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04.06.2022 - von Von Edith Bartelmus-Scholich + Thies Gleiss
Der in der LINKEN kursierende Aufruf "Für eine populäre Linke" wird gleichermaßen gelobt wie kritisiert, dass er so schön altbekannte Textbausteine zusammenführt und so liebevoll unkonkret sich und die Leser:innenschaft umschlingt. Die einen fühlen sich gepinselt, die anderen geschmeichelt. Soll angesichts dieser Langweiligkeit zur Tagesordnung übergegangen werden?
Ich würde raten: Lieber nicht.
Das ist wie mit den Zeugnissen, die ein "Arbeitgeber" an eine "Arbeitnehmerin" (oder umgekehrt) ausstellt. Muss sich gut anhören, aber muss nicht gut sein.
Zur eventuellen Übersetzungshilfe bei einem erneuten Lesen, seien hier ein paar Anmerkungen gemacht
KLEINE ÜBERSETZUNGSHILFE
1.
Wie so viele Texte verurteilt auch dieser Text den Krieg von Putin gegen die Ukraine "aufs Schärfste". Auch wenn es hier in falschem Deutsch kleingeschrieben "aufs schärfste" heißt, so habe ich es mir angewöhnt, Texte, in denen ein solch dummer Superlativ auftaucht, sehr misstrauisch zu lesen. Da will jemand übertreiben, der oder die es offenkundig nötig hat.
2.
"Um so wichtiger ist in dieser Situation eine politische Kraft, die all denjenigen eine starke, laute Stimme gibt, die sich sehnlichst eine verantwortungsvollere Politik für sozialen Ausgleich und Frieden wünscht".
Da appelliert aber jemand an den konservativen Zeitgeist, wie es die AfD nicht besser macht. Linke Politik sollte sich stattdessen nicht für sozialen Ausgleich (andere nennen es auch Klassenfrieden), sondern für eine konfliktbereite Interessenvertretung der Armen und Benachteiligten einsetzen.
3.
"Die LINKE darf sich nicht auf bestimmte Milieus verengen. ... Sie muss die Leute in ihrem Alltag abholen".
Ja, was denn nun? Die "Milieus" sind ja gerade der Alltag. Die Urväter der Milieu-Theorien haben sie doch als notwendige Präzisierung der Klassentheorie verstanden. Im Alltag werden die Klassenverhältnisse verzerrt, durch Einzelaspekte überlagert - die alle ihre Bedeutung haben. Aber die LINKE muss diese Milieus auf die dahinter schlummernden Klasseninteressen zurückführen - das ist etwas radikal anderes als der Ökonomismus, der die Dialektik von Klassen- und Individualinteressen nicht begreift.
4.
"Um politisch zu überleben, muss die LINKE sich verändern.... Wir schlagen dafür eine Priorisierung von Aufgaben und Botschaften für die LINKE vor."
"Priorisierung" - früher hieß das in gutem Deutsch und dummen Schematismus "Haupt- und Nebenwiderspruch". Die Geschichte hat doch zu Genüge aufgezeigt, dass dieser Ökonomismus - der gleichermaßen Kennzeichen der Sozialdemokratie im Westen wie des Stalinismus im Osten war - zielstrebig in Verrat der wirklichen Klasseninteressen und Kapitulation vor dem Klassengegner führt.
5.
Die LINKE "hat als Partei nicht die Aufgabe, die bessere Gewerkschaft zu sein oder die weitestgehenden Forderungen einzelner Bewegungen als eigenes Programm zu verkünden."
Wie ich gesagt habe: Mündet zielstrebig in Verrat:
Natürlich muss die LINKE die bessere Gewerkschaft sein, schon gar einer sozialdemokratisch geführten Gewerkschaft. Sie muss aktives Mitarbeiten in den Gewerkschaften zur Pflicht erklären und natürlich heißt dies, dort die besten Vorschläge zu machen, den engagiertesten Kolleg:innen eine organisatorische Stütze zu sein und auch, wenn nötig, die zaudernde Gewerkschaftsführung zu kritisieren. Die LINKE als Bedenkenträgerin und Abwieglerin in den Gewerkschaften? Das ist nicht euer Ernst.
