Foto: H.S.
10.08.2022 - von Stefan Streit , Köln
Zur Triage kommt es, wenn Ressourcen aufgebraucht sind. Konkret sind aber weder fehlende Betten noch zu wenige Beatmungsgeräte das Problem. Betten gibt es reichlich, Beatmungsgeräte lassen sich in Deutschland schnell und zeitnah besorgen. Zur Triage kommt es nur, weil Pflegekräfte fehlen. Die Ausbildung dieser Fachleute für intensivmedizinische Behandlung erfordert viele Jahre. Hier geht nichts auf die Schnelle. Werden Betten auf einer Intensivstation geschlossen, dann letztlich fast immer, weil ausgebildetes Pflegepersonal fehlt.
Dazu gibt es eine gesetzliche Regelung. Seit 1. Februar 2021 dürfen auf einer Intensivstation in der Tagschicht nur zwei Patienten pro Pflegekraft und in der Nachtschicht maximal 3 Patienten pro Pflegekraft versorgt werden. (1) Die Zahl der verfügbaren Ärzte spielt juristisch und damit faktisch erst mal keine Rolle. Das Nadelöhr sind und bleiben die Pflegekräfte. Fehlen Intensivpflegekräfte, dann fehlen Intensivstationsplätze und dann werden Triageentscheidungen notwendig.
Wie kann man Triageentscheidungen verhindern?
Mehr Pflegekräfte auszubilden ist eine gute Idee. Die Zahl der Schwerkranken niedrig zu halten auch. Oft wird allerdings eine weitere wichtige Stellschraube vergessen: Triage wird unwahrscheinlicher, wenn man verhindert, dass ausgebildetes Intensivpflegepersonal den Beruf aufgibt. Und an dieser Stelle wird es dann politisch interessant. Marco Buschmann, der Justizminister hatte sich im Mai 22 für eine "Ex-Post-Triage" zum Triagegesetz stark gemacht. (2) Der Gesundheitsminister, Karl Lauterbach, hat erst zugestimmt, dann den Passus aus dem Referentenentwurf aber wieder entfernen lassen. Das sei ethisch nicht Ordnung. (2) Die Intensivmediziner und der Marburger Bund glauben dagegen, nur weil die Ex-Post-Triage im Gesetz stünde, wären sie aus dem Schneider. (3) Der Normenkonflikt ist allerdings unübersehbar, deshalb wird die Tragfähigkeit eines Ex-Post-Triage- Gesetzes vor den Gerichten durch alle Instanzen getestet werden. Und vor Gericht und auf hoher See ist der Ausgang immer ungewiss! In der Frankfurter Allgemeine Zeitung stellen sich vier Strafrechtler hinter den Marburger Bund: Ohne Ex-Post-Triage gehe es nicht, das Gesetz würde den Ärzte schon helfen. Nicht klar wird, wie die Ex-Post-Triage die Diskriminierung der Schwachen, Kranken, Alten und Behinderten - jenseits des Papiers, in der Realität- verhindern kann. (4) Da hilft es auch nicht auf den Ethikrat zu verweisen.
Egal wie dieses Auseinandersetzung ausgeht. Entscheidend für jede Triage ist das Vorhandensein eines rechtfertigenden Notstandes. Üblicherweise wird so etwas mit Erdbeben, Krieg oder dem Einsturz der Twin-Tower assoziiert. Wird das Bundesverfassungsgericht einen einkalkulierten Notstand auch als Rechtfertigung für eine Ex-Post-Triage akzeptieren? Als einkalkulierten Notstand bezeichne ich Situationen, in denen vertretbare Maßnahmen zur Verhinderung einer Triage nicht ausgeschöpft wurden. Bei der Reduktion der Zahl der Schwerkranken, bis hin zum Lockdown, hat man hier alles gegeben. Wirksame Anreize damit sich mehr Menschen drei Jahre lang in der Krankenpflege und dann danach noch einmal für die intensivmedizinische Zusatzausbildung entscheiden sind jedoch nicht erkennbar. Entscheidet ist aber: Während es mindestens fünf Jahre dauert, bis eine intensivmedizinische Pflegekraft ausgebildet ist, reichen fünf Monate unter maximalem Druck, damit der Beruf aufgegeben wird. Wenn man Triage rechtfertigen will, muss man darstellen, dass man
alle vertretbaren Mittel ausgeschöpft hat, damit es nicht zur Triage hätte kommen müssen.
Dazu gehört doch sicherlich ganz einfach die Antwort auf die Frage, wie verhindert man kann, dass Pflegekräfte sich einen andere Arbeit suchen. So etwas kann man gut wissenschaftlich untersuchen.
Und jetzt noch mal auf Anfang:
Herr Buschmann von der FDP, meint Triage sei schon ok. Frau Stark-Watzinger Forschungsministerin von der FDP stoppt gerade jetzt eine bereits positiv begutachtete und als förderungswürdig angesehene Studie „Warum Pflegekräfte hinschmeißen“ mit dem Hinweis auf fehlendes Geld. (5) Es stellt sich die Frage, ob im Hause Stark-Watzinger die Bedeutung der Studie „Warum Pflegekräfte hinschmeißen“ für den aktuellen Gesetzgebungsprozess zur Triage erkannt wurde. Am Ende bezieht sich Recht immer auf wissenschaftlich nachvollziehbare Gründe. Gibt es die Möglichkeit hier mit Wissenschaft Klarheit zu
erreichen, dann darf dieser Studie auf keinen Fall die Förderung entzogen werden.
Ich bin der Meinung Herr Buschmann und Frau Stark-Watzinger sollten sich dringend mal
zusammensetzen, sollte ja möglich sein, wenn man doch in der gleichen Partei ist, wenigstens dann wenn es um so elementare Fragen wie Leben und Tod geht.
„Von besonderer Bedeutung für die Wissenschaftskompetenz ist die Fähigkeit zur kritischen Reflexion der Perspektive wissenschaftlichen Denkens und Handelns im Vergleich zu anderen Sichtweisen auf das menschliche Leben. Auch die Fähigkeit, die eigene Subjektivität und Rolle zu reflektieren, ist ein Bestandteil von Wissenschaftskompetenz. Hierzu gehört die Auseinandersetzung mit Missbrauchspotenzialen sowie den Verfehlungen [...] wissenschaftlichen Handelns in der Vergangenheit. (6, Seite 7) Soweit der Auftrag der Leopoldina, sowohl an die Ärzte, aber auch an die Politik.
Quellen:
(1) Link
(2) Link
(3) Marbuger Bund will an umstrittener Ex-Post-Triage festhalten von (hom) ind Ärztezeitung online vom 22.07.2022
(4) Wer darf weiterleben? Von Tanja Hörnle, Elisa Hoven, Stefan Huster, Thomas Weigand in
Frankfurter Allgemeine Zeitung von 28.7.22 auf Seite 6
(5) Auf der roten Liste von Paul Munziger in Süddeutsche Zeitung vom 29.7. 2022 auf Seite 24
(6) Link
Über die Hintergründe des Gesetzes zur Triage: STREITSCHRIFT # 11 ++++++ Hintergründe des Gesetzes zur Triage ++++++ cc: Stefan Streit, Köln, 4.8.2022
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Marburger Bund nimmt Stellung zum Referentenentwurf für ein „Triage-Gesetz“, 22.Juli 2022
unter: Link
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