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Direktversicherungsgeschädigte geben nicht auf

16.04.2023 - von ver.di, PM vom 02.12.2022

Frankens Direktversicherte demonstrieren erneut wegen Teilverlusten bei der
betrieblichen Altersvorsorge. Sie sprechen von 20 Jahren Zwangsenteignung. Der staatliche legitimierte Betrug – wie es Betroffene nennen – begann vor genau 20 Jahren: Weil die Kassen der Gesetzlichen Krankenversicherung damals leer waren, beschloss der Bundestag 2003, sich an jene zu halten, denen mit Erreichen des Ruhestands Geld ausgezahlt wird, das sie in einer über den Arbeitgeber abgeschlossenen Direktversicherung selbst aus ihrem Gehalt angespart haben.

Von diesem Auszahlungsbetrag sollten knapp 20 Prozent für die Kranken- und Pflegeversicherung abgehen – verteilt auf 120 Monate, obwohl viele bereits in der
Einzahlungsphase zusammen mit dem Arbeitgeber volle Krankenkassenbeiträge für ihre selbst bezahlte Direktversicherung entrichtet haben.

Dies führt in manchen Konstellationen zu monatlichen Krankenkassenbeiträgen in der Rentenphase von 613,66 EUR für 10 Jahre abzüglich Freibetrag, in diesem Fall in Höhe von 27,50 EUR zuzüglich 238,83 EUR, die die Rentenkasse bereits an die Krankenkasse entrichtet!

Was da im Detail beschlossen worden war, fiel erst auf, als von 2004 an die ersten
Direktversicherten Zahlungsaufforderungen ihrer Krankenkassen erhielten: Obwohl ihnen bei Vertragsabschluss für diese Kapitallebensversicherung etwas völlig anderes versprochen worden war, sollten sie nun für die angesparte Summe den vollen Sozialbeitrag, also den Arbeitnehmer- wie den Arbeitgeberanteil, entrichten. Das heißt: Wer die Summe schon verplant hatte, um zum Beispiel sein Häuschen abzuzahlen oder sich eine Eigentumswohnung
für das Alter zu leisten, dem fehlte plötzlich rund ein Fünftel des eingeplanten Geldes.

Kein Bestandsschutz für ältere Verträge
Als besonders ungerecht empfinden es die Betroffenen dabei, dass auch die vor 2003 abgeschlossenen Verträge keinen Bestandsschutz genossen. Auch diejenigen mit Altverträgen, die mit dem Versprechen geködert worden waren, mit der Direktversicherung Steuern und Sozialabgaben zu sparen, wenn sie dafür auf einen Teil ihres Lohns verzichten, werden seither zur Kasse gebeten. Dass das bei vielen das Vertrauen in den Staat und die Politik nachhaltig erschüttert hat, verwundert kaum.

Doch selbst Politiker, die dem Gesetz 2003 ihre Zustimmung gaben, haben es lange Zeit nicht durchschaut. Frank Müller von der Regionalgruppe Franken des Vereins der Direktversicherungsgeschädigten (DVG) berichtet davon, dass zum Beispiel die Erlanger SPD-Bundestagsabgeordnete Martina Stamm-Fibich – und der Fürther SPD MdB Carsten Träger erst im Gespräch mit ihm verstanden hat, was genau die Betroffenen so empört. Und weshalb Frank Müller jedem jungen Menschen, der diese Form der betrieblichen Altersvorsorge erwägt, davon nur dringend abraten kann.

Das brisante Thema steht immer wieder im Raum
Stamm-Fibich und Träger gehören aber zumindest zu den Politikern, die sich die Sorgen der Direktversicherten anhören. Das tun längst nicht alle. Dabei ist gar nicht mehr zu überhören, dass das Gesetz von 2003 Millionen Menschen verärgert hat, viele Betroffene sich enttäuscht von der Politik abwenden oder sagen, dass sie niemals wieder eine der Parteien wählen, die ihnen das eingebrockt haben.

Der Druck, den vor allem auch der 2015 gegründete DVG mit Demos (wie 2019 in Fürth) und Gesprächen mit Politikern erzeugt, blieb nicht ohne Folgen. Um die Betroffenen – der DVG spricht von rund 8 Millionen – zu besänftigen, wurden den Direktversicherungsgeschädigten eine kleine Entlastung angeboten: Seit 1. Januar 2020 gibt es einen sich jährlich erhöhenden Freibetrag – in diesem Jahr knapp 170 Euro. Das bedeutet, dass erst ab dieser Höhe Krankenversicherungsbeiträge auf die Bezüge fällig werden. Für Frank Müller von der DGV-Regionalgruppe Franken ist das aber allenfalls ein Teilerfolg.