Es wäre auch ein Riesenfortschritt, wenn die LINKE die weitestgehenden Forderungen der fortschrittlichen sozialen Bewegungen zu ihrem Programm erhebt. Was denn sonst? Den jungen Aktivist:innen in den Rücken fallen?
Wie ich gesagt habe: Mündet kurzfristig in Verrat.
6.
"Überzogene und unrealistische Forderungen schaden..."
Hier wird der eigentliche Kampfauftrag des "Aufrufs für eine populäre Linke" deutlich. Er ist eine Kampfansage an eine notwendige Radikalisierung der LINKEN und ihrer Politik. Ohne diese wird es aber keinen Aufschwung der LINKEN geben. Nicht zu viel Radikalität hat die LINKE zu der langweiligen Kraft werden lassen, die so viele Menschen in ihr sehen, sondern zu wenig Radikalität.
By the way: Es gibt in der Geschichte der LINKEN eine Strömung der traurigen Ritter: Sie nennt sich zwar "Sozialistische Linke", aber sieht seit ihrer Gründung ihre mindestens Zweitaufgabe darin, überall zu erklären, dass die Zeit nicht reif für den Sozialismus sei. Sie ist die einzige Strömung in der LINKEN, die den Kampf zur Verhinderung anderer Strömungen und Personen daraus zu ihrer Aufgabe erklärt hat. Dieser Denunziantenstadl führt auch bei dem neuen "Aufruf" die Regie.
7.
"Wir dürfen dabei nicht auf bekannte und anerkannte Persönlichkeiten verzichten"
Am Anfang des Programms der LINKEN, dem Erfurter Programm von 2011, steht aus guten Gründen das berühmte Gedicht von Bert Brecht "Fragen eines lesenden Arbeiters". Es steht da, um deutlich zu machen, dass die LINKE nicht auf die Macht der angeblichen Autoritäten, auf die großen Politiker:innen setzt. Die Macht der Millionen ist die Kraft, auf die unsere Partei setzt. Es rettet uns kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Dieser neue "Aufruf" will aber keine populäre Linke in diesem Sinne, sondern eine biedere, spießige Bestätigung des Bestehenden. Linker Strukturkonservatismus vom Feinsten. Was hilft einzig in dieser Lage: Schmeißt die Mumien vom Podest"!
8.
"Deswegen ist eine einladende Parteikultur zu entwickeln".
In zwei Wochen können wir - wenn es nicht noch umgedreht wird - wieder erleben, was hier "einladende Parteikultur" heißt: Parteitag mit Prominentenreden und redenden Prominenten, mit "standing Ovations" (schon der Name sagt, hier soll stehen geblieben und nicht weiter gegangen werden), Klatschorgien, Hintergrundempfängen für die Pressemeute und eine Parteitagsregie, die alles schon parat hat und bei der der Optimismus obligat, der schöne Schein wichtiger als das kämpfende Wesen ist.
Statt Promi-Verehrung braucht die LINKE Selbstermächtigung all ihrer Mitglieder, eine Politik in der ersten Person und radikale Begrenzung aller Privilegien, Hierarchien und Ämterhäufung. Mandate und Ämter müssen befriste und eine umfassende Mitgliederdemokratie eingeführt werden.
Sozialismus ist in diesem Sinne auch Egalitarismus - schon vergessen?
Thies Gleiss unter: Link
Linken droht die Spaltung
Knapp vier Wochen vor dem Parteitag in Erfurt zeichnet sich ab, dass die Partei DIE LINKE an einem entscheidenden Wendepunkt steht. Nach acht Wahlniederlagen in Folge, jahrelangem Streit zwischen den Parteiflügeln und mitten in der größten Austrittswelle seit der Gründung der Partei sollen in Erfurt die Weichen neu gestellt werden. Allerdings gibt es ganz unterschiedliche Vorstellungen wohin die Reise für DIE LINKE gehen soll.
