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Jüngst hatte ich wieder Gelegenheit,unser Gesundheitswesen zu erleben

Foto: H.S.

06.08.2022 - von Hartmut Jeromin

Wie geht es dir? Diese Frage kommt am Telefon immer, wenn du mit jemand aus der Verwandtschaft sprichst. Davor oder danach nimmst du natürlich auch die Informationen des Gegenüber, sein Befinden betreffend, entgegen. Das ist so ein Wechselspiel, schnelles Umschalten oder stilles Zuhören ist erforderlich. Was will ich, kann ich meinen Verwandten durchsagen?

Jüngst hatte ich nach längerer Zeit wieder Gelegenheit, unser Gesundheitswesen zu erleben, etwas intimer. Der „Leistenbruch“ beunruhigte mich, obwohl ich schon Jahre mit ihm bekannt war … und die letzten Jahre waren für so eine Hernie nicht recht geeignet. Doch nun reifte in mir der Entschluss, die Sache machen zu lassen. Die Hausärztin spielte mit, indem sie mich zum Chirurgen überwies, der sah sich den Schaden kurz an und überwies mich an die gewünschte Klinik. Vorstellig musste ich da aber selbst werden. Ging aber gut, ich bekam meinen Termin, am 19.07.22. sollte ich vormittags einrücken. Merkblätter erklärten das Weitere. Ich bräuchte keine Bedenken zu haben, sowas sei tägliches Brot in diesem Hause, Rückfälle kämen sehr selten vor und sie würden beide Bauchseiten inspizieren und notfalls auch gleich mitversorgen. Konnte ich also beruhigt per Unterschrift in Auftrag geben. Alles machte einen sehr routinierten Eindruck, vom Empfang bis zum Schriftlichen. Nur Parkplatz war um die Klinik knapp, das Auto parkte ich in einiger Entfernung und hatte so noch einen Bummel durch altes Dresden zu machen, in der Neustadt herrscht dichte Bebauung. Das Auto aber stand unter Platanen Nähe Elbufer, kostenpflichtig.

Ich packte also meine Tasche, der Nachbar fuhr mich hin und etwas vorzeitig trat ich ein. Am Empfang kurze Gesichtskontrolle: Aha, Sie. Sie sind heute noch dran! In der Bauchabteilung wurde ich von einem jungen Mann erwartet, alles Weitere regelte er. Ich hatte noch Gelegenheit, den Betrieb auf dem Gang zu erleben, die Krankenzimmertüren gingen auf und zu, jede Menge Personal war da unterwegs. Dann Vorbereitungszimmer, fahrbares Bett, Flatterhemd; aber meine Blase meldete sich nun mehrmals und zunehmend. Wurde ich etwa nervös? Am Bauch wird man auch nicht alle Tage rasiert … der Bauchnabel präpariert. Dann noch eine kleine Fahrt entlang der Korridore, ein Fahrstuhl und dann Platz nehmen auf so einem Hubtisch. Alles sehr beeindruckend. Noch einige Hörproben aus dem angrenzenden OP, ein Tropf wurde neben mir montiert, Fahrt in den OP, eine Stimme flüsterte mir was, eine Maske, Sauerstoff. „Jetzt geht’s los…“ Nach 3 Stunden wachte ich wieder auf, nahm die Umgebung wahr.

Nun ab ins Krankenzimmer. Hohe Räume, Verdunklungen, Vorhänge.
Dann lief alles wie ein Uhrwerk ab: Messen, Befühlen, Spritzen, Tablette, Umsehen im Zimmer, später eine Suppe, auch Kaffee wurde serviert, viel Wasser zum Trinken, ganz allmählich nahm ich ein Gerät am Bett war und einen Schlauch aus meinem Bett zum Gerät, eigentlich ein Beutel. Komische Sache. Wo kommt denn dieser Beutel her, aus mir! Hängt aber tief, seitlich am Bett. Na, sei es. Jede Menge Besuch vom Personal, in jeder Angelegenheit. Von ganz jung bis schon etwas älter, alle kompetent! Manche sichtlich noch in der Ausbildung, andere sehr berufserfahren, alle sehr aufgeschlossen und freundlich. Und das in diesen Zeiten mit Personalmangel, kaum zu glauben! Das Diakonissenkrankenhaus in Dresden machte es möglich.

