Die Experten für die Planung von Massenmord nannten es "Kampf gegen diesen Gegner". Da waren viele erforderlich, die sich beteiligten.

Geschonnecks Film "Die Wannseekonferenz", dessen Tonqualität leider sehr zu wünschen übrig lässt, zeigt die Besprechung und ihre Teilnehmer gänzlich unaufgeregt. Halt so, wie es vor und während "normalen" Konferenzen zugeht: Austausch von Artigkeiten, Hengstbissigkeit, Kompetenzgerangel, Verhandlungsposition verbessern, sich Hervortun, Ranghöheren zustimmen, Konsens finden. Keiner der Schauspieler vermittelt diese ungute Ausstrahlung, die in vielen Filmen über den Nationalsozialismus selbst unbedarften Zuschauern unterschwellig oder auch platt suggerieren soll: Der da, das ist ein Böser. Man sieht es den Darstellern der Konferenzteilnehmer nicht an, dass sie zynische Technokraten darstellen, Rassisten, Karrieristen auf der Leiter des Totalitarismus. Ganz normale Psychowracks mit Frau und Kind. Aber warum sollte man es ihnen ansehen? 1942 und nach dem Krieg hat man es keinem angesehen!

Der Mann, der die statistische Auflistung der in Europa und der Sowjetunion lebenden Juden für die Besprechung angefertigt hatte, im Film werden sie vom Heydrichdarsteller vor der Konferenz überflogen, hieß Roderich Plate. Er arbeitete im Statistischen Amt, und hatte schon als Ende Zwanzigjähriger "eine Schätzung über die Zahl der "Rassejuden" im Deutschen Reich" erarbeitet. Von ihm war "die völlig neue namentliche Sondererfassung aller "Volljuden" und "Mischlinge" eingeführt worden. Plate wurde nach dem Krieg "Professor in Stuttgart-Hohenheim und einer der führenden deutschen Agrarfachleute für EG-Fragen."****

"Das höchste, was man erreichen kann, ist zu wissen und auszuhalten, dass es so und nicht anders gewesen ist, und dann zu sehen und abzuwarten, was sich daraus ergibt", empfahl Hannah Arendt 1959, bei der Verleihung des Hamburger Lessingpreises. Geschonneck kann das. Er ist dem ritualisierten, öffentlichen deutschen Gedenken an den verübten Massenmord genau sowenig auf den Leim gegangen, wie dieser speziellen Auschwitz-Gedenk-Tonlage, in der Texte zur Erinnerungskultur vorgetragen oder Reden gehalten werden. (Aktuell selbst in der TV-Berichterstattung über "Die Wannseekonferenz" zu hören.) Gesprochen wird salbungsvoll gedämpft, verhalten, langsamer als sonst, mit fast schon belegter Stimme, weil viel Empathie mitschwingen soll.) Gedacht wird stets der Opfer. Täter um die Ecke, die so gern vom Krieg im Osten erzählten oder die Verräterin im Haus zwei Straßen weiter kommen nicht vor.

Die Männer**, die zur Besprechung eingeladen worden waren, hatten 1942 folgende Funktionen:
- Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, der Sicherheitspolizei (Gestapo), des Sicherheitsdienstes, und Reichsführer der SS, und Reichsprotektor von Böhmen und MährenHeydrich, vertrat das Reichssicherheitshauptamt.
- Der Stellvertreter des Ministers im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, Meyer, vertrat das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete.
- Der Reichsamtsleiter Dr.Leibbrandt, vertrat das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete.
- Der Staatssekretär Dr.Stuckardt, vertrat das Reichsministerium des Inneren.
- Der Staatssekretär Dr.Freisler, vertrat das Reichsjustizministerium.
- Der Staatssekretär Dr.Bühler, vertrat die Regierung des Generalgouvernements.
- Der Staatssekretär Neumann, vertrat den Beauftragten für den Vierjahresplan.
- Der Unterstaatssekretär Luther, vertrat das Auswärtige Amt.
- Der Ministerialdirektor Klopfer, vertrat die Partei-Kanzlei.
- Der Ministerialdirektor Kritzinger, vertrat die Reichskanzlei.
- Der Hauptamtsleiter des Rasse- und Siedlungshauptamts der SS, Hofmann, vertrat den Sicherheitsdienst.
- Der Leiter des Reichssicherheitshauptamts und Chef der Gestapo, Müller, vertrat die Geheime Staatspolizei.
- Der Befehlshaber der Gestapo und der SS im Generalgouvernement, Dr.Schöngarth, vertrat den Sicherheitsdienst und die Geheime Staatspolizei im Generalgouvernement.
- Der Leiter des Rasse- und Siedlungshauptamt, Hofmann, vertrat das Reichssicherheitsamt.
- Der Referatsleiter bei der Gestapo, Eichmann, vertrat die Geheime Staatspolizei und führte das Sitzungsprotokoll***.

** Die fünfzehn Teilnehmer der Wannseekonferenz Fotos und Nachkriegsfolgen: bei WELT.de unter: Link

*** Sitzungsprotokoll der Wannseekonferenz unter: Link

**** Götz Aly /Susanne Heim
"Vordenker der Vernichtung"
Fischer Verlag 1995 S. 464

Die Wannseekonferenz, 2022, Regie: Matti Geschonneck, Drehbuch: Magnus Vattrodt, inspiriert durch eine Vorlage von Paul Mommertz. Kamera: Theo Bierkens (Auf der ZDF-Seite nicht genannt! Auch nicht der Ton. 20.1.2022.) Schnitt: Dirk Grau, Casting: Simone Bär.
Koproduktion des ZDF mit Constantin Television. Produzenten: Reinhold Elschot und Friederich Oetker, Executive Producer: Oliver Berben. Redaktion im ZDF: Frank Zervos und Stefanie von Heydwolff. Darsteller: Philipp Hochmai, Johannes Allmayer, Sascha Nathan, Arnd Klawitter, Peter Jordan, Matthias Bundschuh, Godehard Giese, Markus Schleinzer, Jakob Diehl, Fabian Busch, Thomas Loibl, Frederic Linkemann, Maximilian Brückner, Rafael Stachowiak, Simon Schwarz, Lilli Fichtner (Auf der ZDF-Seite nicht genannt! 20.2.2022).

* Der Fernsehfilm "Die Wannseekonferenz" aus dem Jahr 2022 bei ZDF.de: unter: Link

Der Fernsehfilm "Die Wannseekonferenz", aus dem Jahr 1984
Regie: Heinz Schirk, Drehbuch: Paul Mommertz, preisgekrönt. Dieser Film dient deutlich sichtbar als Vorlage für den von 2022. Er läuft in deutscher Sprache mit englischen Untertiteln auf youtube unter: Link. Die englische Fassung finden sie unter: Link Wannseekonferenz"

Einen Vergleich beider Filme von Ernst Piper apl. Professor für Neuere Geschichte an der Universität Potsdam im "Freitag" publiziert unter: Link
Im März 2022 erscheint ein Buch von Ernst Piper mit dem Titel: "Diese Vergangenheit nicht zu kennen heißt, sich selbst nicht zu kennen. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Extreme" im Ch. Links Verlag

Quelle: NS-Archiv, ZDF, Victor Klemperer