Die wichtigste Frage: Bleibt DIE LINKE eine Friedenspartei?
Schon zur Bundestagswahl aber besonders zu den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein (1,7%) und in Nordrhein-Westfalen (2,1%) konnte DIE LINKE ihre Positionen in der Außen- und Verteidigungspolitik schlecht vermitteln. Sowohl bei der Evakuierung von Ortskräften aus Afghanistan als auch bei der Unterstützung der ukrainischen Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg, wurden die politischen Grundsätze an denen DIE LINKE sich orientiert, wenn sie Auslandseinsätze der Bundeswehr oder Waffenlieferungen ablehnt, auch von vielen linksorientierten Menschen nicht mehr verstanden. Die Zeiten, als Friedenspolitik Millionen Menschen in Deutschland politisierte, sind lange vorbei. Die junge Generation von Linken bezieht sich eher auf die Menschenrechtsproblematik, wenn sie internationale Politik diskutiert. Es ist eine Aufgabe der Partei DIE LINKE, den scheinbaren Gegensatz zwischen Friedenspolitik und Menschenrechtspolitik aufzulösen. Da sie dies versäumt hat, eröffnet sie den bürgerlichen Medien die Möglichkeit, auch Menschen aus der gesellschaftlichen Linken gegen die Friedenspolitik der Partei in Stellung zu bringen.
Der Zweifel an den friedenspolitischen Grundsätzen der Partei reicht weit bis in ihre Mitgliedschaft. Aus den Wahlniederlagen zieht ein Teil der FunktionsträgerInnen den Schluss, dass die friedenspolitischen Grundsätze der Partei nicht mehr zeitgemäß, vermittelbar und haltbar sind. Einerseits stehen diese Positionen der Teilnahme an einer Bundesregierung entgegen. Andererseits sind sie ein Stück der DNA der Partei. Seit PDS-Zeiten wurden sie immer wieder von der Mitgliedschaft verteidigt.
Auf dem Parteitag entscheidet sich, ob die friedenspolitischen Grundsätze der Partei weiter Bestand haben. Es liegt ein Leitantrag (L03) des Parteivorstands vor, der eine Neupositionierung vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine vornimmt. Dieser Antrag ist hoch umstritten. Es wurden dazu mehrere Ersetzungsanträge gestellt. Der Reformflügel der Partei möchte eine flexible Außenpolitik durchsetzen. Ein weiterer Ersetzungsantrag (1) möchte die friedenspolitischen Grundsätze des Erfurter Programms erhalten und korrigiert nur die Einschätzung der Rolle Russlands. Hinter diesem Antrag versammeln sich Linke aus allen Landesverbänden und jenseits strömungspolitischer Auseinandersetzungen.
Sollte in dieser zentralen Frage der programmatische Konsens des Erfurter Programm „entsorgt“ werden, dann droht der LINKEN die Spaltung. Viele Mitglieder wollen nicht in einer Partei bleiben, die die Bezeichnung Friedenspartei nicht mehr verdient.
Der alles überlagernde Streit: Wie wird DIE LINKE wirkmächtig?
Der Parteitag findet unter den Zeichen einer großen Ernüchterung statt. 2007 als DIE LINKE durch die Fusion aus Linkspartei.PDS und WASG entstand, strömten sehr unterschiedliche Linke in die neue Partei. Allen gemeinsam war die Vorstellung, dass schon die Schaffung einer bundespolitisch relevanten linken Partei zur politischen Wirkmächtigkeit führen würde. Im Laufe der Jahre wurde allerdings klar, dass es nicht reicht, Linke unterschiedlicher Strömungen in einer Partei zu vereinigen. Eine linke Partei braucht auch eine gemeinsame Vision und eine gemeinsame Strategie.