Denn für ihn hat dieser Freibetrag für seine Direktversicherung überhaupt keine Auswirkung, da der Freibetrag kleiner als seine echte Betriebsrente ist. Denn in vielen Fällen liege der auf den Monat umgerechnete Auszahlungsbetrag der Direktversicherung zusammen mit der von seinem Arbeitgeber gezahlten Betriebsrente über diesem Freibetrag, so dass trotzdem hohe Sozialabgaben fällig werden. Bei etlichen Betroffenen summieren sich diese in den zehn Jahren auf mehrere zehntausend Euro, im Falle von Frank Müller auf ca. 18.000 EUR.

Noch ungerechter in diesem Zusammenhang ist, das für Neuverträge ab 2004 überhaupt keine Sozialversicherungsbeiträge in der Einzahlungsphase entrichtet werden müssen und vom Arbeitgeber ab 2019 wenn er sich die Krankenkassenbeiträge erspart, noch 15% dazu gezahlt werden müssen.

Dies führt bei einem Vergleich der Altverträge vor 2004 und einem Neuvertrag ab
2019 zu folgendem Ergebnis:
In der Einzahlungsphase wurden beim Altvertrag bereits über 19,6% (14,6% Grundbetrag + 1,6% Zusatzbeitrag + 3,4% Pflegeversicherung) zusammen (mit dem Arbeitgeber an die Krankenkasse bezahlt) und in der Auszahlungsphase müssen nochmals 19,6 % bezahlt werden, also insgesamt 39,2%.
Der Neuvertrag muss zwar in der Einzahlungsphase an die Krankenkasse nichts bezahlen, in der Auszahlungsphase aber ebenfalls 19,6%. Wenn man die verpflichteten 15% des Arbeitgebers davon abzieht, so verbleibt ein 4,6% iger Zahlungsbetrag an die Krankenkasse.

Vergleich Altverträge mit Neuvertrag: 39,2% zu 4,6%.
Genau deshalb lassen die Franken wie auch der gesamte, mittlerweile rund 3800 Mitglieder zählende DVG nicht locker. Zur Jahresversammlung des DGV am 15. April in Kassel wollen sie erneut mit einer Demo vor dem Bundessozialgericht vor allem Bundeskanzler Scholz (SPD) an sein mehrfach gegebenes Versprechen, das Problem der Doppelverbeitragung zu lösen, erinnern. „Wir würden uns freuen, wenn sich uns dort weitere fränkische Direktversicherte anschließen“, sagt Frank Müller, der die Regionalgruppe 2017 initiiert hat.

Sein Appell richtet sich auch an Direktversicherte, die noch mitten im Berufsleben stehen und bisher von der auch sie betreffenden Ungerechtigkeit womöglich noch nichts wissen. Denn in den jährlichen Standmitteilungen verschweigen die Versicherungen diesen Fakt
geflissentlich.

Daneben sucht der DVG weiter das Gespräch mit Politikern auf Landes- und Bundesebene. „Die Antworten sind meist unverbindlich, wir werden vertröstet“. Man wolle sich „kümmern“, heißt es, es „weitergeben“ oder habe – da gerade in der Opposition – derzeit leider „keine Handhabe“.

Entmutigen lassen sich die Betroffenen davon indes nicht. Selbst wenn sie, wie letztes Jahr, von CSU MdB Tobias Winkler die Antwort erhalten, dass „seinerzeit politische Fehler gemacht wurden, die korrigiert werden müssten“, aber „leider in absehbarer Zeit nichts
vorangehen wird“. In der Ampel gebe es dafür einfach keine Mehrheit und in der Opposition keine Handhabe.

Demo zur DVG-Delegiertenversammlung am 15. April: 10.30 bis 12.30 Uhr vor
dem Bundessozialgericht in Kassel
Kontakt zur DVG-Regionalgruppe Franken: Frank Müller, rg-franken @dvg-ev.email
Link
Frankens Direktversicherungsgeschädigte: „Finger weg von diesem Angebot über
eine betriebliche Altersvorsorge“, wenn der Arbeitgeber nicht mindestens 50%
bezahlt.