Man richtet sich ein für die Nacht. Zahnputzzeug gesucht, erheben aus dem Bett unter Aufsicht, das ging aber gut. Sie können nun immer selbst aufstehen. Und immer noch das Flatterhemd. Wie nur komme ich zur Toilette? Mit diesem Ding von Beutel und der füllt sich … aufgestanden, abgehakt, in die rechte, dann linke Hand, wo lässt man den im Bad, ach so, du brauchst nun nicht mehr die Blase kontrollieren, das läuft … Aufhängevorrichtung gesucht, Zähne geputzt, was man nicht alles noch lernen kann im guten Alter von … 81 Jahren … ab ins Bett. Schlechte Nacht aber immer sah jemand herein. Die anderen Mitpatienten mussten teils mitten in der Nacht versorgt werden, das störte etwas, war aber nötig und somit auszuhalten.

Es sollten noch die Urologen des Hauses ihr Urteil abgeben, die hatten aber immer keine Hand frei. So wurde gewartet und gewartet, bis Donnerstag. Es kam noch eine Schwester, die mir den Beutel ans Bein band, Ärzte ließen sich sehen, fragten, auch die „Große weiße Wolke“ kam vorbei, Chefvisite. Dann drückte man mir einen Umschlag und Rezepte in die Hand und ich konnte gehen. Ich sollte das weitere mit der Hausärztin klären und mit meinen Urologen. Und Tschüss.

Das dicke Ende kam nach: Vom Telefon aus konnte ich keine Praxis erreichen, nur Recorderansagen, wenn überhaupt. Auch Freitag ging da nichts, die Apotheke aber arbeitete. Trotz Urlaubszeit. Und Hitzewelle. Und Corona. Am Wochenende wie immer, nur Notdienste, so wartete ich auf den Montag! Alle Öffnungszeiten gesucht, alle Parkmöglichkeiten ins Auge gefasst, alle Papiere geordnet und Montag früh war ich an Ort und Stelle, stieg zunächst am Schillerplatz die Treppe hoch, vor der Anmeldung standen schon sieben andere Menschen mit ähnlichen Anliegen, kein Stuhl und immer nur einzeln eintreten. Es riss auch noch ein Halteband an meiner Maske, die Reserve lag im Auto in einer Tiefgarage, es arbeitete nur eine Ärztin, der andere hatte Urlaub.

Sie müssen aber Zeit mitbringen, die Ärztin hat noch gar nicht angefangen, wenn sie noch was zu erledigen haben … hatte ich, ich wollte ja noch zur Hausärztin. Dann machen sie das mal gleich … an der Apotheke eine neue Maske gekauft, rein in den Fahrstuhl, langer Gang, dahinten sind aber viele Leute, genau da, wo ich auch hin wollte, nur wenige Stühle, alle besetzt, ich wurde nicht erwartet. Ich hatte sie doch zum Chirurgen geschickt. Den hatte ich ganz vergessen. Und was können wir für sie tun? Wenigstens den Verband wechseln und meine 3 Einschusslöcher inspizieren! Komische Mienen, die Ärztin stammt aus Russland … aber natürlich wurde es gemacht und ich wieder zurück zum Urologen und brauchte nicht zu warten, sie hatten auch einen Termin für mich zum Ausschleichen der „Verkabelung“: in 4 Wochen!

Das haut hin und zurück: Wie soll ich mit so einem Ding am Bein einkaufen gehen, spazieren, schwimmen gehen, Auto fahren, auf dem Feld die Bohnen und Kartoffeln ernten? Urlaub macht so auch keinen Spaß. Großes Handicap.
Und immer in dieser Jahreszeit mit leichter Sommerhose, halblang, da sieht der Beutel unten raus. Sehr gewöhnungsbedürftig, auch für die Nachbarn. Also lange Hose.

Und nun warte ich noch auf die Rechnung von der AOK. Wie das alles endet, erfahre ich hoffentlich am 24.08.22, sicher mit gutem Ende oder mit Nachschlag? Denn so ganz zufällig hing und hängt dieser Beutel ja nicht an meinem Bett. Soll ich euch dann auf dem Laufenden halten oder falle ich mit dieser Geschichte in ein tiefes Sommerloch?
Und was erzähle ich meinen Verwandten, wenn sie fragen: „Wie geht’s dir denn?“
Hartmut Jeromin wird sich was einfallen lassen, im August 2022!
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Die heiligste Kuh der s o z i a l e n Marktwirtschaft von Hartmut Jeromin unter: Link

Quelle: Hartmut Jeromin