Es ist der LINKEN in 15 Jahren nicht gelungen diese gemeinsame Vision und diese gemeinsame Strategie zu entwickeln. Ansätze dazu waren vorhanden, z.B. mit dem strategischen Ansatz der verbindenden Klassenpolitik, wurden aber stets von einer Minderheit in der Partei nicht anerkannt. In den Jahren nach dem Göttinger Parteitag 2012 scheute sich die Partei, Fragen konsequent zu klären. In Folge dessen trat sie zunehmend vielstimmig nach außen auf und verlor ihr Profil.
Nun geht es nicht mehr anders, als die brennenden Fragen zu klären. Ein ‚Weiter so‘, vielstimmig und ohne klares Profil, wird mit großer Sicherheit zum Ausscheiden aus dem Bundestag führen. Damit würde sich dann auch die Partei erledigen. Denn die bundespolitische Relevanz ist immer noch die fragile Geschäftsgrundlage zwischen den unterschiedlichen Flügeln der Partei.
Auf die strategische Frage, wie DIE LINKE am besten politisch wirkmächtig wird, gibt es sehr unterschiedliche Antworten. Der sozialkonservative Parteiflügel um Wagenknecht möchte eine populistische Parlamentspartei mit nationalem Fokus und inhaltlich eine SPD 2.0. In dieser Partei sollen „herausragende, populäre Persönlichkeiten“ die entscheidende Rolle spielen. Der Reformflügel der Partei setzt auf eine zentralisierte Parlamentspartei, die in Regierungen wirksam wird. Inhaltlich soll DIE LINKE eine Partei der linken Mitte wie in Thüringen werden. Der linke Flügel der Partei möchte eine Parlamentspartei als Bündnispartnerin sozialer Bewegungen und auch dort aktiv und verankert. Inhaltlich soll DIE LINKE ein ökosozialistisches Profil erhalten.
Da keiner der drei Flügel eine Mehrheit auf dem Parteitag haben wird, entscheiden sich Profil und Parteikonzept durch die jeweilige Bündniskonstellation. Sowohl der sozialkonservative Flügel als auch der linke Flügel sind in der Vergangenheit jeweils ein Bündnis mit Teilen des Reformflügels eingegangen. Beide Bündnisse, ob in der Fraktion oder im Parteivorstand, haben nicht zu einer Klärung des Profils der Partei beigetragen. Die Spannung in den jeweiligen Bündnissen konnte nicht produktiv gemacht werden.
Nicht grüner als die Grünen?
Die Ergebnisse der Landtagswahl in NRW haben gezeigt: Alle Wahlen nach 2019 waren Klimawahlen. Das wundert nicht, denn inzwischen wissen große Teile der Bevölkerung, dass Erderhitzung, Umweltzerstörung, Artensterben und der übermäßige Verbrauch natürlicher Ressourcen ihr eigenes Leben bereits beeinträchtigt und das ihrer Kinder und Enkel definitiv gefährdet. DIE LINKE. NRW hatte wie schon die Bundespartei zur Bundestagswahl ihre Kernkompetenz als Partei der sozialen Gerechtigkeit in den Mittelpunkt des Wahlkampfs gestellt. Nur hat die Frage der sozialen Gerechtigkeit bei dieser Landtagswahl kaum jemanden interessiert. Vor der Wahl beurteilte die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ihre wirtschaftliche Lage als gut und unter den fünf meistgenannten, wahlentscheidenden Gründen kam weder soziale Gerechtigkeit noch Wohnen vor. Die Kampagne lief ins Leere.
Nun hat DIE LINKE bereits politische Antworten auf den Klimawandel gegeben. Die soziale und die ökologische Frage werden als verbunden betrachtet. Es ist keine soziale Gerechtigkeit denkbar ohne die Klimafolgen politischen Handelns zu berücksichtigen und andererseits ist keine Klimapolitik zielführend ohne soziale Gerechtigkeit. Es ist aber noch nicht gelungen, diesen politischen Lösungsansatz erfolgreich zu kommunizieren. Das liegt auch daran, dass es genau hier immer wieder Querschläge des sozialkonservativen Parteiflügels gibt. Dort hat man nicht begriffen, dass die Klimafrage als Gattungsfrage (nach Rudi Dutschke) die Klassenfrage überwölbt. Praktisch bedeutet das, eine linke Partei wird scheitern, wenn sie dieser Erkenntnis nicht Rechnung trägt.
Wen vertritt DIE LINKE eigentlich?
Ein Schauplatz innerparteilicher Auseinandersetzung ist die Frage, an wen sich die Stellvertreterpolitik, die die Partei betreibt, richtet. Der sozialkonservative Flügel nimmt die Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten nicht zur Kenntnis. Reformer und linker Flügel haben hingegen realisiert, dass nur noch eine Minderheit der Arbeitsverhältnisse sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen sind und dass Erwerbsbiographien heute später beginnen und oft unterbrochen werden. Grundsätzlich gilt: die Klasse der Lohnabhängigen ist heute anders zusammengesetzt als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Klasse ist weiblicher, migrantischer, gebildeter und viele Lohnabhängige leben prekär. Viele Mitglieder dieser zerklüfteten Klasse werden zusätzlich benachteiligt und unterdrückt, weil sie Minderheiten angehören. Der Kampf gegen Rassismus, Sexismus, Homophobie u.ä. ist dabei ganz überwiegend der Kampf von Lohnabhängigen gegen mehrfache Unterdrückung. Eine linke Partei muss diese mehrfache Unterdrückung anerkennen und die Betroffenen in ihren Kämpfen unterstützen. Der sozialkonservative Flügel mit seinem nationalen Fokus und der Zustimmung zu einer deutschen Leitkultur (Wagenknecht) trägt mit seinen Vorschlägen zur Spaltung der Klasse bei.
DIE LINKE ist eine feministische Partei. Ach, wirklich?
Am 15. April wurde DIE LINKE mit einem uneingelösten Anspruch konfrontiert. Die Linksjugend ging mit weit reichenden Anschuldigungen zu sexuellen Übergriffen und Sexismus an die Öffentlichkeit. Unter dem Hashtag #linkemetoo konnten sich Betroffene melden. Innerhalb weniger Stunden gingen über 50 Meldungen aus allen Landesverbänden ein. Seitdem versuchen Parteivorstand und Landesverbände das Problem zu bearbeiten. Es wurden Awareness-Strukturen eingerichtet, ein Verhaltenskodex ausgearbeitet und dem Parteitag auch Anträge zur Änderung der Satzung vorgelegt.
Aber nicht die ganze Partei arbeitet an der Bewältigung des Problems. Im Landesverband Hessen herrscht die Zurückweisung politischer Verantwortung vor. Betroffenen, die sich gemeldet haben, werden Klagen angedroht. FunktionsträgerInnen solidarisieren sich öffentlich mit Beschuldigten.
Teile der Partei halten die Anschuldigungen gegen männliche Leistungsträger für aus der Luft gegriffen. Es wird von einer antideutschen Verschwörung gegen ‚alles, was links und gut ist‘, geraunt. Als Bestätigung dieser Verschwörungstheorie dient, dass nicht nur Anschuldigungen gegen Janine Wissler, sondern auch im letzten Jahr gegen Michael Prütz und neuerdings gegen den Monchi, den Sänger von Feine Sahne Fischfilet, erhoben wurden.
Dem Parteitag stellt sich also zusätzlich die Aufgabe, die Partei aus dem Sumpf von #linkemetoo herauszuholen. Versagt er dabei, wird DIE LINKE für junge Menschen und für Feministinnen unannehmbar.
Das Ende der Mitgliederpartei?
Dem Parteitag liegen viele Anträge zur Satzung vor. Antragsteller sind vor allem der Parteivorstand und Benjamin-Immanuel Hoff. Fast alle Anträge zielen dahin die Mitgliederrechte einzuschränken. So sollen Antragsrechte auf Parteitagen begrenzt werden. Die Mitglieder des Bundesausschusses sollen nicht mehr Delegierte mit beratender Stimme auf Parteitagen sein. Der Parteivorstand will sich ein Durchgriffsrecht gegenüber Landes- und Kreisverbänden sichern und deren Beschlüsse aufheben können, wenn er sie als "offensichtlich satzungs- oder gesetzeswidrig" einstuft. Der Ältestenrat soll künftig entsprechend der Amtszeit des Parteivorstands berufen werden. Damit stellt sich jeder neue Parteivorstand den Ältestenrat nach seinem Gusto zusammen. Kritische Stimmen wird man dann künftig wohl nicht mehr in diesem Gremium finden.
Offenbar möchte der Parteivorstand die Vielstimmigkeit der Partei dort beschneiden, wo sie ohnehin keine Reichweite hat, nämlich beim einfachen Parteimitglied statt bei den prominenten, reichweitenstarken Mandats- und FunktionstägerInnen. Die Partei soll zentralisiert werden. Die Mitgliedschaft soll sich in eine neue Rolle einfinden, als Maschine zur Umsetzung von Kampagnen von oben, als fleissige, stille ArbeiterInnen.
Dazu passt die Parteitagsregie. Ein völlig mit Anträgen und Wahlen überfrachteter Parteitag soll nicht arbeiten und entscheiden, sondern stundenlang den Reden prominenter GenossInnen lauschen.
Und Wahlen finden auch noch statt…
Vor dem Parteitag gibt es Anzeichen, dass die bisherigen Bündnisse fortgesetzt werden sollen.
Die verbliebene Vorsitzende, Janine Wissler, will wieder zur Wahl antreten. Wissler wird vom linken Parteiflügel getragen. Sie tritt im Team mit Martin Schirdewan, dem Vorsitzenden der Fraktion im Europaparlament an. Schirdewan ist Reformer aus Thüringen und holte seinerseits Benjamin Hoff als Kandidaten zum Stellvertreter ins Team. Als Bundesgeschäftsführer will Janis Ehling von der Bewegungslinken kandidieren. Das „Team Janine“ steht für ein ‚Weiter so‘ in der Partei. Das Bündnis zwischen der Bewegungslinken und den Reformern aus Thüringen erzeugt keine produktive Spannung. Wenn nicht ein Partner dieses Bündnisses seine politischenZiele aufgibt, wird man sich gegenseitig blockieren.
Neben Janine Wissler bewirbt sich die niedersächsische Landesvorsitzende MdB Heidi Reichinnek für den Vorsitz. Reichinnek steht der Gruppe der Reformer um Dietmar Bartsch nahe. Sie gehört in der Fraktion zum Bündnis der AnhängerInnen von Bartsch mit den AnhängerInnen von Wagenknecht. In Niedersachsen befindet sie sich im Bündnis mit den AnhängerInnen von Diether Dehm. Reichinnek tritt an um #linkemetoo zu einem guten Abschluss zu bringen. Allerdings hat sie weder als Landesvorsitzende in Niedersachsen noch in ihrer Rolle als frauenpolitische Sprecherin der Fraktion bisher Anstalten unternommen Genossinnen vor Sexismus zu schützen.
Reichinek kandidiert nicht in einem Team, wird aber zweifellos ein Bündnis mit MdB Sören Pellmann, einem Mitbewerber um den Vorsitz, eingehen, sollten beide gewählt werden. Pellmann gehört zum sozialkonservativen Flügel und wurde von Wagenknecht für den Vorsitz vorgeschlagen. Ihm ist zuzurechnen, dass die Partei überhaupt noch im Bundestag vertreten ist, denn er hat das notwendige dritte Direktmandat in Leipzig erkämpft.
Werden Reichinnek und Pellmann als Vorsitzende gewählt, dann gibt es kein ‚Weiter so‘, sondern eine Erneuerung durch „Rückbesinnung“. Genau dieses Einlegen des Rückwärtsgangs hat der sozialkonservative Flügel in einem Aufruf zum Parteitag gefordert (2).
Edith Bartelmus-Scholich, 31.5.2022 auf scharf links 31.05.2022
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